Kapitel 46 - Generis
Generis Gedanken überschlugen sich, als er mit der Medizin in der Hand zurück zu Ethonis rannte. Woher waren die Schlange und Atimis auf einmal gekommen? Hatte die Schlange wirklich Emevra getötet? Würde er Ethonis retten können? Fragen über Fragen, die er nicht beantworten konnte.
Sein Atem ging stoßweise, als er endlich wieder bei Ethonis anlangte und neben ihm auf den Boden sank. Noch immer ging Ethonis Atem röchelnd, so als hätte er Flüssigkeit in den Lungen. Generis Hände zitterten, als er das kleine Fläschchen öffnete und die Medizin in die Pipette zog. Ethonis schlug kaum merklich die Augen auf, als er ihm die Medizin in den Mund träufelte und anschließend auf seine Wunde am Hals. Beinahe sofort versiegte sie Blutfluss und Ethonis Atem wurde ruhiger.
Erleichtert atmete Generis aus, zog aber noch mehr Medizin in die Pipette und flößte sie seinem Adoptivvater ein.
„Ich danke dir, mein Junge. Wo ist Laskina? Ist sie...", keuchte Ethonis, doch sofort legte Generis sanft eine Hand auf seinen Arm.
„Sie ist am Leben", sagte er und erkannte, wie Ethonis sich augenblicklich entspannte.
„Kannst du sie ins Haus bringen und mir Verbandsmaterial holen?", fragte Ethonis, der trotz der Tatsache, dass er beinahe gestorben war, vollkommen klare Gedanken zu haben schien. Generis nickte, stellte die Medizin neben Ethonis auf dem erdigen Boden ab und erhob sich wieder.
Sein Blick wanderte zu Laskina und er erkannte, dass sie sich inzwischen aufgesetzt hatte. Atimis hockte vor ihr auf dem Boden und umklammerte sie fest. Generis schluckte schwer, denn auch wenn Ethonis das sicherlich nicht gefallen würde, war er froh, dass Atimis und die Schlange hier waren. Sicherlich wären sie sonst alle nicht mehr am Leben, wenn Emevra ihren Amoklauf fortgesetzt hätte.
Unwillkürlich sah er zu seiner Adoptivmutter, die noch immer regungslos dalag. Er setzte sich in Bewegung und ging zu Laskina, die Atimis Umarmung nur halbherzig erwiderte.
„Laskina", sagte er und beinahe erschrocken sah sie zu ihm. Atimis löste sich keinen Millimeter von ihr und er erkannte, dass er weinte. Generis wusste nicht so recht, ob Laskina hier bleiben wollte.
„Ethonis geht es gut und er will, dass du ins Haus gehst", sagte er tonlos, woraufhin Laskina erschrocken die Luft einzog und sich von Atimis losmachte. Nur widerwillig ließ er es zu, doch dann half er Laskina dabei, aufzustehen. Allerdings hielt Atimis ihren Blick mit dem seinen fest und Generis fühlte sich vollkommen fehl am Platz.
„Komm mit", sagte er, griff nach Laskinas Arm und zog daran. Sie nickte, riss den Blick von Atimis los und setzte sich in Bewegung. Gemeinsam gingen sie in Richtung Haus, doch ihm entging nicht, dass Laskina am ganzen Leib zitterte.
„Emevra ist tot?", fragte sie und auch wenn Generis noch nicht nachgesehen hatte, spürte er, dass sie es war. Langsam nickte er, was Laskina ein Keuchen entlockte.
„Was... was genau ist geschehen?", fragte sie weiter, doch Generis legte ihr bestimmt eine Hand auf die Schulter.
„Darüber musst du dir erst einmal keine Gedanken machen. Wichtig ist, dass du dich ausruhst", sagte er eindringlich und führte sie das letzte Stück bis zum Haus. Er öffnete die Tür und hielt sie ihr auf, dann folgte er ihr nach drinnen.
Sofort sank Laskina in sich zusammen und eilig fing Generis sie auf.
„Es ist alles in Ordnung", redete er auf sie ein, doch Laskina fing an, zu weinen. Schluchzen brach sich aus ihrer Kehle und ihre Hände zitterten, als sie sich die Tränen von den Wangen wischte.
„Ich bringe dich in dein Bett", sagte er, hob sie kurzentschlossen hoch und trug sie die Treppen nach oben. Laskina ließ es zu, doch gerade als er sie auf die weiche Matratze bettete, griff sie nach seiner Hand.
„Atimis war da", sagte sie. Generis nickte, auch wenn er noch immer keinen blassen Schimmer hatte, woher er auf einmal gekommen war. Beobachtete er sie schon die ganze Zeit, seit sie hier eingezogen war? Die Vorstellung war gruselig, dass er die ganze Zeit hier umhergeschlichen war.
„Wieso war er hier?", fragte sie, woraufhin Generis die Schultern zuckte.
„Ich weiß es nicht", sagte er, was Laskina seufzen und den Blick abwenden ließ. Offensichtlich war sie in Gedanken und nur zu gern hätte er ihr zugehört, allerdings musste er wieder nach unten zu Ethonis.
„Ruh dich auf. Sicherlich wird sich alles aufklären", sagte er, drückte noch einmal ihre Hand und ging um das Bett herum, um im Schränkchen nach Verbandsmaterial zu suchen.
„Kannst du... kannst du ihn bitten, zu mir zu kommen?", fragte Laskina auf einmal und verwirrt sah er zu ihr. Gerade eben noch hatte sie ihn stehengelassen und nun wollte sie, dass er zu ihr kam?
„Ethonis, meine ich", setzte sie leise nach, denn offensichtlich war sein Blick leicht zu deuten gewesen. Verlegen lachte Generis und nickte.
„Aber ja. Er wird sicherlich gleich zu dir kommen", versicherte er ihr, griff nach den Verbänden und ließ sie allein. Er musste dringend zu Ethonis und seine Wunde versorgen, damit er wieder ganz gesund wurde.
Er eilte wieder hinaus in den Garten und sank neben Ethonis auf die Knie. Er hatte sich inzwischen ein wenig aufgerichtet, doch er wirkte schwach.
„Hier, bitte", sagte Generis und fing an, den weichen Stoff auf seine klaffende, aber nicht mehr blutende Wunde am Hals zu drücken. Nachdem er Verband befestigt war, hielt Generis ihm die Hand hin und ohne zu zögern ließ er sich von ihm auf die Beine ziehen. Ethonis wirkte wacklig auf den Beinen, doch er setzte sich zielsicher in Bewegung.
Allerdings nicht in Richtung Haus, sondern in die Richtung, in der Emevra lag. Sein Atem beschleunigte sich, als sie bei Emevra ankamen. Sie lag noch immer unverändert auf dem Boden. Ethonis ging neben ihr in die Hocke und legte die Finger an ihren Hals, um nach ihrem Puls zu fühlen. Nach wenigen Sekunden hob er den Blick an und sah ihn eindringlich an.
„Sie ist tot", sagte er, erhob sich wieder und wandte sich ab. Erst da bemerkte Generis, dass keine Spur mehr von Atimis oder der Schlange zu sehen war. Sie waren verschwunden, als seien sie niemals hier gewesen. Suchend sah er sich um, doch sie waren nicht mehr da.
Generis folgte Ethonis ins Haus, wo er geradewegs die Treppen nach oben ging.
„Eines der Mädchen im Blumengarten ist tot", fiel es Generis auf einmal wieder ein, was Ethonis abrupt innehalten ließ.
„Bitte?", fragte er ungläubig, was Generis nicken ließ.
„Ja, Emevra hat ihr die Kehle durchgeschnitten. Ich konnte nichts mehr für sie tun, sie war bereits tot", erklärte er, erntete aber einen bitterbösen Blick von Ethonis.
„Warum sagst du mir das erst jetzt?", fuhr er ihn an, eilte an ihm vorbei und verschwand wieder im Garten. Ein wenig verunsichert sah er ihm nach, denn es hatte bisher einfach noch keine Gelegenheit gegeben, es ihm zu sagen.
Auf einmal fühlte Generis sich erschöpft und ausgelaugt. Viel zu viel war in den letzten Minuten geschehen und sicherlich würde die Tragweite der Geschehnisse erst in den nächsten Tagen auf ihn einprasseln.
Emevra war tot. Nicht, dass es ein sonderlich großer Verlust war, aber dennoch machte ihr Tod ihn beklommen.
Kopfschüttelnd trottete er in sein Zimmer. Schlaf würde ihnen allen sicherlich gut tun. Er ließ sich in sein Bett aus Stroh fallen und schloss die Augen. Doch schnell öffnete er sie wieder, denn sofort sah er das blutüberströmte Mädchen vor sich auf dem Boden liegen.
Ein Schauer lief über seinen Rücken und er legte sich auf die andere Seite, aber es half nur wenig. Immer wieder sah er das Mädchen im Blumengarten vor seinem inneren Auge, dessen Tod überflüssig und unverzeihlich war.
Aber Emevra hatte ihre Strafe bekommen. Sie war tot und konnte nun mit Sicherheit niemandem mehr ein Leid zufügen. Es sei denn, sie suchte ihn in seinen Träumen heim, was er durchaus für möglich hielt.
Generis seufzte und buddelte sich weiter im Stroh ein. Er musste sich ausruhen, damit er schon bald wieder fit war und für Laskina da sein konnte. Irgendwie hatte er es im Gespür, dass die Begegnung mit Atimis sie mehr durcheinander gebracht hatte, als sie vor Ethonis zugeben würde.
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