Kapitel 4 - Glück gehabt

Lainey

Als die Sonne durch die Jalousie fiel und Lainey auf die Nasenspitze küsste, öffnete sie langsam die Augen. Genüsslich reckte und streckte sie sich, während ihre Gedanken zum Abend zuvor zurück kehrten.

Sie war so nah dran gewesen. Jason hatte sie geküsst und angefangen, mit seinen Händen über ihren Körper zu wandern. Doch dann hatte Graham ihr gewaltig dazwischen gefunkt. Graham mit seiner Doppelmoral.

Selbst hatte er nur ein Stunden zuvor ein hübsches blondes Ding im Flur in eine Ecke gedrängt und sie mit wenigen Handgriffen zum Stöhnen gebracht. Und ihr hatte er nicht mal ein harmloses Geknutsche mit Jason gegönnt.

Wütend bei dem Gedanken an diese Bloßstellung strampelte sie die Decke ans Fußende ihres Bettes und stand auf. Immerhin hatte sie den ganzen Vormittag für sich um neue Pläne zu schmieden. Sie griff nach ihrem Telefon.

Beckett: Bleibe bis Sonntag bei Mabel XO

Lainey jubelte innerlich. Beckett würde sicherlich nicht vor Mittag nach Hause kommen. Das hieß, sie konnte sich auch morgen mit ihrer Morgentoilette Zeit lassen und in Pantys durchs Haus hüpfen.

Wie in einem Hollywoodfilm, dachte sie während sie die Stufen hinab stieg und die Küche betrat. Im Kühlschrank fand sie genug Zutaten für ein großes Omelette. Einen Ohrwurm vor hin trällernd, schnippelte sie eine Paprika, zwei kleine Tomaten und ein paar Champignons klein und rührte sie unter die Eimasse.

Solange das Ei briet, steckte sie zwei Scheiben Toast in den Toaster. Mit voll beladenem Teller ging sie nur wenig später ins Wohnzimmer. Wenn man alleine war, konnte man schließlich auch genauso gut vor dem Fernseher frühstücken. In Gedanken vertieft stellte sie den Teller auf den Beistelltisch.

Dann drehte sie sich um und sah sie einen jungen Mann auf dem Sofa. Vor Schreck stieß sie einen spitzen Schrei aus und versuchte leicht verunsichert  ihren Körper vor den kommenden Blicken zu schützen.

Der Kerl drehte langsam den Kopf zu ihr und öffnete ein Auge. "Keine Angst, ich bin's nur."

Sie erkannte die Stimme und ließ vor Erleichterung ihre Arme fallen. Dann stemmte sie sie wütend in die Seite.
"Graham! Was machst du hier?"

Er antwortete nicht. Lainey betrachtete ihn genauer. Schweißperlen standen auf seiner Stirn und ein Bartschatten verdunkelte seine Züge. Darunter wirkte sein Gesicht angespannt.

"So kalt", flüsterte er leise.

Vorsichtig legte sie ihre Hand auf seine Stirn um ihre Vermutung zu bestätigen. "Du glühst ja förmlich. Ich hole dir eine Tablette."

Schnell breitete sie eine leichte Decke über ihm aus, bevor sie zurück in die Küche ging und in den Schränken nach den Medikamenten wühlte. Als sie die richtige Schachtel fand, drückte sie zwei Schmerztabletten aus dem Blister.

Mit einem Glas Leitungswasser, den Tabletten und einem feuchten Lappen bewaffnet ging sie zurück zum Sofa. Sie legte alles ab und sah Graham prüfend an. "Kannst du dich hinsetzen?"

Er grummelte unverständlich vor sich hin. Also griff Lainey unter seine Arme und versuchte ihn aufzurichten. Er stöhnte.

"Ja, ja, starker Mann, du musst nur schnell die Tabletten schlucken."

Damit er nicht zurück fiel und sich beim Trinken womöglich noch verschluckte, setzte Lainey sich neben ihn und hielt ihm die Medikamente und das Wasser hin.

Er spülte die Tabletten hinunter und bevor Lainey aufstehen konnte, hatte Graham den Kopf auf ihren Schoß gelegt. Das Haar an seinem Hinterkopf kitzelte sie an dem schmalen Streifen nackter Haut zwischen ihrem Top und den Pantys.

Dann hob Graham seinen Arm und legte ihn über ihre bloßen Oberschenkel, als würde er sein Kopfkissen festhalten. Sie seufzte und presste den feuchten Lappen auf Grahams Stirn. So viel zum freien Tag für sich allein. Sie legte die Beine auf den Couchtisch, schaltete den Fernseher ein und griff nach ihrem Teller mit dem inzwischen kalten Omelette.

Nachdem sie den Abspann des zweiten Films gesehen hatte, legte sie ihre Hand prüfend auf Grahams Stirn. Er fühlte sich noch immer warm an. Sie würde ihm eine weitere Tablette holen und dabei ihrem Nacken eine Dehnung gönnen.

Sie tippte Graham vorsichtig auf die Schulter. "Hey, starker Mann, heb mal den Kopf."

Er flatterte mit den Augen und bewegte seinen Kopf ein bisschen. Seine Bartstoppeln kratzt sanft über ihre nackten Beine. Lainey schoss das Blut in die Wangen und sie kniff die Augen zusammen.

Hoffentlich war Graham zu abgelenkt, um ihr ins Gesicht zu sehen. Leise schnaufend hob er schließlich den Kopf. Lainey nutzte die Chance, schlüpfte unter ihm hervor und trug ihren leeren Teller in die Küche.

Als sie zurück kam, war das Sofa leer. Sie sah sich um. Weit konnte er angesichts seiner aufgezehrten Kraftreserven nicht gekommen sein. Sie behielt die Tablette in der einen und das Glas Wasser in der anderen Hand. Egal, wohin er sich verkrochen hatte, als erstes würde sie ihm eine weitere Tablette einhelfen.

Sie verließ das Wohnzimmer und hörte das Rauschen des Leitungswassers in der Leitung. Sie ging zur Gästetoilette, doch die Tür stand offen und der Raum war leer. Er war doch nicht etwa...

Sie rannte die Treppe hinauf und stürzte in das Badezimmer, das sie sich mit Beckett teilte. Graham hockte auf allen Vieren vor dem Klo.

"Graham!"

"Ich musste pinkeln."

"Unten ist eine Toilette."

Er zuckte die Achseln. "Vergessen."

Sie kniete sich neben ihn und hielt ihm das Glas Wasser sowie die Tablette hin. Er griff nach beidem und führte das Glas an seine Lippen. Schmale Lippen, die unzählige Male geküsst worden waren.

"Danke."

"Kannst du aufstehen?"

Sie stellte das Glas auf das Waschbecken und wertete die fehlende Antwort als nein. Dann griff sie nach seinem Arm und legte ihn auf ihre Schulter um ihn beim Aufstehen und Gehen zu stützen. Gemeinsam stolperten sie aus dem Bad heraus. Graham stöhnte.

"Ich glaube nicht, dass wir es bis zum Sofa zurück schaffen. Mein Zimmer ist am nähsten. Also bringen wir dich dort hin."

Erst als sie ihm auf ihr Bett half, bemerkte sie sein vom Schweiß durchnässtes Shirt.

"Versuch einen Moment sitzen zu bleiben." Sie rannte in Becketts Zimmer und zog Shorts sowie eins seiner größeren T-Shirts aus dem Schrank.

Dann eilte sie in ihr Zimmer zurück und half ihm in die deutlich bequemeren Klamotten. Nach der Anstrengung ließ er sich zitternd auf ihr Bett fallen und schloss die Augen.
Erleichtert seufzte sie.

Jetzt da er versorgt war, konnte sie endlich unter die Dusche hüpfen. Sie griff sich frische Unterwäsche, eine kurze Leggings und ein lockeres Yogashirt. Vielleicht konnte sie nachher eine Runde laufen gehen, wenn es Graham besser ging.

Voll beladen schlich sie auf Zehenspitzen an ihrem Bett vorbei und ins angrenzende Bad. Sie ließ die Tür einen Spalt offen, damit sie Graham hören konnte, falls er Hilfe brauchte oder erneut versuchen würde alleine aufzustehen.

Das warme Wasser fühlte sich gut an auf ihrer Haut. Sie drehte es noch ein bisschen wärmer und ließ sich den Nacken von den heißen Tropfen massieren. Entspannt lehnte sie den Kopf nach hinten.

Nachdem ihre Haare nun nass waren, griff sie nach ihrem Shampoo und verteilt es großzügig in ihrem Haar. Der feine Geruch von Vanille und Kokosnuss umhüllte sie und entlockte ihr ein wohliges Seufzen. Schnell schlug sie die Hand über ihren Mund und blinzelte durch den feuchten Nebel um zu sehen, ob sich im Zimmer nebenan etwas tat.

Hastig spülte sie den Schaum aus ihrem Haar,  drehte das Wasser zu und trocknete sich ab. Schnell schlüpfte sie in ihre Klamotten und ging zurück in ihr Zimmer.

Graham lag noch immer in ihrem Bett und zitterte. Nachdenklich betrachtete sie ihn. Mitleid kam in ihr auf, also trat sie näher und strich ihm sanft durch das Haar. Es fühlte sich gut an. Graham schien sich unter ihrer Berührung zu entspannen, also kletterte sie neben ihm auf ihr Bett und kraulte ihm dem Kopf bis ihre Hand schwer wurde.

Vorsichtig legte sie die Hand auf seine Brust. Seine tiefen und regelmäßigen Atemzüge entspannten sie und schon bald fielen ihr die Augen zu.

***
Dem Stand der Sonne zufolge war es bereits später Nachmittag als Lainey die Augen öffnete. Ihr war kalt, denn sie trug nur ein dünnes Shirt.

Blinzelnd betrachtete sie Graham, der neben ihr lag und in die Decke eingekuschelt war. Er sah besser aus. Obwohl sie am Vormittag keine Sekunde darüber nachgedacht hatte, ihn in ihr Bett zu bringen, empfand sie die ganze Situation als er jetzt neben ihr in ihrem Bett lag, als hochgradig merkwürdig.

Vielleicht sollte sie Harry Bescheid geben, damit er seinen Bruder nach Hause holen konnte. Würde er daran denken, regelmäßig nach Graham zu sehen und ihm gegebenenfalls Medizin bringen?

Außerdem war das Haus nach der Party sicherlich größtenteils verwüstet, sodass Graham sicherlich nicht die nötige Ruhe zum genesen finden würde. Oder schlimmer noch: er würde vermutlich aufstehen und mit anpacken wollen.

Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr kam sie zu dem Schluss, dass Graham unter ihrer Beobachtung besser genesen würde.

Augenscheinlich hatte Harry bisher noch nicht einmal gemerkt, dass Graham nicht Zuhause war. Oder vielleicht ging er davon aus, dass Graham mit der hübschen Blondine davon gezogen wäre um die Party woanders weiter zu feiern.

Grahams Augen flatterten als können er ihre innere Unruhe spüren. Lainey fragte sich, ob ihm erneut das Fieber ausbrechen würde. Vorsichtig legte sie ihre Hand an seine Stirn. Erleichtert stellte sie fest, dass seine Stirn sich nicht ungewöhnlich warm anfühlte.

"Glück gehabt", murmelte sie.

"Das kann man wohl sagen", flüsterte Graham mit geschlossenen Augen.

Lainey zuckte erschrocken zusammen. "Du bist ja wach. Wie fühlst du dich?"

"Besser", sagte er mit kratziger Stimme, nachdem er die Augen geöffnet hatte. "Immerhin keine dröhnenden Kopfschmerzen mehr."

Sie richtete sich auf. "Sehr gut."

Belustigt schaute Graham sie an. "Was sind deine Pläne für den Rest des Tages?"

"Anscheinend kümmere ich mich um den kranken Nachbarn", erwiderte sie grinsend.

"Aufregend."

"Wirklich wahr."

"Im Ernst. Danke, dass du dich um mich gekümmert hast."

"Keine Ursache. Dafür sind Nachbarn schließlich da." Sie zwinkerte ihm zu. "Hast du Lust einen Film zu gucken, jetzt wo es dir besser geht?
"
Graham nickte. "Aber wahrscheinlich sollte ich erstmal schnell duschen, bevor es hier anfängt zu riechen. Ich habe wohl in den letzten Stunden nicht gerade wenig geschwitzt."

"Das stimmt wohl. Hast du Hunger?"

"Ja." Er lächelte lässig.

Dieses Lächeln. Kein Wunder, dass ihm die Frauen zu Füßen lagen. Hastig wandte Lainey den Blick ab.

"Alles klar, dann hole ich dir was zu essen und du gehst duschen. Nimm dir Klamotten von Becks."

Schnell stand Lainey auf und rannte die Treppen hinunter. Sie bereitete Rührei mit Speck zu und trug den Teller zurück in ihr Zimmer. Doch das Bett war leer und das Wasser rauschte nicht in den Leitungen.

"Graham?"

Ihr Puls beschleunigte sich. Wo war er diesmal? Lainey ging zum Badezimmer und öffnete die Tür. Heißer Wasserdampf kam ihr entgegen.

Graham saß mit einem Handtuch um die Hüfte gewickelt am Boden links der Tür. Sein Rücken lehnte an der Wand, das rechte Bein angewinkelt, das andere lang ausgestreckt.

"Graham?" Panik schwang in Laineys Stimme mit.

Schwerfällig öffnete er die Augen. "Ja?"

Erleichtert fiel sie neben ihm auf die Knie und betrachtete ihn. Sie fuhr mit den Fingern durch sein nasses Haar und konnte keine Verletzung feststellen.

"Was ist passiert?", fragte sie leise.

"Keine Ahnung. Ich glaube, ich sollte mich hinlegen." Er versuchte sich aufzurappeln, scheiterte jedoch. "Kannst du mir vielleicht noch mal helfen?"

"Aber klar doch."

Sie legte seinen rechten Arm auf ihre Schultern und gemeinsam stemmten sie sich hoch. Ihren linken Arm um seine Hüfte gelegt, spürte sie die Wärme seiner glatten Haut. Sie mahnte sich selbst zur Konzentration.

Sie konnten es sich nicht leisten, dass Graham hier umfiel. Ein drittes Mal würde sie ihn sicherlich nicht auf die Beine bekommen.

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