Der zweite Stern
Sobald ich mich aufrichten kann, tue ich es und verlasse fast fluchtartig die Röhre. Tief einatmend entferne ich mich von ihr.
Nur Sekunden später wird die Tür des Raumes geöffnet und Dr. Palmer tritt, gefolgt von Clyde, ein. Fragend – wenn auch ein wenig ärgerlich – sieht mich der Arzt an.
„Wie oft habe ich gesagt, dass Sie ruhig bleiben müssen?"
„Sie haben nicht von zwei verdammten Stunden gesprochen", entgegne ich fauchend. Palmer greift sich an die Nasenwurzel.
„Wir haben Bilder Ihres gesamten Körpers gemacht, das dauert nun einmal ein wenig länger. Vor allem, wenn man nicht stillhält."
Clyde findet das Ganze nur überaus amüsant. Ein Grinsen tritt auf seine Lippen und mit schiefgelegtem Kopf kommt er auf mich zu.
„Klaustrophobiker? Du? Im Ernst?"
Als ich schweige, lacht er auf und boxt mir spielerisch gegen die Schulter.
„Dann weiß ich ja, was ich mache, wenn du mich wieder anspu-"
Schneller als er schauen kann, ramme ich ihm meinen flachen Handballen von unten gegen die Nase. Es erfolgt ein hässliches Knacken und einen lauten Fluch ausstoßend stolpert er zurück.
„Ich sagte – nicht anfassen!"
„Du Bastard!", schreit Clyde schon fast. Blut rinnt aus seiner Nase und schäumend vor Wut zieht er den Elektroschocker. Ich sehe schon den Schmerz durch meinen Körper rasen, doch als Palmer einen Schritt nach vorne geht und sich zwischen uns stellt, hält Clyde inne.
„Was soll das?", blafft er den Doktor an. Wiederholt fluchend fasst er sich an den Nasenrücken.
„Lassen Sie meinen Patienten für einen Moment unversehrt", antwortet er ruhig. „Kümmern Sie sich lieber um Ihre Nase."
Knurrend sieht der Blondhaarige zu mir und kneift seine Augen zusammen. Dann dreht er sich um und verlässt türenknallend den Raum. Ich merke, wie ich mich ein wenig entspanne. Palmer dreht sich jetzt völlig zu mir und mustert mich für einen Moment.
„Ein Wort zu dieser Phobie und ich vergesse, dass Sie Abstand gehalten haben", zische ich.
„Warten Sie hier", sagt er nur. „Ich bringe Ihnen ein Glas Wasser."
Ich bin ein wenig baff, als er ohne ein weiteres überflüssiges Wort den Raum verlässt. Er scheint nicht einmal abzuschließen. Ich warte ein paar Sekunden, dann gehe ich schnell durch den Raum, drücke die Klinke nach unten und ...
„Zurück!"
Zwei Männer bauen sich sofort vor mir auf, die Hände an ihren Holstern. Sie sind genauso gekleidet wie Schiefe Nase, also nehme ich an, dass sie so etwas wie die Security dieser Einrichtung sind.
„Ich muss Sie bitten, zurück zu gehen", weist mich einer von ihnen zum zweiten Mal an. Sein Kollege zieht jetzt seine Waffe – eindeutig so ein Elektroschocker von der üblen Sorte – und lässt sie betont lässig an seiner Seite herunterhängen. Den Finger hat er am Abzug.
Ich verziehe herablassend mein Gesicht, gehe aber zurück. Ich habe einem ihrer Kollegen die Nase gebrochen. Ein Wärter im Gefängnis hätte jetzt regelrecht darauf hingearbeitet, mich auf jede erdenkliche Art bestrafen zu dürfen. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als auf den Doktor zu warten.
Glücklicherweise braucht der nicht lange. Er hat auch tatsächlich ein Glas dabei, welches er mir hinhält.
„Die Konfrontation mit der eigenen Angst sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Vor allem nicht in solch einer Stresssituation, in der Sie sich momentan befinden müssen."
„Ich brauche kein Wasser, danke." Ich verschränke meine Arme. „Sorgen Sie einfach dafür, dass ich gehen kann!"
„Das kann ich nicht. Tut mir leid."
„Nein, tut es nicht."
Palmer hält mir das Glas nur noch weiter entgegen. „Ich möchte nicht, dass Sie dehydrieren. Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit ..."
„Wollen Sie mir das jetzt alles aufzählen?"
„... Kreislaufprobleme und hässliche Muskelkrämpfe. Sie wollen das nicht. Glauben Sie mir", sagt Palmer mit Nachdruck.
Ich gebe mich geschlagen.
„Schön." Ich nehme das Glas entgegen und nehme einen Schluck.
„Bitte alles. Ich bin mir sicher, Sie haben seit heute morgen nichts mehr trinken können."
Da er recht hat, leere ich das Glas und gebe es ihm ruppig zurück. „Zufrieden?"
„Man dankt."
Dr. Palmer geht zur Tür, öffnet sie und gibt einem der Wachmänner das Glas.
„Wir sind soweit, danke."
Er kommt zurück, lässt die Tür aber offen stehen, sodass ich die schallenden, aber leiser werdenden Schritte hören kann.
„Ich verstehe, dass das für Sie heute anstrengend gewesen sein muss, aber wir müssen noch ein paar Tests durchführen, bevor Sie sich hinlegen können."
„Tests?"
Das kann nicht sein Ernst sein. Dieser Tag war die Hölle und jetzt kommt er mit ein paar Tests noch, dann können Sie vielleicht schlafen.
Aber er nickt. „Wir führen bei Ihnen lediglich eine Knochenmark- und eine Lumbalpunktion durch. Das war es dann. Die Blutabnahme ist kaum der Rede wert."
Mir wird schwindelig. „Wie ... wie meinen Sie denn das?"
„Wir nehmen Ihnen nur ein paar Zellproben und ein wenig Gehirnflüssigkeit ab."
„Was? Das ... das können Sie vergessen! Ich ... ich werde auf keinen ..."
Ich greife mir an die Schläfe, als mich erneut ein Schwindelgefühl überkommt. Diesmal hält es schon deutlich länger an.
„Das sind die letzten Tests für heute, das verspreche ich Ihnen."
„Das können Sie vergessen, ich ..."
Ein Klappern dringt in den Raum und kurz darauf tauchen zwei Frauen mit einer dieser Bahren auf, welche es auch bei uns auf der Krankenstation des Gefängnisses gegeben hat. Der zurückgebliebene Wachmann selbst betritt den Raum.
Ich weiche ein Stück zurück und hebe abwehrend meine Fäuste. Sie fühlen sich an wie Blei, aber ich lasse mich nicht beirren.
„Weg von mir! Ich werde nicht ..."
Ich blinzel und verlagere mein Gewicht, um nicht zu fallen. Das kann nicht normal sein.
Dr. Palmer scheint meine Gedanken zu erraten.
„Keine Angst, das ist nur ein Beruhigungsmittel, was uns das ganze Prozedere und den Umgang mit Ihnen ein wenig erleichtert. Nichts Schlimmes. Sie schlafen ein paar Stunden und wenn Sie wieder aufwachen, ist alles schon längst vorbei."
Das Wasser!
Wie konnte es sein, dass ich das Mittel nicht geschmeckt habe?
Meine Arme senken sich und baumeln schlaff an mir herab. Der Wachmann nähert sich und ich gehe noch einen Schritt zurück. Ich taumel.
„Sie ... Scheißke-" Das Wort bleibt mir im Hals stecken. Meine Lider werden immer schwerer und ich kann nichts tun, als der Wachmann nun wirklich seinen Arm um mich schlingt und auf die Tür zu zieht.
Ich veranstalte ein paar sinnlose Versuche der Gegenwehr, muss mich aber schon nach wenigen Sekunden geschlagen geben. Ich kann einfach nicht.
Kurz bevor wir die Bahre erreicht haben, geben meine Beine nach.
„Siehst du den Kerl da hinten? Bei den Gewichten?"
Ob ich ihn sehe? Es ist ja fast unmöglich, ihn nicht zu sehen. Mit diesen Muskeln, welche er so prachtvoll in der Sonne glänzen lässt, könnte er locker einen Kleinwagen anheben.
Yussuf mustert mich prüfend. Es fehlt nicht mehr viel und ein Grinsen umspielt seine Visage.
Ich nicke. „Ist der nicht von der 93th?"
„Allerdings. Es ist nicht nur einmal vorgekommen, dass er in unserer Straße herumgestromert ist. Kannst du dir das vorstellen?"
Kann ich. So wie ich das immer mitbekommen habe, reizen sich die Mitglieder der Straßengangs so lange, bis etwas passiert. Jemand wird verletzt oder stirbt sogar. Er wird von seiner Gang gerächt, welche das Problem aber nicht etwa aus der Welt schafft, sondern einen dieser Bandenkriege anzettelt.
„Der hat heute Abend Dienst in der Wäscheküche. Ich habe den Plan ein wenig umgeschrieben, damit ihr ein wenig alleine seit."
Ich frage nicht, ob ein Stern reicht. Der Tod meines Erzeugers ging immerhin nicht auf die Kappe der 98th. Yussuf wird diesen Beweis meiner Loyalität unbedingt einfordern. Sollte ich den nicht erbringen, helfe ich einem seiner Untergebenen indirekt zu einem weiteren Stern. Wahrscheinlich gerate ich an Beck, bei dem passen bald keine weiteren Tattoos mehr auf die Brust.
Ich nicke. „Ist so gut wie erledigt."
Das ist leichter gesagt als getan. Zwar ist man mit einem Messer in der Tasche deutlich mutiger, zumal, wenn der, den es treffen soll, nichts davon weiß. Trotzdem darf man den Kopf nicht verlieren.
Erst werfe ich dem bulligen Typen einen kurzen Blick zu, dann dem Wärter an der Tür. Etwas gelangweilt beaufsichtigt er unsere Arbeit.
Ich wende mich wieder den Hemden zu, welche ich in die riesige Maschine werfe. Es muss schnell gehen, der Wärter darf keinesfalls eingreifen, bevor ich es geschafft habe. Am besten lasse ich den Kerl gar nicht erst dazu kommen, sich zur Wehr zu setzen.
Doch in dem Moment hält genau der inne und wirft einen Blick zur Tür. Auch der Wärter hat sich alarmiert aufgerichtet und greift zum Holster. Vor der Tür ist lautes Brüllen zum Leben erwacht und im nächsten Moment schrillt auch schon der ohrenbetäubende Alarmton los.
Der Polizist will auf die Tür zuspringen, doch schon stellt sich ihm der Kerl aus der 98th in den Weg und schlägt ihn mit einem gezielten Fausthieb zu Boden. Tief ziehe ich Luft ein. Der Polizist will sich ächzend wieder hochstützen, wird jedoch mit einem Tritt außer Gefecht gesetzt.
Der über ihm thronende Häftling sieht zu mir und entblößt seine Zähne, die dank seiner dunklen Haut noch weißer wirken.
„Mal sehen, ob du kugelfest bist, Kleiner." Er beugt sich nach unten und greift nach der Waffe des Polizisten.
Ich reagiere sofort. Trifft er mich mit einem Gummigeschoss am Kopf, stehe ich nicht mehr auf.
Ich werfe mich gegen den Wäschewagen und lasse ihn auf den Häftling zurasen. Es gibt ein Krachen, der Wagen kippt um und mit ihm der Getroffene. Die Waffe schlittert über den Boden.
Ich ziehe das improvisierte Messer aus meinem Hosenbund und bin mit einem Satz bei ihm. Reflexartig rollt er sich nach hinten weg, aber das bringt ihn nicht aus meiner Reichweite. Die Klinge trifft seine Wade. Mit einem fast bestialischen Knurren springt er auf und fixiert mich. Um den Schnitt an seinem Bein kümmert er sich nicht, er nimmt nur herausfordernd seine Fäuste nach oben.
„Na los. Mach schon, wenn du dich traust, Frischling!", spuckt er mir entgegen.
Ein guter Witz. Selbst wenn ich mich nicht trauen würde, müsste ich es tun, um hier ein wenig länger überleben zu können. Aber denselben Fehler wie im Jugendknast begehe ich definitiv nicht.
Ich springe auf ihn zu und schlage mit dem Messer nach ihm. Er weicht aus. Ich schlage direkt noch einmal zu, doch auch beim dritten Mal weicht er einfach nur zurück, sodass das Metall nichts weiter verursacht, als einen kleinen Luftstrom kurz vor seiner glänzenden Haut.
„Bleib schon stehen!", zische ich.
Er grinst. „Ich komme dir sogar ein wenig entgegen, Kleiner."
Die Faust trifft mich mit voller Wucht. Sie haut mich von den Füßen und mit einem Krachen komme ich auf dem Rücken auf. Der Aufprall raubt mir fast den Atem, aber ich halte das Messer fest umklammert.
Der Häftling ist ebenso schnell über mir, wie ich vorhin bei ihm. Er versetzt mir einen Hieb auf die Nase, doch ehe er ein zweites Mal ausholen kann, landet das Messer schon in seinem Gesicht. Fluchend beugt er sich nach hinten. Ein langer Schnitt zieht sich von seinem Ohr bis zu seiner Unterlippe. Der nächste Hieb mit dem Messer landet unter seinen Rippen.
Ein Keuchen entweicht ihm.
„Niemand nennt mich Kleiner", fauche ich, ziehe die Klinge aus dem Fleisch und stoße noch einmal zu.
Blut sprizt mir in die Augen, als ich genau auf seine Halsschlagader treffe. Ich drehe meinen Kopf weg – was ein Glück war, sonst hätte ich seinen voll abbekommen. Röchelnd bohrt er seine Fingerspitzen in meine Arme, ein Wort bekommt er nicht zustande.
Jetzt führ es auch zu Ende!
Mit zusammengebissenen Zähnen drehe ich das Messer so weit der Winkel es mir gestattet und ein Zucken durchläuft seinen Körper. Als es aufhört, arbeite ich mich schnell unter ihm hervor und wische mir mit dem Ärmel über die Augen.
Scheiß Blut. Man wird nicht etwa blind, man sieht die Umgebung nur noch durch einen orangenen Schleier. Als hätte man eine dieser lächerlichen Brillen aufgesetzt.
Ich rümpfe meine Nase, als sich ein bitterer Geruch bemerkbar macht. Der Kerl hat sich in die Hosen geschissen. Angewidert wende ich mich ab.
Genau in dem Moment, in dem die Tür des Waschraumes auffliegt und drei Wärter in den Raum stürmen.
„Auf den Boden!", brüllt der erste von ihnen. „SOFORT!"
Schnell hebe ich meine Hände über den Kopf und knie mich hin. Ich habe es geschafft, jetzt darf ich nur die Kerle mit den richtigen Waffen nicht verärgern, dann habe ich hier einen Platz unter den Insassen sicher.
Das Stechen entsteht genau auf der Höhe meines Steißbeines. Als es die Wirbelsäule hinaufschießt und in meinem Hinterkopf angelangt, holt es mich zurück an die Oberfläche meines Bewusstseins. Tief hole ich Luft.
Es dauert zwar eine Weile bis ich wieder soweit bin, meine Augen öffnen zu können, doch bis dahin versuche ich blind auszumachen, wo ich bin. Es ist ein wenig kalt, obwohl eine Decke auf mir zu liegen scheint. In einem Bett selbst liege ich aber nicht, dafür fühlt sich ein wenig ... anders an. Angestrengt ziehe ich meine Stirn in Falten bis es mir einfällt: Eine Pritsche.
Eine stinknormale, aber doch auch breite Pritsche, nachdem ... ich hebe meine Hand an die Stirn.
Ja. Nachdem ich auf das Glas Wasser hereingefallen bin, muss Palmer diese Punktionen durchgeführt haben, deshalb das Stechen in meinem Nacken und Steißbein.
Blinzelnd öffne ich meine Augen. Es dauert ein paar Sekunden, dann erkenne ich die Lampe an der Decke über mir. Sie ist eingeschaltet, was mich ein wenig wundert. Es kann doch unmöglich schon wieder Abend sein. Wie lange war ich denn bewusstlos?
Ich setze mich vorsichtig auf. Das Stechen wird nicht schlimmer. Ein wenig erleichtert sehe ich mich in dem Raum um.
Links von mir befindet sich eine dunkle, stählerne Tür. Ich bezweifle, dass ich sie öffnen kann. Mir gegenüber stehen ein Tisch und ein Stuhl, rechts von mir bemerke ich ein Waschbecken. Der Sichtschutz daneben verbirgt mit Sicherheit eine Toilette, über der ein kleines Gittern in die Wand eingelassen wurde.
Ich erhebe mich. Es befindet sich gute zwei, wenn nicht sogar drei Meter über dem Boden. Vielleicht befindet sich dahinter ja ein Lüftungsschacht.
Sobald ich jedoch darunter stehe, verwerfe ich den Gedanken wieder. Nicht einmal mein Kopf würde da durchpassen.
Nachdem ich mich einmal im Kreis gedreht habe, um die Lage zu überblicken, laufe ich zur Tür und lege mein Ohr dagegen. Stille.
Ich greife nach dem Knauf und drehe ihn, aber ich musste ja unbedingt recht haben. Nichts rüttelt sich.
„Hallo?", rufe ich einmal laut und warte ab.
Kein Hinweis auf eine sich nähernde Person.
„Hallo!", rufe ich ein zweites Mal und schlage einmal gegen die Tür. „Kann mal jemand seinen Arsch in Bewegung setzen und mich hier rauslassen?"
Nichts. Scheinbar ist der Vorschlag nicht überzeugend genug. Ich versuche es noch ein paar Mal, muss dann aber akzeptieren, dass keine weiteren Tests auch keine weiteren Gespräche beinhaltet.
Ächzend lasse ich mich zurück auf die Pritsche sinken. Wer hätte gedacht, dass ich einmal für nichts eingesperrt werde?
Ich schaue wieder zur Tür, als würde sie sich jeden Moment öffnen, aber nichts passiert. Wahrscheinlich werde ich bis morgen früh warten müssen. Bis dahin ist es sicher egal, wie laut ich rufe oder wie oft ich gegen die Tür hämmere. Ich schließe meine Augen und lasse mich zurück gegen die Wand sinken.
Das metallische Schaben eines Schlüssels lässt mich aus dem Schlaf schrecken. Anscheinend war ich gestern Abend doch erschöpfter gewesen als ich es mir zugestanden hätte.
Als sich die Tür öffnet, setze ich mich auf und sehe dem Hereinkommenden entgegen. Clyde. Ich kann mir ein genervtes Ausatmen nicht verkneifen. Das Pflaster quer über seinem Nasenrücken verschafft mir aber wenigstens ein bisschen Genugtuung.
Mit verschränkten Armen bleibt der Wachmann vor mir stehen.
„Mr. Summit verlangt nach dir."
„So, er verlangt nach mir", erwidere ich spöttisch.
Clyde lässt sich davon nicht beeindrucken. „Leg dich auf den Boden, die Hände über den Kopf. Du müsstest wissen, wie das abläuft."
„Sind wir jetzt schon im Knast?"
„Jetzt!", befiehlt Clyde mit Nachdruck. Dabei lässt er ein Paar dieser breiten Ringe zum Vorschein kommen, mit welchen ich schon Bekanntschaft gemacht habe.
Ich schnaube, dann verlasse ich die Pritsche, um der Aufforderung nachzukommen. Es wundert mich nicht, dass er sich möglichst viel Mühe gibt, meine Arme möglichst schmerzvoll zu verdrehen und mir das Knie extra noch ins Kreuz rammt. Aber irgendwann sind die Hände nun einmal gefesselt – sie haben sich wieder abrupt zusammengezogen und mir kommt der Verdacht, dass es sich bei den Ringen um Magnete handelt – und er kann mich nur noch auf die Beine zerren und auf den Gang stoßen.
Während wir über den Flur laufen, sehe ich mich um. Mir kommt nichts bekannt vor. Wir müssen uns in einem ganz anderen Gebäudeabschnitt befinden.
Auch halten sich hier mehr Leute auf. Alle paar Meter begegnen uns Männer und Frauen in Kittel, Uniform oder Anzug. An einer der Ecken wären wir fast in eine Gruppe von Ärzten gestoßen. Clyde hat mich kurz vor dem Zusammenstoß zur Seite gezogen.
Summit wartet tatsächlich in einem Verhörraum. Ich hätte fast ungläubig aufgelacht, aber als sich das Ganze nicht wirklich als Witz entpuppt, vergeht mir auch der Gedanke daran. Clyde drückt mich auf den Stuhl gegenüber seines Chefs und ich bemerke Dr. Palmer in der Ecke des Raumes stehen. Er schenkt uns keine Aufmerksamkeit, sondern hat sein Blick auf sein Handy gerichtet. Ich erkenne ein Diagramm, mehr aber auch nicht.
„Wie haben Sie geschlafen, Mr. Holt?", beginnt Summit und ich sehe zu ihm.
„Interessiert Sie das wirklich?"
„Nun, den Doktor interessiert es auf jeden Fall. Er ist geradezu vernarrt in Sie – gerade nach gestern." Er lächelt.
„Nach ... nach gestern?" Ich schaue zu Palmer, aber der schaut noch immer auf das Diagramm, die Stirn in konzentrierte Falten gezogen. „Was meinen Sie denn damit?"
Ein wenig selbstzufrieden lehnt sich Summit zurück.
„Wir haben da etwas äußerst Interessantes feststellen können. Vielleicht möchten Sie es sich ja ansehen? Dr. Palmer?"
Als wäre er eben geweckt worden, ruckt Palmers Kopf nach oben. Schnell löst er sich von seinem Standort und kommt zu uns. Er lächelt mich an.
„Wie geht es Ihnen? Wenn Sie Schmerzen haben, müssen Sie das sagen."
Als ich schweige, zieht er kurz seine Augenbrauen nach oben und legt dann das Handy auf den Tisch.
„Wissen Sie, wie ein DNA-Strang aufgebaut ist? Sie werden auf jeden Fall schon einmal solch eine Doppelhelix gesehen haben. Vielleicht wissen Sie auch, dass die vier sogenannten Basen, sozusagen der Code Ihrer Erbinformation, durch Wasserstoffbrücken verbunden werden." Er deutet auf die dunklen Striche zwischen den angegebenen Teilen in dem mir tatsächlich bekannten Strickleitersystem.
„Und wo liegt da jetzt das Problem?", hake ich mürrisch nach.
Ruckartig schüttelt er den Kopf. Seine Augen leuchten.
„Oh nein, kein Problem. Wie Sie sehen habe ich einige dieser Brückenverbindunen markiert. Die, die nicht mehr aus Wasserstoff bestehen. Sie wurden ersetzt."
Ich starre auf die roten Markierungen. Mein Herz klopft dumpf gegen meine Brust.
„Ersetzt? Durch was?"
„Wenn ich das nur wüsste", antwortet der Doktor heiter. „Dieser Stoff setzt sich mit den Basen in Verbindung und beginnt sogar, sie zu vertreten. Sozusagen. Das habe ich noch nie gesehen. Vielleicht sagt Ihnen der Aufbau ja etwas?"
Eine gemusterte Struktur – bestehend aus Punkten und feinen Linien – kommt zum Vorschein. Trocken lache ich auf.
„Ich saß fünfzehn Jahre lang im Gefängnis. Woher soll ich wissen, was das ist? Ich weiß ja nicht einmal, inwiefern das jetzt ein Problem für mich ist."
Etwas enttäuscht nimmt Dr. Palmer das Handy wieder von der Tischplatte und lässt es in seiner Kitteltasche verschwinden.
„Schade. Aber wir finden das schon noch heraus, keine Sorge. Das verspreche ich Ihnen."
„Wie beruhigend", meine ich mit einem ironischen Lächeln. „Wenn Sie dann alles haben, brauchen Sie mich ja jetzt nicht mehr. Oder fehlt Ihnen noch eine Urinprobe?"
„Keineswegs", mischt sich Summit ein und überhört geflissentlich das gemurmelte „Eigentlich schon" des Doktors.
„Aber egal, wie viel Wissen wir über Ihren Körper anhäufen, es wird wohl kaum an Ihre besondere Fähigkeit der Regeneration heranreichen."
Ich werfe einen vorsichtigen Blick zu Palmer. Der blinzelt kurz und sagt dann:
„Aber in erster Linie geht es uns sicher um den medizinischen Fortschritt, Mr. Summit."
„Oh, aber natürlich. Mr. Holt, Sie werden uns eine ungeheure Entwicklung in der menschlichen Anatomie und sicher auch in mindestens vier weiteren Bereichen ermöglichen. Sie können stolz auf sich sein."
„Und wie stellen Sie sich das vor? Wollen Sie mir mein Blut absaugen wie ein Vampir mit Heißhunger?"
„So ungefähr hatten wir uns das vorgestellt", antwortet Summit mit einem freundlichen Lächeln. „Natürlich ist mir Ihr Blut erst einmal egal, da bedient sich Dr. Palmer, wenn er Bedarf danach verspürt. Aber wie könnte man die Regeneration Ihrer Zellen besser untersuchen, als sie einfach immer und immer wieder zu zerstören?"
Ich merke, wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht.
„Sie ... Sie sprechen hier schon noch von einem Reagenzglas, oder?"
„Wenn Sie sich als dieses betrachten, mag dies wohl stimmen."
Mein Mund klappt auf. Ich will widersprechen, aber alles, was über meine Lippen kommt, ist ein ersticktes Keuchen. Clyde, welcher neben der Tür steht, kichert überrascht auf.
Palmers Kopf ruckt zur Seite. „Mr. Summit, bei allem Respekt, aber das ist nun wirklich nicht nötig. Eine einfache Zellprobe reicht, um ..."
„Dr. Palmer, wenn ich Ihren Rat benötige, wende ich mich direkt vertrauensvoll an Sie."
„Dagegen muss ich entschieden protestieren", braust der Doktor empört auf. „Ich bin Arzt. Ich kann den von mir geschworenen Eid nicht derart verletzten!"
„Dann gehen Sie, Dr. Palmer", gibt Summit schulterzuckend zurück. „Wenn es Ihnen nicht passt, können Sie noch in dieser Sekunde das Gebäude verlassen. Sie bekommen Ihr Gehalt ausgezahlt, einen feuchten Händedruck und alles Weitere braucht Sie nicht mehr zu belangen. Aber wenn Sie sich nicht erst eine neue Stellung suchen wollen, dann erledigen Sie gefälligst Ihre Arbeit!"
Palmer starrt ihn tief einatmend an, kneift aber seine Lippen aufeinander und bleibt an Ort und Stelle stehen.
Lächelnd dreht sich Summit wieder zu mir.
„Da wir das nun geklärt hätten, steht unserer weiteren Vorangehensweise nichts mehr im Wege. Wie genau würden Sie ..."
„Sie haben doch den Arsch offen", fahre ich dazwischen. „Das kann nicht Ihr Ernst sein, Sie lassen mich sofort gehen!"
„Ich sagte doch schon, Sie sind Eigentum der SEA und somit auch der BUS und unseres ehrwürdigen Vaters. Und dieser interessiert ..."
„Ich weiß doch nicht einmal, was Sie mit >Bus< meinen", brülle ich ihn an.
Summit lacht auf. „Da liegt das Problem. Das ist einfach eine Abkürzung für die Big United States. Sagen Sie bloß, in Ihrer ... Welt ist eine andere Bezeichnung geläufig."
„Allerdings. Wir leiden an keinem verderblichen Größenwahn, Sie erbärmlicher Jammerlappen."
Mein Gegenüber hebt seine Hand. „Das wird nicht nötig sein, Mr. Clyde, danke. Ich bin mir sicher, er gewöhnt sich seine respektlosen Umgangsformen ab. Dr. Palmer, vielleicht möchten Sie ja Ihr Personal zusammenrufen und die Forschungen vorbereiten. Rechnen Sie damit, dass er so unvernünftig ist und nicht aufhören wird herumzuzappeln."
Eine Weile herrscht Stille in dem Verhörraum. Wenige Sekunden, in denen ich hoffe, dass Palmer seinem Chef die Fresse poliert. Aber dann strafft er nur seine Schultern und nickt.
„Natürlich, Sir", sagt er mit gefasster Stimme und verlässt den Raum.
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