Schall und Rauch

Cyn starrte in die Flammen und kaute auf dem Mundstück seiner Pfeife. Trotz der Hitze auf seinen Wangen fröstelte er. Er hatte sich in seinen Umhang eingewickelt, denn sein Hemd hatte er gewaschen und zum Trocknen aufgehängt.

Eigentlich hatte er noch ein Kaninchen fangen wollen, um die Trockenrationen für Notfälle zu lassen, aber nach dem Vorfall mit Masson hatte er es nicht gewagt, seinen Bogen anzufassen.

Nach diesem Tag konnte er ohnehin nichts essen.

Nilan saß neben ihm, beide Beine angezogen und den Kopf auf seine Knie gebettet. Während des Weges hatte er nichts gesagt, doch seine stummen Fragen hatten die Stille ausgefüllt. Cyn hatte sie ignoriert, wie er auch jetzt Nilans Blick ausblendete.

Das Feuer knackte und Funken flogen in den finsteren Nachthimmel.

»Du kanntest ihn?« Nilan entschied sich, die Fragen nicht länger nur wortlos zu stellen.

»Flüchtig«, antwortete Cyn knapp.

»Und was ist da heute passiert?«

»Nichts.«

»Ist das schon öfter geschehen?«

Cyn brummte nur als Antwort, doch ein Stich in seiner Brust flößte ihm einen Gedanken ein: Sollte sein Reisebegleiter nicht wissen, worauf dieser sich eingelassen hat?

»Früher«, sagte Cyn. »Mittlerweile eigentlich nicht mehr.« Er ballte seine Hand zur Faust, um sie vom Zittern abzuhalten, und blickte starr in die Flammen. Das grelle Flackern brannte in seinen Augen.

»Ich war nie ein guter Kämpfer«, sagte er. Eigentlich wollte er nicht weitersprechen. Warum sprach er trotzdem weiter? »Doch irgendwann fing es an, dass ich mich nicht mehr an die Schlachten erinnern konnte. Wenn ich wieder zu mir kam, stand ich inmitten von feindlichen Leichen. Mit blutigen Händen und Schmerzen in meinem dominanten Arm.« Er schnaubte. »Vielleicht musste ich mich und alles an Menschlichkeit, was mir geblieben ist, nur vergessen, um zu einem halbwegs passablen Soldaten zu werden.«

Er presste die Lippen zusammen, in der Hoffnung, sich vom Sprechen abhalten zu können.

Das Holz knackte. In der Ferne erklang der Ruf einer Eule.

»Du warst im Krieg?«, fragte Nilan.

Cyn kaute auf seiner Pfeife und erwiderte nichts.

Als Nilan bemerkte, dass er keine Antwort erhielt, fragte er: »Was hattest du vorhin gemeint?«

»Womit?«

»Wenn du ein Held sein willst, dann stirb wie einer.«

Cyn schluckte schwer und fuhr mit den Fingerspitzen über die breite Narbe an seinem Hals. Er hatte nicht bemerkt, dass er die Worte, die ihn seit seinem Tod begleiteten, laut ausgesprochen hatte.

Seine Miene verhärtete sich. »Geht dich nichts an«, knurrte er. »Was soll diese Fragerei überhaupt? Ich habe nicht zugestimmt, von dir durchlöchert zu werden.« Er riss sich vom Feuer los und sah zu Nilan.

»Ich habe dich doch gar nicht durchlöchert«, murmelte der Mond. Er wich Cyns Blick aus und ließ den seinen zum Feuer schweifen.

»Und überhaupt«, fuhr Cyn fort, »sollte ich nicht auch Fragen stellen dürfen?«

»Darfst du«, meinte Nilan. »Ich habe es dir nie untersagt.« Er sah zurück zu Cyn. Das Feuer spiegelte sich in dem Grau seiner Augen wider und glich Flammen, die auf einem silbernen Ozean schwebten.

»Was war das heute früh mit Darkla?«, fragte Cyn. Wenn er den Mond ausfragte, könnte er sich von den Gedanken an Masson ablenken. »Hättest du nicht früher eingreifen können?«

Nilan hob den Kopf, doch nur, um ihn zu schütteln, ehe er ihn wieder auf seine Knie legte.

Kurz wartete Cyn, ob der Mond noch mehr dazu sagen wollte, aber dieser schwieg und daher fragte Cyn: »Warum? Du bist ein Gott und hast doch die Macht, nahezu alles zu vollbringen.«

Nilan neigte den Kopf und einzelne weiße Strähnen rutschten von seiner Schulter. »Ich kann nicht alles vollbringen. Ich erfülle nur Wünsche. Und mir selbst kann ich keine Wünsche erfüllen. Ansonsten hätte ich mich schon lange zurück an den Himmel wünschen können.«

Er setzte sich in den Schneidersitz und lehnte sich zu Cyn. »Und da wir gerade von Wünschen sprechen.«

Cyn hob eine Augenbraue und rückte ein Stück ab.

»Ich habe dir einen Wunsch erfüllt und dann ist es doch nur gerecht, wenn du mir nun auch einen erfüllst.«

Cyns Braue wanderte noch höher. »Wann habe ich mir etwas gewünscht?«

»Heute früh bei Darkla«, sagte Nilan. »Du wolltest, dass ich uns in Sicherheit bringe.«

»Aber das zählt doch nicht. Das war ein Wunsch, der uns beide betraf. Was hätte ich denn sonst machen sollen?«

Nilans Augen ruhten auf Cyn. Die Flammen in ihnen flackerten unruhig. »Du hast das W-Wort ausgesprochen und daraufhin habe ich meine göttliche Macht eingesetzt. Es zählt.«

Die meiste Zeit vergaß Cyn, dass es sich bei seinem Gegenüber um einen Gott handelte, denn er verhielt sich eher wie ein tapsiges Rehkitz, das auf der Suche nach seiner Mutter einem Wolf folgte. Doch dieser Vergleich hinkte, wie Cyn feststellen musste. Nicht er war das Raubtier und wenn jemand auf dieser Reise seinen Untergang finden würde, dann wäre er es, nicht Nilan.

»Aber«, sagte Nilan und seine Mundwinkel hoben sich leicht, »wie ich mich entscheiden kann, welchen Wunsch ich erfülle, bleibt es natürlich auch dir überlassen.«

Cyn murrte leise, ehe er lauter sagte: »Was willst du denn?« Vielleicht war es nichts Schlimmes. Vielleicht würde Nilan ihn nicht zwingen, tiefer in der Vergangenheit zu wühlen und noch mehr schattenhafte Fragmente an die Oberfläche zu bringen.

»Ich wünsche mir«, fing Nilan an und deutete in Cyns Richtung, »dass ich auch mal darf.«

Cyn folgte dem Fingerzeig mit dem Blick und sah zu der Pfeife in seiner Hand. Das ... Was? Er bewegte die Pfeife und Nilans Deutung schloss sich an.

»Nein«, sagte Cyn. Erst da ließ Nilan seine Hand sinken und presste die Lippen zusammen.

»Es ist ungesund«, fuhr Cyn fort. Außerdem wollte er nicht eines Tages aufwachen, die gesamte Götterfamilie an seinem Fußende erblicken und von ihnen ausgeweidet werden, weil er einen der Ihren verdorben hatte.

»Aber ich durfte noch nie«, murmelte Nilan. »Mir wurde zwar vieles gegeben, wenn ich danach verlangt habe, aber nur, wenn es vorher für unschädlich befunden wurde. Dabei kann ich doch gar keinen nachhaltigen Schaden davontragen.« Er rückte an Cyn heran. »Bitte ...?«

In den Kristallen auf seiner Haut flackerte das Licht der Flammen.

Cyn stieß ein Seufzen aus und hielt Nilan die Pfeife entgegen. »Gut, aber ich habe dich vorgewarnt«, sagte er. »Zieh nicht zu stark dran.«

Eifrig nickte Nilan und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Cyn bezweifelte, dass der Mond auch nur ein Wort verstanden hatte, doch trotzdem setzte er die Pfeife an Nilans Lippen. Die Götter würden ihn hassen.

Nilan zog an der Pfeife, seine Augen konzentriert auf den Qualm gerichtet. Sein Atem stockte, stolperte. Er wandte sich ab und hustete. Rauch stob um ihn herum und verhüllte seine verzogene Miene. »Das schmeckt scheußlich.«

Cyn lachte auf und lehnte sich zurück. »Ich habe dich gewarnt.« Er selbst nahm einen Zug aus der Pfeife und stieß den Rauch durch seine Nasenlöcher wieder aus, immer noch mit einem Grinsen auf dem Gesicht, während der Mond weiterhin hustete.

»Warum tut sich irgendwer das an?«, brachte Nilan hervor. »Warum tust du dir das an?«

Cyn zuckte mit den Schultern. »Es entspannt mich.«

»Das entspannt dich?« Nilans Brauen waren in absolutem Unverständnis zusammengeschoben. Doch dann lichtete sich seine Miene. »Darf ich nochmal?«

»Gut geschlafen, Prinzessin?«

Cyn brachte nur ein unverständliches Brummen heraus und öffnete die Augen. Licht blendete ihn und er legte eine Hand über sein Gesicht. Dumpfer pulsierte es in seinen Schläfen. Sein Zopf bohrte sich schmerzhaft in seinen Hinterkopf.

Er war viel zu lang wachgeblieben. Dreimal hatte er seine Pfeife nachgefüllt und mehrfach neue Scheite ins Feuer gelegt. Irgendwann hatte Nilan aufgehört, bei jedem Zug zu husten, und dann hatte Cyn versucht, ihm beizubringen, wie man Rauchringe machte – vergeblich.

Im Laufe der Nacht hatte sich seine Hand auf Nilans Schulter verirrt. Er konnte sich nur nicht erinnern, ob er sie hinuntergenommen hatte, nachdem es ihm aufgefallen war. Der ganze Abend wirkte wie in weiter Ferne, als wäre er nur ein stummer Beobachter von außen gewesen.

Und irgendwann hatte die vorherige Nacht, in der er wach geblieben war, seinen Tribut gefordert und ihm waren die Augen zugefallen.

»Hast du gar nicht geschlafen?«, brummte Cyn.

»Ich bin ein Gott«, hörte er Nilan sagen. »Ich brauche nicht direkt Schlaf.«

»Und das hast du mir bis jetzt nicht gesagt?«

»Du hast nicht gefragt.«

Cyn ließ die Hand vor seinen Augen sinken und sah in Nilans Gesicht, da dieser sich über ihn gebeugt hatte. Seit dem Vortag waren weitere Kristalle hinzugekommen. Sie lagen auf seinen Schläfen, seinen Wangen, vereinzelt auch auf seiner Nase und seiner Stirn. Nur noch die vordere Strähne, die auf Cyns Haut kitzelte, war schwarz. Die restlichen schimmerten silbern.

Cyn deutete auf Nilans Kopf. »Du hast da was.«

Nilan runzelte die Stirn und strich sich durch die Haare, bis er gegen die etwa handlangen, gedrehten Hörner traf, die seinem Haupt entsprossen. »Achso«, meinte er. »Das ist normal.«

»Das ist ... normal?«, hakte Cyn nach und richtete sich auf. Sein Umhang war in der Nacht von seinem Oberkörper gerutscht. Der kühle Morgenwind streifte seine Schultern und ließ ihn leicht frösteln.

»Bald ist Vollmond«, sagte Nilan.

Cyn musste sich mit der Erklärung begnügen. Er erhob sich und nahm sein Hemd von den Stöcken, auf die er es zum Trocknen gehängt hatte. Durch den Morgentau war es wieder klamm.

»Was ist das?«, fragte Nilan. »Auf deinem Rücken.«

»Nichts«, sagte Cyn und streifte sich das Hemd über, um die vernarbten Striemen zu verdecken. Er wandte sich nicht um, obwohl Nilans Blick sich in ihn bohrte. Stattdessen klaubte er seinen Umhang auf und warf ihn sich über die Schultern.

»Ich kann verstehen, wenn du nicht darüber sprechen möchtest«, sagte Nilan. »Aber dann kannst du mir das sagen und musst mich nicht anlügen.«

Cyn ging nicht auf ihn ein und meinte nur: »Wir sollten aufbrechen.«

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