Kapitel 3 - Privatparty
Graham
"Graham, hast du Lainey gesehen?"
"Ja, aber das ist Stunden her. Warum?"
"Fuck. Ich sollte ein Auge auf sie haben. Aber ich habe sie nicht mehr gesehen, seitdem Becks gegangen ist."
"Du versprichst deinem Kumpel auf seine Schwester aufzupassen und lässt sie dann aus den Augen?"
Harry machte eine ausholende Bewegung mit dem Arm und zuckte anschließend mit den Schultern. "Ich war abgelenkt. Sie sollte in meiner Nähe bleiben. Scheinbar hat sie sich nicht dran gehalten, sonst wäre sie ja hier."
Graham stöhnte innerlich. Klar, junge Mädchen hielten sich immer an das Wort ihrer großen Brüder, weil das ja auch so spaßig war.
"Du unzuverlässiger Idiot. Ich geh sie suchen, bevor ihr etwas passiert."
Harry riss die Augen auf. "Du meinst, ihr könnte etwas passiert sein?"
"Ich will's nicht hoffen", grummelte Graham. "Ich suche sie und behalte sie im Auge. Hab du nur weiter Spaß."
Wütend ließ Graham seinen Bruder stehen. Was für ein Idiot. Selbstverständlich konnte er nachvollziehen, warum Harry abgelenkt war, doch das entschuldigte sein mangelndes Verantwortungsbewusstsein nicht.
Lainey war mit Abstand das jüngste und, wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, unerfahrenste Mädchen auf dieser Party und Becks tat gut daran, irgendwie ein Auge auf sie zu haben.
Die Verantwortung für sie seinem völlig nichtsnutzigen Bruder Harry zu überlassen, war jedoch eher fahrlässig. Er konnte nur hoffen, dass sie zwischenzeitlich nichts Unüberlegtes getan hatte.
Rasend vor Wut auf seinen kleinen Bruder marschierte Graham durch das Haus und riss gnadenlos jede Tür auf um Lainey zu finden.
Nachdem er jeden Winkel des Hauses durchkämmt und dabei zahlreiche Nummern unterbrochen hatte, fand er sie schließlich auf der Terrasse eng umschlungen mit einem jungen Mann. Der Kerl schien ihr kleine Belanglosigkeiten ins Ohr zu flüstern, auf die sie mit einem unschuldigen Kichern reagierte.
Graham blieb im Türrahmen stehen und atmete erleichtert aus. Mit dem Weichen der Anspannung drängten sich jedoch auch seine Kopfschmerzen wieder zurück in den Vordergrund. Augen zu und durch. Das war schon immer sein Motto gewesen.
Er ließ sich von dem Durchgang weg drängen, bezog jedoch einen Posten an der Wand des Esszimmers, von wo aus er die ganze Terrasse überblicken konnte. Solange die beiden den gepflasterten Bereich nicht verließen, war also alles in Ordnung.
Der Kerl schien noch immer süße Worte in ihr Ohr zu flüstern und das naive Lämmchen taumelte artig immer näher an ihn heran. Etwas wacklig auf den Beinen griff sie nach seinem Glas und trank einen großen Schluck.
Als sie das Glas zurück gab, verweilte ihre Hand länger als nötig auf seinem Arm und er legte seine freie Hand an ihre Hüfte. Graham biss die Zähne zusammen als er zusah, wie der Kerl Lainey langsam rückwärts von der Terrasse drängte. Als sie mit dem Rücken an einen Baum stieß, fuhr eine seiner Hände in ihr volles dunkles Haar, während die zweite erneut auf ihrer Hüfte zum liegen kam.
Grahams Blick auf das Pärchen wurde immer wieder von ziellos umherpilgernden Studenten unterbrochen, doch als er sah, dass die Hand des Kerls sich auf dem Weg zum Saum ihres Rockes befand, explodierte blinde Wut in ihm.
Wer zur Hölle versuchte denn ernsthaft ein tipsiges, betrunkenes Mädchen abzuschleppen? Mit langen Schritten ging Graham zur Tür, überquerte die Terrasse und nur wenige Sekunden später hatte er den Kerl am Kragen gepackt und von Lainey entfernt.
"Für dich ist die Party jetzt zuende", knurrte er den Kerl an. Verwundert schaute dieser erst Graham, dann Lainey an.
"Und du bist...?"
"Sorry, Jason. Das ist scheinbar mein diensthabender Aufpasser", gab sie augenrollend von sich.
"Oh."
"Vielleicht sehen wir uns ja später noch mal, wenn er hier Feierabend hat", flüsterte sie Jason laut genug zu, dass auch Graham es hörte.
Dann wandte sie sich Graham direkt zu und zwinkerte ihm frech zu. Grahams Blick fiel auf ihre vom Küssen leicht geschwollenen Lippen. Um Beherrschung bemüht, kniff er sich in den Steg einer Nase.
"Müde?", fragte sie unschuldig.
Jason war sichtlich hin und her gerissen. Er streckte den Arm aus um Lainey zu berühren.
"Denk nicht mal dran", knurrte Graham.
Entschuldigend hob Jason die Hände. "Gute Nacht, Schönheit. Hat mich gefreut, dich kennenzulernen."
Angesichts der Worte des Kerls beschleunigte sich Grahams Herzschlag, was das Pochen in seinem Schädel nur noch verschlimmerte.
"Hau endlich ab, bevor ich mich vergesse."
Ohne ein weiteres Wort trottete Jason zurück zum Haus.
Nachdem Jason sich von ihnen entfernt hatte, blieb Graham regungslos auf der Wiese stehen. Lainey sah in die entgegengesetzte Richtung.
Ungeduldig wartete Graham auf eine Reaktion. Sie würden nicht die restliche Nacht hier draußen stehen bleiben können. Langsam wurde es kühl.
Außerdem waren seine Nerven inzwischen stark überstrapaziert. Erst diese Kopfschmerzen, die ihm die Tour mit Juliet versaut hatten, und dann beobachten zu müssen, wie sich irgendein Schwachkopf an Becketts betrunkene Schwester ranmachte, während er auf sie aufpasste. Das war einfach zu viel für einen Abend.
"Lass uns rein gehen." Keine Reaktion. "Brauchst du Hilfe?"
Schneller als er es in ihrem Zustand für möglich gehalten hatte, fuhr sie zu ihm herum. "Was sollte das?"
"Du bist betrunken."
Statt einer Antwort schnaubte sie abfällig.
Graham blickte in ihre Augen. Ihr Blick war fokussiert, ihre Augen weder gerötet noch aufgerissen. Sie hielt sich aufrecht und schwankte kein bisschen. Da dämmerte es ihm. Sie war gar nicht betrunken. Sie hatte nur so getan. Aber warum?
"Ok, du bist nicht betrunken. Was auch immer. Kein Rummachen mit Fremden in meinem Haus, solange ich die Verantwortung trage."
Unbändige Wut glitzerte in ihren Augen als sie mit ihrem Zeigefinger schmerzhaft in seine Brust stieß.
"Verantwortung? Du bist nicht mein Vater, nicht mal mein Bruder, verdammt noch mal. Was bildest du dir eigentlich ein? Glaubt ihr alle, dass ihr mich immerzu durch die Gegend schubsen könnt? Selbst bei jeder Gelegenheit rumhuren, aber mich darf niemand auch nur küssen?"
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und stürmte quer durch den Garten auf ihr Zuhause zu. Gut, bei sich Zuhause war sie für's Erste sicher vor den feierwütigen Idioten.
Graham ging zum Haus und presste seine Hand auf die schmerzende Stelle an seiner Brust. Puh, die Kleine hatte Kraft. Im Vorbeigehen warf er einen Blick auf die Uhr über dem Kamin. Kurz nach zwei. Er war müde und fühlte sich ausgelaugt. Für ihn war die Party zuende. Er würde sich in sein Zimmer begeben und die Tür abschließen. Der Lärm würde ihm nichts ausmachen.
Auf dem Weg zur Treppe blieb sein Blick an einer Gruppe männlicher Studenten hängen, die wie gebannt aus dem Fenster sahen. Von hier aus konnte man das Haus der Nachbarn sehen. In Lainey Zimmer brannte Licht, doch nur von Grahams Zimmer aus konnte man einen Blick hinein werfen.
"Beckett ist bei Mabel, also ist sie allein zu Hause", murmelte ein Rotschopf.
"Vielleicht feiert sie eine Privatparty mit uns. Wir sollten rüber gehen", schlug ein Kerl mit kurzem blonden Haar vor.
"Meinst du, sie verriegelt die Tür?"
"Nein, bestimmt nicht."
"Sie ist auf jeden Fall ein hübsches Ding. Der würde ich ja nur zu gern das Bett wärmen", sagte er dunkelste der drei und stöhnte anzüglich.
Graham hatte genug gehört. Mit geballten Fäusten ging er auf den Kerl zu und packte ihn am Kragen.
"Ganz schlechte Idee", hisste Graham ihm ins Ohr, bevor er ihm mit der anderen Hand einen Kinnhaken verpasste, der den Kopf des Mannes zur Seite schnellen ließ und den Mann damit ins Straucheln brachte. Nur Grahams Griff hielt ihn aufrecht. Dunkles Blut floss in einem kleinen Rinnsal aus der aufgeplatzten Unterlippe des Kerls.
"Was zur Hölle?", fragte er, während er die Hand zum Kinn führte. Graham ahnte, dass seine Kinnpartie wunderschön anschwellen und mindestens drei Tage schmerzen würde. Geschah ihm Recht.
"Hey, Mann. Was ist dein Problem?", rief der Blonde.
"Lasst die Finger von dem Mädchen. Holt euch noch ein Bier und dann verschwindet ihr aus meinem Haus."
Die zwei Kerle stolperte davon und der Dunkelhaarige, den er noch immer am Kragen hielt, zappelte als wolle er ihnen folgen. Doch Graham ließ noch nicht locker.
"Ich dulde es nicht, dass so über junge Frauen gesprochen wird. Beim nächsten Mal breche ich dir die Arme. Dann ist das einzig Warme, das du spürst, dein Gips. Haben wir uns verstanden?"
"Ja, Mann."
Als Graham widerwillig den Griff lockerte, stolperte der Bengel seinen Kumpels hinterher. Graham sah unterdessen zum Fenster hinaus. Im Haus nebenan war das Licht erloschen.
In seinen Gedanken spulte er das Gespräch der Kerle ab. Allein Zuhause - Privatparty - nicht absperren. Er schüttelte den Kopf und fasste einen Entschluss.
Solange die Party hier im Gange war, war Lainey alleine dort drüben nicht sicher. Sie hier rüber zu holen war allerdings keine Option. Also blieb es ihm nur, zu ihr herüber zu gehen und dort Wache zu halten. Würde irgendein Idiot versuchen, sich Zugang zum Haus zu verschaffen, würde Graham ihn abfangen und seine aufgestaute Wut an ihm auslassen. Das klang wie ein Plan.
Mit müden Schritten ging er hinüber zu Laineys Haus, öffnete leise die Küchentür und verriegelte sie von innen. Nachdem er die vordere Haustür überprüft hatte, ging er ins Wohnzimmer und ließ sich auf das alte Sofa fallen. Binnen weniger Sekunden fielen ihm die Augen zu.
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