flowers and candles
Asura
Skeptisch sehe ich mich in dem Raum um. Zwar bin ich nicht gefesselt, aber dass man mich mitten in der Nacht still und heimlich aus der Zelle verschleppt hat, verschafft mir eigentlich schon den Überblick der Situation, den ich brauche: Ich bin am Arsch.
Am Arsch und allein. Schnell erhebe ich mich von dem Stuhl, gehe quer durch den Raum und reiße die rauen Gardinen zur Seite. Resigniert ächze ich. Selbst zehn Stockwerke weniger und man könnte nach einem Sturz meine Knochen wieder zusammenpuzzeln.
Ich wende meinen Kopf zur Tür und laufe schnell zu dieser, um mein Ohr an das edel aussehende Holz zu legen. Wenn das Fenster nicht geht, dann nehme ich eben die Tür. Wie ein zivilisierter Mensch. Ich schließe meine Augen, um besser hören zu können – als sich leise Schritte nähern.
Ich weiche gerade rechtzeitig zurück, dann schwingt sie auch schon auf. Wäre sicher lustig gewesen, sich ein blaues Auge einzufangen. Lustig und ziemlich peinlich.
Der Mann, der jetzt eintritt, ist – klein. Anders kann ich es nicht sagen. Und da kann ich mich schon gar nicht beschweren. Ich bin älter, als ich groß bin. Ich hatte erwartet, dass die Kerle, die mich entführt haben (zugegeben, von einem ziemlich miesen Ort), einen harten Kerl schicken, der mich jetzt verhört. Oder wenigstens den Boss der Bande. Aber der hier? Der ist nicht nur klein, sondern auch alt.
Trotzdem ist klar, dass der Kerl von Anfang an wissen wird, dass mit mir nicht zu spaßen ist. Wer mich unterschätzt, ist ziemlich dumm. Meistens.
„Wenn Sie mir zu nahe kommen, werden Sie es bereuen"
Wie zur Unterstreichung hebe ich meine Fäuste. Jetzt sollte er zurückweichen. Oder seine Hände beruhigend anheben und mir sagen, dass doch alles gut wird. Oder wenigstens die Drohung erwiedern und mir versprechen, dass mir hier schon noch meine Hochnäsigkeit vergehen wird. Aber er ... lächelt nur. Nein, nicht ganz. Seine Lippen fangen an zu zucken und eine Art von Glucksen ertönt. Arschloch.
„Ich meine es ernst", zische ich. „Machen Sie sich nicht über mich lustig!"
Jetzt hebt er doch seine Hand und bewegt sie zur Seite als würde er putzen.
„Oh nein, das würde mir nicht einfallen", sagt er ziemlich leise und – hoch. Eine beschissene Kombination für eine Stimme.
„Und reden Sie nicht so!"
„Das ist nun einmal alles, was meine Stimmbänder hergeben", erwidert er, immer noch ein wenig belustigt und deutet auf den Stuhl, der völlig unschuldig in der Mitte des Raumes steht. „Wollen wir uns setzen?"
Uns. Na ja, ein zweiter steht an der Wand da drüben. Ob der Hänfling den ganz allein tragen könnte?
Ich funkel ihn an. „Ich vertraue Ihnen nicht."
„Oh nein, wieso solltest du? Ich ..."
„Ich würde lieber mit Ihrem Boss sprechen. Wenn der sich nicht zu fein dafür ist."
Jetzt hebt sich eine Augenbraue des Mannes. Ganz langsam schiebt sie sich Stück für Stück in die Höhe. Wäre die Situation nicht so ernst, hätte ich bestimmt gelacht.
„Zwei Dinge in Ordnung? Erstens: Legen wir doch gleich von Anfang an fest, dass alles hier grundlegend auf dem Konzept des gegenseitigen Respektes beruht. Was wiederum bedeutet, dass man seinen Gesprächspartner aussprechen lässt. Immer!"
Er senkt seinen Blick ein wenig tadelnd und unwillkürlich hebe ich meine Fäuste ein wenig weiter. Er lächelt nur. Nein! Es sind wieder nur seine Lippen, welche ein wenig zucken. Wie macht der Kerl das?
„Wie auch immer. Was ist die zweite Sache?", frage ich mit fester Stimme.
„Darf ich fragen, wen du mit >Boss< meinst?", fragt er weniger scharf.
Ich runzel meine Stirn. „Na, Ihren Boss eben. Ihren Vorgesetzten. Den Chef hier. Den Chief. Den BigBoss. Den Häuptling. Was weiß ich."
Jetzt lacht er und diesmal ist es nicht nur ein Zucken seiner Gesichtsmuskeln oder Stimmbänder. Es ist zwar ein leises Lachen, aber immerhin. Es klingt sogar ehrlich.
„Verzeihung. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dich nicht ernst zu nehmen", sagt er dann lächelnd. Diesmal wirklich. „Aber ich bin hier der – Boss. Auf jeden Fall das, was dem am nächsten kommt. Wollen wir uns jetzt also setzen und uns miteinander unterhalten?"
„Nein!"
„Welche der beiden Fragen wurde da eben beantwortet?"
„Ich mag Sie nicht."
„Oh, das ist völlig in Ordnung", sagt er heiter und sein Blick fällt auf meine entblößten Arme. „Tattoos", stellt er fest. „Ach, wie interessant. Mein erster hatte auch welche."
Ich ziehe schnell die hochgerutschten Ärmel wieder nach unten. „Ihr erster?"
Ich beschwere mich ja selten, aber das klingt wie die verdammte Objektifizierung eines Menschen. Mich übrigens eingeschlossen.
„Mein erster Gast von außerhalb, wenn du verstehst", antwortet mein Gegenüber aber nur ruhig. „Auf dem Rücken hatte er beispielsweise einen Skorpion in der Form des Buchstaben >Y<. Ein wenig geschwungen. Natürlich in der Form, sonst wäre der Buchstabe ja nicht mehr korrekt abgebildet. Und auf der Brust trug er zwei Sterne." Er hebt seine Hand und zeigt mir die Fläche zwischen Daumen und Zeigefinger. „Hier waren es fünf Punkte. Wie die Augenzahl auf einem Würfel."
„Ihr Gast war übrigens im Gefängnis", informiere ich ihn spöttisch. „Und ein Gangmitglied. Und höchstwahrscheinlich ein Mörder. Das ist ja echt klasse, was Sie so für Kerle beherbergen. Was hat mich dazu qualifiziert, mein Charme?"
„Beeindruckend", sagt er in vollster Ernsthaftigkeit. „Dieser Mann ist im Übrigen der Grund deiner und meiner Anwesenheit."
Ich schnaube. „Deswegen haben Sie mich auch entführen lassen, richtig? Ich will ja nicht sagen, dass ich nicht dankbar bin, nicht mehr dort zu sein, aber das heißt ja nicht, dass Sie nicht genauso sind."
Ein Muskel in seinem Gesicht zuckt.
„Tatsächlich bin ich sogar von dort. Ich heiße Abraham Fellar, zumindest in der Nähe meiner Kollegen. Ich bevorzuge jedoch Wendell Capryse, mit diesem Namen identifiziere ich mich ein wenig mehr. Er ist – schöner."
Von dort. Mir bleibt die Luft weg, als ich ihn endlich erkenne. Nur der Kittel fehlt und die Laboranten, welche sich hinter ihn scharren, wie Küken hinter ihre Glucke. Etwas wackelig gehe ich ein paar Schritte zurück.
„Erst recht ein Grund, sich fernzuhalten", zische ich. „Und der Name ist scheiße."
„Das ist nicht besonders freundlich. Wo ich dich doch da herausgeholt habe."
„Ach ja? Und was haben Sie wirklich vor?"
„Hast du schon einmal etwas von dem Begriff >Undercover< gehört? Nun, meine Liebe. Ich arbeite für den SEA, um Menschen wie dich befreien zu können."
„Ja, klar. Solche wie mich. So völlig ohne Hintergedanken."
„Was denn für Hintergedanken?"
„Tun Sie nicht so blöd!" Ich hebe mein Kinn. „Außerdem kann das gar nicht stimmen. Ich wurde hierhergebracht als wäre ich immer noch eine Gefangene, eingesperrt und wir befinden uns mitten in dieser beschissenen Stadt. Wenn Sie wirklich Gefangene befreien, dann würde das wohl kaum unentdeckt bleiben."
„Tatsächlich tut es das", antwortet Abraham Fellar ruhig. „Und das aus schon erwähntem Grund unserer beider Anwesenheit. Aber lass uns doch Platz nehmen, während ich alles erläutere."
Tatsächlich geht er auf den Stuhl an der Wand zu, völlig unbeirrt davon, dass ich weiter zurückweiche, als er in meine Nähe kommt. Mein Blick flackert zur Tür, aber ich verwerfe den Gedanken gleich wieder. Es stehen bestimmt Wachen davor. Und selbst, wenn ich die ein wenig schwächen könnte, bin ich trotzdem noch unterlegen. Zu hundert Prozent. Und das Kerlchen zu entführen, ist bestimmt auch keine gute Idee.
„Also. Wollen wir beginnen?"
Fellar hat seine gefalteten Hände in den Schoß gelegt und sieht mich ruhig an.
„Sie gehen nicht eher, oder?"
„Wenn du noch nicht bereit bist, kann ich auch den Raum verlassen. Ich kann mir vorstellen, dass die letzte Zeit sehr anstrengend für dich gewesen sein muss und wenn du mit einem Gespräch noch nicht fertig wirst, ist das in Ordnung."
Mit einem Gespräch nicht fertig werden. Pah! Als ob das jetzt noch groß was ausrichten würde.
„Reden Sie schon", knurre ich.
„Aber gerne. Ich befreie nun bereits seit einiger Zeit Gefangene des SEA und bemühe mich des Weiteren, diesem Land zu helfen, euch zu akzeptieren und weniger zu fürchten. Ich zeige den Menschen, dass ihr nicht gefährlich und grundlegend genau wie wir seid."
„Und was, wenn das nicht stimmt?"
Leise lacht Fellar.
„Sehe ich so aus, als würde ich das glauben? Meine Liebe, du darfst keinesfalls annehmen, deine Menschlichkeit verloren zu haben. Ich habe mich dem Gesetz verschrieben und zusammen mit den von mir geretteten Menschen gehe ich dem nach."
Jetzt wird er doch wirklich albern. Ich verziehe meine Lippen.
„Welches Gesetz? Das Gesetz, das im übertragenen Sinne besagt, dass wir Dämonen sind? Dass wir aus der Hölle kommen und – was? – dass man uns einsperren und wie Tiere behandeln sollte?"
„Oh nein, nicht dieses. Ich meine jenes, welches uns Menschen erlaubt, in Eintracht miteinander zu leben. Welches jeden Menschen als gleichwertig ansieht, egal wer er ist. Das Gesetzt, welches nach dem Recht des Lebens geht."
„Wie philantropisch", spotte ich. „Sind Sie ein Pazifist? Ein Hippie? Wenn ja, dann sollten Sie etwas an Ihrem Look ändern, um Ihre Energien in Einklang zu bringen."
Der Mann verzieht das Gesicht. So ganz scheint er wohl doch nicht auf Gleichheit zwischen allen Menschen zu stehen. Aber er sagt nur:
„Ich glaube, zwischen dem, was ich jeden Tag leiste und einem Pazifisten liegt ein meilenweiter Unterschied. Du weißt doch, was ein Pazifist ist?"
Natürlich weiß ich das. Ein Feigling. Ein Kerl, der alles am liebsten Friede, Freude, Eierkuchen hätte. Als ob es so etwas geben könnte.
„Sie wollen den Menschen – uns also nur helfen, ist klar. Natürlich ohne eine Gegenleistung."
Lächelnd lehnt sich Fellar zurück.
„Die Gegenleistung, die ich erwarte, ist das Ziel meiner Unternehmungen. Und um dieses zu erreichen, brauche ich dich."
„Mich?", frage ich. Mehr kommt gerade nicht heraus.
„Aber ja doch. Wir kümmern uns um Kriminelle. Natürlich auch Kriminelle aus dieser Welt, aber vor allem Kriminelle aus eurer. Wir zeigen, dass das Gesetz für jeden gilt und dass man uns vertrauen kann. Wir schaffen eine solide Grundlage für das Leben der Gerechten unter euch."
Eine solide Grundlage. Der Kerl hätte Architekt werden sollen und kein Typ in einem weißen Kittel.
„Alles, was wir brauchen, ist ein wenig Geduld und Vertrauen", fügt Fellar hinzu und diesmal lache ich richtig laut los.
„Ja, klar", meine ich grinsend. „Ihr Ziel in Ehren, auch wenn noch ein wenig mehr dahintersteckt, aber mit Geduld und Vertrauen sind Sie bei mir an der falschen Adresse."
„Ich weiß", sagt er unverblümt. „Aber aufgrund deiner Mutation habe ich dich ausgewählt. Geduld lässt sich erlernen, Vertrauen entsteht. Deine Fähigkeit besteht bereits und du hast nun eine Möglichkeit, sie für gute Taten einzusetzen."
„Kommt jetzt so ein Ben Parker-Quatsch? Mit großer Kraft kommt große Verantwortung und so? Gott, mein Herz hat sich gerade übergeben."
„Ich bitte um Verzeihung, aber ich kenne diesen Mann nicht."
„Natürlich nicht."
„Also? Was hältst du von meinem Vorschlag?"
Ich starre ihn an. Meine Fäuste habe ich schon lange gesenkt. Shit!
Sidney
Das Knacken in meinem Ohr tut fast weh. Ich verziehe ein wenig das Gesicht und hebe meine Hand. Oder will es auf jeden Fall tun. Denn jedes einzelne meiner Glieder fühlt sich völlig schlapp an. Fast ein wenig, als wäre ich gelähmt.
Stöhnend zwinge ich meine verklebten Augen auf und blinzel an die weiße Decke über mir. Ist das ein Krankenhaus?
Ein Husten dringt aus meiner Kehle und ich realisiere, dass ich nur schwer Luft bekomme. Irgendetwas drückt auf meinen Brustkorb und scheint damit in nächster Zeit auch nicht aufzuhören.
Ich sammel mich für ein paar Sekunden, die ich nutze, um mich daran zu erinnern, was passiert ist. Erfolglos. In meinem Kopf staut sich dünner Nebel. Es ist fast so als läge ein Wort auf meiner Zunge, aber würde partout nicht nach draußen kommen wollen.
Ich winkel meine Arme an und stütze mich hoch. Mir wird schwindelig und ich lasse mich mit zusammengekniffenen Augen auf die Seite fallen. Oh Scheiße, was ist da los?
Ein paar Minuten bleibe ich noch so liegen bis ich wieder einigermaßen zu mir gekommen bin, dann setze ich mich erneut auf. Vorsichtig öffne ich meine Augen.
Der erste Eindruck ist fast ein wenig zu harmlos. Eine dünne, graue Decke liegt auf meinen Beinen. In einem Bett liege ich aber nicht so richtig, es ist eher eine Sitzbank, deren Oberfläche einfach nur ein wenig weicher ist. Wenn man das als weich bezeichnen kann.
Vorsichtig streiche ich über die blütenweißen Verbände an meinem Handgelenk und – meine Unterlippe zittert – Bauch. Allerdings scheint man diesen für etwas auf meinem Rücken angelegt zu haben.
Ich drehe meinen Kopf und mir stockt der Atem.
Das hier – ist eine Zelle. Fast wie aus einem Film, aber das ändert nichts daran. Links von mir besteht die Mitte der Wand aus einem riesigen, dunklen Spiegel, in welchem ich meine zerzausten, leuchtenden Haare sehen kann. Sogar die tiefen Augenringe und ... ich halte inne und hebe meine Hand an den Metallring, der um meinen Hals geschlossen ist.
„Was ist denn das?", flüstere ich und taste ein wenig zittrig nach einem Verschluss, einem Knopf oder irgendetwas anderem. Keine Chance. Nichts.
Die Wand zu meiner Rechten besteht aus reinem Glas und ich springe auf. Kurz kämpfe ich mit dem Gleichgewicht, dann stolpere ich darauf zu. Es sind nur wenige Schritte, die Zelle ist nicht besonders groß und abgesehen von dem Schlafplatz und einer silbernen Toilettenschüssel ist hier sonst nichts.
Ich merke gleich, dass das Glas dick ist. Dicker als ich es jemals bei Glas gesehen habe. Ein dumpfes Geräusch hallt durch den Raum, als ich mit der flachen Handfläche dagegenschlage, das war es aber auch schon wieder. Ohne Weiteres wird dieses Glas nicht kaputtgehen.
Jetzt erst schaue ich auf die andere Seite der durchsichtigen Wand. Ein langer Gang erstreckt sich davor. Er verbindet noch mehr Zellen, so viele, dass ich nicht einmal alle sehen kann, da sie bogenförmig angeordnet sein müssen. Fast jede davon ist besetzt.
Ich keuche, als ich etwas Grünes sehe. Ein Tier oder – nein. Das ist ein Mensch!
Ich starre auf die grüne Haut, welche unter der weißen Kleidung verschwindet. Und die Füße ... sind das Krallen?
Mein Herz macht fast einen Aussetzer, als der Mann, es ist eindeutig ein Mann, mit voller Wucht gegen sein gläsernes Gefängnis schlägt und mich anfunkelt.
„Was gibt's zu glotzen?", brüllt er. Durch die Scheiben und den Abstand klingt es ein wenig so, als befände er sich unter Wasser.
„Schau am besten niemanden an."
Ich lege meine Hand an das kalte Glas. „Ta- Katō." Gerade noch so erinnere ich mich daran, dass er Wert auf Nachnamen legt. Ob das so ein japanisches Ding ist?
Der Jugendliche sitzt in der gegenüberliegenden Zelle. Er hat sich auf seinem Schlafplatz niedergelassen und sieht mich unter seinen herabhängenden Haarsträhnen hervor an. Die Ellenbogen hat er auf seinen Knien abgestützt.
„Wie geht es dir?"
Ich schlucke. „Ich ... ich weiß nicht. Mir ist ein wenig schwindelig, ich kann irgendwie nicht richtig atmen und ... und ... was ist das hier?" Ich hebe meine Hand an den Halsring.
„Das unterdrückt deine Mutation. Ganz neu." Er hebt seine Hand, richtet die Handfläche auf die Scheibe – ich sehe, wie sich etwas unter der Haut bewegt – und lässt sie wieder sinken. Ein Schauer läuft über meinen Rücken.
„Siehst du? Meine Dornen wollen sich einfach nicht zeigen. Meine Hände jucken nur wie verrückt, wenn ich es versuche."
„Mu- Mutation?"
„Wie würdest du es denn sonst nennen? Wir fallen durch diese Portale, kommen da drinnen mit irgendetwas in Verbindung und stehen dann hier ganz oben auf der Liste der potentiellen Staatsfeinde. Na ja, wir haben zumindest eine eigene Liste, aber die steht über die der Staatsfeinde."
Ich verstehe es nicht. Ich weiß, was ein Portal ist, ich weiß vor allem, was Mutationen sind, ich bin ja nicht blöd, aber ...
„Aber das ergibt doch keinen Sinn", sage ich und starre ihn an.
„Ja, das braucht alles ein bisschen, um zu sacken. Aber keine Sorge, dir wird hier nichts passieren."
Ein heiseres Lachen dringt zu uns und der grüne Mann lehnt sein Gesicht mit einem irren Grinsen gegen das Glas.
„Guter Witz. Das hier ist die Hölle. Wenn du Glück hast, töten sie dich nur, weil du absolut wertlos bist."
„Was?", stoße ich krächzend hervor. Verständnislos sehe ich ihn an. „Was meinen Sie damit? Wir ... wir werden ... was?" Tief atme ich durch. Nur nicht die Nerven verlieren.
„Das dürfen die doch gar nicht, wir ..."
Zum ersten Mal sieht Katō richtig auf.
Der Gefangene in der Nachbarzelle schüttelt mit dem Kopf. „Ich sagte, wenn du Glück hast. Denn höchstwahrscheinlich werden sie dich in ihre Forschungen einbeziehen. Du weißt schon: Medikamente verabreichen, dich ja vielleicht sogar aufschneiden – wer weiß das schon? Wusstest du, dass sie den Allerersten immer und immer wieder auf jede erdenkliche Art und Weise getötet haben? Er hat sich jedes Mal wieder geheilt und – zack", ich fahre zusammen, „wurde er wieder um die Ecke gebracht."
Ich starre ihn an. „Nein, das ... das ist nicht wahr", bringe ich nur flüsternd hervor.
„Uns können sie nicht mehrere Male töten, aber man kann nicht gerade behaupten, dass deswegen unser Aufenthalt hier weniger schmerzvoll verläuft."
„Hör auf!", befiehlt Katō bestimmt und erhebt sich.
„Ich würde sogar fast sagen, das Gegenteil ist der Fall", fährt der Gefangene jedoch unbeeindruckt fort. „Weißt du, was mit erwähntem ersten Gefangenen geschehen ist? Nein? Nun, er hat den Verstand verloren. Es war einfach zu viel und jetzt ist er dazu verdammt, die Experimente, die man an ihm durchgeführt hat, immer und immer wieder zu durchleben."
Der Mann schlägt seine Hand noch einmal gegen die Scheibe, dann stößt er sich ab und verschwindet im hinteren Teil seiner Zelle und somit aus meinem Sichtfeld.
Das Herz klopft mir bis zum Hals, als ich auf den Boden starre.
Experimente. Das kann doch unmöglich wahr sein!
Ich hebe meine bebende Hand und starre sie an. Wir sind Staatsbürger, Menschen. Man kann uns doch nicht einfach so behandeln wie ... wie ... Laborratten! Oder uns töten als wären wir Ungeziefer oder ... oder ... irgendwie muss ich hier raus!
Ich drehe mich um, auf der erneuten Suche nach einem Ausweg. Irgendwo muss es hier doch einen geben, so sicher kann es hier gar nicht sein! Abgesehen von der Glasscheibe, die auf den Gang führt und absolut bruchsicher ist, gibt es hier sicher etwas, was dem Gefangenen zur Flucht verhelfen kann ... muss! Irgendwie.
„Crawford!"
Die zwei weißen Wände sind ebenfalls bombensicher angebracht. Bleibt nur noch der Spiegel. Ich stürze zurück zum Bett, knie mich darauf und schlage dagegen. Einmal. Zweimal. Dreimal. Immer und immer wieder.
Als ich aufgeben muss, brennt meine Faust.
„Crawford, Sidney!"
Dann wenigstens den Halsring – wenigstens irgendwie den Druck beim Atmen loswerden. Ich schiebe meine Finger zwischen Hals und Metall und ziehe. Ich ziehe, ziehe und ziehe. Es muss klappen. Wenigstens das muss klappen!
Wenn der Ring abgeht, kann ich hier auch irgendwie raus. Wenn ich herausgefunden habe, was das nun für eine Mutation bei mir ist, kann ich vielleicht irgendwie die Scheibe zerstören. Aber dafür muss zuerst der Halsring ab! Zuerst muss ich wieder richtig atmen können, den Druck in meinem Brustkorb loswerden, das Rauschen in meinem Kopf, das Klingeln in meinen Ohren, den Kloß in meinem Hals, den Schleier vor meinen Augen und ... und ... und ... ich schnappe nach Luft. Nicht sie schon wieder! Nicht – sie! Ich schlage mir die Hände auf die Ohren. Der Halsring ist im Anbetracht dieser gehässig flüsternden Stimmen egal. Fest presse ich meine Lippen zusammen. Wenn ich schon nichts gegen die aufkommenden Tränen tun kann, dann doch bitte wenigstens etwas dagegen.
Ein tiefes Pfeifen dringt an meine Ohren. Ich hätte es vielleicht überhört, aber gerade die ungewöhnliche Tonlage lässt mich innehalten. Ich blinzel einmal kräftig und finde mich plötzlich zusammengekauert in der Ecke der hellen Zelle wieder. Das Flüstern ist verschwunden.
Tief Luft einziehend schaue ich auf meine Hände. Ich habe mir die Fingernägel eingerissen. Auf meinem Oberteil ist schon ein wenig Blut, nicht viel, aber es fällt auf. Ich balle meine Hände wieder zu Fäusten. Es tut weh. Das und meine aufgebissene Lippe.
„Crawford!", löst eine Stimme das Pfeifen ab und ich schaue auf.
Katō hat sich an die Glaswand seiner Zelle gestellt und fixiert mich.
„Tief durchatmen, okay?"
„Ich ... ich kann nicht", antworte ich, immer noch um jeden Atemzug ringend. Der Druck auf meinem Brustkorb scheint mit jeder Sekunde nur noch anzuschwellen.
„Das geht ganz einfach. Weißt du, was ich gerne mache?"
Knapp schüttel ich mit dem Kopf und ziehe meine Knie schützend an die Brust. Weiß ich nicht. Will ich jetzt auch nicht wissen.
„An Blumen riechen", Katōs Brustkorb hebt sich, „und Kerzen ausblasen."
Laut atmet er aus und ich verstehe.
„Versuch es doch auch. An Blumen riechen – und Kerzen ausblasen."
Ermutigend nickt er mir zu und ich schließe meine Augen. Ich stelle mir eine Blumenwiese vor. Eine große. Und ich stehe mittendrin, zwischen tausenden Margeriten, Nelken, Sonnenblumen, Orchideen und Blumen, deren Namen ich nicht einmal kenne. Ich bin kein Allergiker. Tief atme ich ein.
Und Kerzen ausblasen. Die letzten Kerzen waren auf meiner Torte, die ich bekommen habe, als wir meine Aufnahme am College gefeiert haben. Eigentlich nichts besonderes, aber dieses College war von Anfang an mein Traum gewesen. Ich wollte unbedingt Biologie studieren. Irgendetwas sagt mir, dass ich das jetzt nicht mehr ... ich verdränge den Gedanken und blase die Kerzen aus.
Dann wiederhole ich den Vorgang. Und noch einmal. Und noch einmal. So lange bis sich mein Atem ein wenig beruhigt. Der Druck verschwindet nicht.
„Einfach weiteratmen. Geht es ein wenig besser?"
Ich balle meine Fäuste und nicke. Langsam. Immerhin muss es ja. Ich kann nicht hier drinnen hocken und mich selbst fertig machen. Wenn es stimmt, was der Gefangene gesagt hat, dann ...
„Stopp! Hör auf, darüber nachzudenken! Nur an Blumen riechen – und Kerzen ausblasen."
Nur an Blumen riechen und Kerzen ausblasen. Nur an Blumen riechen und Kerzen ausblasen. So schwer ist das nicht. Das kriege ich schon hin.
„Nur weiter so, Crawford. Das machst du sehr gut. Nur ..."
Ich schaue auf. Sofort beschleunigt sich mein Atem wieder und ich drücke mich noch weiter in die Ecke, ignorierend, dass es nicht mehr weitergeht. Aber die zwei Uniformierten, welche vor meiner Zelle stehengeblieben sind, lassen einen Teil des Glases zur Seite gleiten und kommen herein.
„Aufstehen!", befiehlt einer von ihnen ungeduldig.
Ich beiße mir auf die Zunge und denke krampfhaft an die Atemübung, als ich mich hochstütze. Blumen und Kerzen. Blumen und Kerzen.
Sobald ich auf meinen wackeligen Beinen stehe, werde ich am Arm gepackt und auf den Gang gezogen. Den Kopf halte ich dabei gesenkt und konzentriere mich mit aller Kraft auf meine Atmung.
Blumen und Kerzen.
Blumen. Und Kerzen.
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