Let's get out of here!
Asura
Nachdenklich mustere ich das Fläschchen in meiner Hand.
„Warum haben wir uns so viel Mühe gegeben, unbemerkt in dieses Labor zu kommen, wenn wir jetzt sowieso zu ihm gehen?"
Jasper zuckt mit den Schultern. „Gewohnheit und Vernunft. Daher die Vorsicht. Jetzt hätte ich aber gerne mal ein paar Antworten. Mir ist zwar grundsätzlich eine Menge egal, aber wäre doch mal interessant, zu wissen für was dieser Holt alles benötigt wird. Abgesehen von diesem ... Zeug hier."
Spöttisch verziehe ich meine Lippen, aber er zieht bereits die Tür des Treppenhauses auf und lässt mich auf den Gang treten.
„Du stellst ihn aber zur Rede", brumme ich dabei. „Ich habe keinen Bock, mir wieder diese scheinheiligen Sprüche an den Kopf werfen zu lassen."
Ich hebe meine Augenbraue, als er nur grimmig lächelnd geradeaus blickt. Und kurz stockt.
„Was denn?"
„Du hast wohl Glück, kannst dich noch ein wenig vorbereiten", meint er. „Katō ist gerade zu ihm rein."
Ich halte jetzt ebenfalls inne und folge seinem Blick. Natürlich ist niemand mehr auf dem Gang zu sehen, alle Türen sind geschlossen und es ist auch nichts weiter zu hören. Mitbekommen habe ich aber generell nichts.
Ich schnaube.
„Ich will aber vor allem auch nicht ewig warten müssen. Am Ende überlege ich es mir noch anders."
„Wir können ja vor der Tür warten."
Er beschleunigt seine Schritte.
„Du willst also lauschen? Ts, ts, ts."
Ich erhalte nur ein Schnauben zur Antwort, dann bin auch ich leise. Ich folge Jasper zu Fellars Tür und stelle mich dann mit verschränkten Armen neben ihm auf. Es dauert kurz, dann höre ich die leisen Stimmen.
„... schätze deine Anwesenheit sehr, Katō. Umso mehr schmerzt mich jedoch der Grund dieser Unterhaltung."
Mich hochgezogener Augenbraue begegne ich Jaspers Blick. Ob dieser Kerl jemals normal sprechen wird?
Katō scheint das allerdings gar nicht zu stören.
„Der Grund dieses Gespräches?", höre ich ihn nur verwundert fragen. „Ich kann Ihnen hoffentlich weiterhelfen."
„Oh, das hoffe ich – Du erzähltest mir von deinem Freund. Wie hieß er, Sidney? Er wäre wohl in diesem Augenblick bei einer ganz bestimmten ... Gruppe."
Kurz herrscht Stille. Ich denke schon, das Gespräch wurde abrupt abgebrochen oder es wurde sich aufs Flüstern verlegt, doch dann fährt der Jugendliche fort:
„Das ist richtig, das glaube ich. Ich habe auf jeden Fall einen von Ihnen beschriebenen Flüchtling erkannt. Es waren jedoch zu viele, um Sidney vor ihnen in Sicherheit zu bringen."
„Bedauerlicherweise frage ich mich, ob das überhaupt deine Intention war. Oder ist."
Unwillkürlich beuge ich mich näher zu der Tür. Der Verlauf dieses Gespräches gefällt mir gar nicht, was zum Teufel geht da vor sich?
„Wie ... wie meinen Sie denn das?"
„Können wir uns bitte auf Ehrlichkeit einigen, mein Lieber? Ich habe dich sehr gern und das würde es mir vielleicht ermöglichen, dich vor den Konsequenzen deines Handelns zu bewahren."
„Ich ver- ... ich verstehe immer noch nicht", stammelt Katō, trotz dass er mittlerweile eigentlich checken müsste, dass er gerade ziemliche Schwierigkeiten hat. Seine Stimme ist kaum noch zu verstehen.
„Ich spreche von dem Briefwechsel", knallt Fellar ihm fast schon zu trocken entgegen. Ein leises Keuchen verlässt jetzt auch meinen Mund.
„Nun verstehst du hoffentlich. Und bevor du jetzt etwas sagst, sollte ich noch hinzufügen, dass ich mich zuerst an dich gewendet habe, um dir die Gelegenheit zu geben, dein Vergehen durch die unterlassene Mitteilung äußerst wichtiger Informationen wieder zu bereinigen. Ich kann dir versichern, dass ich ebenso weiß, wer für die Vermittlung verantwortlich ist, du wirst dich also keinesfalls in Verlegenheit bringen müssen."
Ich bekomme eine Gänsehaut. Wenn er das alles wirklich schon herausgefunden hat, weiß er mit Sicherheit auch, dass ich sie gedeckt habe. Dass ich ebenfalls nichts gesagt habe.
„Was hast du denn?", höre ich Jasper an meinem Ohr zischen.
Aber ich wende meine Aufmerksamkeit wieder dem Gespräch hinter der Tür zu.
„Sieh es als einen Akt der Fürsorge meinerseits, um die Konsequenzen für dich etwas zu mindern. Du hilfst dem SEA, an Vincent Holt zu gelangen und ich kann ein gutes Wort für dich einlegen. Du wirst nicht zurückmüssen und ich kann vielleicht auch etwas für deinen Freund tun – Dieser Weg wäre doch für alle das Beste, nicht?"
Katō hat die ganze Zeit über geschwiegen. Als er jetzt leise das Wort erhebt, drehe ich mich jedoch um und entferne mich so schnell wie nur möglich. Das Herz schlägt mit bis zum Hals und erst im Treppenhaus erreicht Jaspers Stimme mein Ohr.
„Jetzt warte doch mal!" Seine Hand landet auf meiner Schulter und bringt mich zum Stehen. „Was weißt du denn darüber?"
Ich ächze. „Das ... ach, das ist alles ... das ist nur ..."
Hilflos suche ich nach Worten. Aber jeder Ansatz bleibt in meiner Kehle stecken. Der Gedanke daran, dass ich zurückmuss, will einfach nicht verschwinden. Und wenn man mich nicht einmal mehr für irgendwelche Experimente braucht ... was für einen Grund gibt es da noch, mich nicht einfach endgültig ...
„Hey, jetzt beruhige dich doch endlich mal!"
Jasper zieht mich weiter. Nach unten.
„Pass auf. Sag einfach erst einmal, ob du davon wusstest."
Knapp nickte ich mit dem Kopf.
„Woher?", hakt er sofort nach.
„Na, woher wohl? Ich habe sie dabei erwischt. Und gedeckt, so blöd, wie ich bin", füge ich nicht ganz so grob hinzu.
Jasper bläst seine Wangen auf. „Das ist ja ganz toll – Was hast du dir dabei überhaupt gedacht?"
Wortlos lasse ich mich auf eine der Treppenstufen fallen und starre auf meine Hände.
„Ich habe das gemacht, weil ich Fellar noch weniger über den Weg traue, seit seine eigene Tochter sagt, dass er einen Unschuldigen verfolgt. Welcher solche wie uns vor ihm und seinen Freunden beschützt."
Ich balle die Fäuste und hebe meinen Blick.
„Der Kerl nutzt uns doch aus! Und jetzt hat er, wie auch immer, genau das herausgefunden, worauf er schon die ganze Zeit aus war. Uns ... uns braucht er jetzt nicht mehr", füge ich leise hinzu.
Ich starre zurück auf meine Fäuste. Was für eine Scheiße!
Andere von uns könnte man auch weiterhin noch irgendwie ausnutzen. Marcos zum Beispiel. Diese Irren können es sich sicher vorstellen, ihn für irgendwelche Aufträge abzurichten. Wer kann schon von sich behaupten, einen unsichtbaren Sklaven zu haben ...
Aber mich ... mich braucht man nicht mehr. Spätestens, wenn der SEA Holt wieder in seinem Besitz hat, bin ich fällig.
Ein Schnauben reißt mich aus meinen Gedanken.
„Jetzt reiß dich doch mal zusammen und lass uns lieber überlegen, was wir jetzt tun."
Ich blinzle. „Was?"
Jasper schenkt mir ein grimmiges Lächeln.
„Klar. Wenn es wahr ist, was diese Alice erzählt, bin ich der Letzte, der den Kerl in die Pfanne haut."
Vorsichtig stehe ich auf.
„Jasper? Manchmal kommst du auf echt gute Gedanken."
Er hebt seine Augenbrauen. „Das weiß ich. Was ist es diesmal?"
„Wir müssen irgendwie zu Alice, damit sie ihn warnen kann. Ihn und all die anderen bei ihm."
„Und du glaubst allen Ernstes, wir sind schneller als der Alte samt Anhang? Ganz zu schweigen von einer der größten Organisationen dieses Landes. Am Ende wissen sie schon längst Bescheid."
Mit Sicherheit tun sie das. Angestrengt zerbreche ich mir den Kopf.
„Dann ... dann besorgen wir uns eben sein Display, rufen sie damit an und verhindern, dass Fellar ..."
„Den SEA informiert" beendet Jasper meinen Satz. „Wenn diese Option überhaupt noch besteht."
Kurz starren wir uns an, dann laufen wir wieder den Treppenstufen hoch.
Kurz bevor wir die Tür erreichen, welche uns zurück in den Flur führt, fliegt diese jedoch auf und ein völlig gehetzter Katō starrt uns entgegen.
Augenblicklich reiß er seine Hände hoch, die auf Jasper gerichteten Handflächen beginnen zu pulsieren und ein dumpfer Druck legt sich auf meine Ohren.
Schnell trete ich einen Schritt zur Seite, zwischen ihn und Jasper
„Katō!", beginne ich schnell, anstatt direkt zu verhindern, dass er seine Mutation zum Einsatz bringt. „Lasst mich durch oder ich garantiere für nichts."
Vorsichtig trete ich einen Schritt auf ihn zu.
„Jetzt beruhige dich mal, wir sind auf deiner Seite! Was ist passiert, hast du Fellar erzählt, dass ..."
Er kneift seine Augen zusammen und zischt abfällig. „Zur Seite, ich wiederhole es nicht nochmal, Verräterin!"
Völlig baff starre ich ihn an.
„Wie bitte? Ich bin doch kein Verräter!"
Spöttisch schnaubt er und seine Mutation hallt als hohes Pfeifen im Treppenhaus wieder.
„Aber sicher doch. Und Capryse weiß das alles woher? Von einem Hausgeist?"
„Alter, sie hat gesagt, sie hat nichts verraten. Jetzt komm' runter, wir wissen auch nicht, wer ihm da was gepfiffen hat."
Für eine Sekunde dreht Katō seinen Blick zur Tür, dann starrt er uns schnell wieder an. Seine dunklen Augen bleiben an mir hängen und mustern mich eindringlich.
„Zur Seite! Noch einmal sage ich es nicht."
Beschwichtigend hebe ich meine Hände.
„Wir wollten gerade Alice warnen. Über Fellars Display", informiere ich ihn. „Du kannst abhauen, keine Frage. Aber sage uns erst noch, wo Fellar jetzt ist."
„Wir", wiederholt Katō tonlos.
„Wir haben euer kleines Gespräch nur zufällig gehört. Asura selbst wird es auch nicht wirklich zugute kommen, dass sie dich gedeckt hat", ertönt die trockene Stimme. „Sag uns also einfach, wo er jetzt steckt, mit dem Rest werden wir alleine fertig!"
Langsam lässt Katō seine Hände sinken. Seine Anspannung bleibt jedoch bestehen.
„In seinem Zimmer. Das wird euch aber nicht viel bringen, ich habe das Display zerstört, als er damit seine Leute rufen wollte. Oder wen auch immer."
Ich werfe einen kurzen Blick zu Jasper, dann frage ich vorsichtig:
„Und was hast du mit ihm gemacht?"
Katō zuckt mit den Schultern. „Eingesperrt. Lange wird das aber nichts bringen, deshalb muss ich jetzt weiter."
Kurz hält er inne. „Ich werde direkt zu Alice gehen. Wenn ihr wirklich helfen wollt, könnt ihr ja mitgehen. Gerade für dich wäre das wohl besser, Asura."
„Du weißt, wo sie wohnt?"
„Und ich weiß, wie wir dahin kommen."
Der junge Mann hält einen Schlüssel in die Luft und sieht uns fragend an.
„Also, was jetzt? Heute noch, wenn ich bitten darf."
„Wir kommen mit", brummt es und Jasper schiebt sich an mir vorbei. „Erst hole ich aber noch Terry, ohne den verschwinde ich nicht von hier!"
Kurz öffnet Katō protestierend den Mund, dann schließt er ihn jedoch wieder und lässt die Autoschlüssel in seiner Hosentasche verschwinden.
Jasper öffnet die Tür zum Flur, hält aber noch einmal inne.
„Geht ihr schon vor. Wir kommen nach und hauen dann von hi-"
Ein tiefes Brummen bahnt sich an, dann krümmt sich Jasper plötzlich, noch bevor er seinen Satz beenden kann, nach Luft schnappend zusammen. Seine Hände fliegen hoch, aber im nächsten Moment stolpert er nach hinten, kracht mit voller Wucht gegen das Geländer der breiten Treppe ... und kippt darüber.
Mein Herzschlag rauscht in meinen Ohren, als er aus meinem Sichtfeld verschwindet, einen stummen Schrei auf den Lippen.
Was ... was war ... ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Nur auf die Stelle starren, an welcher er eben noch stand.
„Asura, verdammt! Jetzt ... fuck!"
Mein Kopf fliegt zur Seite, als Katōs Stimme zu mir durchdringt. Verwirrt blinzle ich, als ich sehe, wie er sich, um sich schlagend, um sich selbst dreht. Dabei lässt er immer wieder zischende Geschosse los, welche allerdings nur wirkungslos auf die Wand des Treppenhauses treffen. Und dann wird mir endlich klar, was hier Phase ist. Sofort konzentriere ich mich auf das Brummen, welches vor wenigen Sekunden – oder doch schon Minuten – ertönte, bis ich weiß, wo Marcos steckt.
Bereits im nächsten Augenblick hat Katō ein sichtbares Ziel vor Augen.
Marcos ist jedoch schneller und bevor ihn einer dieser Dornen treffen kann, ist er bei seinem Gegenüber, umklammert ihn und sie beide krachen gegen die nächste Wand. Schnell springe ich zur Seite, aus ihrer Reichweite, weiterhin darauf bedacht, Marcos Mutation zu hemmen.
Kurz wehrt er sich noch dagegen, dann konzentriert er sich aber auf Katō.
Ein angestrengtes Keuchen ertönt von den beiden Männern, als sie miteinander ringen. Angestrengt suche ich nach einer Gelegenheit, meinem Verbündeten zu helfen, aber die beiden ringen so verbissen miteinander, dass ich einfach nicht herankomme.
Dann bekommt Katō einen Schlag ab. So stark, dass sein Kopf zur Seite geschleudert wird. Dann ertönt das Pfeifen seiner Mutation für einen kurzen Moment so als hätte man eine Rakete abgezündet und von Marcos kommt ein wütendes Zischen.
Ich halte den Atem an.
Wurde er getroffen? Wo?
Doch bevor ich mir auch nur einen groben Überblick verschaffen kann, stößt sich Katō mit einem Brüllen von der Wand ab. Diesen Schwung nutzt Marcos jedoch aus und im nächsten Augenblick stürzen sie in einem Knäuel aus Armen und Beinen den Treppenstufen hinab.
Marcos erholt sich zuerst von dem Sturz. Noch bevor sich sein Gegner aufrappeln kann, ist er schon über ihm und lässt seine Faust auf ihn niederkrachen.
Scheiße, ich kann Katō nicht einfach so im Stich lassen!
Entschlossen balle ich meine Fäuste und folge ihnen nach unten. Und ... halte schon nach wenigen Schritten wieder inne.
Schwer hebt sich Katōs Brustkorb. Einer von Marcos Armen hat sich um seinen Hals geschlungen, mit der anderen Hand scheint er verdrehten Arme seines Gegners zu fixieren.
„An deiner Stelle würde ich das lassen!", stößt Marcos hervor. „Diese Geschosse treffen dich, nicht mich!"
„Scheiße, Marcos! Hast du den Verstand verloren?"
Zum ersten Mal sieht er zu mir.
„Asura! Du weißt hoffentlich, was für eine riesige Scheiße ihr hier abgezogen habt?"
Fassungslos starre ich ihn an. Das kann er nicht ernst meinen!
„Wir? Du hast gerade Jasper über das Geländer gestürzt. Geht's noch, du bist doch wahnsinnig!", brülle ich fast schon.
Jetzt, als ich es ausspreche, wird mir überhaupt die Tragweite dieser Worte bewusst und meine Augen beginnen zu brennen.
Marcos' Blick verfinstert sich jedoch.
„Verflucht, glaubst du, das wollte ich? Hätte ihr nicht für einen Mörder Partei ergriffen, wäre das hier doch nie passiert!"
Für einen Augenblick begehrt Katō auf, weshalb er seinen Arm um dessen Hals noch enger zieht.
„Aber das könnt ihr alles Wendell erklären." Auffordernd nickt er mir zu. „Gehe du vor, Asura."
In seiner Stimme liegt jetzt kein Ärger mehr. Nur Enttäuschung.
Enttäuschung, welche mir so gut wie am Arsch vorbeigeht. Ich balle meine Fäuste.
„Werde ich nicht!", zische ich. „Lass ihn sofort los!"
„Oder was? Willst du mich zappeln lassen? Mich dazu bringen, mich auf dem Boden zu winden? Das wird euch nicht viel bringen, lange sind wir hier nicht mehr alleine. Glaubt ihr etwa, ihr kommt weit? Zwei Blocks und man hat euch eingeholt!"
Jetzt beginnt er zu schreien. Als hätte er den Verstand verloren. Er scheint das zu bemerken, denn er nimmt einen tiefen Atemzug, bevor er fortfährt:
„Seid doch nicht so dämlich und versucht lieber, euer Verhalten wieder gutzumachen! Das war ein gewaltiger Fehler, macht es jetzt nicht noch schlimmer!"
Ich öffne meinen Mund.
„Wenn schlimmer bedeutet, mit dir ein Loch in die Wand zu hauen, bin ich dabei."
Ich keuche und auch Marcos' Kopf wirbelt herum. Aber da ... verlassen seine Füße schon den Boden. Mit Katō geschieht für einen Moment das Gleiche und ein schmerzerfülltes Ächzen ertönt, dann fällt er aber zurück auf den Boden und Jasper macht seine Drohung wahr.
Marcos wird mit einer solchen Wucht gegen die nächste Wand geschleudert, dass der Putz von ihr herab bröckelt. Bewusstlos sackt er zu Boden und völlig fassungslos starre ich auf den Mann, welcher eigentlich ...
„Bist du nicht ..." Katō beendet ungläubig seinen Satz und auch mir will nichts einfallen, als ich Jasper da so stehen sehe.
Mit verschränkten Armen gegen das Geländer gelehnt, einen grimmen Gesichtsausdruck aufgesetzt.
„Glaubt ihr allen Ernstes, Telekinese befähigt mich lediglich dazu, Statuen umzuhauen und die Muskeln irgendwelcher Arschlöcher krampfen zu lassen?"
Ein ungläubiges Lachen verlässt meinen Mund. „Genial!"
„Mag schon sein, jetzt müssen wir aber wirklich los!"
Wir sehen beide zu Katō, welcher sich eben das Blut aus dem ziemlich lädierten Gesicht wischt und sich an Jasper vorbeidrängt.
„Los jetzt, worauf wartet ihr noch?"
„Ich habe doch gesagt, dass ich erst noch Terry hole."
Katō hält inne. „Das ist verrückt, diese Zeit haben wir nicht mehr!"
„Und wie wir die noch haben!" Jasper macht auf dem Absatz kehrt. „Macht den Wagen startklar, wir sind sofort bei euch!"
Terry
„Ihr habt was getan?"
Mit offenem Mund starre ich Jasper an, der mich bereits ungeduldig am Arm packt und zur Tür zieht.
„Ich erkläre es dir im Auto näher, jetzt müssen wir erst einmal von hier verschwinden! Diese Leute machen auch vor einem Kind nicht Halt, das müsstest du wissen."
Entschlossen entwinde ich mich seinem Griff.
„Ich gehe aber nicht mit dir!
„Du gehst nicht ..." Langsam dreht sich Jasper zu mir. „Was?"
„Ich gehe nicht mit dir!", wiederhole ich und schaue ihn so fest wie nur möglich an.
„Sag mal, hast du mir nicht zugehört?" Er kommt auf mich zu und zeigt verkrampft auf die Tür.
„Die sind hier gar nicht gut auf uns zu sprechen und die Kerle von dieser Organisation sind wahrscheinlich schon längst auf dem Weg. Die kannst du nicht so vollquasseln! Und mit deinen Irrlichtern kommst du bei denen auch nicht weit."
Ich drehe mich von ihm weg.
„Sag doch einfach, dass ich schwach bin. Und zu nichts nütze."
„Bitte? Verlierst du jetzt den Verstand, das stimmt doch gar nicht!"
Schon ist er wieder in meinem Blickfeld.
„Richtig, tut es nicht!", fahre ich ihn an. „Du glaubst das aber. Und jetzt kämpfst ausgerechnet du gegen den Mann, der das nicht über mich sagt!"
Jaspers Augen huschen fassungslos über mich.
„Alter, Terry, jetzt erzähl keinen Scheiß! Schau mal, wir müssen wirklich los. Komm einfach mit und wir klären das unterwegs."
Ich schüttel seine Hand ab, die er auf meine Schulter legt.
„Ich hab doch gesagt, dass ich nicht will!", erwidere ich trotzig. „Ich komme nicht mit, nur damit du mir wieder erzählst, wie nervig ich bin!"
Diesmal drehe ich mich weg, damit er meine feuchten Augen nicht sieht und wütend blinzel ich die Tränen weg.
„Alter, Terry!", stößt Jasper hervor. „Das meinte ich nie so. Ich wollte einfach nur nicht, dass ..."
„Es ist mir egal, was du wolltest!"
Er lässt sich von der Unterbrechung nicht beirren.
„... du dir falsche Hoffnungen machst und dann am Ende enttäuscht wirst. Was glaubst du denn, was passiert wäre, wenn ich dich in dem Glauben gelassen hätte, ich könnte dich beschützen? Denkst du, es wäre besser gewesen, du hättest dann merken müssen, dass dem nicht so ist? So wusstest du wenigstens, was dich in dieser Welt erwartet!"
„Du bist bis jetzt das einzige Arschloch, welches mit hier begegnet ist!"
„Mag ja sein, ich bin ein Arschloch. Okay. Aber ich bin das einzige hier, dem etwas an dir liegt. Die anderen ..."
Ich fahre herum und schlage seine Hand weg.
„Du sollst mich in Ruhe lassen! Die anderen hier sind nicht so zu mir. Wenn du abhauen willst, dann tu das! Aber ich bleibe hier. Und ich bin froh, wenn du weg bist!", füge ich noch hinzu und funkel ihn so entschlossen wie nur möglich an.
Schweigend erwidert er meinen Blick. Dann räuspert er sich und seine Hand fährt über sein Gesicht.
„Terry, es tut mir leid, okay? Aber ich wollte nicht noch einmal das Gleiche durchmachen, was mir ... uns passiert ist, nachdem dieses beschissene Portal verschwunden ist."
Wovon spricht er denn jetzt schon wieder?
„Jetzt komm schon, das hier ist jetzt unsere letzte Chance, diesmal will ich sie nutzen. Lass uns von hier verschwinden und im Wagen erzähle ich dir dann alles, okay?"
Hoffnungsvoll sieht er mich an, aber entschieden schüttel ich mit dem Kopf.
„Jetzt verschwinde schon endlich!"
Ich warte noch eine ganze Weile, nachdem Jasper mein Zimmer verlassen hat. Am Ende meines Bettes habe ich mich dabei niedergelassen und starre auf meine Finger. Zwischen ihnen sprühen helle, blaue Funken hervor. Nach ein paar Augenblicken dieses Spektakels verlege ich mich aber darauf, größere Lichter aufsteigen zu lassen und durch den Raum schweben zu lassen.
Ein leises Seufzen verlässt meinen Mund, als ich mir den Kopf über Jasper zerbreche. Er will mir nicht aus dem Kopf gehen.
„Scheiße!"
Ich lasse die Lichter verschwinden und vergrabe meine Finger in den Haaren.
Ich sollte Mr. Capryse sagen, dass er gegangen ist. Er wird noch gar nichts davon wissen und wird sich Sorgen machen. Und wenn doch, dann kann er mir ja vielleicht erklären, was hier überhaupt los ist.
Trotzdem verlasse ich nur zögerlich mein Zimmer. Was Mr. Capryse sagen wird?
Vermutlich ist er enttäuscht. Immerhin hat er uns bei sich aufgenommen und uns geholfen. Und Jasper haut einfach so ab.
Mit welchem Auto will er überhaupt fahren?
Das gestohlene haben wir ja zurückgelassen. Aber er kann doch nicht schon wieder eins ... verwirrt halte ich inne.
Erregte Stimmen hallen über den Flur und als ich sie erkenne, beschleunige ich meine Schritte. Weiß Mr. Capryse also doch schon davon.
Als ich sein Zimmer erreiche, Strecke ich vorsichtig meinen Kopf zur Tür herein. Ich entdecke Marcos auf einem Stuhl sitzen. Mr. Capryse hat sich zu ihm gebeugt, mit dem Rücken zu mir gewandt.
„Ich danke Ihnen, Marcos. Ich ..." Ich höre den Mann tief einatmen, dann richtet er sich auf.
„Holen Sie erst einmal tief Luft und dann ..."
„Terry?"
Marcos hat mich entdeckt und auch Mr. Capryse dreht sich zu mir.
Sidney
„Okay, jetzt keine Aufregung. Einfach locker bleiben. Ganz vorsichtig."
Ich schlucke einmal, nicke aber zuversichtlich. Es ist unter Hughs Aufsicht immer alles gutgegangen. Ich bin immer sicherer geworden und ich habe kaum noch Schwierigkeiten.
Na ja, hatte. Aber für ein ganz vorsichtig ist meine Mutation eindeutig nicht geschaffen.
Ich kann vielleicht mit ihr umgehen, aber Hugh habe ich auch noch nie Eiswürfel verschießen sehen. Dieser scheint meine Zweifel zu bemerken und beugt sich über den Tisch. Lächelnd schiebt er die Glühbirne weiter zu mir.
„Keine Sorge, beim letzten Mal warst du schon echt gut. Diesmal platzt sie nicht."
Ich brumme leise. „Und was, wenn doch? Beim letzten Mal hast du dich an den Scherben geschnitten."
Zu meiner Überraschung ... lacht der Mann. Etwas peinlich berührt, sehe ich mich um, aber die anderen gehen gar nicht weiter darauf ein. Ein paar lächeln, bevor sie sich wieder um ihre Angelegenheiten kümmern. Charlie selbst dreht sich zurück zu Naomi, welche ganz fasziniert auf Eliots schlagende Flügel starrt. Schon seit Tagen versucht der Jugendliche, richtig zu fliegen.
Bisher ist er aber nur taumelnd abgehoben, konnte sich nur ein paar kurze Augenblicke in der Luft halten. Harriet hat das mit seiner Verletzung begründet. Dass er seine Muskeln erst wieder richtig trainieren muss.
Ich finde, dass das ziemlich nachvollziehbar klingt. Als ich mir einmal den Arm gebrochen habe, war das genauso. Immerhin hatte ich ihn für längere Zeit nicht bewegen können.
„Soll ich dir mal etwas sagen, Sidney", reißt mich Hugh aus den Gedanken. Mein Blick fliegt zu ihm. Warum grinst er denn so.
Zwinkernd fährt er fort:
„Als ich Vincent kennengelernt habe, habe ich den Raum, in welchem er sich befand, explodieren lassen."
Ich starre ihn an.
„Was?", krächze ich.
Beteuernd nickt er. „Oh ja. An seiner Wade hat er jetzt noch die Brandnarbe. Und Naomi da hinten", ich folge seinem Blick zu dem Mädchen, „hat ihm den Arm gebrochen."
„Das ist doch irre", flüstere ich leise, bevor ich wieder zu Hugh schaue.
„Sollte mich das jetzt ermutigen?"
„Hat es das denn?"
Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung."
Hugh nimmt die Glühbirne und hebt sie hoch.
„Probieren wir's aus."
Ich blähe meine Wangen auf. Ich will ihm nicht wieder wehtun. Und wenn ich daran denke, wieder eine Glühbirne zum Platzen zu bringen ...
„Und wenn es schiefgeht, dann ... du bist mir nicht böse?"
Jetzt wird Hughs Blick ganz ernst und als er sich erneut zu mir beugt, antwortet er ebenso leise:
„Niemals, das würde mir gar nicht einfallen. Bei uns wird niemand bestraft, weil er einen Fehler macht. Versprochen."
Ich nicke knapp. „Okay."
Verkniffen starre ich auf diese kleine Glühbirne in dieser großen Hand, dann suche ich tief in mir nach diesem Kribbeln, welches von den Lampen an der Decke verursacht wird.
Sobald ich es gefunden habe, hebe ich meine zitternden Finger. Das hilft mir, mich zu fokussieren ... aber ob es auch bei diesen dünnen Drähten hilft, bleibt wohl abzuwarten.
Tief hole ich noch einmal Luft, dann ziehe ich das Kribbeln in meine Finger. Ganz langsam. Und ganz langsam beginnt der Draht, zu glimmen. Stück für Stück mehr. Die Lampen beginnen zu flackern, was mich ganz kurz aus der Bahn wirft. Aber schnell bringe ich das Stocken des Kribbelns wieder unter Kontrolle und tatsächlich ... leuchtet die Glühbirne stetig vor sich hin. Und diesmal, ohne, dass sie völlig überhitzt.
Ungläubig schaue ich zu Hugh.
„Geschafft! Siehst du, es funktioniert doch!"
Der Mann grinst glatt noch breiter.
„Habe ich doch gesagt. Und schau mal ..."
„Vincent!", brüllt es plötzlich so laut, dass ich zusammenzucke.
Und schon gibt es einen Knall und schnell zieht Hugh seine Hand zurück.
„Oh, scheiße, es tut mir leid!", stoße ich hervor.
Aber der Mann geht gar nicht darauf ein, sondern erhebt sich und geht auf die offene Tür zu. In ihrem Rahmen bleibt er stehen.
Als die anderen im Raum ebenfalls ihre Plätze verlassen, folge ich ihnen und luge nach draußen.
In dieser Sekunde taucht der Rothaarige tatsächlich bei den Rolltreppen auf, den Blick nach oben gerichtet. Richtung Eingang.
„Hast du eine Vermutung, was los ist?", fragt Hugh und geht auf seinen Freund zu.
Der zuckt aber nur mit den Schultern.
„Werden wir wohl jetzt erfahren."
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