Kapitel 65 - Laskina
Laskina fühlte sich merkwürdig aufgekratzt und unendlich müde zugleich. Sie saß neben Ethonis in der Kutsche und schon eine ganze Weile rumpelten sie über die unebene Straße. Er hielt ihre Hand, sah aber gedankenverloren aus dem Fenster. Ihnen gegenüber auf der Sitzbank standen eine ganze Reihe an Kisten, gefüllt mit herrlich duftenden Früchten, die er an die Händler verkaufen wollte.
Laskina wagte es nicht, ihn anzusprechen, auch wenn sie sich nach seiner beruhigenden Stimme sehnte. In der letzten Zeit passierte so viel, beinahe mehr schreckliche Dinge, als sie im Menschenslum erlebte hatte.
Auf einmal traf sie eine Welle der Sehnsucht nach Atimis, nach ihrem gemeinsamen Leben, das zwar von Armut geprägt war, aber immerhin hatte niemand versucht, sie zu ertränken. Sie schüttelte sich, als sie an Emevra und die Gräueltaten zurückdachte, die sie begangen hatte.
Endlich richtete Ethonis seinen Blick auf sie.
„Fühlst du dich nicht gut?", fragte er besorgt und wie aus Reflex schüttelte sie den Kopf.
„Komm her", forderte er und breitete den Arm aus, sodass sie sich an ihn schmiegen konnte. Sofort tat sie es und spürte seinen festen Griff um ihre Taille.
„Es wird alles besser, das verspreche ich dir", sagte er und küsste sie sanft aufs Haar. Laskinas Gedanken wanderten jedoch wieder zu Atimis. Was machte er wohl gerade in diesem Moment? War er in Sicherheit oder war er womöglich von den Elstern gefangen genommen und gefoltert worden? Ein Keuchen entfuhr ihr und wieder sah Ethonis sie eindringlich an.
„An was denkst du?", wollte er wissen, doch sie schüttelte wieder den Kopf. Sie würde ihm nicht erzählen, dass sie noch immer an Atimis dachte.
„Sprich", forderte er ungewohnt harsch und augenblicklich fühlte sie sich noch schlechter.
„Ich...", setzte sie an, machte dann aber eine wegwerfende Handbewegung. Atimis war nicht mehr ihr Verbundener, es ging sie nichts mehr an, was er tat und was nicht.
„Ich war nur in Gedanken, das ist alles", wand sie sich und wusste, dass Ethonis ihr das nicht abnahm. Er sah sie noch einen Moment lang eindringlich an, setzte dann aber ein Lächeln auf.
„Ruh dich noch ein wenig aus. Schon in etwas weniger als zwei Stunden werden wir an unserer Übernachtungstätte ankommen", sagte er, zog sie enger an sich und seufzte genüsslich. Laskina zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln, auch wenn sie sich noch nicht so ganz auf dieses kleine Abenteuer einlassen konnte.
Noch nie hatte sie woanders übernachtet, als in ihrem eigenen Bett und sie war ein wenig nervös, ob sie würde schlafen können.
„Morgen früh treffen wir uns mit dem neuen Handelspartner. Er ist ein großer Nahrungsmittellieferant und er möchte mir meine Früchte abkaufen", erklärte er, auch wenn sie das bereits wusste.
„Warum müssen wir den ganzen Tag bei ihm bleiben?", fragte sie, denn wenn sie nur einen Handelsvertrag abschließen wollten, würde das niemals einen ganzen Tag dauern. Ethonis holte tief Luft, als würde es ihm ein wenig unangenehm sein.
„Nun, dieser Handelspartner hat eine große Betriebsstätte, in der er die Früchte für die Regierung verarbeitet. Ich bekomme dafür sehr viel Geld und ich hoffe, dass er mir die Betriebsstätte zeigt und er meine Früchte als sein Standardprodukt wählt", sagte er und auch wenn Laskina den Sinn seiner Worte begriff, verwirrten sie sie.
Ihr war klar, dass er mit der Hohen Regierung diejenigen Hohen Menschen meinte, die das Sagen hatten. Das Königspaar, wenn man es so nennen wollte. Sie aßen keine Früchte, wie sie in der Natur vorkamen, sondern ließen sie durch unterschiedliche Prozesse aufbereiten und ihren Geschmack verändern. All das kam ihr wie ein Hohn vor, denn sie selbst hatte früher im Slum gerade genug zu Essen bekommen und war dankbar für jede Frucht.
„Aber zunächst haben wir noch die gemeinsame Nacht. Sieh nur, wie wunderschön der Sonnenuntergang ist", sagte er schließlich und stupste sie am Arm an, bevor er nach draußen zeigte. Laskina folgte seinem Fingerzeig und als sie die untergehende Sonne sah, stockte ihr der Atem.
Wie ein heiß glühender Feuerball schaute sie so gerade noch am Horizont hervor und sie konnte beinahe die Hitze, die von ihr ausging, auf der Haut spüren.
„Es sieht atemberaubend aus", brachte sie hervor und drängte sich näher an Ethonis, um besser aus dem kleinen Fenster der Kutsche sehen zu können.
„Beinahe so, als würde die Welt gleich anfangen zu brennen", fuhr sie fort, was Ethonis leise lachen ließ.
„Ja, das wird sie. Vor Leidenschaft, die ich für dich habe", sagte er ernst und auch wenn er so ausdrückte, wie sehr er sie liebte, jagten ihr seine Worte einen Schauer über den Rücken.
Womöglich würde die Welt tatsächlich bald brennen, nämlich wenn Atimis und seine Freunde erfolgreich waren und die Regierung stürzten. Eilig vertrieb sie den Gedanken an Atimis, immerhin war sie hier mit Ethonis, der sie liebte. Und sie liebte ihn. Er konnte ihr ein gutes Leben bieten, nun wo der ganze Ärger mit Emevra vorbei war. Laskina kam sich ein wenig kalt vor, immerhin war Emevra gestorben, aber sie würde lügen, wenn sie sagte, sie wäre nicht erleichtert.
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Eine ganze Weile waren sie noch mit der Kutsche gefahren, bis sie schließlich eine Siedlung der Hohen Menschen erreichten. Hier gab es keine Zäune, vermutlich weil sie so weit abseits der Slums waren, dass die Hohen Menschen sich hier sicher fühlten. Nicht, dass die Niederen Menschen jemals gewalttätig gegenüber den Hohen Menschen waren, zumindest so lange sie keine Elstern waren.
Wieder sah Laskina gebannt aus dem Fenster, als sie die gepflasterte Straße entlangfuhren, die in die Siedlung hineinführte. Links und rechts säumten sich zweistöckige Häuser aus Stein, umgeben von schönen Gärten. Auch wenn diese Häuser nicht so groß waren wie das von Ethonis, sahen sie im Vergleich zu ihrer und Atimis Hütte im Slum beeindruckend aus.
Die Kutsche hielt relativ nah am Eingang der Siedlung vor einem imposanten, weißen Haus mit schwarzem Spitzdach. Über der Tür war ein Schild angebracht, das es als Übernachtungsstätte auswies.
„Hier sind wir", sagte Ethonis, erhob sich und kletterte an ihr vorbei, sodass er die Kutschtür öffnen konnte. Leichtfüßig sprang er hinaus, drehte sich zu ihr um und lächelte.
„Komm, es wird Zeit für ein gemütliches Bett", sagte er und hielt ihr die Hand hin. Laskina folgte seine Anweisung, nahm seine Hand und ließ sich von ihm aus der Kutsche helfen.
Auch die Arbeiterin, die die Kutsche gelenkt hatte, wurde von ihm mit einer Handbewegung aufgefordert, dass sie mitkommen sollte und eilig folgte sie ihnen.
Ethonis führte sie zur Eingangstür der Übernachtungsstätte und klopfte drei Mal fest gegen die massive Holztür. Beinahe augenblicklich, als hätte jemand direkt dahinter gestanden und nur auf sie gewartet, wurde die Tür geöffnet.
Ein Hoher Mensch mit strahlend blauen Augen und in einem edel aussehenden, smaragdfarbenen Gewand sah ihnen freudestrahlend entgegen.
„Du musst Ethonis sein", begrüßte er ihn und senkte ehrfürchtig den Kopf.
„So ist es", erwiderte Ethonis und senkte ebenfalls den Kopf.
„Dies ist meine Verbundene, Laskina und unsere Kutschenlenkerin", erklärte Ethonis, woraufhin der Mann ihnen allen zunickte, bevor er einen Schritt zur Seite trat und sie hineinließ.
Sie betraten einen unerwartet großen Raum, in dem bequem aussehende Sofas und ein großer Tresen standen. Der Mann eilte hinter den Tresen und holte etwas hervor, das anscheinend unter dem Tresen in einem Schrank gewesen war. Erst erkannte Laskina es nicht, aber als er wieder zurück kam, bemerkte sie, dass es ein Schlüssel war.
„Wenn ich euch zu euren Zimmern begleiten darf", sagte der Mann und ging nach links, wo sich eine Treppe befand. Laskina bemerkte, dass er relativ klein war und merkwürdig kleine Schritte machte, als hätte er eine Verletzung an seinem Bein.
„Es wird dir gefallen, ich habe uns das beste Zimmer reserviert", versprach Ethonis, legte den Arm um sie und zog sie eng an sich. Die Arbeiterin lief ihnen hinterher, hatte aber bisher noch keinen Ton gesagt.
Laskina spürte, wie sie selbst ihr Verhalten nicht in Ordnung fand. Noch vor wenigen Wochen hätte auch sie diese Arbeiterin sein können und nun beachtete sie sie kaum. Sie kannte noch nicht einmal ihren Namen. Unwillkürlich warf sie einen Blick über die Schulter, aber das Mädchen hielt den Blick starr auf den Boden gerichtet.
Der Mann führte sie in das obere Stockwerk einen langen Flur entlang, von dem jede Menge Holztüren abgingen, die nummeriert waren. Ihre Schritte wurden von einem dicken, grauen Teppich gedämpft und es fühlte sich an, als liefe sie auf einer Wolke.
„Bitte sehr, das ist das Zimmer für deine Arbeiterin", sagte der Mann, schloss ein Zimmer auf und hielt die Tür auf.
„Bitte, geh hinein und schlaf dich aus. Ich werde dich morgen früh wecken", sagte Ethonis und ohne ein Wort huschte sie an ihnen vorbei in das Zimmer. Laskina versuchte, einen Blick hineinzuwerfen, aber bevor es ihr gelang, wurde die Tür wieder geschlossen.
Anschließend führte der Mann sie zur Tür nebenan und schloss sie auf. Laskina stockte der Atem, als sie das Zimmer sah. Es war riesig, mindestens so groß wie das Wohnzimmer in Ethonis Haus und in der Mitte stand ein gigantisches Bett.
Der Mann überreichte Ethonis den Schlüssel, dann verabschiedete er sich mit einer Verbeugung. Laskina klammerte sich an Ethonis Arm fest, denn dieses Zimmer war atemberaubend. Ethonis führte sie weiter hinein und schloss die Tür hinter ihnen, den Schlüssel steckte er ins Schloss.
„Gefällt es dir?", fragte er und sofort nickte Laskina.
„Es ist wunderbar", stieß sie aus und trat an das große Fenster, das einen Blick hinaus in die Landschaft preisgab. In der Ferne erkannte sie den Wald, hinter dem Ethonis Haus liegen musste.
Sie spürte, wie Ethonis hinter sie trat und die Arme um sie legte, seine Wange schmiegte er an ihre.
„Wir sollten uns ausruhen. Morgen wird ein aufregender Tag", sagte er leise, zog sie anschließend aber bestimmt in Richtung des Bettes. Laskina ließ sich darauf nieder und sank sofort in die weichen Kissen. Ethonis setzte sich mit einem genüsslichen Seufzen auf die Bettkante und auch wenn Laskina nur seinen Rücken sah, erkannte sie an der Bewegung seiner Arme, dass er sein Hemd aufknöpfte.
Als er es schließlich abgestreift hatte, erhob er sich wieder und entledigte sich auch seiner Hose. Laskina schluckte schwer, denn auf einmal musste sie an Atimis denken. Sein Körper war so ganz anders als der von Ethonis, viel dünner, sehniger und muskulöser.
Ethonis ging zu einem großen Wandschrank neben der Tür und öffnete ihn. Laskina konnte nicht sehen, was darin war, aber als er zwei schneeweiße Nachthemden herauszog, legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie sahen herrlich weich aus und rochen sicherlich nach Blumen.
„Hier, das kannst du zum Schlafen anziehen", sagte Ethonis, legte eines neben ihr auf das Bett und zog sich seines über. Laskina setzte sich auf und zog ihre rote Samtbluse aus, gefolgt von ihrer Hose.
Im Slum hatten sie immer in ihrer Alltagskleidung geschlafen, nur für den Fall, dass sie mitten in der Nacht schnell raus mussten. Aber nun bestand diese Gefahr sicherlich nicht mehr und sie zog sich das weiche, weiße Nachthemd über. Es fühlte sich anders an, als die Bluse, aber ebenso angenehm.
Sie ließ sich wieder in die Kissen sinken, schob die Beine unter die aufgeschlagene Decke und schloss die Augen. Ethonis lachte leise in sich hinein, dann spürte sie, wie er die Decke höher über ihren Körper zog.
„Schlaf schön, Liebste", sagte er leise und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn.
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