Kapitel 75 - Atimis
Atimis beruhigte sich sofort, als er Rilsas Lippen auf seinen spürte. Auch wenn er es sich nicht hatte anmerken lassen wollen, schien sie seine Besorgnis bemerkt zu haben.
Laskina sah wirklich schlecht aus. Sie war nervlich am Ende, das hatte er ganz eindeutig gesehen.
„Atimis, sieh mich an", sagte sie und erst da bemerkte er, dass er noch immer Generis und Laskina hinterher sah, obwohl sie schon lange verschwunden waren. Er schloss für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln. Als er sie wieder aufschlug, sah er direkt in Rilsas.
„Entschuldige", sagte er, küsste sie noch einmal und wandte sich anschließend wieder Ikinngut zu. Immerhin hatten sie hier eine durchaus wichtigere Aufgabe zu erledigen, als sich um Laskina zu sorgen.
„Wir sollten aufbrechen", sagte Ikinngut nun mit seiner tiefen, dröhnenden Stimme und sofort nickte Atimis.
„Ich muss noch schnell den Androiden Bescheid geben", sagte Rilsa, machte sich von ihm los und rannte in Richtung des Loches, unter dem die Grabungsmaschine stand.
Keine Minute später war sie wieder zurück und wandte sich an die beiden Schlangen, die Atimis in seiner Aufregung beinahe vergessen hatte.
„Wir sehen uns zum Töten der Überlebenden", sagte Tessina siegessicher und ließ für einen Moment ihre Giftzähne aufblitzen, doch dann wurde ihre Miene weich. Kosiris neben ihr senkte den Kopf und als er ihn wieder hob, erwiderte Atimis diese Geste.
„Passt auf euch auf", sagte er, wandte sich um und verschwand gemeinsam mit Tessina im hohen Gras. Rilsa neben ihm seufzte.
„Na komm. Wenn wir nicht bald aufbrechen, werde ich auch noch sentimental", sagte sie, griff nach seiner Hand und ging zu Ikinnguts Brustflosse.
„Steigt auf", sagte er in einem bestimmten Ton und Rilsa beeilte sich, nach seiner Finne zu greifen und sich hochzuziehen. Atimis tat es ihr gleich und setzte sich dicht hinter sie, sodass sie beide sich an der Finne festhalten konnte.
„Gut, los geht's. Wir sollten in einer Stunde da sein", sagte er, robbte geschickt zurück ins tiefere Wasser des Sees und schwamm mit einer solchen Geschwindigkeit los, dass Atimis befürchtete, er würde hinunterfallen. Auch Rilsa schien es so zu gehen, denn ihre Arme umschlangen die große Finne noch etwas fester.
Augenblicklich spritzte eiskaltes Wasser gegen ihn, sodass er komplett durchnässt war. Obwohl Ikinngut sich an der Oberfläche hielt, sodass er und Rilsa zu keinem Zeitpunkt unter Wasser waren, fühlte es sich an, als würde er jeden Moment ertrinken.
Mit einer Hand hielt er sich an seiner Finne fest, während er mit der anderen Rilsa umklammerte.
„Es ist ein atemberaubendes Gefühl, nicht wahr?", fragte sie, offensichtlich nicht einmal im Ansatz so in Panik wie er selbst. Atimis zwang sich, ruhig zu atmen und tatsächlich schaffte er es, diesen Ritt einigermaßen zu genießen.
Schon bald war um sie herum nichts mehr zu sehen als Ozean, nachdem sie durch einen engen, aber kurzen Flusslauf hinaus ins offene Meer geschwommen waren. Rilsa lachte, löste ihre Hände von Ikinnguts Finne und breitete die Arme zur Seite aus. Wasser spritzte ihnen ins die Gesichter, doch Rilsa schien es zu genießen. Unwillkürlich packte Atimis sie etwas fester, doch ihre Gelassenheit war ansteckend. Dennoch wagte er es nicht, die Finne loszulassen und hoffte, dass sie bald ankamen.
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Auch wenn sie nur eine Stunde unterwegs gewesen waren, schlotterten Atimis nicht nur vor Kälte die Knie.
„Dort von sind sie", sagte Ikinngut und als Atimis den Blick nach vorn richtete, sah er eine riesige Wasserfontäne, die von einem Wal aus seinem Blasloch ausgestoßen wurde. Atimis zuckte zusammen, denn als er begriff, dass es ein Blauwal sein musste, sank ihm das Herz in die Hose.
Nicht, dass er glaubte, die Lebewesen hier seien ihm bösartig gegenüber, aber allein die schiere Größe und auch das Meer an sich schüchterten ihn ein und faszinierten ihn zugleich.
Ikinngut hielt an und augenblicklich erhoben sich rund um sie herum die unterschiedlichsten Meereslebewesen aus dem Wasser. Darunter der Blauwal, den er bereits bemerkt hatte, aber auch Delfine, Pottwale und sogar einige Haie.
Erstaunt ließ Atimis den Blick durch die Menge wandern, die ihn einzukesseln schien.
„Ich bringe euch Atimis und Rilsa, zwei der Anführer der Revolution der Landbewohner", verkündete Ikinngut und drehte sich einmal im Kreis, sodass alles Meereslebewesen sie sehen konnten. Atimis schluckte und verstärkte den Griff um Rilsas Mitte.
„Willkommen", sagte der Blauwal, eindeutig mit einer weiblichen Stimme. Atimis konnte nur ein Auge von ihr sehen, aber er glaubte, dass sie lächelte.
„Was ist auf dem Land geschehen, dass ihr mit einer Welle Landbewohner töten wollt?", fragte sie gerade heraus, wobei Atimis glaubte, ihre Stimme würde ihn vollkommen durchdringen.
„Antwortet ihr", forderte Ikinngut und da Rilsa schwieg, räusperte Atimis sich und versuchte, seine Stimme möglichst fest klingen zu lassen.
„Die Landbewohner sind in vier Kategorien eingeteilt, wovon eine, die Hohen Menschen, die anderen unterdrücken. Sie misshandeln und vergiften sie und lassen sie in Armut leben. Diese Missstände müssen aufhören, aber das gelingt und nur, wenn wir die Hohen Menschen töten. Ihre Waffen sind zu stark, um es auf andere Weise zu riskieren", erklärte er und hoffte, dass die Meereslebewesen sich schnell überzeugen ließen. Immerhin hatten sie keine Zeit zu verlieren, denn sicherlich würden ihnen irgendwann die Elstern auf die Schliche kommen. Vor allem nun, da die meisten Niederen Lebewesen aus ihren Slums geflohen waren.
„Bitte helft uns", setzte er nach und spürte, wie Rilsa ihre Hand auf seine Legte.
„Wir sind sehr verzweifelt und solltet ihr euch dagegen entscheiden, sind wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tot. Die Hohen Menschen werden uns ermorden", fügte Rilsa hinzu und augenblicklich ging ein Raunen durch die Menge.
„Sagt, was haben wir für einen Vorteil?", fragte nun ein Delfin von etwas weiter links. Sofort drehte Ikinngut sich ein wenig, sodass Atimis und Rilsa ihn ansehen konnten.
„Habt ihr nicht bemerkt, dass die Küstenbewohner unter den Menschen mit ihren Booten immer weiter hinaus aufs Meer fahren? Sie sind gierig und wollen das Fleisch der Meereslebewesen, um es zu essen", sprang Ikinngut ein und auch wenn Atimis davon schon einmal gehört hatte, ließ es ihn zusammenzucken. Die Grausamkeit der Hohen Menschen war nicht zu überbieten.
„Die Geschichte wiederholt sich, siehst du das denn nicht, Minea?", setzte er nach und wandte sich nun wieder direkt an den Blauwal. Minea schwieg einen Moment, dann aber nickte sie. Die Welle, die sie dabei erzeugte, umspülte Atimis und Rilsas Körper bis zur Hüfte.
„Gut. Auch wenn sich die Menschen der Vorzeit selbst vernichtet haben, könnten wir dem ein früheres Ende bereiten. Auch viele von den unseren sind damals grausam ums Leben gekommen", sagte Minea. Einen Moment lang sah sie in die Runde der hier versammelten Lebewesen.
„Gehe ich davon aus, dass wir alle bereit sind, die Welle auszulösen?", fragte sie und bekam als Antwort zustimmendes Gemurmel. Anschließend wandte sie sich wieder Atimis und Rilsa zu.
„Wir werden euch helfen. Wann soll die Welle ausgelöst werden?", fragte er und dieses Mal war es Rilsa, die ihm zuvorkam.
„So schnell wie möglich. An Land sind alle Niederen Lebewesen in Sicherheit und noch scheint uns die Regierung nicht auf der Spur zu sein", sagte sie und Minea nickte wieder.
„Gut. Dann sollten wir sogleich loslegen. Bis die Welle auf das Land trifft, können einige Minuten vergehen, aber wenn wir genug Kraft aufwenden, sollte es schnell gehen", sagte Minea, und sah nun direkt Atimis an.
„Wir stehen zutiefst in eurer Schuld", sagte er, woraufhin sie wieder nickte.
„Verschwindet von hier", sagte sie noch, dann tauchte sie ab. Sofort setzte Ikinngut sich in Bewegung und schwamm mit ihnen weiter hinaus auf das offene Meer. Atimis warf einen Blick über die Schulter und sah, wie nach und nach die Meereslebewesen abtauchten.
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