Kapitel 5 - Im Wald

Wie angewurzelt sitze ich vor meinem Computer. Die Nachricht, die er mir geschrieben hat, rührt mich sehr. Ich kann anhand seines Textes schon spüren, wie verzweifelt und ängstlich er sein muss. Aber nach dem Vorfall mit meiner Mutter, geht es mir nicht anders. Ich habe sie richtig verletzt, und das auf eine grauenhafte und schreckliche Art und Weise. Und dann war da noch dieser Traum, er fühlte sich so echt an, als wäre Elisa da gewesen.

Aber er hat recht, wir müssen uns dringend treffen, denn ich bin ehrlich, ich will auch noch nicht sterben, und ich will unbedingt diesem Ganzen ein für alle Mal ein Ende setzen, ich muss Elisa und die anderen aufhalten, koste es, was es wolle.

Mit einem Lächeln im Gesicht schreibe ich ihm wieder, dabei bin ich ziemlich nervös, aber auch verunsichert.

,,Hey Aiden, ich habe deine Nachricht gelesen, und sie rührt mich sehr. Ich werde mich jetzt fertig machen und sofort zu dir kommen. Bis gleich :) ."

Ein Gefühl von Entschlossenheit kommt in mir auf. Nach der Nachricht fühle ich mich irgendwie unglaublich, es ist als könnte ich alles schaffen. Ich ziehe meine Schultern an und mache meinen Rücken gerade. Daraufhin schalte ich meinen PC aus.

,,Komm, Noah, du schaffst das. Treff dich mit ihm, er ist deine einzige Chance."

Entschlossen springe ich auf und stelle mich aufrecht hin. Meine Gedanken beginnen zu rasen. Ich muss jetzt schnell duschen, denn durch diese Alptraum Nacht bin ich wirklich komplett durchnässt, was sich garnicht mehr angenehm anfühlt, vor allem habe ich noch immer etwas Blut an meiner Hand kleben, da einfach nicht alles abging. Mir tut das alles echt leid, diese Erinnerung an gestern und was passiert ist, schmerzt in meinem Herzen sehr.

Nun gehe ich Richtung Zimmertür, dabei nehme ich eine neue Jeans und ein paar Sachen aus dem Kleiderschrank mit. Als ich dann den Griff meiner Tür packe, schießt mir ein Gedanke durch den Kopf. Ob meine Eltern wohl wieder da sind? Bei dem Gedanken werden meine Hände ganz feucht, und ein Druck bildet sich in mir. Ich kann es nicht riskieren ihnen zu begegnen, das wäre katastrophal, mein Vater würde mich wahrscheinlich umbringen.
Angespannt laufe ich zu meinem Fenster, welches sich über meinem Bett befindet, und schaue hinaus. Ich mustere die Auffahrt ab und sehe zum Glück kein Auto. Schnell fühle ich eine Erleichterung in mir aufkommen, weiche sich wie eine warme Welle über mich ergießt. Ein erleichterndes Atmen überkommt mich, als ich mich vom Fenster wieder distanziere.

Ich begebe mich mit meinen Sachen wieder zur Tür und öffne sie. Nachdem ich die Türschwelle überschritten habe, durchdringt mich ein kalter Schauer. Ich habe ganz vergessen, wie kalt der Boden barfuß ist. Der plötzliche Kontrast zwischen der Wärme meines Bettes und der Kühle des Bodens ist intensiv und unangenehm. Meine Zehen krümmen sich aus Reflex zusammen. Ich hebe sofort immer wieder meinen Fuß an, um dieser unangenehmen Kälte zu entrinnen und laufe Richtung Badezimmer. Wie der Blitz sprinte ich zum Ende des Flurs. Im Badezimmer angekommen, ziehe ich meine Unterwäsche aus und begebe mich in die Dusche. Ich stehe nun unter einem warmen Wasserstrahl, der sanft auf meine Haut prasselt. Ein angenehmes Kribbeln durchzieht meinen Körper, während ich mich von Kopf bis Fuß mit nach Lavendel riechendem Duschgel einseife. Das Gefühl, wieder in der Dusche zu stehen, ist einfach wunderschön. Es ist ein letzter Moment der Ruhe und Entspannung, bevor ich mich zum Treffen aufmache.

Nach dem erfrischenden Duscherlebnis verlasse ich die Dusche und trockne mich ab. Ich ziehe mir eine Unterhose und ein Paar Socken an, danach ziehe ich mir eine schwarze Jeans, ein weißes T-Shirt und einen lila Hoodie an. Jetzt stehe ich vor dem Spiegel und betrachte meine nassen Haare. Hmm, ich weiß nicht, sollte ich sie mir machen oder lieber nicht? Ach, dafür habe ich jetzt keine Zeit, sieht ja auch so ganz gut aus. Ich darf es einfach nicht riskieren zu lange hier zu verweilen, allein das getrocknetene Blut abzubekommen, dauerte in der Dusche viel zu lange. Nein, Haare fallen heute aus, dafür habe ich keine Zeit. Ich putze mir daher noch schnell die Zähne und verlasse wieder das Badezimmer.

,,Okay Noah, du kannst das, geh einfach hin und dann wird das schon, ich muss ihm einfach vertrauen", spreche ich leise vor mich hin.

In Gedanken versunken betrachte ich mich selbstsicher im Spiegel. Dabei springe ich vor Nervosität leicht auf und ab. Bereits jetzt schießt mir das Adrenalin durch die Adern. Ich werde immer aufgeregter, selbst meine Hände fühlen sich wieder etwas feuchter an, sofern das Gefühl nicht von der Dusche kommt.

Aufgeregt verlasse ich nun das Badezimmer und gehe wieder in mein Zimmer. Ich nehme einen Rucksack und packe einige Sachen ein, unter anderem auch einiges an Kleidung, denn ich werde wahrscheinlich erst einmal nicht wieder hierher zurückkehren, meine Eltern würden mich nur abweisen. Ich weiß zwar nicht, wohin ich gehen werde, aber irgendwo werde ich schon unterkommen, selbst wenn es nur der Wald ist, solange ich niemanden verletzen kann, passt das schon. Nachdem ich alles eingepackt habe, setze ich mir den Rucksack auf, verlasse mein Zimmer, gehe zügig die Treppen runter und begebe mich in die Richtung der Haustür. Dort angekommen, lege ich meine Hand auf die Türklinke. Kurz schaue ich noch mal zurück zum Wohnzimmer, welches sich genau auf der anderen Seite des Flures befindet. Mir kommen sofort die Bilder von gestern Abend hoch.

Ich spüre wieder ein Ziehen in der Brust, das sich langsam nach oben arbeitet. Meine Lunge verengt sich und ein Kloß bildet sich in meinem Hals. Ich merke, wie meine Augen feucht werden und ehe ich mich versehe, rollen mir unaufhaltsam ein paar Tränen über die Wange. Der Vorfall von gestern schmerzt sehr in meinem Herzen. Ich liebe meine Mutter und das, was ich ihr angetan habe, ist unverzeihlich. Ich brauche auch keinen Zettel hinterlassen. Sie würden mich nach gestern nicht mal vermissen, aber ich werde meine Eltern vermissen und ich hoffe, dass sie mir irgendwann verzeihen können.

Nach diesem Abschied öffne ich nun die Tür und verlasse das Haus. Na gut, dann mal los Richtung Wald. Es ist einfach unglaublich, wie aufgeregt ich wegen eines Treffens bin, auch wenn es mir einfach nur scheiße geht wegen all dem. Aber habe ich eine Wahl? Als ich jetzt draußen bin, erdrückt mich direkt die Hitze. Es ist verdammt warm draußen, und ich hasse den Sommer jedes Jahr aufs neue. Ich setze mir zum Schutz vor der Sonne wieder die Kapuze auf und neige meinen Kopf beim Laufen etwas nach unten. Ich meine, klar, ich könnte den Hoodie ausziehen, aber ich trage Hoodies einfach zu gerne, egal wie warm es ist. Nachdem ich ein paar Schritte gelaufen bin, schießen mir auch schon die ersten Gedanken durch den Kopf.

Also, wenn ich gleich da bin, was sage ich am besten? Hmm, vielleicht: ,,Hey, ich bin Noah, der von Facebook. Wir hatten geschrieben, wegen diesem Monster in uns." Nein, Stopp, das klingt völlig bescheuert. Das kann ich nicht sagen. Komm schon, Noah, denk nach. Vielleicht sage ich etwas wie: ,,Hey Aiden, ich bin es Noah. Wie geht's dir so?" Nein, verdammt, bin ich dumm. Das kann ich nicht sagen. Natürlich geht es ihm nicht gut, wie soll es ihm auch gehen?

Okay, puh, erstmal tief durchatmen. Das wird schon alles. Ich darf mir einfach keine Gedanken machen und muss mich irgendwie ablenken. Ich greife daraufhin in meine Hosentasche und hole meine Kopfhörer heraus. Ich stecke sie in meine Ohren und spiele etwas Musik auf Spotify ab. Als Erstes kommt auch direkt eines meiner Lieblingslieder ,,Living Life in the Night."

Die Musik strömt durch meine Ohren, die Bässe dröhnen durch meinen Körper. Die Musik ist wie Energie, die durch meine Adern strömt. Ein Gefühl von Stärke, Mut und Selbstvertrauen durchdringt mich. Es ist unglaublich. Ich fühle mich, als wäre ich unaufhaltsam. Die Musik treibt mich an, als könnte ich alles erreichen. Mit diesem Gefühl laufe ich nun durch die Ortschaft. Nach einem langen Weg komme ich am Wald an. Ich laufe noch ein Stückchen hinein und sehe ich ihn auch schon. Ich sehe von weitem den Spielplatz und auch eine Person. Das muss Aiden sein. Ich nehme die Kopfhörer aus meinen Ohren und verstaue sie wieder in meiner Hosentasche.

Stück für Stück nähere ich mich nun dem Spielplatz. Ich sehe Aiden immer mehr. Er sitzt auf der Wippe, mit dem Rücken zu mir gekehrt. Schritt für Schritt bekomme ich das Gefühl, dass die Zeit immer langsamer wird. Meine Hände werden feucht, mein Herz schlägt schneller, das Adrenalin strömt durch meine Adern. Das Zittern meiner Hände nimmt immer mehr zu, die Gedanken rasen wie wild durch meinen Kopf. Jeden Schritt, den ich mich nähere, lässt mein Herz höher schlagen. Als ich nun direkt hinter Aiden stehe, ist es so, als würde die Zeit stehen bleiben. Diese Aufregung, die ich verspüre, ist kaum noch auszuhalten, mein Herz explodiert förmlich. Verdammt, ich muss irgendwas sagen, komm Noah, du schaffst das, sprich ihn an.

,,Hey... ähm... Aiden, richtig?", frage ich stotternd, während ich mir mit meiner rechten Hand über den Hals reibe. Er dreht seinen Kopf nach hinten und steht sofort auf. Ein leises ,,Hey" entweicht seinem Mund. Mit seinen glasigen Augen sieht er mich an. Die Aufregung, die ich eben noch gespürt habe, beginnt zu schwinden, aber ich kann fühlen, wie sie in ihm steigt. Ich muss mehr sagen, nur was?

,,Ähm, ja, also ich bin Noah. Wir haben ja geschrieben und ich bin wirklich froh bei jemanden wie dir hier zu sein. Wenn du wüsstest, wie aufgeregt ich heute Morgen bis zu diesem Moment war."

Ganz nervös grinse ich etwas, als ich zu ihm spreche. Direkt fällt mir aber etwas auf. Aiden trägt schwarze Schuhe, eine graue dreckige Jeans und ein dunkelblaues und leicht zerrissenes T-Shirt. Seine Haare sind schwarz, an den Seiten kurz, lockig und etwas verwuschelt. Dabei fällt mir auf, wie seine Hände zittern. Seine Augen stecken außerdem voller Furcht. Aber dieser Blick, genau diesen habe ich erst gestern bei meinen Eltern gesehen, vor allem bei meiner Mutter. Wie Statuen stehen wir angewurzelt da. Ich mache daraufhin einen Schritt nach vorne und fange an, mich Aiden langsam zu nähern. Als ich nun vor ihm stehe, versinken meine Augen in seine. Er ist wie eingefroren. Langsam hebe ich meine Arme auseinander, nähere mich ihm noch mehr und lege meine Arme um seinen Rücken. Daraufhin ziehe ich ihn kräftig mit einem Schwung an mich ran und halte ihn ganz fest, dabei lehne ich meinen Kopf an seinen. Keine Sekunde später klammert sich Aiden an meinen Rücken fest. Das Gefühl von Wärme und Sicherheit umgibt mich schnell. Meine Augen füllen sich mit Tränen, die mir mehr oder weniger über meine Wangen rollen. Ich weiß nicht, wieso, aber es fühlt sich so an als könnte ich mich zum ersten Mal und das seit gestern, mich endlich fallen lassen und für einen Moment aufatmen.

,,Endlich haben wir es geschafft. Niemand muss mehr alleine sein", flüstere ich Aiden erleichtert ins Ohr. Kurz darauf erwidert er meine Aussage mit einem leichten Nicken. Nach einem Moment beginnt er sich wieder aus dieser schönen Umarmung zu lösen und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Dabei hält er weiterhin meine Arme fest.

,,Danke... Danke wirklich, es bedeutet mir viel, dass du hier bist. Ich weiß nicht, wie lange ich das hier noch ausgehalten hätte. Ich bin nur froh, dass du ein lieber Mensch bist. Ich hatte diese Umarmung so sehr gebraucht."

Was er sagt, rührt mich sehr. Mir geht es schließlich nicht anders. Ich hatte eine riesige Angst davor, wer vor mir stehen könnte, aber mit einem wundervollen, emotionalen Jungen habe ich bei weiten nicht gerechnet.

,,Glaub mir, ich bin auch froh hier zu sein. Denn diese Umarmung eben war auch das Schönste, was mir seit gestern widerfahren ist. Denn weißt du, gestern war echt die Hölle. Es war einfach..."

Ich bekomme wirklich kein Wort mehr heraus, als ich von gestern erzählen will. Ich spüre nur noch wie das Wasser beginnt sich in meinen Augen zu sammeln.

,,Es tut mir wirklich leid, dass ich jetzt hier am Weinen bin, aber... es war... ich... weißt du gestern war bei mir echt der Horror und ich dachte tatsächlich einen Moment darüber nach mir das Leben zu nehmen", spreche ich stotternd zu Aiden. Wieder rollen mir die Tränen über die Wangen, sie sind wie eine Lawine an Emotionen. Doch dann wie ein Segen kommt Aiden näher und wischt mir die Tränen von den Wangen.

,,Glaub mir, mir ging es nicht anders... komm, lass uns in das Häuschen setzen. Wir reden dann über alles, ist das eine Idee?"

Mit einem verständnisvollen Blick sieht er zu mir und lächelt mich an. Währenddessen laufen auch ihm ein paar Tränen über die Wangen. Er zieht mich an meinem Arm mit zu dem Häuschen, welches sich direkt neben der Rutsche und der Netzschaukel befindet.

,,Möchtest du anfangen zu erzählen oder soll ich?", frage ich Aiden als wir uns setzen. Dabei lege ich meinen Arm um ihn und halte ihn fest an mich. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie möchte ihn einfach nur bei mir wissen. Ich kann auch fühlen, dass auch ihm die Nähe guttut. Ich meine, der arme Kerl ist seit vorgestern hier und niemand sollte in so einer Situation alleine sein. Wahrscheinlich hat er es bis jetzt viel schwerer gehabt als ich.

,,Okay Noah, dann würde ich anfangen. Es war wirklich der pure Horror, da könnte auch kein Horrorfilm mithalten. Es kann auch sein das ich gleich Weine, das schmerzt alles noch unglaublich sehr, daher verzeih mir wenn es passiert. Okay, puh, dann mal los. Das alles fing damit an als ich vorgestern..."

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