Der Werwolf
Felix konnte es nicht fassen. Mittlerweile war schon wieder Montagnachmittag, er saß im Klassenzimmer für Geschichte der Zauberei und die Klasse ließ sich von Professor Binns einschläfern, als wäre nie etwas vorgefallen.
Dem war nur leider nicht so. Niemand ahnte, was es mit Professor Lupin auf sich hatte. Bis jetzt war er ihm noch nicht wieder über den Weg gelaufen und er war auch ganz froh darüber. Ihm hatte der Blick nicht gefallen, mit dem der Lehrer ihn am Samstag bedacht hatte.
Was würde er wohl machen, wenn er erfuhr, dass Felix von ihm wusste?
In so einem Fall würde er vielleicht seine Gutmüdigkeit vergessen...
Er überlegte schon seit Samstag, ob er damit zu Dumbledore gehen sollte. Ob der Schulleiter davon wusste?
Oder er würde es nächste Woche seinem Vater sagen. Er würde es sicher verstehen.
Ächzend fuhr er sich durch die Haare. Das war alles keine Option. Dumbledore würde ihn wahrscheinlich entweder abwimmeln und gar nicht ernst nehmen oder er würde darüber lachen und Lupin davon erzählen. Da konnte er ihn auch direkt fragen.
Er sah auf, als Aurelia Bridgerton aus Hufflepuff nach vorne ging und einen Stapel von Papier von Binns Schreibtisch nahm.
„Ach du Elend!", murmelte da Lee neben ihm, „Der Aufsatz!"
„Hast du wohl schon verdrängt", bemerkte Felix grinsend und er nickte mit einem verzwickten Gesichtsausdruck.
„Richtig. Verdrängt."
Felix kicherte, während Aurelia durchging und die Blätter an die Schüler verteilte.
Als Lee seinen Aufsatz bekam, sah er kurz drauf und atmete dann auf.
„Ein Ohnegleichen. Glück gehabt."
„Du bist unmöglich!", brummte Felix kopfschüttelnd und jetzt war es an Lee zu grinsen.
„Und du?"
„Ach. Ganz annehmbar."
Sie kicherten.
„Merlin, war der schlecht."
„Ich weiß."
~
Und dann kam wieder der Tag, an dem sie das Klassenzimmer für Verteidigung gegen die dunklen Künste betraten.
Professor Lupin lehnte sich bereits gegen den Schreibtisch, auf dem schon der bekannte Käfig mit dem Hodag stand, und nickte den eintretenden Schülern freundlich zu.
Felix setzte sich nach einem sehr knappen Gruß schnell auf seinen Platz und steckte seinen Kopf mit Lee zusammen.
Sie sahen nur auf, als sich Fred zu ihnen beugte und grinsend fragte, ob heute eine Spinne anwesend sein würde.
Lee verneinte und Fred wollte sich eben wieder zurücklehnen, als sein Blick auf Felix fiel.
„Ist alles gut?", fragte er seinen Freund.
Felix runzelte seine Stirn.
„Natürlich. Warum denn nicht?"
Ob er ihnen davon erzählen sollte?
Nein. Wer wusste schon, wie sie reagierten. Immerhin sprachen sie von einem Werwolf.
Fred zuckte mit den Schultern.
„Naja, eigentlich hätte ich jetzt gedacht, du animierst Lee zu einer Spinne. Und würdest vielleicht ein bisschen freudiger schauen. Immerhin haben wir jetzt Verteidigung gegen die dunklen Künste."
Felix lächelte.
„Ich bin nur etwas müde. Hab heute Nacht nicht viel geschlafen", sagte er und log damit nicht einmal.
„So, Ruhe bitte, fangen wir an!", rief Lupin und klatschte enthusiastisch in seine Hände.
Er stieß sich von dem Schreibtisch ab und sagte:
„Als erstes werden wir uns mal eure Aufsätze ansehen. Wer möchte seinen denn vorlesen?"
Stille. Lupin lächelte.
„Nicht so viele auf einmal. Mr Williams, was haben Sie für mich?"
Die Klasse atmete auf, als der Junge sich über seine Rolle Pergament beugte und leise begann, das Geschriebene vorzulesen. Die Klasse hörte stillschweigend zu. Felix gab sich dabei alle Mühe, nur auf die Holzmaserung des Tisches oder auf seinen eigenen Aufsatz zu schauen. Nur nicht zu Lupin, der seinen Blick über die Klasse schweifen ließ.
Wenn er seinen Blick auffing, könnte das ziemlich unangenehm werden.
Da stieß Lee Felix an und er sah auf. Lee bedeutete ihm zu schweigen und deutete unauffällig auf Adrians Tisch.
Erst dachte Felix, er hätte wieder irgendetwas getan, doch als sein Blick auf die Kante des Tisches fiel, huschte ihm ein Grinsen über das Gesicht.
Auffordernd nickte er Lee zu. Doch der schüttelte seinen Kopf und flüsterte:
„Du bist in Verwandlung etwas besser. Vor allem bei der Reichweite. Warte aber, bis ich dran bin, ich melde mich freiwillig."
Felix biss sich auf die Unterlippe und sah sich kurz im Raum um. Dann beendete Aiden seinen Vortrag. Lupin nickte zufrieden.
„Sehr gut. Versuch nur, beim nächsten Mal etwas näher auf die Verhaltensmuster einzugehen. Wer möchte als nächstes?"
Sofort hob Lee seine Hand und Lupin nickte ihm zu.
„Dann los, Mr Jordan."
Lee begann zu lesen und Felix sah sich noch einmal kurz um. Dann zog er unter dem Tisch seinen Zauberstab hervor und hielt ihn in Adrians Richtung.
„Engorgio!", flüsterte er leise.
Zuerst geschah gar nichts und er dachte schon, Adrian würde die nächsten paar Stunden mit einer riesigen Erektion im Krankenflügel landen. Wäre sicher witzig gewesen, aber das, was jetzt kam, war noch besser.
Es gab einen lauten Knall. Adrian hatte sich mit einem Aufschrei nach hinten geworfen und lag jetzt am Boden. Entsetzt sah er das riesige Tier an, welches auf seinem Tisch thronte, sodass der anfing zu knarren, und krabbelte mit einem weiteren Aufschrei nach hinten.
Sein Banknachbar und einige andere sprangen ebenfalls auf und brachten so viel Abstand, wie möglich zwischen sich und der Spinne, welche mit ihren Zähnen klackerte und prüfend mit einem der langen, behaarten Beine über den Rand des Tisches tastete.
Die Schüler, die nicht zurückgewichen waren, brüllten vor Lachen. Die Zwillinge schlugen sich auf die Schenkel und Lee boxte Felix prustend gegen die Schulter.
Der Spaß endete, als Lupin seinen Zauberstab hob und die Spinne wieder auf normale Größe schrumpfen ließ. Er sah sich in der Klasse um. Vereinzelt war noch Gekicher zu hören, aber sonst sahen sie ihn neugierig an.
Sein Gesicht blieb ohne jede Regung.
„Eine interessante Art, uns Ihr Tierwesen zu demonstrieren, Mr Jordan. Das nächste Mal wäre nur eine kleine Vorwarnung ganz schön."
Die Zwillinge prusteten erneut hinter vorgehaltener Faust und Adrian sah sie wütend an. Die Klasse beruhigte sich wieder und Lupin nickte Lee zu.
„Bitte weiterlesen."
Doch den Schülern war das amüsierte Glitzern in seinen Augen nicht entgangen.
So hätte die Stunde gerne weitergehen können, doch dann meldete sich Cleitus und als er anfing zu lesen, bekam Felix eine Gänsehaut.
„Werwölfe", begann der Slytherin und ohne es zu wollen, huschte Felix' Blick zu Lupin.
Er verzog keine Miene.
„Werwölfe verwandeln sich einmal im Monat. Immer in einer Vollmondnacht. Dieser Prozess ist sehr schmerzhaft und..."
Und da sah Lupin zu Felix.
Sofort wandte der Junge seinen Blick ab und richtete ihn stattdessen konzentriert auf Cleitus. Und diesmal spürte er regelrecht, wie die Blicke des Lehrers ihn durchbohrten.
„Muggel berichten ebenfalls über Menschen, welche sich in blutrünstige Wölfe verwandeln. Bei ihnen sind das aber nur Märchen und Mythen..."
Felix sah wieder zu Lupin und...ihre Blicke trafen sich. Lupin verengte seine Augen.
Felix ballte seine Fäuste zusammen, starrte auf das Pergament vor sich und zwang sich, ganz ruhig zu atmen. Innerlich fluchte er. Er hatte es bemerkt. Definitiv hatte er es bemerkt.
Während Cleitus seinen Aufsatz beendete, sah Felix weiterhin mit größter Mühe nach unten.
„Mr Lewis?"
Sein Kopf ruckte nach oben.
„Ja?", krächzte er.
Er räusperte sich.
„Würden Sie uns eventuell Ihren Aufsatz vorlesen?"
„Na...natürlich."
Er lächelte und beugte sich tief über die Schulbank.
Nachdem auch er seinen Aufsatz über die Thestrale beendet hatte, teilte Lupin die Blätter aus, welche Felix, Lee und die Zwillinge vorher verfasst hatten, und forderte sie auf, die dazugehörigen Fragen zu beantworten.
~
„Nun gut, das war's für heute", sagte Lupin, als die Klingel ertönte, „Eure Namen auf die Aufsätze und auf meinen Schreibtisch legen. Bis nach den Ferien informiert ihr euch über Nachtschattengewächse. Und wir werden außerdem eine Arbeit über die einzelnen Tierwesen schreiben, die ich aufgelistet habe."
Seine Worte gingen in dem Lärm der Schüler unter.
Felix schrieb seinen Namen auf das Pergament, drückte es gleich George mit in die Hand und zwängte sich dann durch seine Mitschüler auf die Tür zu.
Nur raus hier!
„Mr Lewis, mit Ihnen würde ich gerne noch ein Wort wechseln!", erreichte ihn da die laute Stimme.
Er erstarrte.
„Merlin!", fluchte er leise und drehte sich langsam um.
Lupin lehnte wieder an seinem Schreibtisch, die Arme verschränkt und jeden Mitschüler verabschiedend.
Als Lee an Felix vorbeiging, hielt er ihn schnell am Arm fest.
„Wartest du noch auf mich?"
Lee nickte.
„Natürlich."
Beide Jungs standen sie also da, bis auch der letzte Schüler das Klassenzimmer verlassen hatte.
Professor Lupin drehte ihnen den Rücken zu, nahm den Stapel der Zettel an sich und sagte:
„Mr Jordan, würden Sie uns alleine lassen?"
Lee sah zu Felix, der sich die größte Mühe gab, ihm zu zeigen, dass er auf keinen Fall gehen durfte. Doch Lee nickte nur.
„Natürlich, Professor. Bis dann, Fe. Wir sehen uns beim Essen."
Felix schluckte, startete einen letzten verzweifelten Versuch, aber Lee hatte sich bereits in Bewegung gesetzt.
Verzweifelt sah Felix, wie sich die Tür schloss, dann drehte Lupin sich zu ihm. Die Aufsätze hatte er wieder auf den Tisch gelegt. Wahrscheinlich hatte er nur nicht einfach so dastehen wollen.
Er musterte Felix, dann setzte er zu sprechen an. Gerade als er den Mund öffnete, klopfte es an der Tür und er zog seine Augenbrauen nach oben.
„Ja?"
Die Tür öffnete sich und ein Hufflepuffmädchen trat ein.
„Verzeihen Sie, Professor. Aber ich sollte noch etwas abholen."
„Miss Rough. Einen Moment!"
Er ging schnell den Stufen zu seinem Büro hoch und Felix zog tatsächlich in Betracht einfach das Zimmer zu verlassen. Aber dann würde er spätestens nach den Ferien wieder zum Bleiben aufgefordert werden und dann...wer wusste schon, was dann passieren würde.
Felix trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Die Schülerin, die ihm gelegentlich mit ihren Wimpern zuklimperte, ignorierte er.
Dann kam Lupin wieder zu ihnen und drückte ihr eine Mappe in die Hand.
„Vielen Dank, Professor", sagte sie mit einem bezaubernden Lächeln.
Er nickte nur und sagte:
„Grüßen Sie ihren Vater von mir! Einen schönen Tag wünsche ich noch!"
Ihr Lächeln erstarrte etwas, aber in Nullkommanichts hatte sie es wieder aufgelegt und verschwand mit einem letzten Winken aus dem Raum.
Sobald die Tür zufiel, richtete Lupin seinen Zauberstab auf sie und Felix war sich ziemlich sicher, dass sie jetzt niemand mehr unterbrechen würde.
„Nervös?"
Felix bemerkte, dass er seine Hände an seiner Hose abgewischt hatte und verschränkte sie schnell hinter seinem Rücken.
„Nein. Ich...was kann ich für Sie tun, Sir?", erwiderte Felix nur und schluckte.
Lupin legte seinen Zauberstab weg, verschränkte seine Hände ebenfalls hinter dem Rücken und ging langsam auf Felix zu.
Vor ihm blieb er stehen. Er sah ihn an, Felix hielt mit angespannten Kiefern Augenkontakt, dann begann er:
„Darf ich dich fragen, wie du es herausgefunden hast?"
„S...Sir? Was meinen Sie?"
Lupin zog seine Augenbrauen zusammen.
„Mr Lewis, Sie sind ein miserabler Lügner und Sie werden mir jetzt auf der Stelle sagen, wie Sie es herausgefunden haben!", sagte er mit einer ungewohnten Strenge.
Felix schluckte.
„Professor, ich...ich...was? Ich verstehe Sie nicht, Sie müssen mir sagen, was Sie wollen."
Sein Gegenüber legte seinen Kopf schief.
„Wovor hast du Angst? Denkst du, ich würde dich beißen?"
Seine Stimme klang jetzt wieder genauso ruhig, wie vorher. Felix wusste nicht, ob er das mit Absicht tat, aber es machte ihn noch nervöser. Fast verrückt.
„Mich...was? Sir, ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen."
Konzentriert versuchte er, sich nicht durch die Stimmungswechsel des Professors durcheinanderbringen zu lassen.
„Ach nein?", sagte der jedoch, „Und was würdest du tun, wenn ich jetzt das hier tun würde?"
Er ging einen schnellen Schritt auf Felix zu, welcher sofort zurückzuckte. Vielsagend sah Lupin ihn an. Felix schloss seine Augen.
„Professor, ich...das war...entschuldigen Sie."
„Also? Wie hast du es herausgefunden? War es, als du mit dem Aufsatz über Werwölfe angefangen hast oder schon eher?"
Leise antwortete er:
„Als ich mit dem Aufsatz angefangen habe."
Lupin nickte stumm.
„Deswegen warst du auch seit Samstag so zurückhaltend", stellte er fest.
Felix erwiderte nichts, während Lupin seine Arme verschränkte und mit seinen Fingern gegen seine linke Schulter trommelte.
Dann fragte er:
„Hast du das ernst gemeint?"
Felix sah auf.
„Als du sagtest, dass du Werwölfe nicht als Tierwesen bezeichnen würdest. Oder war das einfach nur so dahergesagt, um den Werwolf, mit dem du sprichst, zu beruhigen?"
„Merlin, nein!", sagte Felix sofort.
Entsetzt sah er ihn an.
„Nein, das war mein völliger Ernst. Ich...ich war nur so, weil ich nicht wusste, wie Sie reagieren, wenn Sie erfahren, dass ich es weiß. Klar, ich war schockiert, wer wäre das nicht? Aber..."
Er atmete durch.
„Sie sollen nur wissen, dass ich es niemandem gesagt habe."
„Hattest du denn vor, es jemandem zu sagen?"
„Ich wollte eigentlich zu Professor Dumbledore gehen, aber der hätte mir das vermutlich nicht geglaubt."
Lupin schüttelte seinen Kopf.
„Er weiß davon."
„Wie...einen Moment, was?"
„Die ganze Lehrerschaft, Felix. Was glaubst du denn? Außerdem war ich doch auch als Schüler hier. Niemals hätte ich so lange meine Identität als Werwolf verbergen können."
Felix kam sich plötzlich so unglaublich dumm vor. Natürlich. Das, was Professor Lupin ihm da gerade sagte, ergab völligen Sinn.
Lupin streckte seine Hand aus. Verwirrt sah Felix ihn an.
„Also? Akzeptierst du einen Werwolf als Lehrer?"
Felix sah auf die Hand. Dann wieder hoch in Lupins Gesicht.
„Vertraust du mir?"
Felix nickte und griff nach der Hand.
„Tu ich, Professor."
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