Sectumsempra

Er stockte und drehte sich zu Professor McGonagall, die aus einem der Seitengänge kam.
„Vor wem sind Sie denn auf der Flucht?", fragte sie mit zuckenden Mundwinkeln.

„Vor niemandem. Ich...habe nur Hunger", antwortete er mit einem Lachen, welches verdächtig nach einem verrosteten Türschloss klang.

„Na, dann sollten Sie sich beeilen. Zuerst wollte ich Sie aber noch etwas fragen", sagte McGonagall, während sie weitergingen.

„Natürlich. Was denn?"
„Erstens würde ich gerne den Termin für unser Gespräch, wie es für Sie nach der Schule weitergehen soll, ausmachen. Wann hätten Sie denn Zeit?"
„Stimmt. Das. Ähm...vielleicht am Samstag? Ich muss diese Woche noch ziemlich viele Aufgaben machen."
Sie nickte.
„Dann Samstag. Treffen Sie einfach nach dem Mittagessen bei mir ein! Und dann wollte ich Sie noch etwas zu Ihrem Aufenthalt in der zweiten Ferienwoche fragen. Ihre Eltern fahren weg?"
„Ja", erwiderte Felix, „Zu dieser Zeit werde ich aber bei den Weasleys sein."
„Na, dann wäre das doch geklärt. Nicht, dass Sie in den Ferien auf sich gestellt sind."
Felix lachte.
„Professor, ich werde nächstes Jahr siebzehn. Ich kann ganz gut selbst auf mich aufpassen."
„Eben. Nächstes Jahr. Ende Oktober, um genau zu sein. Und bis dahin sind Sie minderjährig und es wäre sehr ratsam, wenn Sie in der Obhut eines Erwachsenen sind", erwiderte seine Hauslehrerin bestimmt.

Jetzt runzelte Felix doch seine Stirn.
„Keine Einwände. Aber zufälligerweise weiß ich von einem Schüler, welcher im letzten Jahr für drei Tage allein zu Hause war. Er hat es mir erzählt. Und der war vierzehn Jahre alt."
Ein Muskel in ihrem Gesicht zuckte.
„Da ich weiß, dass Sie mir den Namen sowieso nicht sagen werden, werde ich nicht weiter nachfragen, aber Sie wissen nun einmal, dass es so ist. Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit."
„Vielen Dank", erwiderte Felix.
Er lächelte.
„Denken Sie an unser Gespräch!"

Ohne ein weiteres Wort oder eine Antwort abzuwarten verschwand sie im nächsten Gang.
Sofort fiel Felix' Maske und gedankenverloren ging er weiter. Was hatte Trelawney da gesagt?
Na klasse, jetzt hatte er es vergessen. Das Englische brachte er ja gerade noch so zusammen...
Sie sprach von einem einem Erben. Und von einem...Prinzen der Zauberer?
Er starrte auf seine Schuhe.
Aber was war das danach?
Latein. Zweifellos. Aber was genau war die Bedeutung dieses Satzes?
An ein Wort erinnerte er sich: Ligatoribus.

Das war ein Ansatz. Während er seine Schritte beschleunigte, sagte er es immer und immer wieder auf bis er die Bibliothek erreicht hatte. Dort stürmte er regelrecht an den Schreibtisch von Madam Prince.
Sie sah auf und musterte ihn, als würde sie abwägen, um welche Stelle am Hals sie ihre Hände legen sollte.

„Ja?"
„Haben Sie lateinische Wörterbücher? Sie haben doch sicher lateinische Wörterbücher?", fragte er sie hektisch.
Sie runzelte ihre Stirn.
„Benötigen Sie das für eine schulische Aufgabe?"
Schnell nickte er.
„Genau. Arithmantik. Sie wissen schon."
So ein Wörterbuch würde er wahrscheinlich nicht einmal in hundert Jahren für Arithmantik benötigen. Trotzdem musste er sich langsam mal überlegen, wie er von dem Mies runterkam.
„Nein, tue ich nicht", erwiderte die Bibliothekarin, „Aber in der vierten Reihe von links."
„Tausend Dank."

Schnell drehte er sich zu den Regalreihen und ging auf die angegebene Reihe zu. Dort suchte er die Fächer ab, bis er fündig wurde.
Er zog das dicke Buch aus dem Regal und ließ es auf den Tisch krachen. War nur lauter, als erwartet, sodass er zusammenzuckte und sodass sofort Madam Princes keifende Stimme ertönte.

Schnell schlug er es auf. Mit seinem Finger fuhr er über die Buchstaben, bis er bei L angekommen war, dann blätterte er auf angegebene Seite.

Er brauchte nicht allzu lange, bis er das Wort gefunden hatte.
Ligatoribus...Täuschungen.
Stirnrunzelnd sah er auf die kleinen Buchstaben. Das ergab keinen Sinn.
Er lachte leise. Wahrscheinlich erlaubte sich Trelawney nur einen Scherz mit ihm. Anders konnte er sich das nicht erklären.
Er stellte das Buch zurück und ging dann, mit einer lächelnden Verabschiedung, wieder auf den Gang, um seinen Weg zur Großen Halle fortzusetzen.

Nur leider schwirrte ihm auch noch der Kopf, als er schon längst aß und nur teilweise beteiligte er sich an den Gesprächen, welche seine Mitschüler über die angehenden ZAGs führten.
Er konnte es nicht fassen, wie sehr so eine schrullige Alte ihn runterziehen konnte.
Lustlos stopfte er sich den Löffel in den Mund. Im Moment war ihm der Appetit gehörig vergangen.

„Alles gut, Kumpel?", fragten George und Fred gleichzeitig und er sah auf.
„Ja, danke. Könnte nur auf der Stelle einschlafen."
„Oh ja, das war wirklich ätzend", sagte Fred, als plötzlich der Fast Kopflose Nick zwischen ihnen auftauchte.
Er schien sie gehört zu haben, denn er fragte:
„Worüber regen sich denn die Herren so auf?"
George winkte ab.
„Wahrsagen. Totaler Müll. Es kommt doch eh nichts dabei raus."
Lee wandte seinen Kopf zu ihnen und nickte zustimmend.
„Alles, was dabei rauskommt, ist ein dröhnender Kopf und das Bedürfnis nach einem Schläfchen."

Der Hausgeist hob seinen Finger.
„So weit würde ich nicht gehen. Als mein Tod vorausgesagt wurde, habe ich auch darüber gelacht. Jetzt seht mich an."
Er streckte seine Arme präsentierend aus.
„Nun ja", flüsterte George in Felix' Ohr, „Vielleicht war es ja der Richter, der ihn zum Tode verurteilt hat. In drei Tagen werden Sie sterben. Oder der Henker. Ich sehe, dass sich diese Axt erheben wird, um Sie dem zu unterziehen, was einer Enthauptung nahe kommt. Muahahaha!"
Sein Gesicht nahm einen irren Ausdruck an, während er mit den Fingern wackelte.
Nick hatte ihn jedoch verstanden und schwebte beleidigt davon.
Die Jungs prusteten los und sofort verfielen die Zwillinge und Lee wieder in ein amüsiertes Gespräch.

Felix beschloss, diese ganze Sache einfach zu vergessen. Immerhin sprachen sie hier immer noch von Sybill Trelawney. Er konnte sich ja irgendwie ablenken und die Zeit gleich nutzen, um die Aufgaben bis morgen zu erledigen.
„Ich geh dann mal", sagte er und stand auf.
Verwundert sahen seine Freunde auf.
„Wohin denn?"
„Lernen. Euch würde ich das Gleiche raten."
Fred zeigte ihm einen Vogel und grinsend verließ Felix die Halle.

Nachdem er seine Lehrbücher aus dem Gemeinschaftsraum geholt und die Bibliothek erneut betreten hatte, Madam Prince hätte Medusa Konkurrenz machen können, setzte er sich in eine stille Ecke.
Dabei fiel ihm Hermine Granger auf, welche hinter drei Bücherstapeln verborgen, ebenfalls lernte.
Es wunderte ihn, dass ihre Freunde nicht dabei waren, immerhin klebten sie ja ständig aneinander. Aber...war ja nicht sein Butterbier.

Mit Muggelkunde fing er an. Professor Burbage verlangte einen Aufsatz mit zwei Kernpunkten, welche angesprochen werden sollten.

Warum sind uns Muggel gar nicht so unähnlich?
Könnten Hexen und Zauberer offen mit Muggeln leben?
Schreiben Sie Ihre These und die dazugehörigen Argumente plus eine abschließende Zusammenfassung auf drei Rollen Pergament.

Zusatzaufgabe: Nennen Sie vier Lösungsansätze, um so ein Zusammenleben zu ermöglichen.

Felix ächzte. Drei Rollen. Aber da er in Muggelkunde auf Kippe zwischen einem Ohnegleichen und Erwartungen übertroffen stand, würde er wohl auch die Zusatzaufgabe lösen.
Es half ja alles nichts. Also legte er sich Pergamentbogen, Federkiel und Tintenfass zurecht und sah sich kurz um.
Da. Er stand auf und ging zu einem der Regale, um das entdeckte Buch herauszuziehen.
Privatleben und soziale Gewohnheiten des britischen Muggels von Wilhelm Wigworthy war sicher ein guter Anfang.
Er setzte sich wieder an seinen Platz und schlug den Wälzer auf.
„Fangen wir mal an...", murmelte er und griff zu seinem Federkiel.

~

Nach etwa vier endlos erscheinenden Stunden hatte er nun Muggelkunde, Arithmantik und Verwandlung hinter sich gebracht.
Verwandlung war ein Klacks, aber das war auch neben Pflege magischer Geschöpfe und, seit diesem Jahr, Zaubertränke, sein bestes Fach.
Fehlten nur noch Professor Flitwick und Professor Snape.
Er würde mit der Aufgabe von Snape anfangen, denn das und die Ausarbeitung über nonverbale Zaubersprüche würde er auf keinen Fall schaffen. Und Flitwick nahm es nicht so krumm, wenn man eben mal etwas schlampig gearbeitet hatte. Außerdem begeisterten nonverbale Zauber Felix auch so, sodass er sich ziemlich gut darin auskannte und es ab und zu schon einmal schaffte, einen Gegenstand von A nach B zu bringen, ohne zu sprechen. Zu mehr reichte es dann aber leider doch nicht.

Also schlug er das Lehrbuch für Zaubertränke auf. Und ds fiel ihm ein völlig neuer Satz ins Auge: Sectumsempra - Gegen Feinde.
Er runzelte seine Stirn. Von diesem Fluch hatte er noch nie etwas gehört.
Er warf einen Blick über die Schulter.
Auflistung aller Zaubersprüche und Flüche von Miranda Habicht aus dem Jahr 1983.
Hier stand der Fluch sicher, da das Buch aus dem Zaubertrankunterricht selbst auch erst 1965 erschien.

Er fuhr mit seinem Finger über die Zeilen des Inhaltsverzeichnisses, bis er bei S angekommen war.
Enttäuscht schürzte er seine Lippen. Fehlanzeige. Entschlossen schlug er das Buch des Halbblutprinzen zu und verließ die Bibliothek. Bevor er weiterarbeitete, musste er erst etwas nachschauen.

Schnurstracks lief er in den siebten Stock, lief drei Mal an dem Wandteppich von Barnabas dem Bekloppten vorbei und dachte dabei einen Raum, wo es ganz sicher nicht schlimm war, etwas kaputt zu machen und wo man mit Leichtigkeit unbekannte Zaubersprüche testen konnte.
Knirschend verwandelte sich die Mauer dem Wandteppich gegenüber in eine unauffällige, braune Tür und er trat eilig ein.

Als er in dem Raum ankam, in dem sich ein Kamin, ein kleines Fenster in der Decke und mehrere Attrappen befanden, die sie auch für Verteidigung gegen die dunklen Künste benutzten, schlug er das Buch wieder auf und sah sich den Fluch noch einmal an. Dann verstaute er das Buch unter seinem Umhang.
Er zog seinen Zauberstab, hüstelte kurz und richtete sie dann auf eine der Atrappen.

Sectumsempra!", rief er laut.
Die Wirkung kam fast unverzüglich. Die Figur wurde nach hinten geworfen und er selbst stolperte überrascht ein paar Schritte zurück. Er hätte nicht gedacht, dass es so einfach war.
Als er das Gleichgewicht wiedererlangt hatte, ging er mit großen Schritten auf die Attrappe zu und hockte sich hin. Sein Atem stockte.

„Merlin", murmelte er leise und strich über die unzähligen Kerben, welche sich auf dem Metall gebildet hatten.
Er bekam eine Gänsehaut. Würde man diesen Spruch bei einem Menschen anwenden, würde dieser innerhalb von wenigen Minuten verbluten...

Durch diesen Fluch bekam er ein ganz neues Bild des Halbblutprinzen und eingehend musterte er das Buch.

Aus irgendeinem Grund faszinierte er ihn jetzt noch mehr. Und mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit hatte er die Sprüche, die ihm selbst geläufig waren, nicht vergessen, sonder in Wahrheit erfunden.
Was für ein magisches Geschick war das wohl, wenn man so etwas zustande brachte. Aber er war in seinem Jahrgang gewesen, hieß...

Felix lächelte.
Er sollte sich vielleicht einmal ein paar lateinische Fähigleiten aneignen. Man wusste nie, wozu man diese mal benötigen würde.

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