Kapitel 55 - Rilsa

Vor Atimis versuchte Rilsa, keine Schwäche zu zeigen, denn sicherlich hätte er ihre Idee nicht so begeistert aufgenommen, wenn er gewusst hätte, wie nervös sie tatsächlich war. Nicht nur wegen ihrem bevorstehenden Marsch durch die Wälder, in denen womöglich noch Elstern umherstreiften, um sie zu finden. Sondern auch wegen der bevorstehenden Begegnung mit den Androiden. 

Würde sie die Chance bekommen, mit ihnen zu sprechen? Könnte sie womöglich ihre Eltern sehen, mit denen sie schon jahrelang keinen Kontakt mehr hatte? 

Ein Seufzen entfuhr ihr und augenblicklich spürte sie Atimis Blick auf sich. Er war durchaus aufmerksam, was ihr jedoch in diesem Moment nicht passte. 

„Bist du aufgeregt, die Androiden zu kontaktieren?", fragte er leise und traf damit genau den Kern der Sache. Trotzdem zuckte sie nur die Schultern und schwieg. Sie wollte nicht mit ihm über ihre Gefühle und Gedanken sprechen, nicht, wenn sie jeden Moment von Elstern überfallen werden konnten und sie wachsam sein mussten. Atimis sah sie noch einen Moment an, senkte dann aber wieder den Blick auf den Boden. 

„Weißt du, wie weit es noch ist?", fragte er nach einer kurzen Pause und wie automatisiert nickte Rilsa. 

„Es ist nicht mehr weit, vielleicht drei Kilometer", sagte sie und sah sich unwillkürlich um, als könnte die Luft und sie herum ihr sagen, ob ihr Gefühl sie trog oder nicht. Atimis nickte, straffte die Schultern und beschleunigte seine Schritte, sodass Rilsa ein kleines Stück zurückfiel. 

Ihr Herz lag auf einmal schwer in ihrer Brust und auch wenn kein Blut durch ihre Adern floss, hörte sie es in den Ohren rauschen. Die Androiden mussten ihnen einfach helfen, auch wenn sie sich sonst aus den Angelegenheiten der Niederen Lebewesen heraushielten. Sie würden sicherlich einen großen Vorteil bringen, nicht nur zahlenmäßig, womöglich auch durch ihre im Geheimen entwickelte Technologie. Zwar wusste Rilsa nicht, wie fortgeschritten diese inzwischen war, aber als sie noch in der Gemeinschaft der Androiden gelebt hatte, waren diese sehr auf die Wissenschaft fokussiert gewesen. 

Sie warf einen Blick nach vorn und sah Atimis, der ein ganzes Stück vor ihr ging und eilig schloss sie zu ihm auf. Bald würden sie da sein und nun wäre es sicherlich gut an der Zeit, sich einen Plan auszudenken. 

Fragend sah sie zu Atimis, der ihren Blick sogleich erwiderte. 

„Wie sollen wir vorgehen, wenn wir bei ihrer Siedlung angelangt sind?", fragte sie, was seine Mundwinkel zucken ließ. 

„Ich weiß es nicht. Sicherlich wäre es am besten, wenn wir mit dem Anführer sprechen, wenn es denn einen gibt", sagte er und nachdenklich nickte sie. 

„Als ich vor vielen Jahren verstoßen wurde, gab es eine elitäre Gruppe, die eine Art Regierung stellte. Natürlich ist der Gruppe der Androiden viel kleiner als die der übrigen Lebewesen, aber sie sind im Prinzip diejenigen, die den Ton angeben", erklärte sie und hoffte, dass es heute noch immer so war. 

„Gut, dann sprechen wir mit ihnen", sagte Atimis leichthin, als könnten sie einfach in die Siedlung marschieren und mit der elitären Gruppe sprechen. Sie lachte leise und schüttelte den Kopf, denn nun kam sie sich albern vor, dass sie diese Idee gehabt hatte. 

„Es wird ohnehin nicht funktionieren", brummte sie, spürte aber sogleich Atimis Hand auf ihrer Schulter. 

„He, lass den Kopf nicht hängen. Wir kriegen das hin. In den letzten Tagen ist uns so viel Gutes passiert. Ich habe es im Gefühl, dass es klappt", sagte er voller Enthusiasmus, sodass sie seinen Worten beinahe geglaubt hätte. Aber nun gab es kein Zurück mehr, nicht so kurz vor dem Ziel. 

„Und ich bin bei dir. Als Unterstützung. Du musst da nicht allein durch", versuchte er weiter, sie aufzubauen und auch wenn er sicherlich noch nie mit einem anderen Androiden als ihr gesprochen hatte, bestärkte es sie ein wenig. Atimis Art war einnehmend und er war mit einem Feuer bei der Sache, das nicht so schnell zu ersticken war. 

Rilsa straffte die Schultern und richtete den Blick nach vorn, denn das war die Richtung, in die sie gehen mussten. Es gab kein Zurück mehr, dafür hatten sie in den letzten Tagen zu viel riskiert.

Rilsa griff unwillkürlich nach Atimis Arm, als sie aus dem Wald hinaustraten und in knapp einhundert Metern Entfernung die Siedlung der Androiden sah. Die weißen Zelte aus dickem Stoff ragten wie kleine Spitzen auf und knubbelten sich dicht aneinander. Rilsa spürte, wie ihr die Luft wegblieb, denn in genau solchen Zelten war sie aufgewachsen. 

„Du hast sie tatsächlich gefunden", staunte Atimis, als hätte er daran gezweifelt, stieß sie dann aber mit dem Ellbogen am Arm an. Rilsa nickte und zwang sich zu einem Lächeln. 

„Jetzt müssen wir es nur noch schaffen, dass sie mit uns sprechen", sagte sie gedankenverloren, während ihr Blick noch auf der Siedlung lag. Auf einmal fühlten sich ihre Beine weich und wacklig an und sie glaubte, jeden Moment zu stürzen. Hilfesuchend umklammerte sie Atimis Arm fester, der dies anscheinend als eine Aufforderung verstand, sich in Bewegung zu setzen. Rilsa ließ sich von ihm mitziehen, auch wenn ihr ganz mulmig zumute war. 

„Gibt es Wachen am Eingang?", fragte Atimis, woraufhin sie nickte. 

„Ja, vermutlich. Ich war schon einige Jahre nicht mehr bei einer Siedlung, aber ich vermute, dass sich daran nichts geändert haben wird", erwiderte sie, was Atimis nicken ließ. 

Immer weiter zog er sie in die Nähe der Siedlung und allmählich konnte sie die einzelnen Zelte besser erkennen. Sie waren groß und rund mit einem spitzen Zeltdach. Komischerweise erkannte sie keine Androiden, noch konnte sie Stimmen ausmachen. 

Inzwischen waren sie schon ziemlich nah, in wenigen Metern würden sie den Eingang erreichen. Sie erkannte den breiten Weg, der mittig durch die Siedlung führte und den leicht befestigten Zaun aus Draht und Holz, der die Siedlung umgab. 

„Bist du dir sicher, dass diese Siedlung bewohnt ist?", fragte Atimis leise und Rilsa bemerkte am Klang seiner Stimme, dass auch er nervös zu sein schien. Suchend sah sie sich um, doch sie konnte niemanden sehen, weder Wachen am Eingang noch Androiden, die über den Weg gingen. Tatsächlich wirkte die Siedlung wie ausgestorben. 

Noch einmal horchte sie in sich hinein und spürte ganz eindeutig das Gefühl in sich, dass sie hier richtig waren. 

„Ja, ich bin mir sicher, dass hier Androiden sind", sagte sie, doch Atimis wirkte auf einmal ernüchtert, so als hätte er sich mehr erhofft. Unsicher ließ Rilsa den Blick umherwandern. Nur noch wenige Schritte trennten sie von dem Eingang, der durch eine Lücke im Zaun gekennzeichnet war. Es gab keinen meterhohen Zaun, der sie daran hindern würde, die Siedlung zu betreten, was sie stutzig machte. 

Sie gelangten an die Öffnung im Zaun, die auf den breiten Weg führte und blieben wie automatisiert stehen. Rilsa hörte, wie auch Atimis Atem sich beschleunigte, als sei er aufgeregt. 

Noch immer schien niemand hier zu sein, doch sie zögerte, einfach hineinzugehen. Tief in ihr drin spürte sie, dass hier andere Androiden waren. 

„Vielleicht haben sie unser Kommen bemerkt und sich verschanzt", flüsterte Atimis leise, was ihr gar nicht so abwegig vorkam. Androiden lebten unter sich und hatten kaum bis keinen Kontakt zu anderen Lebewesen, da war es doch nur logisch, dass sie sich verbarrikadierten. 

„Es wundert mich nur, dass man die Siedlung einfach betreten kann", sagte sie nachdenklich und ließ den Blick über den Boden schweifen. Vielleicht hatten sie eine Art Alarm installiert und sie wurden von Speeren durchbohrt, sobald sie einen Fuß in die Siedlung setzten. 

„Wir müssen es versuchen. Was bleibt uns für eine andere Möglichkeit?", fragte Atimis, straffte die Schultern und trat einen Schritt vor. 

Genau in dem Moment, in dem er den Fuß über die Grenze der Siedlung setzte, ertönte ein metallisches Geräusch und wie aus dem Nichts wurden zwei meterlange, scharfe Schwerter auf ihn gerichtet. 

Rilsa entfuhr ein erschrockenes Geräusch und panisch griff sie nach Atimis Arm, um ihn zurückzuziehen, doch er hatte bereits ergeben die Hände gehoben. Aus dem Schatten lösten sich zwei in dunkle Uniformen gehüllte Gestalten, die jeweils in Schwert im Anschlag hielten und auf Atimis richteten. Rilsa fühlte sich unangenehm an Elstern erinnert, auch wenn sie ihre Gesichter nicht unter Tüchern verbargen.

„Was wollt ihr?", fragte einer der beiden, das Schwert weiterhin direkt auf Atimis Brust gerichtet. 

„Ich bin ebenfalls eine Androidin. Wir suchen Unterstützung", sagte Rilsa mit zittriger Stimme und trat neben Atimis. Sofort richtete sich ein Schwert auf sie und auch sie hob die Hände, um ihnen zu zeigen, dass sie unbewaffnet waren. 

„Du bist eine Ausgestoßene. Was treibt dich und einen Menschenmann hier hier?", fragte der andere Android kalt und berechnend und Rilsa spürte, dass er keine Sekunde zögern würde, ihr das Schwert in die Brust zu rammen. 

„Wir suchen Verbündete. Wir streben nach einem besseren Leben für Niedere Lebewesen", sagte Atimis und auch wenn Rilsa nicht wusste, ob es klug war, den Wachen zu offenbaren, dass sie eine Rebellion anführten, blieb ihnen keine Wahl. 

Einen Moment blieb es still, dann sprach wieder der Android, der sein Schwert auf Atimis richtete. 

„Ihr seid Rebellen", stellte er fest und auch wenn es keine Frage war, nickte Atimis. 

„Wir bitten euch, uns anzuhören", sagte er, woraufhin die beiden Wachen einen kurzen Blick wechselten, als würden sie eine stumme Konversation führen. 

„Wir haben mit der Belange der übrigen Lebewesen nichts zu schaffen. Verschwindet", fuhr er sie an und stieß plötzlich sein Schwert in Atimis Richtung, der erschrocken einen Satz nach hinten machte. Das Schwert schlitzte sein Hemd auf, er selbst schien aber unversehrt geblieben zu sein. Rilsas Herz setzte einen Schlag lang aus. 

„Wir bitten euch, hört uns an. Draußen in der Welt herrschen unerträgliche Missstände", sagte Rilsa verzweifelt, spürte aber den Drang, sich zurückzuziehen. Noch immer war die Klinge auf sie gerichtet und sie war sich der tödlichen Gefahr durchaus bewusst. 

„Die Missstände der übrigen Lebewesen gehen uns nichts an", kommentierte einer der Wachen knapp, was Atimis schnauben ließ. Furchtlos trat er wieder einen Schritt nach vorn, sodass sich die Spitze des Schwertes genau auf der Höhe seines Herzens in seine Haut bohrte. 

Rilsa hatte auf einmal Angst um ihn, denn offensichtlich würden die Wachen nicht zögern, ihn zu töten. 

„Bitte, helft uns. Wir wollen die Hohen Menschen stürzen, damit wir alle ein Leben in Frieden führen können. Ohne Unterdrückung. Ohne sich abgrenzen zu müssen", sagte er mit unerwartet fester Stimme, aber Rilsa spürte, wie sehr er zitterte. 

Unwillkürlich griff sie nach seiner Hand, um ihm zu zeigen, dass sie bei ihm war. Er war ohne Frage einer der mutigsten Lebewesen, die sie je gesehen hatte. Wieder schienen die Wachen über ihre Blicke miteinander zu kommunizieren, dann nickten sie sich kurz zu.

 „Verschwindet. Wir haben mit dieser ganze Sache nichts zu schaffen", sagte der Android, der nahe bei ihr stand und drückte so schnell seine Schwertspitze gegen ihre Brust, dass er sie ohne Zweifel hätte töten können, wenn er es gewollt hatte. Der Druck auf ihrer Haut wurde fester und sie bemerkte, wie ihr Hemd von einem kleinen, elektrischen Funken versengt wurde. Atimis drückte ihre Hand fester, zog sie dann aber einige Schritte rückwärts. 

„Gut, wir verschwinden", sagte er, während er immer weiter rückwärts ging. Sobald sie einige Schritte vom Eingang der Siedlung entfernt waren, keuchte er und sah zu ihr. 

„Du... du bist verletzt", bemerkte er, packte sie an beiden Händen und sah sie schuldbewusst an. Rilsa sah an sich hinunter und bemerkte einen kleinen verkohlten Fleck auf ihrem Hemd, der jedoch nicht der Rede wert war. 

Atimis schien es überhaupt nicht befremdlich zu finden, dass sie nicht blutete, sondern bei einer Verletzung kleine, elektrischen Funken entstanden. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich um. Sie sollten hier verschwinden, denn sie wusste, dass sie noch immer beobachtet wurden. 

„Verschwinden wir", murmelte sie und zog Atimis zurück in Richtung des Waldes, wo sie geschützter waren. 

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