2 - On the Road

Mein Kopf dröhnt, als ob Charly seinen Bus direkt in dessen hinterste Windungen geparkt hätte. Kate bereitet mir Kopfschmerzen, das war schon immer so. Wasser und Kaffee helfen. Mein Rücken schmerzt auch. Irgendwann nachts habe ich es wohl dann doch noch ins Bett geschafft. Die Kleider aber, die sind noch an. Eine Dusche hilft. Der schwarze Koffer steht flehend in der Ecke, bereit, abzuhauen. Wäre er ein Hund, er wedelte mit dem Schwanz und hächelte. Ich mag Hunde nicht.

Die Lebensgeister sind zurück, ich sitze auf dem kleinen Balkon und geniesse meinen Kaffee, der nicht aus einem Automaten kommt. Ich ziehe die frische Luft in meine Lungen, so frisch, wie es mitten in New York halt eben möglich ist. Wer braucht schon Zigaretten, wenn man in New York leben kann? Es ist soweit. Peggy-Sue und ich fahren endlich weg. Endlich werde ich mein Land bereisen. Seit ich vor vielen Jahren hierher gezogen bin, war ich nicht mehr weg. Sicher, ich habe davon geträumt. Deshalb bin ich schliesslich aus Europa hierher gefahren. Die Weite, die Ebenen, der Südwesten. Doch dann kam alles anders. Das Stellenangebot in New York. Pam! Hängengeblieben. Kate! Pam, hängengeblieben zum zweiten. Bob. Pam - ich muss weg.

Ich lege den Koffer neben das stehende Reserverad in Peggys Gepäckraum. Er sieht klein aus, in dem riesigen Kofferraum. Die schwere Türe rückt tief schnappend in ihr Schloss. Der kleine Schlüssel dreht sich, Peggy-Sue erwacht. Vorsichtig fahre ich aus der Garage. Meine Wohnung werde ich behalten. Vorerst. Vielleicht komme ich ja zurück, irgendwann. In New York sind die Strassen nie leer, auch am frühen Morgen nicht. Ganz im Gegensatz zum Beifahrersitz. Der ist leer, Kate ist nicht gekommen. Auf den verstopften Strassen denke ich immer an den Song Telegraph Road von den Dire Straits. In knapp fünfzehn Minuten die ganze Geschichte der USA zu erzählen, das verdient schon Respekt. Zudem ist es auch einfach ein toller Song.

Ich lenke Peggy durch die Canyons aus Glas, Stahl und Beton. Links erscheint der Botanische Garten. Bob. Dann fahren wir über die Verrazzano-Narrows-Bridge. Immer in Richtung Süden. Philadelphia, Baltimore, Washington D.C. Der Osten ist stark besiedelt. Mein Plan ist es, via Atlanta das Tor zum Westen zu finden. Florida lasse ich aus. Für Florida bin ich zu jung. Das Altersheim kann noch warten.

Im Moment halten wir uns noch an die Interstates. Im Westen werde ich die kleineren Strassen bevorzugen. Schliesslich habe ich Zeit. Wer weiss, vielleicht finden wir auch ein Stück der alten Route 66, das noch nicht mit der Interstate zubetoniert wurde. Während wir so dahingleiten, beginne ich mich zu fragen, weshalb ich nicht schon viel früher abgehauen bin. Menschen, die mich überholen, lachen, halten ihre Daumen hoch. Peggy-Sue ist ein Hingucker. Ich könnte viel schneller fahren, aber ich will nicht. Ich habe soeben einen neuen Lebensabschnitt angebrochen, da braucht es keine Eile. Das Ziel für heute heisst Fredericksburg, Virginia. Dreihundert Meilen sind die Obergrenze, die ich mir gesetzt habe. Ich möchte mein Land erleben, mit Menschen sprechen, spüren, wie es sich wohl angefühlt haben mag, als die ersten Siedler sich auf den unsicheren Weg nach Westen machten. Die kurze Geschichte meines Landes ist intensiv. Vollgestopft von Ereignissen, kriegerisch, traurig und auch voller Hoffnung.

Es soll eine Reise in die Vergangenheit werden. Eine Suche nach den Wurzeln meiner Generation, meines Volkes. Ich möchte verstehen lernen, warum wir Amerikaner so sind, wie wir eben sind. Genau deshalb ist es wichtig, mit Peggy-Sue zu fahren. Sie symbolisiert den amerikanischen Erfindergeist, die Freiheit, welche unser Land vor allem in den Fünfzigerjahren gelebt hat. Nebst dem regelmässigen Schnurren des grossen Motors dringt die Musik an meine Ohren. Ich habe die Playlist so zusammengestellt, dass die mich trägt, mich auf meiner Fahrt begleitet. Kein Rock'n'Roll im Moment, keine Christine. Wir fahren in Richtung des Delta Blues, da wirkt der weisse Rock etwas falsch. Obwohl, Memphis wird auch auf meiner Route liegen. Elvis gehört zur Geschichte Amerikas. Den kann ich nicht weglassen.

Hunger. Ich verlasse die Interstate und fahre in den kleinen Ort mit dem wohlklingenden Namen "Havre de Grace". Am Strassenrand steht ein Diner, nahe beim Highway 40, am Susquehanna River. Ich parke Peggy-Sue rückwärts vor das Gebäude. Eine Manie von mir. Ich parke immer rückwärts, damit ich schneller weg kann. Es ist ein typisches amerikanisches Diner. Lange Theke aus dunklem Holz, runde Stühle davor, gegenüber die Nischen mit ihren Doppelbänken, alle Polster in glitzerndem Rot gehalten. Aus den Lautsprechern klingt moderne Country-Musik. Touristen hätten ihre Freude daran, und irgendwie bin ich von nun an auch ein Tourist.

Eine freundliche Stimme reisst mich aus meinen Gedanken. "Hallo schöner Mann, was darf ich dir bringen?" So hat mich schon lange niemand mehr begrüsst. Ich drehe meinen Kopf der wohlklingenden Quelle zu und blicke in ein Paar herrlich blauer Augen. Sie strahlen mitten aus einem feinen, freundlichen Gesicht, Grübchen zieren den kirschroten Mund, dunkelblondes Haar ist zu einem kecken Ponytail gebunden. Die Uniform ist nicht sehr modisch, aber durchaus sexy. Über der linken Brust, welche meinen Blick einen Moment lang festhält, steht in geschwungenen Lettern "Sue". Vielleicht habe ich sie doch etwas zu lange gemustert, die freundliche Dame, denn sie zieht ihre linke Augenbraue hoch und blickt mich lächelnd, aber fragend an.

"Gefällt dir, was du siehst?" Sie stellt sich leicht in Pose und dreht frech ihren Kopf.

"Mir gefällt, was ich sehen könnte", kontere ich den Frauenstandartspruch.

Sie lacht. "Gut gekontert, Honey. Und abgesehen davon geht es mir ähnlich."

Hoppla, da gibt aber jemand Gas. Zeit, auf die Bremse zu treten. Ich solchen Dingen gehöre ich nicht zu der schnellen Truppe. "Was kannst du mir denn Empfehlen, Sue?" Einen kurzen Moment weht etwas wie Enttäuschung über ihr hübsches Gesicht. Unsere Burger sind die besten Burger im Osten. Das Steak würde ich nicht empfehlen, normalerweise ist es zäh wie ein Pferdesattel, die Salate sind zwar lecker, aber du siehst mir nicht nach Salat aus."

"Das nenne ich mal eine ehrliche Auskunft", scherze ich und wähle den Burger.

"Fritten dazu, nehme ich an?"

"Soll das eine Frage sein? Logisch mit Fritten, womit denn sonst? Und bitte eine Cola ohne Eis, wenn es geht."

"Für dich immer." Dann huscht sie weg. Ihre Bewegungen sind tänzerisch, sportlich. "Ich sehe das, Honey", ruft sie mir zu, ohne sich umzudrehen. Ihr Pferdeschwanz wippt hin und her.

Ertappt senke ich den Blick und schnappe mir eine Zeitung, obwohl mir nicht nach lesen ist. Es hat wenig Kundschaft. Ein Trucker, dessen chrombeladener Pete vor dem Gebäude parkt und ein Pärchen mit zwei quengelnden Kindern, welche sich um die Mayonnaise streiten.

Sue kommt wieder. Sie stellt mir zwinkernd die Cola hin und deckt für das Essen auf. "Das ist ein heisser Wagen, den du fährst." Sie zeigt auf Peggy.

"Es mag abgedroschen und etwas erfunden klingen, aber der Wagen heisst Peggy-Sue, ehrlich."

Sue klatscht in die Hände. "Wie ich. Das ist süss. Wohin fährst du?" Sie legt ihre Hand auf meine Schulter, Energie breitet sich warm aus.

"Einmal querbeet durchs Land und zurück. Ich fliehe vor meiner Langweile." Ich versuche dabei zu lächeln und scheitere kläglich.

Sue verschränkt ihre Arme vor ihrem hübschen, nicht zu grossen Busen, als ob ihr auf einmal kalt wäre. "Das klingt traurig. Aber es klingt auch nach Abenteuer. Ich wünschte, ich hätte deinen Mut. Den Mut und einen solchen Wagen!"

Sie schafft es, ich lächle doch tatsächlich. "Ja, meine Peggy-Sue macht Freude, ich geniesse es, mit ihr durchs Land zu fahren."

"Jede Wette!" Der Koch drückt auf die Hotelklingel. Sue schwirrt ab und holt meinen Burger. Den stellt sie nur Sekunden später vor mich hin. Der Geruch frischen Brotes, gebratenen Specks und geschmolzenen Käses quirlt in meine Nase, lässt meinen Magen knurren. "Geniess dein Essen, Honey."

"Danke, es riecht herrlich. Ich habe richtigen Hunger."

Der Burger schmeckt in der Tat einzigartig. Würziges Fleisch, genau richtig gebraten, knuspriger Speck und Käse, der nach Käse schmeckt. Ich frage mich immer wieder, wie Restaurantketten solchen Erfolg haben können, wenn man Burger auch viel leckerer zubereiten kann. Dieser hier ist mit den besten Zutaten und viel Liebe komponiert, kein Vergleich zum fettigen, weichen Einheitsbrei der Billigketten. Wir Amerikaner sind nicht bekannt für unsere hochkarätige Küche, aber solch ein Burger könnte dem Abhilfe schaffen. Die Fritten schmecken nicht nach Schaumstoff, es sind Kartoffeln, knusprig wie Sue. Dieser Vergleich erstaunt mich in dem Moment, als ich ihn denke. Der Koch ist ein Künstler.

Satt wie ein Löwe tupfe ich meinen Mund mit der Serviette ab. Kein Krümel liegt mehr auf dem Teller. Sue zieht beide Brauen hoch und nickt anerkennend. "Das scheint ja wirklich geschmeckt zu haben, sieh einer an."

"Deine Empfehlung, Sue. Vielen Dank und die besten Grüsse an den Koch."

"Ich richte es ihm aus, das wird ihn freuen." Sue strahlt. Honigkuchenpferd. Süss.

Draussen röhrt der mächtige Detroit Diesel, der unter der langen Haube des Trucks steckt. Dichter, schwarzer Rauch entweicht den zwei senkrechten Kaminrohren zwischen der Kabine und dem langen Sleeper. Der Trucker beschleunigt seinen Eighteenwheeler und schwenkt auf den Highway 40 ein. Ich blicke ihm nach und denke einen Moment lang darüber nach, was aus mir wohl geworden wäre, wenn ich nicht studiert, sondern stattdessen den Führerschein für schwere Fahrzeuge gemacht hätte. Das wäre ein ganz anderes Leben. Ich wäre nicht hier. Oder vielleicht doch? Ist es Schicksal, wo wir landen oder können wir das beeinflussen?

"Kaffee?" Sue steht mit einer Kanne neben mir.

"Gerne. Ich habe gerade darüber nachgedacht, ob ich das wohl auch könnte."

"Ob du was auch könntest? Kaffee servieren? Meine Mutter war schon Kellnerin. Irgendwo im Westen. Liegt mir wohl im Blut." Sue giesst etwas von der säuerlich-würzigen, dunkelbraunen Flüssigkeit in eine Tasse, während sie munter weiter plappert. Ich höre nur halb hin.

"Nein, nicht doch das. Trucks fahren, so wie der Mann, der soeben gegangen ist", nehme ich den verlorenen Faden wieder auf.

"Bob? Der ist Trucker mit Leib und Seele. Er ist selten in der Gegend, aber wenn, dann hält er hier an. Ein Stammkunde, meinetwegen, denke ich."

Das darf doch nicht wahr sein! Nicht noch ein Bob, der vor meinem Glück steht. Stimmt, zum Abschied hat er Sue auf die Wange geküsst und sie umarmt. Meine Stimmung sinkt.

"Keine Angst, Honey. Robert ist mein Bruder. Brauchst gar nicht so traurig zu gucken." Sie lacht darüber, mich erwischt zu haben und legt wieder ihre elektrisierende Hand auf meine Schulter.

"Biest."

"Das habe ich gehört, Honey." Sie ist zauberhaft.

Draussen wird es dunkel. Ein Gewitter zieht auf. Der an Kraft zulegende Wind wirbelt Staub und achtlos weggeworfenen Abfall durch die Gegend. "Willst du echt bei diesem Wetter weiter fahren?" Sue blickt etwas sorgenvoll nach draussen.

"Ja, das macht mir nichts aus. Ich möchte heute noch nach Virginia kommen."

"Kommst du wieder? Wie heisst du eigentlich?" Sie sieht irgendwie traurig aus.

"Ich bin Peter, Peter Bauer aus New York, hi. Wenn es mein Weg erlaubt, werden wir uns wiedersehen, Sue."

"Wie du meinst, Honey. Komisch. Meine Mutter kannte einen Peter Bauer aus New York. Die Welt ist klein." Dabei zieht sie ihre Augenbrauen zusammen und schüttelt ihren Kopf. Der Pferdeschwanz wedelt.

Ich verlasse wenig später das Diner. Sue Foley hat mir doch tatsächlich ihre Nummer gegeben, auf meinem Gesicht liegt ein Grinsen. Ich kann nicht erklären, weshalb, aber ich habe den festen Eindruck, sie wieder zu treffen. Schon verrückt, was das Leben mit uns anstellt. Da triffst du mitten im Nirgendwo eine Frau, die dich vom ersten Moment an verzaubert. Und trotzdem ziehst du weiter, gehst deinen Weg, lässt sie zurück als eine wundervolle Erinnerung. Havre de Grace, du hast deinem Namen alle Ehre gemacht.

Ich bin wohl doch ein Idiot.


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Hi there! 🙋🏽‍♂️

Ich hoffe, euch gefällt dieses Kapitel.

Hat Peter richtig gehandelt?

Ihr werdet es erfahren. Das Gewitter scheint ihm nichts auszumachen.

Bis zum nächsten Mal. Macht's gut und danke fürs Lesen.

Euer Bruno

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