Kapitel 57 - Laskina

Laskina zuckte zusammen, als sie anstelle von Generis Ethonis auf dem Bett sitzen sah. Er lächelte, sah aber müde und erschöpft aus. 

„Du siehst wunderschön aus", sagte er und Laskina spürte, wie sie errötete. Unwillkürlich sah sie an sich herunter und betrachtete die rote Bluse, die sich eng um ihren Körper schmiegte. Auch wenn sich der Stoff gut anfühlte, war es dich ungewohnt, solche Kleidung zu tragen. 

Ethonis streckte die Hand nach ihr aus, eindeutig eine Aufforderung, dass sie zu ihm kommen sollte. Eilig gehorchte sie, legte ihre Hand und seine und setzte sie neben ihn auf die Bettkante. 

„Geht es dir gut?", fragte er, woraufhin Laskina nickte und sich zu einem Lächeln zwang. 

„Ja, ich bin glücklich", erwiderte sie und legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab. Ethonis lachte leise, schlang den Arm um ihre Schultern und zog sie eng an sich. 

„Ich werde heute Abend zu einem Handelspartner aufbrechen müssen", sagte er, was Laskina vollkommen unvorbereitet traf. Sie löste sich von ihm und sah ihn verwirrt an. Sicherlich war ihr bewusst, dass seine Arbeit nicht nur daraus bestand, Arbeiterinnen abzuholen und hier her zu kutschieren, aber eigentlich hatte sie sich gewünscht, dass er die ganze Zeit hier bei ihr wäre. 

„Wann wirst du zurückkommen?", fragte sie, woraufhin Ethonis einen Finger ans Kinn legte, als würde er überlegen. „Vermutlich übermorgen. Generis wird bei dir sein", sagte er und auch wenn Laskina nicht wollte, dass er wegfuhr, seufzte sie ergeben. 

„Ich werde dich vermissen sagte sie, woraufhin Ethonis sie wieder in eine feste Umarmung zog. 

„Ich werde dich auch vermissen. Aber es sind nur zwei Tage, ehe du bemerkst, dass ich weg bin, bin ich schon wieder zurück", sagte er, aber Laskina schüttelte den Kopf. 

„Na komm, lass uns nach unten gehen. Generis wartet auf dich", sagte er, stand auf und zog sie auf die Beine. Laskina schluckte schwer. Sie spürte, dass sie Gefühle für Ethonis hatte, aber seit Emevras Tod wirkte er merkwürdig verändert. Zwar behandelte er sie noch immer, als wäre sie die schönste Frau für ihn, aber hin und wieder wirkte er kühl und abweisend. So ganz anders als Atimis. 

Ein Seufzen entfuhr ihr, das Ethonis jedoch ignorierte und sie stattdessen mit sich nach unten zog. Sie ließ es zu, sehnte sich aber auf einmal nach der herzlichen Wärme, die Atimis immer ausgestrahlt hatte. 

Laskina schluckte, denn auch wenn sich die Entscheidung für Ethonis richtig angefühlt hatte, vermisste sie Atimis in diesem Moment schmerzlich. Dass er sich auch noch hier herumtrieb und sich mit seinen neuen Freunden des Untergrundes hier versteckte, machte die ganze Sache nicht leichter. 

Erst als sie im Garten stand und Ethonis ihre Hand los ließ, schaffte sie es, sich zurück ins Hier und Jetzt zu holen. Sie blinzelte ein paar Mal, bis ihre trüben Gedanken sich wieder klärten und ihr Blick wieder scharf wurde. Sie war hier im Garten, die Sonne schien und es würde sicherlich ein guter Tag werden. 

„Laskina!", riss sie eine Stimme endgültig zurück in die Realität und erschrocken wandte sie sich um. Sie blickte in das lächelnde Gesicht von Generis, der auf zu zugelaufen kam, auf dem Kopf eine Blumenkrone. Ein Lächeln legte sich auf ihr Gesicht, denn sie erinnerte sich, wie sie ihm einmal eine Blumenkrone geflochten hatte und wie sehr er sie geliebt hatte. 

Erst da fiel ihr wieder ein, wie sehr sie über seine Gabe gestaunt hatten, dass er verwelkte Blumen wieder zum Leben erwecken konnte. 

„Sieh mal", sagte er, als er bei ihr ankam und deutete mit der Finger auf seine Blumenkrone aus blauen und roten Wildblumen. 

„Sie sieht wirklich schön aus", bemerkte sie, streckte vorsichtig die Hand aus und strich über die zarten Blüten. Doch kaum dass sie die Blütenblätter berührte, verblassten sie und fielen in sich zusammen. Erschrocken zuckte sie zurück und sah Generis entschuldigend an. 

„Die Blüten, sie...", stammelte sie, woraufhin Generis die Krone abnahm und betrachtete. Überrascht und auch ein wenig unsicher sah er sie an.

„Berühre noch eine", sagte er fordernd und zögerlich gehorchte sie. Augenblicklich verwelkte auch die nächste Blüte unter ihren Fingern. 

Laskina schluckte schwer. Was hatte das nur zu bedeuten? Warum verdarben Blüten unter ihrer Berührung? 

Unweigerlich drängte sich ein beängstigender Gedanke in ihr auf. Verwelkten die Blüten, weil sie selbst den Tod verbreitete? 

Aber nein, sie hatte niemanden verletzt oder gar getötet, wieso sollten Blumen so auf sie reagieren? Panisch sah sie zu Generis, der die Blüten sanft berührte und dadurch wieder erblühen ließ. Auch in seinem Blick erkannte sie Überraschung, aber auch Sorge. 

„Was bedeutet das?", fragte sie, doch Generis zuckte nur die Schultern. 

„Ich weiß es nicht", sagte er, wirkte aber auf einmal kalt und abweisend. 

„Ich... das ist mir noch nie passiert", stieß sie aus, sah sich suchend um und bückte sich nach einem kleinen, verirrten Gänseblümchen. Sie hockte sich ins Gras und berührte vorsichtig die kleine, weiße Blüte. Sofort ließ sie das Köpfchen hängen und verblasste. Laskina stockte der Atem. Sie konnte sich nicht erklären, warum die Blüten so auf sie reagierten. 

„Mach dir deswegen keinen Kopf. Sicherlich gibt es dafür eine logische Erklärung", sagte Generis, der sich neben ihr im Gras niederließ. Laskina wandte ihm den Blick zu, erkannte aber in seinen Augen, dass er sich selbst darüber sehr wohl den Kopf zerbrach. 

„Aber... normalerweise geschieht dies nur bei schlechten Menschen. Bin ich...", setzte sie an, wagte aber nicht, den Gedanken auszusprechen. Unweigerlich dachte sie an Atimis und ihre Entscheidung, sich von ihm zu trennen, damit sie mit Ethonis ein besseres Leben hatte. War das nun die Rache dafür? Meinte das Schicksal es so schlecht mit ihr, nur weil sie für sich ein besseres Leben haben wollte und sie sich weigerte, wie Atimis dafür ihr Leben aufs Spiel zu setzen? Dass sie den leichten Weg gewählt hatte? Laskina spürte, wie sich ihr Herz zusammenkrampfte. 

„He, das wird schon wieder. Vielleicht ist es nur für eine Zeit so und bald ist wieder alles normal", versuchte Generis sie aufzumuntern, aber er klang nicht wirklich überzeugt von seinen eigenen Worten. 

Sie zog die Beine an und umklammerte sie mit den Armen. Sie fühlte sich miserabel und wünschte sich, dass alles wieder so war wie früher. Warum war sie nur so gierig gewesen und hatte ein besseres Leben gewollt? Zweifel machten sich in ihr breit und es fühlte sich an, als sei sie aus einer Art Trance aufgewacht. 

„Ich muss mit Atimis sprechen", sagte sie auf einmal und zuckte vor ihren eigenen Worten zurück. Sie war verwirrt, sie wusste nicht, was sie fühlte und noch weniger wusste sie, was sie wollte. 

Sicherlich war ihr Leben mit Atimis geprägt von Armut, aber er hatte ihr trotz allem immer wieder ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Erst seit sie hier lebte, waren die wirklich schlimmen Dinge geschehen. 

Emevra, die ihr und vielen anderen nach dem Leben getrachtet hatte. 

Ethonis, der zwar gut zu ihr war, aber zu dem sie noch nicht ein solches Band wie zu Atimis hatte. 

Atimis. Ihr Held. Nicht nur einmal hatte sie ihn so genannt. 

Auf einmal fühlte sie sich aufgekratzt und unruhig und sie sprang so schnell auf, dass ihr schwindlig wurde. 

„Laskina, bitte bleib hier", sagte Generis, doch sie beachtete ihn nicht und marschierte los. Allerdings wurde ihr bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, wo Atimis war. Zwar wusste sie, dass sie sich hier irgendwo versteckten, aber sie hatte keinen blassen Schimmer, wo genau. 

„Laskina, warte doch. Gehen wir zu Ethonis, er wird dir sicherlich helfen können", hörte sie Generis sagen und wenige Augenblicke später spürte sie seine Hand auf ihrer Schulter. 

„Bitte, komm mit mir", drängte er, verstärkte seinen Griff um ihre Schulter und zog daran. Nur widerwillig wandte sie sich um und sah in sein nun wieder lächelndes Gesicht. 

„Es ist ganz normal, dass du noch verwirrt bist", sagte er weiter und langsam nickte sie. Er hatte ja recht. Allein in den letzten paar Tagen war so viel geschehen, wie manche Menschen in einem ganzen Leben nicht erlebten. Die neue Verbundgemeinschaft, das Attentat von Emevra und die Tatsache, dass Atimis eine Rebellion anzettelte und sich dadurch in Lebensgefahr brachte. 

Kopfschüttelnd versuchte sie die Gedanken zu vertreiben, aber es gelang ihr nicht wirklich. Sie spürte, wie Generis sie mit sich zog und ihre Beine wie von allein durch den Garten marschierten. Generis führte sie vorbei am Blumengarten bis zu den Feldern, wo sie Ethonis sah. 

Er ging durch die Felder und beaufsichtigte die Arbeiterinnen, die zwischen den Feldfrüchten hockten und sie ernteten. Als würde Ethonis ihre Anwesenheit spüren, hob er den Blick und winkte, als er sie bemerkte. Zaghaft erwiderte sie den Gruß und ließ sich von Generis zu einer kleinen Mauer führen, die die Felder von dem übrigen Garten abgrenzte. Sie war nur kniehoch und bot eine angenehme Sitzgelegenheit. 

Erschöpft ließ sie sich darauf nieder. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Generis sich ein wenig entfernt von ihr im Gras niederließ. 

„Liebste", sagte Ethonis, als er neben ihr über die Mauer stieg und sich ebenfalls niederließ. Wie schon vorhin wirkte er noch immer abwesend und ein wenig, als wäre er enttäuscht von ihr. 

„Unter meiner Berührung verwelken Blumen", stieß sie aus und fing auf einmal ungehemmt an zu schluchzen. All das überforderte sie, auch wenn sie nicht so recht wusste, warum. 

Sie hatte nun ihr Leben, das sie sich immer erträumt hatte, dennoch fühlte sie sich, als wäre sie noch nicht richtig angekommen. Als hinge sie in einer Schwebe zwischen den Welten, zwischen dem Leben als Niederer Mensch im Slum und ihrem Leben hier. 

„Nicht doch", sagte Ethonis besorgt, legte den Arm um sie und machte beruhigende Laute. Sie legte den Kopf an seine breite Brust und vergrub das Gesicht in seinem Hemd. Er fühlte sich so anders an als Atimis und doch war seine Berührung tröstlich. 

„Es ist sicherlich schwer für dich, die ganze Umstellung und das Einfinden in dein neues Leben", bemerkte Ethonis, was sie nicken ließ. 

„Ich fühle mich hilflos. Meine Gedanken kreisen und machen mich wahnsinnig", brach es aus ihr heraus und es tat unendlich gut, mit ihm zu sprechen. 

„Was bereitet dir den meisten Kummer?", fragte er, woraufhin Laskina sofort Atimis Gesicht vor ihrem inneren Auge erschien. 

„Atimis, er... er ist in Gefahr. Ich habe Angst um ihn", sagte sie, allerdings wollte sie es sofort wieder zurücknehmen. Ethonis versteifte sich spürbar und schob sie ein wenig von sich weg. In seinen Augen glitzerte es, als würde er Tränen zurückhalten. 

„Laskina, das hier ist jetzt dein Leben. Du warst dir so sicher, dass du das hier willst", sagte er tonlos, gleichzeitig schwang ein unendlich großer Vorwurf darin mit. Schuldbewusst senkte sie den Blick. Ethonis atmete seufzend aus. 

„Du liebst ihn noch immer, habe ich recht?", fragte er, eindeutig verletzt. 

„Nein, ich... ich liebe dich", widersprach sie, hörte aber selbst, wie schwach ihre Stimme klang. Ethonis wandte den Blick ab und fuhr sich fahrig mit der Hand durchs schwarze Haar. 

„Du gehörst nun zu mir. Du solltest ihn allmählich vergessen. Mir ist klar, dass das nicht von heute auf morgen geht, aber...", setzte Ethonis an, unterbrach sich aber und wandte ihr wieder den Blick zu. Er sah ihr so direkt in die Augen, dass ihr das Herz in die Hose sank. 

„Denk immer daran, dass er ein gesuchter Verbrecher ist. Was für eine Zukunft hättest du denn schon mit ihm?", fuhr er fort, sprang dann aber auf einmal auf und fing an, vor ihr auf und ab zu gehen. Laskina folgte ihm mit dem Blick, unfähig, irgendetwas zu sagen. Plötzlich hielt er inne und sah zu ihr herunter. 

„Ich habe eine Idee. Du begleitest mich heute Abend. Wir könnten uns ein wenig das Land ansehen und etwas Zeit zu weit verbringen. Das wird dich auf andere Gedanken bringen", schlug er vor und auf einmal glänzte in seinen Augen Begeisterung. 

Bevor sie länger darüber nachdachte, nickte sie. Es war die richtige Entscheidung. Sie hatte ihr altes Leben mit Atimis endgültig beendet, indem sie die Verbundgemeinschaft zu ihm aufgelöst hat. Zurück konnte sie nicht mehr, was blieb ihr also anderes übrig, als sich mit ihrem neuen Leben zu arrangieren? 

„Wunderbar! Das wird schön", versprach Ethonis und strahlte nun übers ganze Gesicht. Endlich sah sie wieder den Mann, in den sie sich verliebt hatte. Ihre Mundwinkel zuckten zu einem Lächeln und sie erhob sich. Ethonis breitete die Arme aus und sofort ließ sie sich hineinfallen. 

„Es wird dir bald besser gehen, das verspreche ich dir", flüsterte er leise in ihr Ohr und zog sie noch enger an sich. 

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