Kapitel 66 - Laskina

Am nächsten Morgen wurde Laskina von einem sanften Kuss auf die Wange und einem angenehmen Duft geweckt. Noch ein wenig verschlafen blinzelte sie und bemerkte, dass Ethonis neben ihr im Bett saß und ein Tablett auf seinem Schoß stehen hatte. Erst als sie genauer hinsah, erkannte sie darauf saftige Früchte und herrlich duftendes Brot. 

„Guten Morgen, Liebste. Möchtest du etwas essen?", fragte er und sofort nickte sie. Ihr Magen knurrte und eilig setzte sie sich auf und staunte über die vielen, in wunderbaren Farben leuchtenden Früchte. 

„Das sieht herrlich aus", schwärmte sie, rückte näher an Ethonis heran und griff nach einer Erdbeere. Sie war so rot und groß, dass ihr das Wasser im Munde zusammenlief. 

„Erdbeeren hatten wir im Slum fast nie", erinnerte sie sich und roch an der reifen Frucht. 

„Du kannst so viele essen, wie du möchtest. Wir haben eine ganze Schüssel voll", sagte Ethonis und deutete auf eine Schale voll mit Erdbeeren. Er selbst nahm sich ebenfalls eine und biss hinein. 

„Sie schmeckt wirklich gut", schmatzte er, was Laskina lachen ließ. Gierig biss sie hinein und schmeckte die vertraute und doch so fremde Süße auf der Zunge.

 Auf einmal spürte sie einen brennenden Schmerz durch ihren Körper fahren und es fühlte sich an, als hätte jemand ihre Kehle zugeschnürt. Sie keuchte und schnappte nach Luft, aber der Schmerz wurde nur noch heftiger. Sie krümmte sich zusammen und wollte schreien, aber kein Ton drang aus ihrer Kehle. 

„Laskina!", hörte sie Ethonis entsetzte Stimme und spürte anschließend seine Arme um sie. Er sprach weiter auf sie ein, aber sie verstand keines der Worte, die aus seinem Mund kamen. Sie packte sich an die Kehle, denn sie bekam nun gar keine Luft mehr und langsam schwand Ethonis panisches Gesicht über ihr und wich einer allumfassenden Schwärze. 

Sie wusste nicht, was genau geschehen war, aber vermutlich waren die Erdbeeren vergiftet. Allerdings hatte auch Ethonis eine gegessen, wieso reagierte er nicht darauf? Laskina konnte keine diese Fragen mehr beantworten, bevor sie das Bewusstsein verlor.

Ein Lichtstrahl drang zu ihr, nur um dann wieder zu verschwinden. Sie fühlte sich wie in Watte gepackt, so als schwebte sie auf einer Wolke. Wieder erschien ein heller Strahl und allmählich begriff sie, dass sie blinzelte. Flatternd schlug sie die Augen auf und erkannte Ethonis Gesicht über ihr. Was war geschehen? 

„Laskina, hörst du mich?", fragte er und langsam nickte sie. Ihr Körper fühlte sich noch ganz wund an, so als hätte sie zu lange in der Sonne gesessen. Ethonis stieß einen erleichterten Seufzer aus und schlang die Arme um sie. Erst da bemerkte sie, dass sie in seinem Schoß lag und er sie sanft hin und her wiegte. 

„Was...", krächzte sie, musste sich aber räuspern. 

„Ich hatte solche Angst um dich", hörte sie Ethonis sagen und nur langsam kehrten die Erinnerungen wieder zurück. Sie hatte die Erdbeere gegessen und dann war da dieser allumfassende Schmerz und das Gefühl, zu ersticken. Sie musste vergiftet gewesen sein. 

„Hier, trink einen Schluck Wasser", sagte Ethonis, griff hinter sie und hielt ihr ein Glas hin. Mit zitternden Fingern nahm sie es und trank einen winzigen Schluck. 

„Kannst du dich aufrichten?", fragte Ethonis, löste den Griff um sie und legte stattdessen eine Hand stützend an ihren Rücken. Laskina rutschte ein wenig ungeschickt von seinem Schoß und setzte sich auf die Bettkante. Noch immer zitterte sie, aber mit jeder Sekunde fühlte sie sich besser. 

Langsam stand sie auf, woraufhin Ethonis sofort nach ihrer Hand griff und aufsprang. Zwar war sie noch etwas wacklig auf den Beinen, aber es ging ihr wieder gut. 

„Was genau ist geschehen?", fragte sie, was Ethonis einen erstickten Laut ausstoßen ließ. 

„Ich weiß es nicht genau, aber es scheint, als sei die Erdbeere, die du gegessen hast, vergiftet gewesen", sagte er und deutete mit dem Finger auf das Tablett mit Essen, das auf den Boden gefallen war. Die Früchte hatten sich über den Boden verteilt und Laskina verspürte den Drang, sie alle zu zertreten. 

„Aber... auch du hast eine Erdbeere gegessen", bemerkte sie und Ethonis nickte. 

„Ja, natürlich. Auf mich hatte sie keinen Effekt. Glücklicherweise habe ich etwas Medizin mitgenommen, sonst...", erwiderte er, brach jedoch ab und wandte den Blick ab. Laskina schluckte schwer, denn ihr war klar, dass sie sonst mit Sicherheit tot wäre. Seit sie Ethonis kannte, war sie dem Tod schon oft nahe gekommen. Es schüttelte sie, doch dann schlang sie die Arme um Ethonis, der sichtlich mit den Tränen kämpfte. 

„Du hast mich gerettet", murmelte sie an seiner Brust und schmiegte sich enger an ihn, bis er die Umarmung erwiderte. 

„Ich hatte solche Angst um dich", sagte er und schniefte. Eine ganze Weile standen sie eng umschlungen da, bis Ethonis sich von ihr löste. 

„Möchtest du lieber hier bleiben und dich ausruhen?", fragte Ethonis, aber sofort schüttelte sie den Kopf. 

„Nein, ich... ich will bei dir sein", sagte sie, denn allein würden ihre Gedanken nicht mehr aufhören zu kreisen.

„In Ordnung, aber ich muss gleich los zu der Betriebsstätte, wo ich den Händler treffe", sagte er und Laskina nickte. 

„Und davor muss ich noch mit dem Wirt sprechen, der uns diese Früchte gebracht hat", sagte er und klang auf einmal zornig. 

„Es ist doch alles gut gegangen. Ich muss mich nur umziehen, dann...", sagte Laskina, doch Ethonis unterbrach sie mit einem verächtlichen Schnauben. 

„Nein, es ist ganz und gar nicht in Ordnung. Du hättest sterben können", sagte er ernst und sie sah, wie er die Hände zu Fäusten ballte. Laskina zuckte zusammen und senkte den Blick. 

„Geh dich fertig machen, ich bin gleich wieder da", sagte er, auf einmal wütend. Laskina biss sich auf die Lippe, denn sie wollte nicht, dass er Streit anfing. Dennoch gehorchte sie und eilte in das angrenzende Bad. 

Kaum dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, hörte sie die Tür ihres Zimmers ins Schloss krachen. Wieder zuckte sie heftig zusammen und wünschte sich auf einmal zurück nach Hause. 

Die Welt war grausam und sie wollte sich am liebsten verstecken. 

Seufzend riss sie sich zurück ins Hier und Jetzt, drehte den Wasserhahn an dem großen Waschbecken auf und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht. Sofort fühlte sie sich besser, beinahe so, als wäre ihr nicht vor wenigen Minuten ein Gift eingeflößt worden, dass die hätte töten können. 

Sie wusch sich und zog wieder ihre rote Samtbluse an, dann beschloss sie, zu Ethonis nach unten zu gehen. 

Gerade als sie das Zimmer verließ, öffnete sich die Tür des Nebenzimmers und das Mädchen, das ihre Kutsche lenkte, kam heraus. Sie wirkte eingeschüchtert und starrte durchgehend auf den Boden. Laskina lächelte sie an, aber sie reagierte nicht darauf, sondern ging wortlos vor ihr her nach unten. 

Schulterzuckend folgte Laskina ihr, bis sie in den Eingangsbereich kamen. Ethonis wanderte vor dem Tresen aufgeregt hin und her, während er auf den Mann einredete. 

„Es ist üblich, dass die Erdbeeren nur von Hohen Menschen verzehrt werden können. Deine Verbundene, sie hat klare Augen und da du ein Hoher Mensch bist...", verteidigte sich der Mann, der ihnen gestern ihr Zimmer gezeigt hatte sich, aber Ethonis ballte die Faust und drohte ihm. 

„Wegen dir ist meine Verbundene beinahe gestorben", schrie er, eindeutig außer sich vor Wut. Laskina eilte zu ihm und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. Es brachte nun auch nichts mehr, sich darüber zu echauffieren. Ihr war glücklicherweise nichts geschehen und das war es, was zählte. 

„Ethonis, bitte. Es geht mir gut", sagte sie und endlich schien Ethonis sie zu bemerken. Er ließ die erhobene Faust sinken und wandte sich ihr zu, das Gesicht noch immer vor Wut verzerrt. 

„Bitte, es ist alles in Ordnung", redete sie weiter auf ihn ein und endlich glätteten sich seine Gesichtszüge wieder. 

„Ja, du hast recht. Verschwinden wir von hier und kommen nie mehr zurück", sagte er, umfasste ihre Hand und zog sie in Richtung des Ausgangs. Die Arbeiterin folgte ihnen wie ein Schatten, als Ethonis sie ansah. 

Laskinas Herz pochte wie wild, denn so viel Aufregung machte sie ganz wahnsinnig. Gerade war Emevra verschwunden, da tauchte schon die nächste Katastrophe auf. Ethonis zog sie eilig hinter sich her und öffnete ihr die Kutschtür und eilig kletterte sie hinein. 

„Wir müssen die Straße entlang, bis wir die Siedlung wieder verlassen. Von dort müssen wir knapp einen Kilometer in Richtung Osten, bis wir die Betriebsstätte erreichen", blaffte er das Mädchen an, dann folgte er ihr in das Innere der Kutsche. 

„Entschuldige, ich bin etwas aufgebracht", sagte er zu Laskina, die sofort wieder nach seiner Hand griff. 

„Es ist verständlich, aber es ist alles gut. Du wirst gleich einen guten Handel abschließen und heute Abend sind wir wieder zu Hause", sagte sie, was Ethonis nicken ließ. 

„Ja", sagte er nur, legte den Arm um sie und zog sie eng an sich.

*********************

Recht schnell hatten sie die Siedlung hinter sich gelassen und sie fuhren nun durch eine karge Graslandschaft. Allerdings war das Gras hier anders als bei ihnen zu Hause nicht hüfthoch und saftig, sondern verdorrt und gelb. Es sah unwirtlich und traurig aus, sodass Laskina den Blick auf Ethonis richtete. 

Er lächelte und eilig erwiderte sie es, doch auf einmal ertönte ein Wiehern und mit einem heftigen Ruckeln kam die Kutsche zum Stehen. 

„Was ist nun schon wieder los?", stöhnte Ethonis, machte sich von ihr los und stürmte zur Kutschtür. Als er sie aufriss, sauste ein Pfeil knapp an ihm vorbei ins Innere der Kutsche. Laskina schrie und warf sich instinktiv auf den Boden, doch bevor Ethonis es ihr gleichtat, sauste noch ein zweiter Pfeil heran und traf ihn mitten in der Brust. 

Laskina keuchte, als Ethonis vornüber kippte und leblos aus dem Kutschwagen fiel. Tränen sammelten sich in ihren Augen, dann machte sich Panik in ihr breit. War Ethonis tot? Nein, das durfte nicht passiert sein! 

Hektisch robbte sie über den Boden in Richtung der noch immer offenstehenden Tür, als sie auf einmal Stimmen vernahm. Oder nein, es war ein Lachen. Laskina fing an, vor Wut zu zittern. Wie konnten die Angreifer auch noch lachen, immerhin war Ethonis verletzt! 

Schritte näherten sich und panisch überlegte sie, was sie nun tun sollte. Würde sie einfach hier liegen bleiben, würden die Angreifer ihr womöglich auch einen Pfeil in den Leib jagen. Bevor sie wirklich darüber nachdachte, kroch sie unter die Sitzbank, auf der sie soeben noch gesessen hatte. Sie kauerte sich an die Wand und flehte, dass sie hier niemand entdecken würde, auch wenn ihr Atem verräterisch schnell und keuchend ging. 

„Sehen wir mal, was es hier Schönes gibt", hörte sie eine eindeutig männliche Stimme und keine Sekunde später betraten zwei Männer den Kutschwagen. Laskina erkannte nur ihre abgewetzten Stiefel, also waren es Menschen. 

„Ha, wusste ich doch, dass es hier etwas gibt. Sieh dir das an", lachte einer der beiden und sie wandten sich zu den Früchten, die auf der gegenüberliegenden Sitzbank standen. Sie schnappten sich alle Kisten und sprangen offensichtlich sehr vergnügt aus dem Wagen. 

„Warte, vielleicht trägt er noch etwas an sich", hörte Laskina einen der beiden Männer sagen und es war klar, dass sie Ethonis durchsuchten. Ihr Herz wurde schwer, denn wenn sie die Medizin fanden, wäre alles aus. Eine Weile hörte sie ein leises Rascheln, dann einen triumphierenden Ausruf. 

„Haha, Medizin! Die ist auf dem Schwarzmarkt ein kleines Vermögen wert!", sagte der Mann, dann entfernten sich ihre Schritte. Einen Moment lang blieb Laskina vollkommen regungslos liegen, nur ihr Herz pochte wie verrückt. Sie musste zu Ethonis, aber sie durfte nicht riskieren, dass die Männer sie sahen. 

Unendlich lang zogen sich die Sekunden, bis sie es nicht mehr aushielt. Sie musste nachsehen, ob Ethonis noch lebte. Sie kroch aus ihrem Versteck und stolperte aus dem Kutschwagen. Hektisch sah sie sich um, aber von den beiden Männern war nichts mehr zu sehen. 

Ihr Blick fiel auf Ethonis, der direkt vor ihr auf dem Boden lag. Er lag auf dem Rücken, ein Pfeil steckte tief in seiner Brust. Laskina stürzte zu ihm und legte ihm die Hände ums Gesicht. 

„Ethonis, bitte", rief sie aus, panisch und mit zitternder Stimme. Seine Augenlider flatterten, aber er ließ die Augen geschlossen. Erleichtert atmete sie aus, offensichtlich war es noch am Leben. Ihr Blick wanderte zu den beiden Pferden und dem Mädchen, doch alle drei lagen regungslos da, ebenfalls mit Pfeilen in ihren Körpern. 

Laskina stolperte zu dem Mädchen, doch als sie ihre vor Schreck geweiteten, reglosen Augen sah, wurde ihr klar, dass für sie jede Hilfe zu spät war, genau so wie für die Pferde. Sie rührten sich nicht mehr und als sie die Hand auf das glatte Fell legte, spürte sie keinen Herzschlag mehr. Sie waren fort, für immer. 

Laskina schluchzte. Das durfte nicht passiert sein! Sie musste Ethonis retten, aber wie? Auf Knien kroch sie wieder zurück zu ihm und legte die Hand auf seinen Brustkorb, neben dem Pfeil. Er atmete, wenn auch schwach und im Rhythmus seines Herzschlages sickerte Blut aus seiner Wunde. 

„Ethonis, was soll ich tun?", fragte sie weinerlich und tastete seine Taschen ab. Vielleicht hatte er noch ein zweites Fläschchen Medizin eingesteckt, das die beiden Angreifer nicht gefunden hatten, aber recht schnell begriff sie, dass er nichts an sich trug. Ethonis stieß einen unbestimmten Laut aus und sofort beugte sie sich näher an ihn heran. 

„Bleib... bei... mir", keuchte er so leise und undeutlich, dass sie es kaum verstand, doch sofort nickte sie. 

„Natürlich, ich lasse dich nicht allein", sagte sie, griff nach seiner Hand und umklammerte sie fest. Ihr Blick wanderte umher, aber hier gab es nichts außer verdorrtem Gras. Plötzlich wurde ihr klar, wie sie ihm helfen konnte. Sie musste zurück in die Siedlung. 

„Ethonis, ich hole Hilfe. Ich verspreche dir, ich komme wieder zurück", sagte sie, küsste ihn auf die Stirn und machte sich von ihm los. 

„Nein", schrie er auf einmal so laut, dass sie zusammenzuckte und innehielt.

„Nein?", fragte sie verwirrt. Wollte er denn nicht gerettet werden? 

„Zu... spät... ich... sterbe", brachte er sichtlich mühsam hervor. Laskina durchfuhr ein Schock. 

„Nein, du wirst nicht sterben. Ich bin schnell wieder zurück, ich verspreche es dir", sagte sie, doch er schüttelte nun den Kopf. 

„Komm... zu... mir", keuchte er und auch wenn Laskina klar war, dass sie dringend Hilfe holen sollte, gehorchte sie und ließ sich neben ihm nieder. Als sie ihre Hand auf seine legte, umklammerte er sie unerwartet fest. Auf einmal fing sie an zu weinen, denn sie ertrug es nicht, Ethonis leiden zu sehen. Sie musste irgendetwas tun, sie konnte doch nicht hier sitzen und ihm beim Sterben zusehen. 

„Ethonis, ich...", stammelte sie und versuchte, ihre Hand aus seiner Umklammerung zu lösen, aber es gelang ihr nicht. Auf einmal holte Ethonis tief Luft, anschließend entwich sein Atem keuchend und rasselnd. Dann war es still.

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