Hodag

„Und? Wie war's?"
Lee ließ sich neben ihn auf das Sofa fallen und er sah von dem eben gelesenen Buch auf. Er grinste.
„Ich glaube, sie weint gerade. Unser Gespräch war so gut, wie sinnlos. Fest steht nur, dass ich in der sechsten Klasse auf keinen Fall Astronomie und Wahrsagen fortführe. Bei Kräuterkunde muss ich noch schauen. Aber sie hat gesagt, sie würde mir das empfehlen, wenn ich Zaubertränke weiterhin belege, von daher..."

Lee nickte und lehnte sich zurück. Dabei streiften seine Finger für einen Moment Felix' Handrücken, welcher sofort eine Gänsehaut bekam. Feixend sah Lee in den Kamin.
„Sagen wir es mal so", meinte er, „Den Beruf als Astronom kannst du auf jeden Fall schon mal ausschließen."
Felix brummte.
„Dieses Fach existiert doch nur, damit Leute, wie Professor Sinistra, einen Beruf bekommen. Sonst ist das doch..."
„...total sinnlos?"
Lee lachte auf und sah sich dann im Gemeinschaftsraum um.
„Jetzt entspann dich mal, Kumpel. Wir müssen eh erstmal die Zwillinge suchen. Lupin wartet sicher nicht allzulange."

Aber das war auch gar nicht nötig. Sie trafen überpünktlich in seinem Büro ein. Sie hätten sogar noch fünf Minuten übrig gehabt.
Sofort leuchteten Felix' Augen auf, als er den Käfig auf dem Schreibtisch des Lehrers entdeckte.

„Der ist ja krass", murmelte Fred und streckte seinen Finger aus.
„Das würde ich an deiner Stelle lassen", sagte Lupin, der eben einen Schrank verschloss, „Siehst du die Reißzähne?"
Sofort zog Fred seine Hand zurück und George fragte:
„Was ist das überhaupt?"
„Ein Hodag. Eigentlich heimisch in Nordamerika", antwortete Lupin und setzte sich.

Lächelnd sah er die vier Jungs an, welche nicht so richtig wussten, was sie sagen sollten. Mit einem verlegenen Lächeln drehte Felix seinen Zeigefinger vor seinem Gesicht.
„Sie...haben alles wieder rausgekriegt?"
Lee ächzte und Lupin zog seine Augenbrauen nach oben.
„Madam Pomfrey ist wirklich sehr talentiert", entgegnete er amüsiert, „Aber eure Leistung war auch nicht schlecht, wie ich zugeben muss. So einen Haftzauber muss man erst einmal hinbekommen."
„Danke, Pro...Au!"
Fred hatte ihm einen Stoß in die Seite versetzt und schmunzelnd erhob sich Lupin.

„Fangen wir mal an, nicht?"
Er klatschte in die Hände und kam um den Schreibtisch herum.
„Ich würde sagen, wie bereiten direkt den Unterricht vor. Ich habe bereits eine Vorlage über den Hodag geschrieben und ihr werdet sie für jeden einzelnen Schüler aus eurem Jahrgang kopieren. Ohne Zauberstäbe, aber das versteht sich ja von selbst."
„Moment, Moment!", sagte Lee mit weit aufgerissenen Augen, „Wir sollen für jeden Fünftklässler die Ausarbeitung einer Unterrichtsstunde abnehmen?"
Lupin lächelte noch immer.
„Haben Sie ein Problem damit, Mr Jordan?"
Lee klappte seinen Mund auf und schloss ihn wieder. Er erinnerte Felix glatt an einen Fisch.
„Das ist doch wunderbar! Immer schön, wenn sich Lehrer und Schüler einig sind", sagte Lupin, griff nach dem Käfig und einem Stück Pergament und verließ sein Büro.
„Leeres Pergament, Tinte und Federn liegen auf dem Schreibtisch."
Ächzend griff Lee danach und sie folgten ihm.

Im Klassenzimmer setzten sie sich und Lupin verlangte noch, die Abschriften auch ja ohne Schreibfehler zu beenden.
Fred schnaubte nur und griff nach einer Feder.
Lupin selbst stellte den Käfig neben sich und nahm einige Rollen Pergament, um selber anfangen zu schreiben.
Er warf den Jungs noch einen letzten Blick zu, dann herrschte für eine ganze Weile Ruhe. Nur das Kritzeln der Federn und das Rascheln und Grunzen des Hodags waren zu hören.
Felix gab sich alle Mühe, sich zu konzentrieren, konnte aber nicht anders, als immer wieder zu Lupin zu sehen.
Die Tatsache, dass ein Werwolf vor ihnen saß...

Er musste aufhören, sich solche Sorgen zu machen!
Bis jetzt war ja auch alles gut gegangen. Und wenn Lupin wüsste, dass von ihm eine ernsthafte Gefahr ausging, hätte er sich wahrscheinlich gar nicht erst für die Stelle beworben.

Trotzdem gelang es ihm nicht wirklich, seinen Kopf abzuschalten. Weiterhin musterte er den Lehrer. Es war doch immer noch Professor Lupin. Nur dass er jetzt auch die schlechte Seite von ihm sah.
„Schreiben!", zischte George und er wandte sich wieder seinem Pergament zu.
Warum eigentlich schlechte Seite?
Auch als Mensch konnte man jemanden verletzen oder sogar töten. Und Lupin nahm ja den Wolfsbanntrank zu sich.

Er seufzte und legte das Blatt zur Seite. Er hatte sich verschrieben.
Jetzt strengte er sich verbissen an, sich nur auf die Schreibarbeit zu konzentrieren, sodass er ganze fünf Kopien schaffte.
Dann schweiften seine Gedanken jedoch wieder ab und er knüllte das nächste Pergament zusammen. Lupin sah auf und schnell beugte er sich etwas tiefer über den Tisch.
„Konzentrationsschwäche?"
Felix schüttelte seinen Kopf.
„Nein. Also nicht oft."
„Entspann dich. Wir haben Zeit."
Felix antwortete nicht, sondern schrieb schnell weiter. Lupin hatte sich zwar auch wieder seiner Arbeit zugewandt, aber er wagte es nicht, wieder hochzusehen.

Etwa zwanzig Minuten später fragte Lee:
„Wie viele müssen wir noch machen?"
Lupin legte die Feder beiseite.
„Wieviele habt ihr denn bis jetzt?"
„Also...ich hab dreizehn. Fred hat..."
„Fünfzehn Kopien."
„Und ich hab auch dreizehn."
„Und...Felix?"
Der Junge sah auf.
„Was?"
„Wieviel hast du schon geschrieben?", fragte Lee.
Felix sah wieder auf seinen Papierstapel.
„Zehn fehlerlose Kopien."
Lupin lächelte.
„Na, wenn jeder von euch noch drei Kopien schreibt, seid ihr fertig. Mit dieser Seite."
„Mit...dieser Seite?"
„Es gibt noch einen Fragebogen, Mr Weasley."
„Alter!"

~

Schließlich waren sie fertig und ächzend schüttelten die Zwillinge ihre Hände aus.
Lupin lehnte sich zurück, rieb sich kurz über die Augen und sah sie dann lächelnd an.
Er schien müde zu sein. Felix fragte sich, ob das an seiner Krankheit lag. Schweigend beobachtete er ihn. Jetzt, da er es wusste, fielen ihm auch die Narben viel mehr auf. Wer wusste schon, wie er die alle bekommen hatte...

„Habt ihr schon mit euren Aufsätzen angefangen?", fragte er und Lee nickte.
„Ja, wir sind fast fertig. Ich wollte Sie aber noch fragen, ob ich Hagrid um eine Acromantula bitten darf."
Lupin lachte auf.
„Nein. Tut mir leid, aber das würden einige Mitschüler nicht gutheißen. Ich meine, wenn du mitten im Unterricht einen Vergößerungszauber auf eine Spinne ausübst, kann ich ja nicht viel machen, oder?"
Lee grinste, obwohl eigentlich ziemlich deutlich war, dass der Professor das nicht ernst gemeint hatte.
„Du hast also die Acromantula. Und du, George?"
„Ich hab den Basilisken genommen, Sir", antwortete der Junge und er nickte.
„Sehr interessant. Außergewöhnliche Geschöpfe. Ich möchte eine besondere Ausführung zur Verteidigung, wenn das möglich ist."
Er sah zu Fred.
„Die Maulende Myrte. Nein, Spaß. Irrwichte. Darüber konnte ich ziemlich viel schreiben."
„Nun, ich freue mich jetzt schon darauf. Und du, Felix?"

Felix hatte ihn beobachtet und blinzelte jetzt.
„Entschuldigung?"
Lupin lächelte.
„Du scheinst müde zu sein. Ich fragte, welches Tierwesen du für deinen Aufsatz ausgewählt hast."
„Ähm...Thestrale. Sehr vielfältig. Da kann man viel darüber schreiben."
„Naja, vorher hattest du ja Werwölfe. Fandest du dann nur langweilig", fügte Lee augenerollend hinzu.
„Tatsächlich?"
Felix erbleichte.
„Naja, ich...ich wollte sie jetzt nicht unbedingt als...Tierwesen ansehen. Sind ja immer noch...normale Menschen. Nicht?"
„Eine löbliche Einstellung", meinte der Professor und erhob sich.
Er musterte Felix kurz, dann sagte er:
„Dann geht jetzt. Wir sehen uns."
„Einen schönen Abend noch."
„Genau. Eine gute..."
„...Nacht, Professor."
Er lachte leise.
„Euch auch."
Felix nickte ihm nur kurz zu und schritt dann eilig auf den Ausgang zu, sodass er zuerst auf den Gang trat.

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