Kapitel 11 - Die Nacht

Als ich unter der Decke liege, kann ich spüren, wie mein Herz geradezu explodiert. Ich liege neben Aiden und starre in den Nachthimmel, so wie er. Ehrlich gesagt, alles war bis gerade eben so einfach und schnell, dass ich jetzt Angst bekomme. Meine Gedanken wirbeln durcheinander. Möchte ich ihn berühren? Vielleicht fühle ich mich auch einfach nur einsam? Schließlich ist der Kuss eben echt unglaublich gewesen, da muss doch irgendwas sein. Ich verstehe mein Herz einfach nicht. Aber ich muss handeln. Als ich kurz zu Aiden rüber sehe, bemerke ich, dass auch er sich nicht traut. Er starrt auch nur zu den Sternen. Komm, Noah, reiß dich zusammen. Er braucht dich, er muss wissen, was los ist, vor allem nach diesem Kuss eben. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr schnürt es vor Nervosität meine Kehle zu. Was willst du eigentlich, Noah?

Nachdem ich mir diese Frage gestellt habe, denke ich nicht weiter nach. Ein Gedanke beherrscht nur noch meinen Kopf. Ich sehe Aiden vor mir, wie ich mich ihm nähere und ihn küsse. Es fühlt sich an, als hätte mein Herz bereits entschieden. Auch meine Gedanken an ihm lösen ein Kribbeln in meiner Brust aus. Ach egal, ich mache es einfach. Ob ich unsicher bin oder nicht, wenn mein Herz es will, wird es richtig sein.

 Tief atme ich ein und drehe mich langsam in Aiden seine Richtung, dabei lege ich meine mittlerweile zitternde Hand vorsichtig auf seinen Arm, worauf er sich schnell zu mir dreht und ich etwas zurückzucke. Er sieht mich an und ein intensiver Augenkontakt entsteht. Seine Augen sind wunderschön, sie scheinen Tausende von Worten zu sprechen. Genug gewartet. Ich möchte ihn nicht länger traurig sehen.

Ich nicke, um zu zeigen, dass ich bereit bin. Langsam bewegt er sich zu mir und ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Sanft streiche ich über seine Wangen und wische seine letzten Tränen weg. Ein warmes Gefühl erfüllt mich, als ich Aiden berühre und ihn dabei ansehe. Auch er wird dabei rot im Gesicht, seine Augen funkeln förmlich. Er ist irgendwie so perfekt. Langsam lege ich nun meine Arme um ihn und ziehe ihn näher an mich ran. Die Berührung seiner Haut löst ein Feuerwerk in mir aus. Es fühlt sich an, als würden unsere Seelen miteinander verschmelzen. Sein Atem auf meiner Haut lässt mich dahinschmelzen. Wir liegen so nah beieinander, dass sich unsere Lippen fast wieder berühren. Sanft beginnt er, meinen Rücken zu streicheln. Die Verbindung zwischen uns fühlt sich unglaublich an. Ich verstehe nicht, wie sich das, obwohl wir uns gerade einen Tag kennen, so schnell entwickeln konnte. Ich hätte nie gedacht, dass ich es so schön finden würde, mit einem Jungen zusammenzuliegen. Erklärt vielleicht das, warum es mit mir und Elisa nie ganz ernst war, zumindest nicht wie ich es mir erhoffte? Ich werde das jetzt einfach genießen, ich kann nämlich sehen wie wundervoll er das alles findet, er findet es genauso schön wie ich. 

Instinktiv nehme ich meine Hände von ihm und lege sie beide auf seine Wangen. Sie sind weich und warm. Sanft schmiegen sich meine Lippen an seine, er erwidert den Kuss. Ein Gefühl von Zärtlichkeit und Hingabe erfüllt mich. Seine Hände wandern von meinem Rücken zu meinem Nacken. Unsere Herzen schlagen im gleichen Takt, das Adrenalin rast durch meine Adern und das Verlangen wächst. Unsere Zungen beginnen einander zu erkunden. Es ist einfach atemberaubend, er schmeckt auch einfach so gut. Aber nicht nur das, ich fühle mich bei ihm auch einfach sicher und geborgen. Als sich Aiden langsam von meinen Lippen löst, öffnen wir beide unsere Augen und blicken uns stillschweigend an. 
Diesen Moment der Stille genießen wir wirklich sehr, währenddessen streiche immer mal wieder durch seine lockigen Haare, die sich einfach so weich und sanft anfühlen.

Nach einer Weile wird seine Atmung ruhiger, dabei schließt er immer wieder. Er ist wohl eingeschlafen, was mich aber auch nicht wundert. Schließlich hat er seit zwei Nächten nicht richtig bis gar nicht geschlafen. Hoffentlich wird er in meinen Armen wunderschöne Träume haben, er ist so süß und verdient das. Und dieser Kuss eben war wirklich phänomenal, ich hätte nie gedacht, dass sich so etwas so schön anfühlen könnte. Es war, als wäre ich im siebten Himmel. Seine Lippen, sein Atem, seine Wärme, seine sanfte Haut, alles an ihm ist perfekt. Selbst sein Geruch ist atemberaubend und er ist ein verdammt guter Küsser.

Dieses Gefühl, das ich dabei spüre, ist mir dennoch fremd. Ich bin zwar noch etwas verwirrt, aber ich mag diesen Gedanken. Vielleicht wird morgen früh alles klarer. Ich kuschle mich nun näher an Aiden ran, atme tief ein, schließe meine Augen und lasse mich von seinem Atem in den Schlaf wiegen. Ich bin echt kaputt, lustigerweise war meine letzte Nacht ja auch nicht die beste. Außerdem lässt mich Aiden Sachen fühlen, die ich noch nie gespürt habe, damit muss mein Körper wohl auch erstmal klarkommen. Aber es ist wirklich schön, dass ich in seinen Armen einschlafen kann, ich glaube, ein besseres Gefühl kann es gar nicht geben, ich muss wohl trotz dieses Fluches ein echter Glückspilz sein. 

Wie aus dem Nichts spüre ich, wie Sonnenstrahlen mein Gesicht erwärmen und das Gezwitscher von Vögeln meine Ohren durchdringt. Mein Körper fühlt sich schwer und schläfrig an, als ich langsam aufwache. Meine Augenlider öffnen sich und ich sehe langsam den Himmel. Er ist so wunderschön. Entspannt lasse ich meinen Blick nach rechts schweifen, um nach Aiden zu sehen. Vor Schreck fällt dann jedoch mein Herz in die Hose; Aiden ist nicht da, seine Sachen liegen noch hier, sogar seine Kleidung. Vor Schreck richte ich mich auf und sehe mich hektisch um. Irgendwas muss passiert sein, er hätte mir sonst irgendwas hinterlassen. Mein Herz beginnt wie wild zu rasen, als ich ihn nicht sehe. Ich springe rasend schnell auf und ziehe mich an. Ganz laut beginne ich, seinen Namen zu rufen.

Es kommt keine Antwort. Irgendwas stimmt nicht. Verdammt, wo kann er nur sein? Ich spüre auch nicht seinen Herzschlag, verdammt wie funktioniert diese verdammte Fähigkeit. Scheiß auf die Fähigkeit, ich habe keine Wahl, ich muss ihn suchen. Ich hoffe nur, dass ihm nichts zugestoßen ist. Panisch laufe ich durch den Wald. Ich schreie und schreie nach ihm, doch noch immer keine Antwort.

,,Warum verdammt nochmal kann ich Aiden nicht spüren? Gestern konnte ich es doch auch, wie funktioniert diese blöde Fähigkeit", schluchze ich aufgewühlt vor mich hin. Mir laufen mittlerweile die Tränen über die Wangen. Verdammt nochmal, ich will nicht schon wieder jemanden verlieren. Ich würde das nicht ertragen. Ich habe Aiden doch so gern, auch wenn wir uns noch nicht lange kennen.
Ich meine, klar, ich mag ihn und die letzte Nacht, vor allem der Abend, war unglaublich. Ich habe doch keine Ahnung, was meine aktuellen Gefühle überhaupt bedeuten, verdammt Aiden wo bist du nur?

Doch dann reißt mich ein kribbelndes Gefühl in der Nase aus meinen Gedanken. Ich bleibe stehen, wie aus dem Nichts verschwinden jegliche Emotionen in mir. Es ist wie eine Ablenkung, die ein leeres Gefühl in mir hervorruft.

Ich rieche etwas Merkwürdiges, ein scharfer, metallischer Geruch breitet sich in meiner Nase aus, er erinnert mich an Eisen. Aber wieso riecht es hier im Wald nach Eisen? Nach einem Moment bemerke ich, dass es kein Eisen ist. Es riecht viel intensiver und ist mehr als unangenehm. Es ist... verdammt... Blut.

In dem Moment, in dem ich realisiere, dass es Blut ist, bleibt alles um mich herum stehen. Ich gerate in Schockstarre. Während mein Puls durch die Decke schießt und das Adrenalin beginnt durch meinen Körper zu rasen. Ich sprinte los und folge dem Geruch vom Blut. Mein einziger Gedanke ist Aiden. Auch ein Gefühl von Wut steigt in mir auf. Wenn jemand meinem Aiden etwas angetan hat, wird er sich wünschen nie gelebt zu haben.

Ich spüre, dass ich dem Geruch von Blut immer näher komme. Er wird immer intensiver, er sticht in meiner Nase.

Tief versunken in meinen Gedanken, mit dem einzigen Ziel Aiden zu finden, durchdringt meine Ohren immer mehr ein Geräusch. Der Geruch ist so nah, aber ich höre noch etwas anderes. Es klingt merkwürdig, wie... Weinen.

Verdammt, das muss er sein.

Ich laufe wie Flash in die Richtung, aus der die Weingeräusche kommen. Mich treibt nur noch der Gedanke an Aiden zu finden. Ich hoffe so sehr, dass ihm nichts passiert ist. Dann erblicke ich ihn zum Glück. Aber sein Anblick lässt mich kaum Atmen. Aiden sitzt auf den Knien, ihm rollen die Tränen unaufhörlich über die Wangen. Vor ihm sehe ich etwas Schreckliches, einen Hirsch, völlig zerfetzt und entstellt und in Blut getränkt. Auch an den Bäumen klebt überall Blut, selbst an Aiden bemerke ich Blut. Vorsichtig gehe ich zu Aiden hinunter und hocke mich vor ihn hin.

Er schaut mich mit glasigen Augen an, während ihm weiter die Tränen über die Wangen laufen. Sein ganzer Körper ist blutverschmiert, vor allem seine Hände sind voll davon, selbst unter seinen Fingernägeln kleben Hautfetzen und etwas Fell. Ich lege meine Hände um ihn und ziehe ihn an mich ran.

,,Es ist alles gut. Es ist vorbei. Ich bin jetzt hier", flüstere ich beruhigend, während ich seinen Rücken streichle. Wie konnte das nur passieren? Ich dachte, wir sind nur für Menschen eine Gefahr? Und wie konnte er so die Kontrolle verlieren? Vielleicht ist er ja Schlaf gewandelt?

,,Nein, ist es nicht... ich... ich weiß nicht, was passiert ist... ich wachte eben auf... und... und dann kamen die Erinnerungen hoch... ich kann mich an das Gefühl erinnern, es zu tun... Noah, es tut mir alles so leid... bitte verlass mich deswegen nicht... Ich brauche dich... ich verstehe nicht was mit mir passiert...", stottert Aiden schluchzend vor sich hin. Ich sehe ihm an, wie schrecklich er sich fühlen muss, das kann ich vor allem in seinen Augen sehen.

Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter, als er das gerade gesagt hat. Er tut mir so leid. Er kann nichts dafür. Das ist dieses Ding in uns.

,,Aiden, es ist alles gut. Es ist nicht schlimm, dieses Ding in uns ist unberechenbar und außerdem warst du es ja nicht. Du hast das schließlich nicht bewusst getan, deswegen Kopf hoch, das wird alles wieder, ich bin für dich da", flüstere ich Aiden aufmunternd zu und entferne mich etwas aus der Umarmung. Ich schaue nun in seine glasigen Augen und streiche ihm die Tränen von der Wange.

,,Keine Angst, ich bleibe bei dir. Weißt du, seit gestern Abend geht mir ein Gedanke durch den Kopf. Aber als ich gerade aufgewacht bin und du nicht da warst, wurde mir etwas klar, als ich begann, nach dir zu suchen. Ich habe irgendwie Gefühle für dich, ich kenne sie zwar nicht, aber sie fühlen sich richtig an. Ich kann gar nicht glauben, dass ich das jetzt sage. Aiden, auch wenn wir uns gerade mal seit einem Tag kennen bin ich mir sicher, dass ich mich glaube, in diesen Moment irgendwie in dich verliebe. Deswegen möchte ich die verbleibende Zeit, die ich noch habe, unbedingt mit dir verbringen. Du hast mir gezeigt, wie es sich anfühlt, sich wirklich geborgen zu fühlen und auch wenn ich noch etwas verwirrt bin, möchte ich einfach bei dir sein."



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