Kapitel 74 - Laskina
Laskina wusste nicht, wie lange sie sich von Generis durch die Landschaft hatte tragen lassen, aber als er sie schließlich in einem Gebiet, in dem sie noch nie gewesen war, niederließ, sackten ihre Beine unter ihr ein. Unsanft fiel sie in das hohe Gras, was Generis erschrocken zusammenzucken ließ.
„Laskina, bitte steh auf. Du musst nur noch ein kleines Stück gehen", sagte er, zog sie am Arm hoch und half ihr so beim Aufstehen. Sie sah sich um und erkannte, dass wenige Meter vor ihr die Hügelkette aufragte, die sie bisher nur aus der Ferne gesehen hatte.
Erst als sie näher hinsah, erkannte sie in einiger Höhe eine Art Plateau, auf dem sich mehrere Lebewesen, Menschen und Tiere, zusammenkauerten.
„Bitte lass mich nicht allein", sagte sie und sah hilfesuchend zu Generis, der sofort den Kopf schüttelte.
„Das werde ich nicht. Aber du musst dich aufraffen, bitte", sagte er eindringlich, woraufhin sie ein schwaches Nicken zustande brachte. Generis setzte sich in Bewegung in Richtung des Fuß des Berges, der wie aus dem Nichts in die Höhe schoss. Er wirkte, als sei er gemeinsam mit seinen Kumpanen hier auf der flachen Graslandschaft abgesetzt worden und als gehörte er eigentlich gar nicht hierher.
Sie folgte Generis und erst als sie genau davor stand, erkannte sie die behelfsmäßig wirkende Seilbahn. Es gab einen Sitz, der an einem langen Seil befestigt war, an dem man sich hochziehen konnte.
Laskina wusste, dass sie auf keinen Fall genug Kraft hatte, um sich bis hinauf zum Plateau zu ziehen. Panisch sah sie zu Generis, der sie abwartend ansah. Laskina betrachtete die Konstruktion etwas genauer.
Sie bestand aus einem dicken Stamm, an dem das Seil befestigt war. Der Sitz, der aus etwa armdicken Ästen zusammengebunden war, hing an einer Winde oder einer Art Rolle, sodass er leichter über das Seil glitt.
Missmutig sah sie nach oben zu dem Plateau. Sie würden sich mindestens fünfzig Meter das Seil entlang ziehen müssen und das auch noch steil bergauf, wenn sie zu den anderen gelangen wollten.
„Generis, das werde ich niemals schaffen", sagte sie, doch er schüttelte den Kopf.
„Das musst du nicht allein schaffen. Wir ziehen uns zusammen hoch", sagte er und klopfte mit der Hand auf die Sitzfläche. Laskina schluckte, denn auch wenn sie am liebsten hier unten geblieben war, wusste sie, dass die hier womöglich der Flutwelle zum Opfer fiel.
Sie seufzte, folgte dann aber Generis stummer Anweisung und ließ sich auf dem Sitz nieder. Ihre Hände umklammerten die Armlehnen und auch wenn sie noch keinen Meter in der Luft war, zitterte sie schon jetzt.
Generis schwang sich mit einer eleganten Bewegung zu ihr auf den Sitz, schob seine Füße neben ihre Beine, sodass er auf der Sitzfläche stand und legte seine Hände an das Seil. Laskina schlang die Arme um seine Beine, damit sie nicht herunterfiel, als sich der Sitz mit einer ruckartigen Bewegung das Seil entlang schob.
Generis zog sie mit einer beeindruckenden Leichtigkeit das Seil entlang, während der Abstand zum Boden immer größer und größer wurde. Laskina schloss die Augen, denn ihr Herz hämmerte wie wild gegen ihre Brust und allein bei dem Gedanken, dass sie mehrere Meter über dem Boden hing, wurde ihr schlecht.
„Gleich haben wir es geschafft", sagte Generis, doch Laskina wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Der Wind pfiff ihr um die Ohren und zerzauste ihr Haar. Plötzlich hielten sie an und sie spürte, wie jemand nach ihrer Hand griff, die sich noch immer an Generis Bein festkrallte.
„Du hast es geschafft, mach die Augen auf, Liebes", sagte eine weiche, weibliche Stimme und erst da begriff sie, dass sie das Plateau erreicht hatten.
Zaghaft öffnete sie die Augen und sah in das Gesicht einer alten, gebrechlich wirkenden Menschenfrau, die ihr die Hand hinhielt. Zitternd ergriff Laskina sie und ließ sich aus dem Sitz fallen. Die Frau zog sie schnell weg vom Rand des Plateaus und kurz darauf sprang Generis leichtfüßig herunter.
Er hielt den Sitz fest und sofort wurde ihm ein Seil gereicht, das anscheinend den Sitz hier oben festhielt. Generis band es daran fest und gesellte sich zu ihr. Erst da erkannte sie, dass das andere Ende des Seils um den Bauch eines riesigen Bären gebunden war, der somit den Sitz am Herunterrutschen hinderte.
Generis wandte sich zu dem Bären um und unterhielt sich leise mit ihm, doch Laskina verstand nicht, was sie sagten. Stattdessen wurde sie von der Alten in einer Kreis von Menschenfrauen geführt, sodass sie etwas vom Wind geschützt wurde.
Niemand sprach, bis auf einmal die Alte nach ihrem Handgelenk griff und ihren Armring betrachtete. Unwillkürlich musste auch Laskina den Blick darauf wenden und bereute es sofort.
Natürlich war er noch immer weiß, aber komischerweise erschreckte es sie. Sie entwand der Frau ihr Handgelenk und presste sich den Armring an ihre Brust. Neue Tränen liefen ihr über die Wangen und suchend sah sie sich nach Generis um. Als hätte er gespürt, dass sie ihn suchte, kam er zu ihr, schob die umherstehenden Frauen unsanft beiseite und nahm sie in den Arm.
„Alles wird wieder gut", versprach er, auch wenn sie nicht den blassesten Schimmer hatte, wie er das anstellen wollte. Immerhin war Ethonis tot und er würde nie mehr zu ihr zurückkehren.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top