Kapitel 60 - Atimis
Atimis staunte, als er das Funkeln sah. Sie hatten nach einigen Minuten das Ende des Tunnels erreicht und wieder eine Metalltür passiert, die sehr viel massiver aussah, als die übrigen Türen.
Dieses Mal war es Rilsa, die nach seiner Hand griff, denn sie befanden sich in einer riesigen Waffenkammer. Schwerter, Granaten, Armbrüste und jede Menge andere Dinge, die er noch nie zuvor gesehen hatte, stapelten sich ordentlich in großen Regalen.
„Wenn ihr schon nicht mit unserer Streitmacht rechnen könnt, dann wenigstens mit unseren Waffen. Sie sind stark und mit denen der Hohen Menschen vergleichbar", sagte Kelsa und machte eine ausladende Handbewegung.
„Das ist wirklich beeindruckend. Warum habt ihr so viele Waffen?", fragte Rilsa, doch Kelsa lachte nur trocken.
„Ihr seid nicht die einzigen, die versuchen, unsere Siedlung zu betreten. Immer wieder versuchen es die Regierungsmitarbeiter, aber wir wissen uns zu verteidigen", erklärte sie, als wäre es nicht außergewöhnlich, einen Keller voll mit Waffen zu haben.
„Nehmt euch, was ihr benötigt", sagte Kelsa und trat einen Schritt beiseite. Atimis zögerte und auch Rilsa blieb stehen und sah stattdessen Kelsa an.
„Ich danke dir. Aber... wir benötigen auch Werkzeuge. Wir müssen Tunnel ausheben und zwar ziemlich viele", sagte sie beinahe kleinlaut, als wäre ihre Forderung unverschämt. Kelsas Augen verengten sich zu Schlitzen, als würde sie nachdenken. Atimis verstärkte den Druck um Rilsas Hand, denn selbst wenn sie nur die Waffen bekamen, wären sie ihrem Ziel schon ein Stück näher.
„Ihr müsst zuerst schwören, dass ihr mich nicht verratet. Die Waffen sind eine Sache, sie gehören den Mitarbeitern des Labors, aber die Grabungsmaschinen... nun ja, sie sind Eigentum der elitären Gruppe", sagte Kelsa, die auf einmal verunsichert wirkte. Rilsa seufzte.
„Wir wollen dich nicht in Schwierigkeiten...", setzte sie an, doch Atimis unterbrach sie.
„Grabungsmaschinen? Was genau ist das?", fragte er und trat einen Schritt näher an Kelsa heran.
In ihrer Situation war Bescheidenheit und Rücksicht auf andere nicht mehr angemessen. Sie mussten jede Chance ergreifen, die sich ihnen bot.
Kelsa wandte sich nun ihm zu, wobei ihr stechender Blick ihn zu durchbohren schien. Das ausbleibende Blinzeln irritierte ihn und spürte, wie er nervös wurde.
„Das sind Maschinen, die Tunnel ausheben können. Sie sind beinahe lautlos, wenn man sie auf die langsame Stufe einstellt", erklärte sie, was Atimis nach Luft schnappen ließ.
„Ihr habt Maschinen, die graben?", fragte er nach, obwohl er sie durchaus verstanden hatte. Kelsa lachte leise.
„Aber ja. Sie arbeiten von allein, wenn man sie einmal eingeschaltet hat", sagte sie und klang beinahe ein wenig belustigt.
„So etwas brauchen wir", rief er aus, spürte aber gleichzeitig Rilsas warnenden Blick auf sich. Kurz warf er einen Blick zu ihr über die Schulter.
„Was bekomme ich als Gegenleistung?", fragte Kelsa, auf einmal kühl und berechnend. Atimis schluckte schwer, denn sie konnten ihr nichts anbieten.
„Wir... wir haben nichts, was wir dir anbieten könnten", gab Rilsa kleinlaut zu, was Kelsa schnauben ließ.
„Oh doch, das habt ihr, zumindest wenn die Gerüchte stimmen, die ich gehört habe", erwiderte sie, was Atimis verwirrt die Stirn in Falten legen ließ.
„Ich will eine Probe des Giftes der Schlange, die ihr zu euren Verbündeten zählt", sagte sie und augenblicklich legte sich ein aufgeregtes Strahlen auf ihr Gesicht. Atimis atmete erleichtert aus, denn auch wenn Tessina mitunter mürrisch und eigensinnig war, glaubte er nicht, dass sie dieses Angebot verweigern würde. Denn diese Grabungsmaschine würde ihnen eindeutig einen Vorteil verschaffen.
„Gut, ich werde dir eine Probe besorgen. Tessina wird einverstanden sein", sagte Rilsa und hielt Kelsa die Hand hin. Ohne zu zögern nahm sie sie und sie besiegelten die Abmachung.
„In Ordnung, dann nehmt euch die Waffen, die ihr braucht, dann bringe ich euch zu den Maschinen", sagte Kelsa und machte eine ausladende Handbewegung zu den Regalen.
Sofort eilte Rilsa zu den Waffen und zog ihn mit sich. Kaum dass sie außer Sichtweite von Kelsa waren, packte Rilsa ihn bei den Schultern und drückte ihn unsanft gegen das Regal. Erschrocken zuckte er zusammen und sah in ihre wütend funkelnden Augen.
„Das hätte auch schiefgehen können", fauchte sie, doch Atimis sah sie nur verwirrt an.
„Was meinst du? Hätte ich nicht eingegriffen, wärst du zurückgerudert und wir hätten die Grabungsmaschine nicht bekommen", erwiderte er leise, was Rilsa seufzen ließ. In diesem Moment wirkte sie, als würde sie begreifen, dass er recht hatte. Ihre Schultern sanken nach unten, ebenso wie ihr Blick.
„Wie auch immer. Lass und genug Waffen für uns alle mitnehmen und dann verschwinden wir", sagte sie, löste ihre Hände von seinen Schultern und wandte sich ab. Atimis Herz pochte unangenehm gegen seine Brust und er folgte Rilsa mit dem Blick. Seit sie hier her aufgebrochen waren, herrschte eine merkwürdig angespannte Stimmung zwischen ihnen. Er spürte das drängende Verlangen, ihre Hand zu halten und sie zu beschützen, was in ihrer Situation vollkommen unangebracht war.
Kopfschüttelnd vertrieb er den Gedanken und folgte ihr. Als er bei ihr anlangte, hatte sie sich bereits zwei Schwerter samt Scheide am Gürtel befestigt.
„Nehmen wir noch Granaten, die können auch Tessina und Kosiris verwenden", sagte sie und reichte ihm zwei Handgranaten. Er befestigte sie mit einer Lasche, die extra dafür zu sein schien, an seinem Gürtel und nahm noch weitere entgegen, die sie ihm anreichte.
„Gut. Das sollte genügen. Unsere größte Waffe wird Tessina sein, denn ihr Gift ist nach wie vor tödlich", sagte sie und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, dass er ihr folgen sollte. Eilig tat er es und sie gingen zurück zu Kelsa, die geduldig gewartet hatte, bis sie fertig waren.
„Los, gehen wir", sagte sie, kaum dass sie bei ihr angekommen waren und führte sie den Gang entlang zurück zu ihrem Labor. Atimis spürte das zusätzliche Gewicht der Granaten an seinem Gürtel und ihm war durchaus bewusst, dass er ein wenig darauf achten musste, dass die Stifte sich nicht lösten und ihn und vermutlich auch Rilsa in die Luft jagten, gleichzeitig fühlte es sich gut an, todbringende Waffen an sich zu haben. Nur für den Fall, dass sie auf dem Rückweg noch einmal Elstern begegnen sollten.
Recht schnell gelangten zu zurück in Kelsas Labor, von wo aus sie sie zurück in den großen Raum führte, in dem sie hereingekommen waren. Sie steuerte zielstrebig auf die Tür zu, die dem Aufzug direkt gegenüber lag und öffnete sie.
Sie betraten einen Raum, der wieder mit elektrischen Leuchtern beleuchtet wurde, doch dies hier war einfach nur ein langer Erdtunnel, anstelle eines Labors. Er schien sich unendlich lang zu erstrecken und als Kelsa ihnen wieder mit einer Handbewegung bedeutete, ihr zu folgen, stellte er sich auf einen längeren Fußmarsch ein.
Er ging neben Rilsa, die Schwerter auf ihrem Rücken klimperten bei jedem Schritt gegeneinander. Auf einmal spürte er ihren Blick auf sich und unwillkürlich wandte er den Kopf zu ihr um und erwiderte ihn. Sofort spürte er das Verlangen, ihre Haut zu berühren. Was war nur los mit ihm? Verliebte er sich etwa in sie?
Kopfschüttelnd wandte er den Blick wieder ab und starrte stattdessen auf seine Füße. Rilsa lachte.
„Was ist?", fragte sie, woraufhin er eine wegwerfende Handbewegung machte. Sie sah ihn noch einen Moment lang an, beließ es anschließend aber dabei und beschleunigte die Schritte, damit sie nicht zurückfielen.
Atimis war verwirrt. Er bewunderte Rilsa und ihren Eifer für ihren Plan, aber sie war immer noch eine Androidin und er ein Mensch.
Bevor er länger darüber nachdenken konnte, erreichten sie das Ende des Ganges, das jedoch nicht von einer Wand begrenzt wurde, sondern von einem riesigen, technischen Teil, das den ganzen Tunnel ausfüllte.
Das musste eine Grabungsmaschine sein. Sie war aus Metall und bildete mit dicken Streben eine Art Rahmen, der die Größe des Loches, das sie graben sollte, vorgab. In der Mitte zwischen den Streben befand sich in kleiner Käfig, in dem jede Menge Knöpfe und Schalter auf einer Armatur angebracht waren. Die Tür des Gitterkäfigs stand offen, sodass sie leicht hineingehen konnten. Zwischen dem Käfig und den Streben hingen jede Menge schwarzer Kabel und er erkannte auch so etwas wie eine große Wanne, in der Erde lag. Anscheinend war das der Auffangbehälter für die abgebaute Erde. Darunter befand sich noch ein kleinerer, metallener Kasten, der merkwürdig rußig aussah, so als hätte darin ein Feuer gebrannt.
Atimis staunte, aber gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass sie diese Maschine, die sicherlich zwei Mal zwei Meter maß, auf keinen Fall transportieren konnten.
„Kommt mit", forderte Kelsa und sprang geschickte in den Käfig hinein. Zögernd warf Atimis einen Blick zu Rilsa, die jedoch bereits zu Kelsa in den Käfig kletterte. Er folgte den beiden, sodass sie nun doch ein wenig beengt in dem Käfig standen, der eindeutig nur für eine, maximal zwei Personen ausgelegt war. Kelsa schloss die Tür und er wurde das Gefühl nicht los, dass er hier drin gefangen war.
„Also, die Bedienung ist recht simpel", sagte Kelsa, drückte auf einen roten Kippschalter und stemmte die Hände in die Hüfte. Augenblicklich erwachte die Maschine zum Leben und erschrocken zuckte er zusammen, als in dem kleinen Kasten unter der Wanne ein Feuer aufloderte. Die Wärme war bis hier her zu spüren und er erkannte die Reflexion des Scheins in Rilsas Augen, die jedoch gebannt auf Kelsa gerichtet waren.
„Es ist wichtig, dass das Feuer immer brennt. Sollte es drohen zu erlöschen könnt ihr es hier weiter anfachen", erklärte Kelsa und deutete auf einen Knopf mit einer symbolischen Flamme darauf.
Atimis Blick wanderte zu der Wanne, die von dem Feuer aufgeheizt wurde und bemerkte, dass die Erde darin anfing zu glühen. Erst als er genauer hinsah, erkannte er, dass über der Wanne kleine, dunkle Platten angebracht waren, die an Solarpaneele erinnerten.
„Die Hitze der verbrennenden Erde aktiviert die Elektrode, wodurch genug Energie erzeugt wird, um die Maschine anzutreiben. Die Asche fällt durch kleine Löcher in der Wanne", erklärte Kelsa, die anscheinend Atimis Blick gefolgt war.
Ihm war sofort klar, dass ihre Erklärung eine stark vereinfachte Version der Funktionsweise der Maschine war, aber er glaubte, das Grundprinzip begriffen zu haben.
„Das hier ist der manuelle Steuerknüppel, ihr könnt aber auch über dieses Hologramm hier eine Route eingeben", sagte sie und drückte auf einen weiteren, lilafarbenen Knopf. Sogleich baute sich ein Hologramm über der Schaltarmatur auf und er erkannte eine Landkarte.
„Mit dem Knüppel könnt ihr die Zielstelle auswählen", erklärte sie und sah anschließend zu Rilsa.
„Ihr müsst mit der Maschine zurück, sie kann nicht an die Oberfläche gebracht werden", sagte sie, dann wandte seufzte sie.
„Denkt an das Gift der Schlange. Ich brauche es dringend für meine Forschungen. Ihr könnt es mir bringen, sobald euer Plan funktioniert hat. Aber denkt daran, mir Bescheid zu geben, wenn es soweit ist, damit ich uns in Sicherheit bringen kann", sagte sie und deutete nun auf ein kleines Gerät, das neben der Schaltarmatur angebracht war.
Sie klickte darauf herum und nahm es aus der kleinen Halterung. Es sah aus wie ein Funkgerät, samt Antenne aber mit einer kleinen Tastatur.
„Wenn ihr hier eine Nachricht eingebt, erhalte ich sie auf meinem Mobilgerät", erklärte sie, steckte das Teil zurück in die Halterung und sah dann abwechselnd zwischen ihm und Rilsa hin und her.
„Ich wünsche euch viel Glück. Verratet mich nicht und denkt an die Nachricht", sagte sie, wandte sich eilig ab und sprang aus dem Käfig.
„Wir danken dir, Kelsa", sagte Rilsa, doch Kelsa machte nur eine wegwerfende Handbewegung.
„Nun verschwindet, bevor man uns noch erwischt", sagte sie und machte sich ohne ein weiteres Wort davon.
Kopfschüttelnd sah Atimis ihr nach. Sie war schon ein wenig merkwürdig, aber es stand außer Frage, dass sie ihnen unendlich geholfen hatte.
„Gut, sehen wir uns die Karte einmal genauer an", sagte Rilsa langsam und beugte sich über das Hologramm. Ihre Hand legte sie auf den schwarzen Steuerknüppel und bewegte ihn mal in die eine, mal in die andere Richtung. Recht schnell bewegte sich die Landkarte und sie fanden Ethonis Haus.
„Wir sollten zunächst hier her zurück, um die anderen abzuholen", sagte sie und Atimis machte ein zustimmendes Geräusch.
„In Ordnung, was bleibt uns anderes übrig, als es einfach zu versuchen?", bemerkte er und beobachtete, wie Rilsa den Zielpunkt eingab. Mit erhobenen Händen trat sie einen Schritt zurück und keine Sekunde später erwachte die Maschine zum Leben.
Ein Rütteln ging durch sie, doch dann setzte sich die Maschine in Bewegung. Beinahe lautlos gruben sich dicke Schaufeln, die an den Streben befestigt waren durch die Erde und beförderten sie in die Wanne.
Tatsächlich glitten sie ein wenig schneller als Schrittgeschwindigkeit durch die Erde und recht schnell wurden sie von einer allumfassenden Dunkelheit umgeben.
Atimis klammerte sich an den Gittern des Käfigs fest und suchte nach Rilsas Arm, auch wenn es unmöglich war, dass sie auf einmal verschwand. Schnell fand er sie und umklammerte ihr Handgelenk. Sie seufzte beinahe erleichtert und ließ sich dann auf den Boden nieder.
„Setz dich, wir können nun nur noch abwarten, bis wir wieder bei Ethonis Haus angelangt sind", sagte sie und auch wenn Atimis noch ein wenig nervös war, ob die Maschine auch tatsächlich den Weg finden würde, nickte er und glitt an dem Gitter herunter. Rilsa entwand ihm ihr Handgelenk, doch sofort fühlte er sich beklommen und verloren.
„Bitte lass mich nicht los, diese Dunkelheit macht einen ja wahnsinnig", sagte er und heftete den Blick auf die einzige schwache Lichtquelle, das Hologramm. Rilsa kicherte.
„Glaub mir, es wird auch nach Jahren unter der Erde nicht besser", sagte sie, erfüllte aber seine Bitte und griff nach seiner Hand.
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