Kapitel 63 - Rilsa

Mit zitternden Fingern startete Rilsa die Grabungsmaschine, sodass sich das Hologramm mit der Landkarte öffnete. Das bläulich schimmernde Licht warf einen seichten Schatten auf Atimis Gesicht, der dicht neben ihr stand. Kosiris kam zu ihnen in den kleinen Metallkäfig und sah sich neugierig um. 

„Was wäre eine sinnvolle Route?", fragte sie ihn, woraufhin er sich näher an das Hologramm heran beugte und es eindringlich musterte. 

„Die Meereslebewesen werden von dieser Seite kommen", sagte er und deutete mit dem Kopf an den rechten Rand der projizierten Karte, wo sich das Meer befand. 

„Stimmt. Wir befinden uns aktuell hier", sagte sie und deutete auf ihren Standort, der mit einem kleinen, roten Punkt markiert war. 

„Wir sollten in parallelen Linien zwischen dem Hauptregierungsgebäude und dem Meer graben. Das ist am sinnvollsten", schloss Kosiris und sofort nickte Atimis. Rilsas Blick wanderte automatisch zu ihm und als sie seinen Eifer in seinen Augen erkannte, lächelte sie. 

„Ja, das ist sinnvoll. Wir sollten bis knapp vor das Meer graben, damit die Meereslebewesen nicht so weit graben müssen", fügte er hinzu, was Kosiris nicken ließ. Auf einmal kam Rilsa eine Idee. 

„Ich kenne mich nicht wirklich gut mit Statik aus, aber sollten wir nicht ein gitterförmiges Muster graben? So würde die Flutwelle sicherlich noch mehr Schaden anrichten", sagte sie und spürte, wie sie nervös wurde. 

Sie standen wirklich am Anfang eines Plans, der tatsächlich funktionieren konnte. Es kam ihr noch merkwürdig vor, beinahe so wie ein Traum, aus dem sie jeden Moment aufschrecken konnte, aber sie hatten wirklich eine Chance. Gedankenverloren nickte Kosiris, doch Atimis legte ihr eine Hand auf die Schulter und lächelte sie an. 

„Das ist eine gute Idee. Aber zunächst sollten wir die parallelen Tunnel graben", sagte er und drückte sanft ihre Schulter. Rilsas Herzschlag beschleunigte sich und eilig schüttelte sie seine Hand ab. Sie fühlte sich zwar wohl in Atimis Nähe, aber es war nun nicht mehr zu leugnen, dass sie ihn ein wenig zu sehr mochte, als es angemessen wäre. 

„In Ordnung. Programmieren wir die Route und brechen auf", sagte sie kühl, schob Atimis beiseite und wandte sich nun Kosiris zu, der eifrig nickte. 

„Gut. Vergesst nicht, in drei Tagen am See zu sein", erinnerte er sie, anschließend programmierte Rilsa mit seiner Hilfe die Route, die sie voraussichtlich in drei Tagen am See auskommen ließ.

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Tessina schlängelte sich um Rilsas Schultern und zischte leise, wie um sie zu beruhigen. Sie war nervös und unwillkürlich wurde ihr Griff um das Schwert fester, das sie sich in ihren Gürtel geschoben hatte. 

„Viel Glück. Passt auf euch auf", sagte Tessina leise, bevor sie von ihren Schultern glitt. 

„Das werden wir. Bis in drei Tagen", erwiderte sie, dann verließ die Schlange sie und sie war mit Atimis allein. Sie befanden sich bereits in dem Metallkäfig der Grabungsmaschine, die unter ihren Füßen leise vibrierte. 

„Also los", sagte Atimis, klammerte sich mit einer Hand an den Gitterstäben fest und sah sie an, als befürchtete er, dass etwas Schlimmes geschah. Rilsa nickte, mehr um sich selbst Mut zu sprechen, als ihm zuzustimmen und aktivierte die Maschine. 

Mit einem Ruckeln setzte sie sich in Bewegung und sie hörte das leise Klirren ihres Schwertes, das gegen die Gitterstäbe schlug. Die Grabungsmaschine tat ihre Arbeit und nachdem sie noch einen Moment lang auf die Wanne gesehen hatte, in der sich die Erde sammelte, wandte sie den Blick zu Atimis. Dieser wirkte auf einmal blass und etwas wacklig auf den Knien. 

„Ist alles in Ordnung?", fragte sie besorgt, woraufhin er schnell nickte. 

„Ja, es ist nur... die Dunkelheit macht mir ein wenig zu schaffen", gab er zu und sank unerwartet schnell zu Boden. Eilig ließ Rilsa sich ebenfalls neben ihn und griff nach seiner Hand. 

„Hast du Angst?", fragte sie, woraufhin er zitternd ausatmete. 

„Nein, das ist es nicht. Es ist eher dieses beklemmende Gefühl. Ich fühle mich, als würde ich ersticken", erklärte er und Rilsa wusste genau, was er meinte. 

„Dieses Gefühl kenne ich. Es ist schrecklich", sagte sie und erinnerte sich nur zu gut daran, wie sie stundenlang wach gelegen und sich an die Oberfläche gewünscht hatte. Rilsa spürte, wie er ihre Hand fester umklammerte. 

„Wie hast du es geschafft, damit fertig zu werden?", fragte er, was sie einen Moment überlegen ließ. Sie lebte nun schon mehrere Jahre in den Tunneln und noch immer verspürte sie das gleiche Gefühl wie er, wenn auch in einer etwas abgeschwächteren Form. 

„Man gewöhnt sich mit der Zeit daran. Es gibt keine Strategie, zumindest kenne ich keine", erwiderte sie, was ihn seufzen ließ. 

„Nun ja, immerhin bin ich nicht allein", sagte er und auch wenn die Schaltfläche und das Hologramm nur wenig Licht spendeten, sah sie seine Augen funkeln. In Rilsa breitete sich ein angenehmes Kribbeln aus und auf einmal wurde sie sich darüber bewusst, dass sie schon wieder seine Hand hielt. Eilig ließ sie sie los, was Atimis Lächeln schlagartig verschwinden ließ. 

Kopfschüttelnd über sich selbst wandte sie den Blick ab. Was stellten ihre Gefühle nur mit ihr an? Es war absolut nicht der richtige Zeitpunkt, sich in jemanden zu verlieben. Noch dazu in jemanden, der einer anderen Kategorie angehörte und einige Jahre jünger war als sie selbst. 

„He", sagte Atimis sanft, streckte seine Hand aus und strich ihr zärtlich über die Wange. Seine Berührung ließ sie zusammenzucken, denn auf einmal spürte sie das unbändige Verlangen, sich in seine Arme zu werfen und ihn zu küssen. Sie wollte, dass er ihr sagte, dass alles gut wurde und sie schon bald ein gemeinsames Leben in Frieden haben würde. 

Ein Keuchen entfuhr ihr, denn in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie nicht nur anfing, Gefühle für Atimis zu entwickeln, sondern dass sie ihn liebte. Sie konnte sich nicht erklären, wie das geschehen konnte, noch in ihrer aktuellen Situation. 

„Rilsa, du bist so abweisend. Ich dachte...", setzte er an, unterbrach sich aber mit einem beinahe entsetztem Keuchen und nahm seine Hand von ihrer Wange. 

„Du dachtest was?", fragte sie und hörte selbst, dass ihre Stimme sich wie ein Krächzen anhörte. Verlegen kratzte er sich am Kopf. 

„Ich meine, wir haben uns so gut verstanden, als wir zu den Androiden gegangen sind und... ich bewundere dich und deinen Mut", platzte es aus ihm heraus, was ihre Wangen heiß werden ließ. 

„Du bist eindeutig mutiger als ich", gab sie zurück, was ihn lachen ließ. 

„Aber nicht doch. Ich stolpere nur ein wenig unbeholfen durchs Leben, getrieben von meinem Sinn nach Gerechtigkeit, der mich schon allzu oft in Gefahr gebracht hat", sagte er und leise kicherte sie. Einen Moment lang schwieg er, als würde er über etwas nachdenken. 

„Darf ich dich etwas persönliches fragen?", wollte er schließlich wissen und sofort nickte sie. Allerdings wurde ihr ein wenig unbehaglich zumute, als er den Blick auf die Hände richtete.

„Du bist die erste Androidin, die ich kenne und ich hoffe, du kannst mir meine Neugier verzeihen", sagte er schließlich, was ihr einen kleinen Dämpfer verpasste. 

„Das hängt von deiner Frage ab", erwiderte sie, auf einmal nervös. Auch wenn sie ein künstlich erschaffenes Lebewesen aus Technik und nicht aus Fleisch und Blut war, fühlte sie sich nicht so. Bei der Vorstellung, dass sie eigentlich eine weiterentwickelte Maschine war, musste sie lachen. 

„Als wir bei den Androiden waren und du verletzt wurdest, hast du nicht geblutet. Ich meine... ich weiß, dass du kein Blut im Körper hast, aber... ich bin verwirrt, weil du auf mich so menschlich wirkst. Du hast Gefühle und deine Haut fühlt sich so weich an", platzte es aus ihm heraus und sie spürte, wie nervös und gleichzeitig neugierig er war. 

Einen Moment lang dachte Rilsa nach. Er beschrieb genau das, was sie selbst nicht begriff. Sicherlich hatte auch sie schon eine ganze Weile darüber nachgedacht, wie sie zu Gefühlen und Emotionen fähig war und ihr war immer wieder nur eine logische Erklärung eingefallen. 

„Ich glaube nicht an die menschliche Seele. Ich bin zwar keine Wissenschaftlerin, aber ich stelle es mir ganz logisch vor", setzte sie an und suchte seinen Blick, bevor sie weitersprach. Als sie ihm genau in die Augen sah, kam sie sich albern vor und wollte ihre Theorie sogleich verwerfen, denn in seinem Blick lag so viel Tiefe, dass da doch irgendetwas wie eine Seele sein musste. Eilig riss sie sich zusammen und fixierte ihre Gedanken wieder auf das Wesentliche. 

„Ich denke, dass es chemische Reaktionen sind. Bei Menschen und Tieren finden sie ihm organischen Gehirn statt, bei mir eben in meinem mechanischen Gehirn", sagte sie, was Atimis verwirrt die Augenbrauen zusammenziehen ließ, als würde er ihr nicht glauben. 

„Du meinst, auch in dir gibt es Hormone, Rezeptoren und was weiß ich?", fragte er und sofort nickte sie. 

„Ja, ich denke dass denjenigen, die die Androiden geschaffen haben, es gelungen ist, quasi ein Nervensystem und Hormone und was sonst noch alles Gefühle und Wahrnehmungen steuert, in uns einzubauen", sagte sie und sie erkannte, wie Atimis darüber nachdachte. 

„Das klingt ziemlich logisch. Aber... ich sehe dich nicht als eine Maschine. Das kommt mir falsch vor", lachte er und streckte wieder seine Hand nach ihr aus. Sanft verschränkte er seine Finger mit ihren. Rilsa spürte, wie ihr Herz, ihr mechanisches Herz, schneller schlug. 

„Nun, aber eine genaue Erklärung habe ich nicht. Ich weiß nicht, warum wir den Menschen ähnlich sind", schloss sie. Atimis räusperte sich, rutschte dann über den Boden um sie herum, sodass er direkt vor ihr saß und sah sie an. 

„Du wirkst vollkommen menschlich. Abgesehen davon, dass du manchmal vergisst zu blinzeln und du nicht blutest", sagte er und sie spürte, wie sein Blick auf die Stelle über ihrem Herzen wanderte, an der sie verletzt worden war. Sofort blinzelte Rilsa, was Atimis lachen ließ. 

„Letztendlich ist es auch egal, welcher Kategorie wir angehören, oder nicht?", fragte sie. Atimis nickte und augenblicklich wurde sein Griff um ihre Hand fester. 

„Natürlich spielt es keine Rolle. Du bist ein wunderbares Lebewesen. Und so wunderschön", sagte er, wobei seine Stimme bei den letzten Worten versagte. Rilsas Kehle wurde eng. Empfand er etwas für sie genauso, wie sie für ihn? 

„Atimis, ich...", setzte sie an, unterbrach sich aber. Sie konnte es nicht aussprechen, es war einfach zu absurd. Selbst wenn er sie auch liebte, würde ihre Liebe keine Chance haben. 

Immerhin waren sie in diesem Moment auf einem Himmelfahrtskommando direkt in Richtung Tod und Verderben. 

„Sprich es ruhig aus. Du kannst mir mir über alles reden", sagte er einfühlsam, doch ihre Kehle schnürte sich zu und es kam kein Laut aus ihr heraus. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Unwillkürlich schlich sie die Vorstellung in ihr Hirn, dass es gut möglich war, dass einer von ihnen bei ihrem Plan umkam. Oder sogar sie beide. Sie schwieg. 

„Also gut, dann sage ich es", setzte Atimis an, auf einmal mit kräftiger, selbstsicherer Stimme. Sofort wurde Rilsa nervös, denn egal was er gleich sagte, es würde ihre bisherige Beziehung zueinander vollkommen verändern. 

„Ich habe starke Gefühle für dich. Ich bewundere dich, deinen Mut, deine Stärke und deine Entschlossenheit. Du bist das wunderbarste Lebewesen, das mir je begegnet ist und ich wünsche mir, dass du in der neuen Welt an meiner Seite bist", sagte er, offensichtlich vollkommen davon überzeugt, dass diese Rebellion oder was auch immer das hier war, erfolgreich sein würde. 

Ihr sank das Herz in die Hose und gleichzeitig spürte sie den unbändigen Drang, ihn an sich zu ziehen und ihm zu versprechen, dass sein Wunsch in Erfüllung gehen würde. Atimis fing sichtlich an zu zittern und seine freie Hand legte er an ihre Wange. 

„Bitte, sag etwas", hauchte er, sein Gesicht dem ihren auf einmal ganz nah. Noch einmal horchte sie in sich hinein, dann nickte sie. 

„Hoffen wir, dass wir beide überleben", sagte sie, was Atimis in beinahe ausgelassenes Gelächter ausbrechen ließ. Er ließ seine Stirn gegen ihre sinken und sah ihr so direkt in die Augen, dass ihr ganz schwindlig wurde. 

„Also wirst du an meiner Seite sein?", fragte er und ohne darüber nachzudenken, nickte sie. Atimis keuchte auf, offensichtlich vor Erleichterung, dann legte er seine Lippen auf ihre. 

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