24. Der Eisprinz

Harry war wütend. Im Gryffindorturm angekommen, fand er Ron und Hermine auf der Couch vor. Sie diskutierten scheinbar gerade über den misslungenen Nachmittag und Harry registrierte zufrieden, dass Hermine ihm ebenfalls Vorwürfe machte. Sie verstummten jedoch beide, als Harry auf sie zuging. Er pfefferte die eingerollte Picknickdecke in die nächstbeste Ecke und baute sich mit verschränkten Armen vor Ron auf, der ihn bloß ausdruckslos ansah.

„Kannst du mir mal verraten, was das sollte?!", fragte Harry mit zusammengezogenen Augenbrauen und als Ron nicht reagierte, machte er eine ausholende Geste. „Du hast dich wie ein Arsch benommen, dabei war Draco echt nett!"

„Nett?!", spuckte Ron aus und stand nun ebenfalls auf. „Nichts an dem Kerl ist nett. Er hat mich trotzdem total von oben herab behandelt, aber das merkst du wohl schon gar nicht mehr!" Auch Ron hatte die Arme vor der Brust verschränkt.

„Wie bitte?" Harry lachte kurz auf. „Wieso hat er dich 'von oben herab' behandelt? Das ist nicht wahr!"

„Er hat doch kein Wort mit mir gewechselt, da ist er sich wohl zu fein für!"

„Weil du dich wie ein Kleinkind aufgeführt hast!" Der Streit wurde zunehmend lauter. „Und später hast du ihn bloß provoziert, hast du eine Ahnung, wie erniedrigend das für ihn ist? Er begibt sich praktisch in fremdes Gebiet, erklärt sich bereit, euch kennenzulernen, und dann sowas!" Harry wollte am liebsten auf irgendetwas schlagen, so viel Wut hatte er in sich.

„Erniedrigend?", fragte Ron und zuckte mit den Schultern. „Gut, dann weiß er vielleicht endlich mal, wie sich das anfühlt!"

Harry ballte die Hände zu Fäusten, sein Kiefer verkrampfte sich. Hermine, die die Zeichen sofort richtig deutete, stand nun auf und schob sich unauffällig zwischen die beiden. Harry jedoch zischte zwischen zusammengebissenen Zähnen: „Er hat sich geändert. Er ist nicht mehr so, wie früher."

„Menschen ändern sich nicht wirklich", sagte Ron und es klang seltsam erschöpft. Er sah Harry nicht an.

Der Schwarzhaarige schnaubte und nickte langsam. „Das werd ich mir merken", sagte er, ging zwei Schritte zurück und lief dann ohne ein weiteres Wort hinauf in den Schlafsaal, wo er sich aufs Bett setzte und versuchte, seinen rasenden Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Es dauerte lange, bis er nicht mehr so sauer war, denn seine Gedanken hatten sich sofort selbstständig gemacht und drehten sich im Kreis. Er dachte viel über Ron nach und darüber, dass er sich wirklich oft wie ein kleines Kind verhielt. Damals, als er geglaubt hatte, Harry hätte seinen Namen zur Teilnahme am Trimagischen Turnier selbst in den Feuerkelch geworfen, hatte er wochenlang nicht mehr mit ihm geredet. Oder als sie auf der Suche nach Horkruxen waren und Ron dachte, Harry hätte ein Verhältnis mit Hermine, war er einfach abgehauen. Er hatte sie im Stich gelassen. So oft hatte Ron nur seinen eigenen Kopf durchgesetzt. Harry atmete tief durch. Bei Merlin, er liebte seine Freunde, doch gleichzeitig wollte er eine Zukunft mit Draco - und er hatte keine Ahnung, wie das möglich sein sollte, wenn sich sein bester Freund nicht mit ihm verstand.

Harrys Gedanken überschlugen sich. Der Wunsch nach einer Zukunft mit Draco kreiste unaufhörlich in seinem Kopf. Er schloss die Augen, dachte an Draco und sein Herz zog sich kurz zusammen. Er war noch nie in seinem Leben so verliebt gewesen. Wenn er so darüber nachdachte, war er vermutlich überhaupt noch nie verliebt gewesen, denn dieses intensive, übermächtige Gefühl war ihm bislang völlig unbekannt. Er sehnte sich nach Draco. Hatte er noch vor einiger Zeit alles an ihm gehasst, so liebte er all das nun, und es kam ihm selbst absurd vor, doch er konnte sich nicht dagegen wehren. Er liebte seine grauen Augen, die blasse Haut, die weißblonden Haare, seine Lippen, seinen Körper, seinen Geruch. Die Art, wie er redete, wie er lachte. Wie sanft seine schlanken Finger sein konnten. Er liebte die Art und Weise, wie Dracos Augen zufielen, kurz bevor sie sich küssten. Er liebte die Geräusche, die er von sich gab, wenn sie sich ganz nahe waren. Harry rollte sich auf die Seite und schloss die Augen. Er liebte es, wenn sich Dracos Körper gegen ihn drängte und sich seine Arme um ihn schlangen, ihn ganz fest hielten. Besonders liebte er diese kurzen Augenblicke, in denen Draco sich scheinbar unbeobachtet fühlte. Wenn er dachte, dass Harry bereits schlief und ihn dann zärtlich auf die Stirn küsste, die Konturen seines Gesichts mit sanften Fingern entlang strich, seine Nase in seine Haare wühlte und seinen Geruch inhalierte. Das war die Bestätigung für Harry, dass er sich ebenso sehr nach ihm verzehrte.

Der Gryffindor lächelte und merkte, dass er schon fast eingeschlafen war. Draco rettete ihn. Er ließ ihn so vieles vergessen und bewirkte damit, dass er sich zum ersten Mal seit Jahren einfach nur glücklich fühlte. Ohne schlechte Gedanken, die sich trotzdem irgendwie in sein Hirn schlichen und ihn daran hinderten, sein Glück zu genießen. Draco verbannte alles Negative aus seinem Kopf. Harry lachte leise in sein Kopfkissen hinein. Gerade Draco Malfoy war derjenige, der seine Seele wieder ins Gleichgewicht brachte. Es gab doch noch Wunder, dachte Harry und war im nächsten Moment eingeschlafen.

-

Am nächsten Tag - es war Sonntag - ging Harry weder zum Frühstück, noch zum Mittagessen in die Große Halle. Stattdessen plünderte er seine Vorräte an Keksen und anderen Süßigkeiten. Er hatte keine Lust, mit Ron zu reden. Eigentlich wollte er mit keinem reden. Zwar hatte der Rothaarige am Morgen einen kurzen Versuch gestartet, ein Gespräch anzufangen, doch Harry war sofort ins Bad gegangen und die Unterhaltung somit für beendet erklärt. Einmal im Leben wollte er derjenige sein, der ein Zeichen setzte. Er hatte Ron immer alles verziehen, doch nun war sein bester Freund einen Schritt zu weit gegangen. Harry hatte nichts mehr von Draco gehört und er vermisste ihn schon jetzt so sehr, dass er sich unwillkürlich fragen musste, ob das wirklich normal war. Hätte er nicht schon so vieles über die Liebe gelesen, dann hätte er spätestens jetzt gedacht, er stünde unter einem Fluch, der bewirkte, er könne ohne den Anderen nicht mehr existieren.

Er spielte kurz mit dem Gedanken, Remus zu besuchen, entschied sich letztendlich aber doch für Hagrid. Ein furchtbar schlechtes Gewissen keimte in ihm auf, als er daran dachte, wie lange er sich bei Remus, Sirius und einigen anderen schon nicht mehr hatte blicken lassen. Er gelobte gedanklich Besserung und machte sich dann auf den Weg zu Hagrids Hütte.

Der Riese empfing ihn wie gewohnt fröhlich, klatschte dann in die großen Pranken und sagte: „Du kommst ja gerade richtig, Ron und Hermine sind auch eben angekommen und ich habe gerade das Wasser für den Tee aufgesetzt! Komm rein!"

Harry seufzte leise. Das war ja klar. „Eigentlich wollte ich mit dir alleine reden", flüsterte Harry resigniert, als er Hagrids Hütte betrat.

„Oh, äh... Na das können wir ja noch, wenn die beiden wieder weg sind, hm?" Hagrid lächelte und Harry nickte bloß. Am liebsten wäre er einfach sofort wieder gegangen, doch er wollte vor Hagrid keine Szene machen, also betrat er das Wohnzimmer, wo Hermine und Ron in den Sesseln saßen. Beide sahen sofort auf.

„Harry!" Hermine stand auf und schloss ihn lächelnd in die Arme. Sie war sichtlich erleichtert, ihn anzutreffen.

„Hey." Harry lächelte sie ebenfalls kurz an. Ron schwieg. Sie setzten sich und kurze Zeit später kam Hagrid mit dem Tee und einem Teller voll Gebäck zurück.

„Dann erzählt mal, was gibt's Neues?", fragte Hagrid und nippte an seiner Teetasse.

Hermine plauderte ein wenig über die Schule, doch schon bald gingen ihnen die Themen aus und noch immer schwiegen Ron und Harry, sodass Hagrid stutzig wurde. Nach kurzer Zeit sah er zwischen den beiden skeptisch hin und her. „Okay, was ist los?", fragte er schließlich, doch beide vermieden Blickkontakt und zuckten bloß mit den Schultern.

Letztendlich war Hermine diejenige, die Hagrid aufklärte. „Die beiden haben sich gestritten", sagte sie. „Und ich denke, es wäre an der Zeit, dass sie mal unter vier Augen reden würden."

„Hmhm", machte Hagrid zustimmend und nickte. „Ein Gespräch unter vier Augen ist nie verkehrt. Kann viel bewirken. Was meint ihr, Jungs?"

Harry seufzte kaum hörbar, nickte dann jedoch. „Meinetwegen." Vielleicht würde Ron sich ja bei ihm entschuldigen.

„Warum geht ihr nicht ein bisschen spazieren?", fragte Hermine und sah beide nacheinander an. „Eine neutrale Umgebung ist meistens besser."

„Na schön", murmelte nun auch Ron und stand auf. Harry tat es ihm gleich. Er sah Hagrid und Hermine noch einmal an, die beide aufmunternd lächelten. „Bis später dann", seufzte der Schwarzhaarige und ging voraus; Ron hinter ihm her.

Die ersten paar Meter brachten sie schweigend hinter sich. Sie liefen ziellos über die saftig grüne Wiese. Ron hatte die Hände in seine Hosentaschen gesteckt und schlenderte mit gesenktem Kopf neben Harry her, der hin und wieder einen längeren Grashalm ausrupfte, um mit diesem zu spielen. Schließlich war es tatsächlich Ron, der das Schweigen brach, indem er sagte: „Ich weiß, dass das gestern nicht in Ordnung von mir war." Harry hob überrascht den Kopf und sah ihn an, während sie weiterliefen. „Aber ich will ganz ehrlich zu dir sein, ich komme damit nicht wirklich zurecht", sagte er wahrheitsgemäß. Harry erwiderte nichts, er wartete, bis Ron weitersprach: „Ich meine... ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Malfoy auf einmal ein feiner Kerl sein soll. Seit ich ihn kenne, hat er meine Familie und mich behandelt wie Dreck. Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Dank ihm habe ich immer geglaubt, nichts wert zu sein." Er sah Harry an und dieser verstand sofort, dass Ron nicht übertrieb. Er schluckte, als der Rothaarige weitersprach: „Ich verstehe, dass er als Kind selbst unter dem Einfluss seiner Eltern stand, aber irgendwann war er alt genug, um zu wissen, was er von sich gibt. Aber er hat sich nie geändert."

Harry schluckte. Zum ersten Mal versuchte er ernsthaft sich in Rons Situation hineinzuversetzen. Er konnte sich gut vorstellen, dass er all die Jahre mehr oder weniger unter Draco gelitten hatte. Seine Kommentare waren schon immer unter der Gürtellinie gewesen und Harry wusste, dass Ron sensibel war. Dass es aber so schlimm war, war Harry nicht bewusst gewesen... Ihn selbst hatten Dracos Kommentare nur selten wirklich getroffen, war er doch von Dudley viel Schlimmeres gewohnt.

„Natürlich habe ich gemerkt, dass Draco netter ist, als vorher", sprach Ron weiter. „Die Sache ist nur, dass ich ihm den Mist nicht abkaufe, verstehst du?"

„Ja, das kann ich verstehen", sagte Harry wahrheitsgemäß und nun war Ron derjenige, der überrascht den Kopf hob. „Ich glaube, an deiner Stelle wäre ich genauso überrumpelt von all dem."

„Ja, absolut!", rief Ron aus. Endlich wurde er verstanden. „Das wär praktisch so, als wäre ich plötzlich mit... ähm... Blaise Zabini zusammen!" Er verzog das Gesicht. „Total absurd einfach. Und dann will ich dir weismachen, dass er ein supernetter Kerl ist." Er lachte tonlos. „Klar!"

Harry grinste und als sich ihre Blicke trafen, musste Ron ebenfalls grinsen. Sie schwiegen einen Augenblick lang, bis Harry leise sagte: „Glaub mir, Ron, ich hätte nie für möglich gehalten, dass Draco so sein kann." Sein Herz begann schneller zu schlagen; wie immer, wenn er über Draco sprach.

Ron warf einen Blick zur Seite und als er sah, wie Harry lächelte, seufzte er theatralisch, warf die Arme in die Luft und sagte: „Na los, du verliebter Idiot, erzähl mir von ihm." Er grinste, als Harry ihn ansah, und der Schwarzhaarige begann sofort zu strahlen. Am liebsten wäre er Ron um den Hals gefallen, so sehr freute er sich in diesem Augenblick. Er biss sich kurz auf die Unterlippe, dann platzte auch schon alles aus ihm heraus und er erzählte Ron genau, wie alles angefangen hatte. Als hätte er nur darauf gewartet, jemandem endlich von all dem erzählen zu können, kamen die Worte von ganz alleine. „... und er hat so sehr gelitten, Ron, das kannst du dir nicht vorstellen. Es ging ihm richtig schlecht. Ich meine... seine Trauer war förmlich greifbar. Und nachdem er mich immer wieder weggeschickt hat, hat er sich irgendwann endlich von mir trösten lassen und wir haben beide gemerkt, wie unfassbar gut es tat, einfach füreinander da zu sein", erzählte Harry. Ron stellte viele Fragen nebenbei, wie etwa: „Du hast ihn einfach so umarmt? Wie hat er denn reagiert?" Und als Harry schließlich von ihrem ersten Kuss unter Alkoholeinfluss erzählte, bekam der Rothaarige ganz große Augen und sein Mund blieb offen stehen.

Als Harry ihm alles erzählt hatte, was bislang zwischen Draco und ihm passiert war - abgesehen von den intimen Details natürlich - seufzte Ron leise und fuhr sich nachdenklich über die Stirn. „Tja", sagte er, „ganz schön krass, das mit Malfoy und dir. Wer hätte gedacht, dass aus euch mal ein Liebespaar wird?"

Harry errötete und wandte schnell den Blick ab. „Ja", murmelte er leise und schmunzelte.

„Und wollt ihr euch irgendwie outen oder so?" Ron zögerte. „Ich glaube, ihr wärt das erste schwule Paar in ganz Hogwarts."

„Nein, wir legen es nicht darauf an, uns speziell zu outen. Das wird früher oder später von ganz alleine passieren."

Ron nickte und wieder schwiegen sie eine Weile lang, bis Harry vorschlug, wieder kehrt zu machen. Sie waren schon ganz schön lange unterwegs.

Auf halber Stecke Richtung Heimat sagte Ron leise: „Harry?"

„Ja?" Er sah ihn an.

„Es tut mir leid, dass ich den Nachmittag versaut habe. Ich würde ja jetzt sagen, dass es keine Absicht war, aber... naja..." Er grinste schief und zuckte mit den Schultern.

Harry lachte leise. „Schon okay. Wirst du ihm denn noch mal eine Chance geben und dich dann nicht wie ein Arsch aufführen?"

„Das bin ich dir wohl schuldig, oder?"

„Ja."

„Na dann... geht klar."

Harry lächelte, überbrückte den Abstand zu Ron und legte den Arm um seine Schultern. Ron tat es ihm gleich. Es fühlte sich gut an, seinem besten Freund wieder so nahe zu sein. Arm in Arm schlenderten sie in Richtung Hütte, die bereits in Sichtweite war. Harry hatte schon fast nicht mehr an einen glücklichen Ausgang dieser Situation gerechnet. Nun jedoch schien sich alles zum Guten zu wenden und er war Ron wirklich dankbar dafür.

Sie waren fast an der Hütte angekommen, da öffnete sich die Tür und Hermine und Hagrid traten hinaus. Hermine lächelte, als sie die beiden Arm in Arm sahen. Auch Hagrid nickte zufrieden. „Na bitte, geht doch", sagte der Riese.

„Ich dachte schon, ihr würdet gar nicht mehr zurückkommen", lachte Hermine. „Ich wollte gerade gehen."

„Perfektes Timing", grinste Ron, zog Hermine in seine Arme und küsste sie sanft.

„Ich nehme an, ihr habt euch wieder vertragen?", fragte Hermine glücklich, schaute kurz zu Harry, dann wieder zu Ron, den sie dankbar ansah und ihm liebevoll über die Wange strich. Sie lächelte, als er grinsend nickte. Die junge Hexe war heilfroh, sich wenigstens darüber keine Sorgen mehr machen zu müssen. Sie hatte kurz befürchtete, ihre Freundschaft würde wirklich daran kaputtgehen - und sie hatte lange, wirklich sehr, sehr lange darüber nachgedacht, wie unglaublich wichtig Draco für Harry zu sein schien, und noch immer rätselte sie, warum genau das so war. Irgendetwas gaben sich die zwei, was ihnen sonst niemand geben konnte.

-

Als sie gegen Abend zurück in den Gryffindorturm kamen, saß Dracos Eule von außen auf dem Fensterbrett. Harry erkannte sie sofort und bekam augenblicklich Herzklopfen. Er öffnete das Fenster, sie flatterte hinein und warf einen kleinen Zettel auf den Boden, den Harry rasch aufhob und entfaltete.

„Kommst du nach dem Abendessen auf den Astronomieturm? - D."

Harry lächelte, sein Herz raste. In dem Chaos, das auf dem Couchtisch herrschte, suchte er nach einem Stift und einem Stück Papier, kritzelte ein „Ja." und schickte Dracos Eule mit dieser Nachricht wieder zurück. Dracos Zettelchen hielt er bei sich. Er steckte sich die Nachricht in die Hosentasche.

Für den Rest des Abends war Harry so aufgeregt, dass er beim Abendessen kaum was herunterbekam - was aber auch daran lag, dass ihn die Tatsache, dass Draco gar nicht an seinem Platz saß, verwirrte. Er war nicht beim Abendessen erschienen. Der Gryffindor hoffte inständig, dass das kein schlechtes Zeichen war. Kaum hatte er aufgegessen, verabschiedete er sich von seinen Freunden und machte sich auf den Weg zum Astronomieturm. Die Sonne ging langsam unter und ohne deren Wärme war es gleich so kühl, dass Harry sich seine Jacke drüberziehen musste. Oben wehte ohnehin meist ein recht kräftiger Wind. Er konnte es kaum erwarten, Draco von seinem Gespräch mit Ron zu erzählen und ihm seine Entschuldigung zu übermitteln. Der Schwarzhaarige lächelte. Es war ein wirklich gutes Gespräch gewesen und am Ende, als sie zusammen gelacht und herumgealbert hatten, hatte es sich angefühlt, als wäre nie etwas zwischen ihnen gewesen. Das machte gewiss eine wirklich gute Freundschaft aus. Harry nahm mehrere Stufen auf einmal, hastete glücklich hinauf und als er endlich oben auf der Plattform angekommen war, polterte sein Herz gegen seinen Brustkorb.

Er sah Draco vorne am Geländer stehen. Als er aus dem geschützten, überdachten Bereich in Richtung Aussichtsplattform ging, ergriff ihn ein Wind, der so überraschend kühl war, dass Harry seine Jacke sofort enger um den Körper zog. Er ging lächelnd auf Draco zu, der sich jedoch noch nicht einmal umdrehte, obwohl er ihn gehört haben musste. Irgendetwas in Harry zog sich zusammen, doch er überspielte seine Unsicherheit gekonnt. „Hey", sagte er grinsend, als er bei dem Blonden angekommen war. Er wollte ihn berühren, doch irgendetwas hinderte ihn daran - und als sich der Slytherin langsam umdrehte, lieferte sein Gesichtsausdruck die Bestätigung für Harrys seltsames Gefühl. Draco sah ihn an, mit einem Blick, den er nur aus früheren Zeiten kannte. Ein eiskalter Blick. Harry wäre beinahe zusammengezuckt, so durchdringend waren seine hellgrauen Augen. Der kühle Wind umspielte ihre Haare. Draco wirkte fremd und unendlich weit weg.

„Was ist los?", fragte Harry schließlich. Er wusste, dass Dracos eiskalter Blick etwas mit ihm zu tun hatte. Er wusste es einfach. Wenn er damals mit genau diesem Gesichtsausdruck durch die Gänge der Schule stolziert war, hatte man ihn hinter seinem Rücken den „Eisprinzen" genannt. Nichts traf es besser. Er strahlte eine solche Kälte aus, dass es ein Wunder war, dass er nicht wirklich etwas, oder jemanden, einfror.

„Ich habe nachgedacht", sagte er leise und Harry biss sich unwillkürlich auf die Zunge. Das waren Worte, die nie etwas Gutes bedeuteten. Niemals begann jemand ein Gespräch mit ‚Ich habe nachgedacht' und erzählte dann etwas Positives. Sein Herz begann, schneller zu schlagen, als der Blonde den Kopf kurz senkte und schluckte. „Ich glaube, wir haben etwas wirklich Dummes gemacht."

Harry vernahm ein entferntes Rauschen in den Ohren das zunehmend lauter zu werden schien. Er hielt sich an seiner Jacke fest. „Was meinst du?"

Draco sah ihn nur kurz an. „Ich glaube nicht, dass das hier wirklich funktionieren wird", sagte er leise. „Um ehrlich zu sein weiß ich gar nicht, was wir uns dabei überhaupt gedacht haben..."

Harry war unfähig, etwas zu sagen. Sein Kopf war in diesem Moment völlig leer. Er starrte ihn an, fragte sich selbst, wie sein Gesichtsausdruck gerade wohl aussehen musste.

„Ich meine...", begann Draco nun mit etwas lauterer Stimme, „mal ehrlich, wie haben wir uns das vorgestellt? Dass wir Hand in Hand durch Hogwarts spazieren und uns jeder für ein bezauberndes, schwules Pärchen hält?!"

Der Schwarzhaarige ging einen Schritt zurück und sah zu Boden. Dracos harte, direkte Worte trafen ihn. Er sagte nichts.

„Es tut mir leid", sagte der Blonde. „Es tut mir wirklich leid."

Harry spürte einen kalten Luftzug, als Draco an ihm vorbeiging. Viel kälter, als der ohnehin schon frische Wind, der um ihn herum wehte. Sein Herz pochte so stark, dass es wehtat. Sein Blick war noch immer gen Boden gerichtet und im nächsten Moment war Draco verschwunden. Harry war so fassungslos, dass er nicht reagieren konnte. Als würde das, was er soeben hatte hören müssen, gar nicht in seinem Hirn ankommen. Er taumelte langsam zur Bank, setzte sich, zog die Knie hoch an den Körper und umklammerte diese.

Er wusste nicht, wie lange er oben gesessen hatte und als er endlich hinunterging, zurück ins Schloss, wusste er noch nicht einmal, ob es bereits Sperrstunde war, oder nicht. Es war ihm auch egal. Seine Hände waren so eingefroren, dass er die schwere Tür vom Schloss kaum aufbekam. Zurück im Gryffindorturm saßen Ron und Hermine bei einer Partie Schach. Sie hoben den Kopf, als er den Gemeinschaftsraum betrat, und als sie sahen, wie fertig er aussah, stand Hermine auf und ging auf ihn zu. „Harry, was ist passiert?" Sie wussten, dass er mit Draco verabredet gewesen war.

Harry lächelte ein müdes, trauriges Lächeln. „Der Eisprinz ist zurückgekehrt."

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