Asche und Nebel III

»Lösch das Feuer!«

Cyn schreckte auf. Er saß kerzengerade im Bett. War das eine Erinnerung? Es klang so deutlich.

Ein zweiter Schrei durchbrach die Stille der Nacht. Hoch und schrill.

Schweißperlen bildeten sich auf Cyns Stirn. Er fröstelte.

»Er hat uns umgebracht! Was macht er hier, obwohl er unser Mörder ist? Er sollte nicht mehr am Leben sein. Er sollte leiden.«

Cyn schlang sich die Decke enger um seinen Körper, doch das Zittern konnte er nicht kontrollieren.

»Er hat nur getan, was er tun musste.«

Diese Stimme ließ ihn aufhorchen. Alle anderen hatte er nicht wiedererkannt, doch diese hatte ihn in einsamen und schlaflosen Nächten verfolgt. Kedras.

»Nur getan, was er tun musste? Er hat gemordet.«

»Es war Krieg«, erwiderte Kedras.

»Cyn?« Nilan klappte das Buch in seinen Händen zu und legte es auf einen der beiden Stapel auf dem Tisch. »Alles gut?«

Er erhob sich, als er keine Antwort erhielt. »Die Grenzen zwischen den Lebenden und Toten verschwimmen in der Nacht.« Er setzte sich auf die Bettkante. Der schwache Schimmer, der von ihm ausging, spendete weniges Licht.

Cyn atmete tief aus, doch sein Herz schlug weiterhin panisch in seiner Brust.

Es ist alles gut. Die Schreie waren draußen. Die Vergangenheit mit ihren tausenden Fratzen klopfte zwar oft an seine Tür, aber bisher war sie nie eingetreten.

Eine kühle Berührung legte sich auf seine Schulter. »Ich kann hierbleiben, wenn du möchtest«, sagte Nilan.

Wollte Cyn das? Alles in ihm widerstrebte sich, jemanden an sich heranzulassen.

Er drehte sich auf die andere Seite und zog sich die Decke bis zum Hals. »Mach doch, was du willst.«

Draußen kreischte eine Seele auf. Der Laut klang kaum menschlich, sondern eher wie ein verletztes Tier.

Cyn zuckte zusammen. Manchmal fragte er sich, weshalb er nicht untergehen konnte, weshalb er es nie zuließ, dass hohe Wellen ihn verschlangen, weshalb er sich nicht in dem Brausen und Tosen wiegte.

Für einen Moment kehrte Stille ein, sogar die Stimmen waren verklungen. Dann hob sich die Matratze an und Nilan stand auf.

Cyn drehte sich nicht um. Er war zu harsch gewesen, doch er konnte das Gesagte nicht rückgängig machen.

Nilans Schritte bewegten sich fort von ihm, verharrten und kehrten dann zurück.

Nun wandte sich Cyn doch um, nur um zu sehen, dass der Mond einen Stapel Bücher neben dem Bett abstellte und sich dann setzte.

»Zieh die Stiefel aus«, brummte Cyn. »Nur Psychopaten behalten Schuhe im Bett an.«

Nilan blinzelte ihn an. »Ich habe bisher immer mit Schuhen geschlafen«, sagte er, streifte sich aber die Stiefel ab, ehe er die Füße auf das Bett zog.

»Jetzt weißt du es besser.«

Ein weiterer Schrei hallte durch die Nacht, diesmal wutentbrannt. Cyn zuckte zusammen. Er wischte seine schwitzigen Hände an seiner Hose ab.

»Wie viele Menschen hast du umgebracht?«, fragte Nilan. Er strich über den Einband eines Buches, konnte sich aber nicht davon überzeugen, sich auf das Werk statt auf Cyn zu konzentrieren, sodass er es letztlich zur Seite legte.

»Dutzende«, murmelte Cyn. »Hunderte. Ich bin nicht, für wen du mich gehalten hast.« Er zog sich die Decke über den Kopf, um Nilans Blick auszuweichen.

Draußen sprach eine Seele. »Wir waren alle im Krieg.« Wieder eine Stimme, die Cyn kannte. Diesmal war es Ajas, der Schlächter Kedras'. »Und doch erlitten wir Konsequenzen für unsere Taten. Wir starben, während er weiterhin leben darf.«

Cyn schloss die Augen. Er hätte nie gedacht, jemals einer Meinung mit Ajas zu sein.

Kühle Hände wanderten unter die Decke. »Ich weiß. Und das ist in Ordnung«, hörte Cyn noch, ehe seine Ohren verdeckt wurden und Stille ihn umgab.

Cyn blinzelte und öffnete langsam seine Augen. Die Sonne erhellte noch nicht den Raum, doch das lag vermutlich daran, dass der Nebel in Lehus Reich die Strahlen aussperrte.

Dumpfer Schmerz pochte in seinem Kopf. Am liebsten hätte er sich wieder umgedreht und weitergeschlafen, doch er ließ von dem Vorhaben ab, als sein Blick auf Nilan fiel. Dieser saß neben ihm an das Kopfende des Bettes gelehnt und hielt ein Buch in den Händen. Seine silbernen Augen wanderten über die Seiten, die er umblätterte, sobald er am Ende angekommen war.

Irgendwann in der Nacht hatte er sein Oberteil ausgezogen und daher blickte Cyn auf einen Körper, der ebenso eine gemeißelte Götterstatue sein könnte. Wie auch nicht? Nilan war einerseits ein Gott und andererseits glich er ebenfalls von seinen Gesichtszügen den Abbildern, die Bildhauer und Künstler erschaffen hatten. Es warf die Frage auf, wie diese Menschen von Nilans Aussehen wussten, da er doch nie zuvor auf der Erde war.

Cyn würde nicht sagen, dass er neidisch auf Nilans Körper war, auch wenn der Neid, der in ihm aufstieg, ihn von etwas Gegensätzlichem überzeugen wollte. Damals war er ähnlich trainiert gewesen. Er hatte es sein müssen. Wie sonst hätte er auf dem Schlachtfeld überleben können?

Doch als der Krieg beendet war, hatte sich sein Leben verändert. Er hatte wenig geschlafen, wenig gegessen, war nur gerannt. Alles hatte zu einem eher mageren Körperbau geführt.

»Du bist wach«, stellte Nilan fest und klappte das Buch zu.

»Warum hast du dich ausgezogen?«, begrüßte Cyn ihn und richtete sich auf. Er wischte sich durch das Gesicht und rieb sich die Augen. Der dumpfe Schmerz in seinem Kopf blieb.

»Mir ist warm geworden«, meinte Nilan und wandte sich ganz zu ihm. »Hast du noch halbwegs gut schlafen können?«

Cyn antwortete nur mit einem leisen Brummen. Er schob sich an dem Mond vorbei und erhob sich. »Wir sollten aufbrechen«, sagte er. Und sei es nur, um nicht noch länger in der Stadt der Sterne zu bleiben. Ein Tag hatte ihm genügt.




Hi, ich melde mich unter Kapiteln nicht oft, aber ich dachte mir, hier melde ich mich mal :D

Ich habe gute Nachrichten. Erstens: Die Novelle hat die 20.000 Wörter erreicht und jetzt muss ich nur noch Panik haben, dass die Story zu lang wird, aber nicht mehr, dass sie zu kurz wird xD

Und zweitens: Ich habe in den letzten Tagen die 2. Version fertiggestellt und jetzt kann ich mich ganz auf die 3. Version konzentrieren. 

Für diejenigen, die es nicht wissen: Ich schreibe jede Geschichte 2-3 Mal. Das erste Mal ist der grobe Rahmen, der in dieser Novelle echt wirklich grob war. Als Beispiel war dieser ganze Abschnitt in Lehus Reich früher genau 6 Wörter lang. Es hieß nämlich: "Hier brauche ich noch irgendwie Plot." Und das war es.

Die 2. Version ist dann dafür da, dass die Geschichte ein bisschen mehr ... Geschichte wird. Und in der 3. Version kümmere ich mich hauptsächlich um den Stil. Und ja, ich weiß, wie verrückt meine Art zu schreiben auf viele wirkt xD

Und ich bin immer wieder überrascht, wie sehr sich die Geschichte innerhalb der Versionen ändert. Cyn und Nilan wurden einander immer verschiedener, bis sogar zu dem Punkt, dass ich mich frage, wie die beiden sich noch nicht die Köpfe eingeschlagen haben.

Das war es dann aber auch von mir. Ich hoffe, die Geschichte gefällt bisher und Danke an alle, die lesen, und ich wünsche noch viel Spaß beim Weiterlesen :D

LG Kaindo

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