Kapitel 59 - Atimis
Rilsa klammerte sich panisch an seinem Arm fest, als sich der Boden ruckelnd absenkte. Fassungslos sah Atimis Kelsa an, doch gerade als er zu ihr sah, wurde es schwarz um sie. Der Leuchter oben am Ausgang war nur noch als winziger Punkt zu sehen, sodass er gar kein Licht mehr spendete.
Atimis Herzschlag beschleunigte sich, denn auch wenn Rilsa der Androidin zu vertrauen schien, war er misstrauisch. Immerhin war ihnen eben von den Wachen unmissverständlich klar gemacht worden, dass sie hier unerwünscht waren. Vielleicht war Kelsa ausgeschickt worden, um sie zurückzuholen und zu bestrafen.
Unwillkürlich umklammerte er Rilsa ein wenig fester, die genau so wie er zitterte. Nach einer gefühlten Ewigkeit drang endlich wieder Licht zu ihnen. Allerdings von unten, so als würden sie oben vom Ausgang nach unten in den großen, unterirdischen Bereich gefahren sein.
Atimis blinzelte, erkannte aber recht schnell, dass es tatsächlich so gewesen sein musste. Vor ihnen tat sich ein unerwartet großer Raum auf, hell erleuchtet von elektrischen Lichtquellen.
Ihm entfuhr ein Keuchen, denn obwohl die Androiden abgeschieden von allen anderen und nach Rilsas Aussage wie Nomaden lebten, waren sie technisch ausgestattet wie die Hohen Menschen. Nichts hier erinnerte an das einfache Nomadenleben, das Atimis sich vorgestellt hatte.
In dem Raum, der vor ihnen lag, gingen an drei Seiten jede Menge Türen aus stark aussehendem Metall ab, an der vierten Seite lag der Aufzug, in dem sie noch immer standen.
„Willkommen im Labor", verkündete Kelsa stolz, zwängte sich an ihnen vorbei und verließ den Aufzug. Vorsichtig ließ Atimis Rilsa los, die sich sofort in Bewegung setzte und Kelsa folgte. Als Rilsa sein Zögern bemerkte, wandte sie sich zu ihm um und lächelte.
„Komm", forderte sie und langsam folgte er ihr. Sie wartete, bis er zu ihr aufgeschlossen hatte.
„Meinst du nicht, dass das eine Falle sein könnte?", raunte er ihr zu, sodass Kelsa es nicht hören konnte.
„Nein, ganz sicher nicht", erwiderte sie, was ihn jedoch nicht wirklich überzeugte. Angespannt folgte er Kelsa, die vor einer der Metalltüren ungefähr in der Mitte der linken Seite stehen blieb. Atimis betrachtete die Aufschrift auf dem weißen Schild, das daran angebracht war.
„Fertilitätslabor", las er. Fragend sah er zu Rilsa, denn er hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Genau in diesem Moment sog Rilsa scharf die Luft ein.
„Kelsa, was hat diese Aufschrift zu bedeuten?", fragte sie, doch Kelsa blieb stumm. Stattdessen führte sie sie hinein in das Labor und schloss mit einem lauten, endgültigen Geräusch die Tür hinter ihnen. Sofort fühlte Atimis gefangen, denn logischerweise gab es hier unter der Erde keine Fenster.
„Hier arbeite ich", sagte Kelsa, erklärte aber noch immer nicht, an was genau sie arbeitete.
Neugierig sah Atimis sich um. Hier wirkte alles sehr steril, der Boden und auch die Wände waren weiß, ebenso die Decke. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger Schreibtisch, ebenfalls weiß, darauf ein sehr technisch aussehendes Mikroskop. Atimis staunte, denn ein solches Gerät hatte er bisher noch nie in echt gesehen, sondern nur als Abbildung in Büchern. An den Wänden waren jede Menge Regale mit Büchern und er verspürte den Drang, sie sich anzusehen.
„Ich untersuche Gewebeproben und mir und meinen Kollegen ist es gelungen, eine künstliche Befruchtung aus den Gewebeproben einer Menschenfrau und eines Menschenmannes vorzunehmen. Wir probieren dies gerade auch bei anderen Lebewesen. Im nächsten Schritt müssen wir den Prozess zurück in den Körper verlagern", fuhr Kelsa fort. Rilsa neben ihm stieß einen beinahe ehrfürchtigen Laut aus.
„Ihr... wollt herausfinden, ob es die Möglichkeit gibt, dass die Fortpflanzung wieder auf natürlichem Wege geschieht?", fragte sie und allmählich dämmerte es Atimis, um was es hier ging. Die Unfruchtbarkeitsoperation, der sich jedes Lebewesen kurz nach der Geburt unterziehen musste, sollte hier rückgängig gemacht werden.
Überrascht riss er die Augen auf, denn wenn ihnen das gelang, würden die Niederen Lebewesen ein riesiges Stück Freiheit wieder bekommen.
„Nun, dass es diese Möglichkeit gibt, wissen wir. Und wir wissen auch, dass es bei Lebewesen und Unfruchtbarkeitsoperation funktionieren müsste. Das Problem aktuell liegt an der Umkehrung der Operation. Und an der Umsetzung bei uns Androiden", sagte sie, wobei bei dem letzten Teil des Satzes, ihre Stimme ein klein wenig wehmütig wurde.
„Ja, natürlich, wir haben keine organischen Gewebe im Körper", murmelte Rilsa. Atimis Blick wanderte automatisch zu ihr. Tief in sich drin wusste er, dass Rilsa ein künstlich geschaffenes, technisches Lebewesen war, aber sie wirkte so menschlich, dass er es beinahe vergaß. Ihre Haut und ihr Haar waren weich und er konnte ihren Herzschlag fühlen. Atimis spürte, wie seine Wangen heiß wurden und verlegen senkte er den Blick auf den Boden.
„Aber was ich euch eigentlich zeigen wollte, ist das hier", fuhr Kelsa fort und Atimis Aufmerksamkeit wandte sich wieder ihr zu. Kelsa bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, dass sie ihr folgen sollten und marschierte dann zu einem der Bücherregale an der Wand links neben der Tür. Kurz sah Atimis zu Rilsa, die sich genau in diesem Moment in Bewegung setzte.
Noch immer war er misstrauisch, denn die Androiden waren so ganz anders als er selbst oder auch als Rilsa. Er konnte es nicht genau benennen, was ihn störte, aber irgendetwas schien hier nicht richtig zu sein.
Kelsa zog ein Buch aus dem Regal, trat einen Schritt zurück und verschränkte seufzend die Arme vor der Brust. Plötzlich bewegte sich das Regal und klappte wie eine Tür in die Wand hinein.
Atimis riss die Augen auf. Neben einem unterirdischen Labor gab es hier also auch noch Geheimgänge. Rilsa neben ihm stieß einen erstaunten Laut aus, bevor sie nach seinem Arm griff.
Erschrocken wanderte sein Blick zu ihrer Hand, die seinen Unterarm umklammerte. Doch bevor er irgendwie darauf reagieren konnte, war die Tür im Bücherregal vollkommen geöffnet und Kelsa trat in die Dunkelheit hinein. Aus dem Raum wehte ein kühler Luftzug, der mit seinem Haar spielte und augenblicklich legte sich eine Gänsehaut auf seine Arme.
„Kommt", forderte Kelsa, während sie mit einem Klicken die Leuchter einschaltete. Der Reihe nach erhellten sich die Leuchter an den Wänden und er erkannte einen Gang, der so lang war, dass er dessen Ende nicht erkennen konnte.
Sie folgten Kelsa in den Tunnel und sofort schloss sie die Tür hinter ihnen. Erschrocken wandte Atimis sich um, doch beinahe nahtlos fügte sich die Tür in die Erdwand ein.
Sein Herzschlag beschleunigte sich und eilig löste er Rilsas Hand von seinem Arm und griff stattdessen nach ihrer Hand. Es beruhigte ihn ein wenig, sie an seiner Seite zu wissen, denn womöglich wurden sie wieder in tiefste Dunkelheit geführt, wie schon eben im Aufzug.
„Kommt mit. Wir müssen ein kleines Stück gehen. Währenddessen erzählst du mir, was mit Loris geschehen ist", sagte Kelsa, sah über die Schulter zu Rilsa und setzte sich anschließend in Bewegung.
Eilig schüttelte Rilsa Atimis Hand ab und schloss zu der anderen Androidin auf. Atimis fühlte sich unwohl, doch er entschied sich, ein Stück hinter den beiden zu bleiben. Immerhin hatte er Loris nicht gekannt und konnte nichts zu seinem Tod sagen.
Stattdessen lauschte er Rilsas Worten, die in aller Ausführlichkeit davon berichtete, wie Loris von den Elstern umgebracht worden war. Kelsa unterbrach sie kein einziges Mal, doch er bemerkte, dass ihr Atem sich hin und wieder beschleunigte.
Auch Atimis spürte ein beklemmendes Gefühl in sich aufsteigen, denn auch er hatte die Grausamkeit der Elstern am eigenen Leib erfahren. Unwillkürlich fingen die Narben auf seinem Rücken an zu pochen und ihm wurde wieder einmal bewusst, dass er ohne Tessinas Hilfe dort auf dem Platz im Slum durchaus an den Peitschenhieben hätte sterben können. Aber sie hatte ihn gerettet und nun war er hier, gemeinsam mit seinen Verbündeten und hoffte, dieser Schreckensherrschaft endlich ein Ende machen zu können.
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