Kapitel 53 - Generis
Nervös ließ Generis den Blick von links nach rechts wandern, aber glücklicherweise war nichts von Atimis und seinen Freunden zu sehen. Hoffentlich hielten sie sich daran, dass sie in dem Schuppen blieben.
Eilig schnappte er sich einige Feldfrüchte, die er ungesehen aus der Erde zog und schlenderte in Richtung des Schuppens. Zwar war es noch früh am Morgen und Ethonis war gerade noch auf dem Weg, um die Arbeiterinnen abzuholen, aber Laskina war vermutlich wach und würde gleich zu ihm in den Garten kommen.
Generis beschleunigte seine Schritte, bis er schließlich an dem alten Schuppen anlangte. Noch einmal sah er sich um, immerhin würde er in gehörige Schwierigkeiten geraten, sollten sie entdeckt werden.
Er klopfte an die Tür, doch es kam keine Antwort, also öffnete er die Tür einen winzigen Spaltbreit und sah hinein. Allerdings sah er nur das Gerümpel, das herumstand. Keine Spur von den vier Verbündeten, die sich hier versteckten. Waren sie etwa geflohen? Wie sollte er ihnen Waffen und Werkzeuge besorgen, wenn sie nicht mehr hier waren? Dennoch legte Generis das Essen auf den Boden neben der Tür, falls sie zurückkamen.
Gerade als er die Tür wieder schließen wollte, vernahm er ein leises Zischen. Erschrocken hielt er inne und sah sich suchend nach einer der beiden Schlangen um, aber er konnte sie in dem schwachen Licht und zwischen dem ganzen Gerümpel nicht erkennen.
Erst als sich ein Schatten löste, konnte er die kleinere der beiden Schlangen ausmachen. Sie hatte sich hinter einer Holzkiste versteckt, kam nun jedoch hervor. Ihre spitze Zunge schnellte hervor während sie zischte und mit schlängelnden Bewegungen auf ihn zukam.
„Wo sind die anderen?", fragte Generis leise, doch die Schlange antwortete ihm zunächst nicht. Sie glitt zu dem Essen, das er gebracht hatte und betrachtete es argwöhnisch. Zögernd öffnete sie ihr Maul und biss dann blitzschnell in eine der Karotten, erst danach antwortete sie ihn.
„Sie sind unterwegs, kommen aber wieder hier her zurück", sagte sie und klang dabei merkwürdig kalt und abweisend, so als wäre sie wütend auf ihn. Generis nickte, entschied sich aber, die Schlange nicht weiter zu stören. Sie schien launenhaft und mitunter gemein zu sein, sodass er sie nicht verärgern wollte.
„Warte", rief sie jedoch aus, als er gerade die Tür wieder schließen wollte. Verwundert blieb er stehen und wandte sich noch einmal zu ihr um. Tessina war noch ein Stück näher gekommen und hatte sich aufgerichtet, sodass er leichter in ihr Gesicht sehen konnte.
„Ja?", fragte Generis, als sie nicht sagte, was sie noch von ihm wollte. Tessina wirkte nervös, schüttelte leicht den Kopf und suchte anschließend seinen Blick.
„Ich habe ein wenig Sorge, was Laskina angeht. Atimis gegenüber kann ich es nicht sagen, denn er würde meine Zweifel nicht verstehen. Könntest du ein Auge auf sie haben, dass sie ihr Versprechen hält und uns nicht verrät?", fragte sie schließlich und es dauerte einen Moment lang, bis Generis begriff, was sie sagte.
Sie glaubte, Laskina würde sie hintergehen. Generis spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, denn er mochte Laskina und vertraute ihr. Allerdings musste er zugeben, dass sie in den letzten Tagen ein wenig distanzierter würde. Aber das war nur logisch, immerhin hatte sie durch ihre Entscheidung für Ethonis und gegen Atimis ihr gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Sicherlich machte sie sich im Moment viele Gedanken.
„Ich werde aufpassen und ihr noch einmal deutlich machen, wie wichtig es ist, dass sie uns nicht verrät", sagte er dennoch, um Tessina zu beruhigen. Diese nickte und er glaubte, so etwas wie ein Lächeln über ihre Züge gleiten zu sehen.
„Gut. Vielen Dank für deine Hilfe", erwiderte Tessina und verzog sich anschließend wieder in den Schatten des Gerümpels, sodass sie nicht mehr zu sehen war. Generis wartete noch einen Augenblick, ob sie nicht doch noch etwas von ihm wollte, verließ aber endgültig den Schuppen, als Tessina stumm blieb.
Er eilte zurück über die Wiese in den Bereich, in dem er sich am häufigsten aufhielt und der nah beim Eingang zum Haus lag, sodass er Laskina direkt entdecken würde, wenn sie herauskam.
Unwillkürlich wanderte sein Blick zur Tür, aber sie blieb verschlossen. Ethonis war nun schon eine ganze Weile weg und es verwunderte ihn, dass Laskina noch nicht zu ihm nach draußen gekommen war. Kurz zögerte er, entschied sich aber schließlich dazu, nach ihr zu sehen.
Vielleicht war sie von den ganzen Geschehnissen in den letzten Tagen noch ganz durcheinander und könnte eine Schulter zum Anlehnen gebrauchen. Er ging zurück zum Haus, öffnete die Tür und trat hinein.
Dort empfing ihn eine allumfassende Stille. Angestrengt lauschte er, doch Laskina war nicht zu hören und auch nicht zu sehen. Zögerlich ging er die Treppen nach oben, denn vielleicht lag sie noch im Bett. Generis betrat den langen Flur und lauschte noch einmal und genau in diesem Moment hörte er das Rascheln einer Bettdecke. Sie war also tatsächlich noch im Bett. Zielstrebig steuerte er auf das Schlafzimmer zu und klopfte zaghaft.
„Laskina? Ist alles in Ordnung?", fragte er leise und horchte gespannt auf eine Antwort.
„Ja, ich... ich komme gleich zu dir", antwortete Laskina fahrig und er hörte, wie sie seufzte.
„Kann ich rein kommen?", fragte er denn offensichtlich ging es ihr nicht gut. Wieder seufzte sie, bejahte aber.
Vorsichtig öffnete er die Tür und betrat das Schlafzimmer. Obwohl die Vorhänge noch zugezogen waren, drang bereits helles Licht herein und er konnte Laskina deutlich erkennen. Sie saß auf der Bettkante, die Ellbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen vergraben.
„Bist du in Ordnung?", fragte er, während er näher an sie herantrat. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, hob aber den Blick und sah ihn verzweifelt an. In ihrem Gesicht stand eindeutig Schmerz und Verzweiflung und er spürte, wie ihm das Herz schwer wurde. Laskina so leiden zu sehen, machte ihm zu schaffen und weckte in ihm das drängende Bedürfnis, ihr zu helfen.
Er ließ sich neben ihr auf der Bettkante nieder und drückte leicht ihre Schulter. Sofort ließ sie den Kopf auf seine Schulter sinken und er spürte, dass sie zitterte.
„Was bedrückt dich? Sprich mit mir", forderte er, doch Laskina schweig noch eine Weile, bis sie schließlich doch anfing zu sprechen.
„Meine Gefühle sind absolut durcheinander", setzte sie an, wischte sich mit dem Handrücken durchs Gesicht und suchte seinen Blick. Generis sah ihr in die klaren, blauen Augen und erkannte die Qual darin.
„Was genau fühlst du?", wollte er wissen und tatsächlich schien Laskina ein wenig darüber nachdenken zu müssen.
„Es fühlt sich so an, als würde nur noch Schlimmes geschehen, seit ich mich für Ethonis entschieden habe. Emevras Angriff, Atimis schließt sich dem Untergrund an... Ist das alles meine Schuld?", fragte sie, vollkommene Verzweiflung in der Stimme. Sofort zog Generis sie in eine feste Umarmung, die sie ohne zu zögern erwiderte.
„Aber nicht doch. Es ist nicht deine Schuld. Es macht auch keinen Sinn, hier nach einem Schuldigen zu suchen, denn es ist das Zusammenspiel der Entscheidungen von vielen, die den Weg des Lebens bestimmen", sagte er, was Laskina nicken ließ.
„Das hast du schön gesagt. Aber hätte ich Atimis nicht verlassen, wäre er nicht so verzweifelt gewesen, sich einer illegalen Organisation anzuschließen. Und Emevra wäre nicht durchgedreht und hätte nicht dieses arme Mädchen getötet und Ethonis verletzt", brach es aus Laskina hervor und nun fing sie heftig an zu weinen.
Generis wiegte sie sanft hin und her, in der Hoffnung sie würde sich dadurch ein wenig beruhigen, aber offensichtlich gelang es ihm nicht. Tatsächlich war ihr Gedankengang nicht ganz abwegig, aber sich dafür die Schuld zu geben, war auch nicht richtig.
„He, hör auf, dich deswegen verrückt zu machen. Es war nicht deine Entscheidung allein. Ethonis hat auch dazu beigetragen, dass du diesen Schritt gegangen bist und du weißt, dass Atimis schon immer rebellische Gedanken hatte. Womöglich hätte er sich ohnehin dem Untergrund angeschlossen und Emevra war schon zuvor wahnsinnig. Sie ist es nicht erst durch dich geworden", sagte er eindringlich und spürte, wie Laskina an seiner Schulter nickte.
„Außerdem fühle ich mich schlecht, weil ich meine Gefühle für Atimis nicht leugnen kann. Sie sind noch immer da", fuhr sie leise fort und seufzte ergeben. Generis wusste nicht, wie es sich anfühlte, einen Verbundenen zu haben, also konnte er sich nur bis zu einem gewissen Grad in sie hineinversetzen, aber er wusste durchaus, dass Gefühle manchmal eine Weile in einem herumgeisterten, auch wenn man es nicht wollte.
„Das ist ganz normal. Ihr wart lange Verbundene, natürlich kannst du ihn nicht von heute auf morgen vergessen", versuchte er sie zu beruhigen, aber es brachen sich nur noch mehr Schluchzer aus ihrer Kehle Bahn.
Generis strich ihr sanft über den Arm, aber er wusste nicht, wie er sie noch beruhigen sollte. Er zog sie eng an sich, um ihr zu zeigen, dass sie jederzeit mit ihm sprechen konnte, wenn sie Kummer hatte.
„Entschuldige, dass ich im Moment keine gute Gesellschaft bin", sagte sie, was Generis schnauben ließ.
„Aber nein, ich könnte mir keine bessere Gesellschaft vorstellen. Jeder ist mal traurig und ich weiß, dass du mich auch trösten würdest, wenn ich es wäre", gab er zurück, was sie tatsächlich lächeln ließ. Einige Momente lang saßen sie noch da, sein Arm um ihre Schultern, bis sie sich schließlich mühsam erhob.
„Ich sollte mich waschen gehen", sagte sie und löste sich von ihm.
„Gute Idee. Anschließend könnten wir in den Garten gehen", schlug er vor, was Laskina lachen ließ.
„Gut, gehen wir in den Garten", sagte sie, dann verschwand sie in Richtung des Badezimmers.
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