Kapitel 41 - Laskina

Laskina spürte die starken Arme unter ihrem Körper, die sie trugen. Nur mühsam gelang es ihr, die Augen zu öffnen und es dauerte einen Moment lang, bis sie wusste, wo sie war. Ihre Wange schmiegte sich an Ethonis warme Brust, während er sie die Treppen nach oben trug. 

„Schlaf weiter, Liebste", flüsterte er leise, doch sie wollte nicht mehr schlafen. 

„Wo ist Generis?", fragte, was Ethonis lächeln ließ. 

„Er ist in seinem Zimmer. Auch er wollte sich etwas ausruhen", antwortete er, gerade als sie die oberste Treppenstufe erreichten. Sie machte sich bereit, von Ethonis wieder auf die Füße gestellt zu werden, doch nichts dergleichen geschah. Er trug sie weiter bis in ein Zimmer, in dem sie bisher noch nicht gewesen war. 

Sanftes Sonnenlicht drang durch das geöffnete Fenster herein, an dem sich ein weißer Vorhang im Wind bauschte. Ethonis trug sie bis zu einem riesigen Bett, auf dem er sie niederließ. Laskina spürte den weichen, samtenen Stoff der Decke und sofort schmiegte sie sich hinein. Ethonis ging um das Bett herum und legte sich neben sie. 

Erst da sah Laskina sich in dem großen Zimmer um. Es war mindestens dreimal so groß wie ihre Hütte im Slum und wie das meiste hier im Haus war es weiß. Die Wände, die Vorhänge, die Decken und die Kissen im Bett. Ein riesiger, weißer Schrank stand an der Wand links von ihr, gegenüber vom Fenster. 

„Ich habe alle Sachen von Emevra aus diesem Zimmer entfernt. Es ist nun unser Schlafzimmer", sagte Ethonis neben ihr und erst da richtete sie den Blick von der imposanten Einrichtung wieder auf ihn. Er lag auf der Seite, den Kopf auf eine Hand gestützt und sah sie beinahe bewundernd an. Laskina spürte, wie sie errötete und wandte eilig den Blick ab. 

„Du bist zu mir zurückgekehrt", sagte Ethonis schließlich, was Laskina ihm wieder den Blick zuwenden ließ. Seine Lippen waren leicht geöffnet und in diesem Moment sah er so viel jünger aus, als er es tatsächlich war. 

„Ja", brachte sie nur hervor und schluckte schwer. Sie hatte sich für Ethonis und gegen Atimis entschieden. Natürlich konnte sie ihre Gefühle für Atimis nicht sofort abstellen, aber die für Ethonis drängten sich immer mehr in den Vordergrund. Er hatte schon so viel für sie getan, was ihr eindeutig zeigte, dass er sie liebte. 

Laskina sah, wie Ethonis die Hand nach ihr ausstreckte und schließlich nach ihrer Hand griff. Die Berührung seiner Haut auf ihrer verursachte ein angenehmes Kribbeln in ihr, das sie bisher nur bei Atimis gespürt hatte. Doch anstatt ihre Hand zu nehmen, wanderten seine Finger zu ihrem Armring, der noch immer blass blau-golden um ihr Handgelenk lag. 

„A1379", las er die Inschrift, was Laskina zusammenzucken ließ. 

„Das ist vorbei", sagte sie leise, was Ethonis lächeln ließ. 

„Bist du dir wirklich sicher? Das lässt sich nicht umkehren", wollte er wissen und ohne darüber nachzudenken nickte sie. 

„Ja, ich bin mir sicher", sagte sie, denn auch wenn ihr Herz noch an Atimis hing, wollte sie dieses Leben hier mit Ethonis. Allerdings breitete sich ein kleiner Zweifel in ihr aus. 

„Bist du dir auch sicher?", hakte sie nach, woraufhin Ethonis in schallendes Gelächter ausbrach. Ein wenig verunsichert lachte auch Laskina, doch ihr Blick hing an seinem Armring, eindeutig golden und wunderschön. 

„Eines kannst du mir glauben: Ich bin mir schon sehr langer sicher, dass ich die Verbundgemeinschaft zu Emevra lösen will. Aber ich wollte es nicht mit irgendjemandem tun, ich wollte, dass meine neue Verbundene jemand ist, der mir wirklich etwas bedeutet", sagte er sanft, löste seine Hand von ihrem Armring und legte sie stattdessen auf ihre Wange. 

„Laskina, du weißt bereits, dass ich dich liebe und ich möchte dich fragen, ob du mit mir die Verbundgemeinschaft zu Atimis lösen willst. Hier und jetzt", fragte er feierlich und sie erkannte das Verlangen in seinem Blick. Laskinas Herzschlag beschleunigte sich, denn ihr war klar, dass sie Ethonis dafür so nah an sich herankommen lassen musste, wie sie es bisher nur Atimis gestattet hatte. Es wäre unwiderruflich, endgültig und das Ende von ihrem Leben mit Atimis. 

„Ja, ich will es so", hauchte sie mit zitternder Stimme und wartete gespannt auf Ethonis Reaktion. Er stieß erleichtert Luft aus, als hätte er Zweifel daran, dass Laskina tatsächlich zustimmen würde. Anschließend lächelte er, legte einen Arm um sie und zog sie enger an sich.

Laskina spürte, wie ihr Armring zerbrach. Ein Schmerz durchfuhr sie und sie keuchte erschrocken auf, genau im gleichen Moment wie Ethonis. Ihr Blick fiel auf ihr Handgelenk, an dem nur noch Splitter von dem Armring hingen, der sie und Atimis zu Verbundenen gemacht hatte. Eilig schüttelte sie sie ab und sie sah, wie Ethonis das gleiche tat. 

„Es fühlt sich genau richtig an", sagte er leise, befreite sein Handgelenk ebenfalls von den Überresten und wandte sich wieder ihr zu. Sein Körper und der ihre verschmolzen weiter miteinander und auch wenn sie biologisch nicht in der Lage war, sich fortzupflanzen, fühlte sich der Akt gut an. 

Laskina spürte ihre Gefühle zu Ethonis mit jeder Sekunde wachsen und wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Immer und immer wieder sagte sie sich diesen Satz, damit ihr kleines, dummes Herz nicht zu sehr mit dem Schmerz beschäftigt war, den es in ihr verursachte wenn sie an Atimis dachte. 

„Du bist so wunderschön", hauchte Ethonis, als er sich wieder neben sie legte und eine Strähne ihres Haares um seinen Finger wickelte. Laskina errötete, zog die Decke etwas höher über ihren Körper und bemerkte, wie sich ein Lächeln auf ihre Lippen legte. 

„Möchtest du ein Bad nehmen?", fragte Ethonis auf einmal und etwas verwirrt sah sie ihn an. 

„Na komm, es wird dir gefallen", fuhr er fort, erhob sich und kam um das Bett herumgelaufen, um ihr aufzuhelfen. Dankend nahm sie seine Hand und ließ sich von ihm in Richtung Tür ziehen, als sie auf einmal innehielt. 

„Stimmt etwas nicht?", fragte Ethonis, der offensichtlich ihr Zögern bemerkt hatte, doch eilig schüttelte sie den Kopf. Ihre Kleider lagen noch neben dem Bett auf dem Boden und es war ihr ein wenig unangenehm, unbedeckt neben ihm zu stehen. 

Ethonis nickte wissend, ließ ihre Hand los und ging zu dem großen, weißen Schrank. Als er die Schiebetür öffnete, staunte Laskina. Er war gefüllt mit so viel Kleidung, Decken und Handtüchern, wie sie noch nie auf einem Haufen gesehen hatte. Ethonis holte ein schneeweißes, flauschig aussehendes Handtuch heraus und faltete es auseinander, während er zu ihr zurückkam. 

„Hier", sagte er, legte es ihr um die Schultern und wickelte es um ihren Körper. 

„Danke", sagte sie leise, doch Ethonis öffnete bereits die Tür und führte sie über den Flur ins Badezimmer, in dem sie bereits einmal gewesen war. Noch immer kam es ihr unnatürlich groß vor und als sie die Wanne etwas genauer betrachtete, wurde sie schwermütig. 

Atimis und sie hatten nie die Gelegenheit gehabt, zu Hause zu baden. Hin und wieder hatten die Füße in die kleine Holzwanne gehalten, aber das war schon alles, was dem Baden nahe kam. 

„Darin ist Platz für uns beide, wenn du möchtest", schlug Ethonis schulterzuckend vor und sah sie fragend an. Laskina nickte, denn auch wenn sie sich sicher war, dass Ethonis es ernst mit ihr meinte, war das hier vielleicht eine der wenigen Möglichkeiten, eine solche Wanne zu benutzen. 

„Gern", erwiderte sie, ließ ihr Handtuch fallen und hob den Fuß an, um in die Wanne zu klettern. 

„Warte, lass mich erst das Wasser aufdrehen", lachte er, griff an ihr vorbei und drehte den großen, verchromten Wasserhahn auf. Sofort schoss dampfendes, wohlriechendes Wasser heraus und nach und nach füllte sich die Wanne. 

Laskina schloss für einen Moment die Augen und genoss das Rauschen und den angenehmen Duft, bis sie eine Berührung an ihrer Schulter spürte. Ethonis legte seine sanften, weichen Hände auf ihre Schultern und massierte sie leicht. Augenblicklich entspannte Laskina sich. 

„Das kann dir Atimis wohl nicht bieten, habe ich recht?", fragte er und auch wenn ihm klar sein musste, dass es ein solches Bad nicht im Slum gab, nickte sie. Schon nach wenigen Augenblicken löste Ethonis sich wieder von ihr, drehte den Wasserhahn ab und hielt ihr auffordernd die Hand hin. 

„Darf ich bitten", sagte er süffisant, woraufhin Laskina seine Hand nahm und sich von ihm in die Wanne helfen ließ. Kaum dass das warme Wasser sie berührte, entfuhr ihr ein genüssliches Seufzen. Es war ein wunderbares Gefühl, von dem Wasser umschlossen zu werden und zufrieden ließ sie sich ganz ins Wasser gleiten. Ethonis folgte ihr und tatsächlich war die Wanne so groß, dass sie beide locker Platz darin hatten. Laskina lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, zog die Beine an und umklammerte sie mit den Armen. Das Wasser reichte ihr bis knapp unters Kinn und es fühlte sich unbeschreiblich schön an. 

Eine ganze Weile genoss sie das angenehme Gefühl, doch Ethonis machte schließlich mit einem Räuspern auf sich aufmerksam. Laskina schlug die Augen wieder auf und sah ihn fragen an. Sein Haar war nicht mehr ganz so geordnet wie sonst, doch in seinen Augen lag ein Schimmer, den sie bisher noch nicht gesehen hatte. 

Er lächelte, beinahe verlegen, doch als seine klaren, blauen Augen ihren Blick einfingen, wirkte er nicht mehr verlegen, sondern selbstsicher.

„Was möchtest du gleich essen?", fragte er, was Laskina verwirrt die Schultern zucken ließ. Sie wusste nicht, dass es eine Auswahl gab, denn im Slum hatten sie beinahe jeden Tag das gleiche gegessen. Ein Stück Brot, ein wenig Grießbrei und hin und wieder etwas Gemüse, das Atimis von der Arbeit mitgebracht hatte. Als Ethonis ihre Verwirrungen bemerkte, lachte er leise. 

„Was hast du im Slum gegessen?", fragte er und sie sagte es ihm. Ethonis sah überrascht aus, doch er nickte. 

„Möchtest du das heute auch essen?", fragte er, was Laskina heftig den Kopf schütteln ließ. 

„Nein, ich möchte nicht mehr an das Slum erinnert werden. Dort ist zu viel Leid geschehen", sagte sie und verdrängte eilig die aufsteigenden Bilder von Atimis, wie er mit schmerzverzerrtem Gesicht und übersät mit Wunden, die von Folter zeugten, nach Hause gekommen war. 

„Was isst du normalerweise?", hakte sie nach und einen Moment lang legte Ethonis den Finger ans Kinn, als würde er nachdenken. 

„Üblicherweise esse ich etwas von den Feldern, das Emevra zubereitet hat. Ich kann dir zeigen, wie es geht", sagte er und sofort nickte Laskina. Sie wollte ihm ein köstliches Mahl bereiten, denn das hatte er eindeutig verdient. 

„Ich muss noch sehr viel lernen, damit ich dir eine gute Verbundene sein kann", sagte sie, doch Ethonis winkte ab. 

„Aber nicht doch. Du bist perfekt, genau so, wie du bist", erklärte er und auch wenn diese Worte ihr schmeichelten, wusste sie, dass sie nicht stimmten. Sie wusste sehr wenig über Ethonis Leben, zu dem nun auch sie gehörte. Zumindest, sobald sie ihre Verbundgemeinschaft eingegangen waren.

Auf einmal fiel ihr etwas siedend heiß ein und erschrocken sog sie die Luft ein. 

„Alles in Ordnung?", fragte Ethonis besorgt, doch Laskina schüttelte den Kopf. 

„Es ist verboten, was wir gerade tun", bemerkte sie, denn tatsächlich war es nicht erlaubt, in einem gemeinsamen Haus zu leben, ohne verbunden zu sein. Sie mussten erst eine Verbundgemeinschaft eingehen, bevor sie zweckmäßig die Behausung oder das Essen teilen durften. Zumindest war es im Slum so. Hier schienen andere Regeln zu gelten, denn Ethonis lächelte nur. 

„Was genau meinst du?", wollte er dennoch wissen, doch an seinem sicheren Lächeln erkannte sie bereits, dass ihre Ängste unbegründet waren.

„Nun, da ich Atimis Hütte verlassen habe, und wir beide eine Verbundgemeinschaft eingehen werden, denke ich, dass dies hier mein zu Hause ist", setzte sie an und wartete auf Ethonis Nicken, das nur wenige Augenschläge auf sich warten ließ. 

„Und es ist verboten, sich die Unterkunft zu teilen, wenn man nicht verbunden ist", fuhr sie fort und tatsächlich nickte Ethonis. 

„Nun, im Grunde hast du recht. Aber hier gibt es keine Elstern, die uns beobachten. Niemand wird uns verraten und außerdem...", erklärte er, beendete aber den Satz nicht. Stattdessen erhob er sich und stieg aus der Wanne. Er wickelte das Handtuch um sich und zwinkerte ihr zu, dann verließ er das Bad. 

Verwundert sah sie ihm nach, denn sie wusste nicht, ob sie ihm folgen sollte oder nicht. Bevor sie sich entschieden hatte, ob sie ihm nun nachgehen sollte, kam er bereits zurück. In den Händen hielt er eine weiße Schachtel, etwa so groß wie zwei aneinander gelegte Hände. 

„Außerdem wird es Zeit, dass wir eine Verbundgemeinschaft eingehen", sagte er, legte die Schachtel auf dem Rand der Wanne ab und stieg zurück zu ihr in die Wanne. 

„Was genau meinst du damit? Was ist darin?", fragte sie neugierig, woraufhin Ethonis die Schachtel vorsichtig öffnete. Darin lagen zwei weiße Armringe. Laskina zog staunend die Luft ein, denn im Slum hatten nur Elstern solche Armringe und nur sie konnten sie anlegen. 

„Ist es... ist es üblich, dass ihr solche Armringe habt?", fragte sie, doch Ethonis schüttelte den Kopf. 

„Aber nein. Ich habe nur die Befugnis, sie anzulegen. Als ich in deinem Alter war, habe ich mir damit etwas Gold verdient", berichtete er, was Laskina ungläubig den Kopf schütteln ließ. Das Leben hier war so anders als im Slum und auch er war so anders als die übrigen Hohen Menschen, die sie bisher kennengelernt hatte. 

„Das bedeutet, du willst...", setzte sie an, brachte aber den Satz nicht zu Ende. Ethonis nahm einen der Armringe heraus und streckte die Hand nach Laskina aus. 

„Gib mir deine Hand", sagte er und sie gehorchte. 

„Laskina, bist du dazu bereit, mit mir eine Verbundgemeinschaft einzugehen?", fragte er und klang auf einmal sehr offiziell. 

„Ja, natürlich", hauchte sie, woraufhin er ihr den Armring über die Hand schob. Wie von allein schrumpfte er auf die richtige Größe und verfärbte sich. Es sah aus wie Farbe, die man in Wasser gab, wie sich die goldene und blaue Färbung verteilte. Gebannt beobachtete sie, wie sich die eine Hälfte des Armringes blau, die andere golden verfärbte. Anschließend brannte sich eine neue Gravur in die Oberfläche. C758 erschien deutlich lesbar darauf. 

Laskinas Herzschlag beschleunigte sich, denn auch wenn sie das hier wollte, sah ihr neuer Armring noch fremd an ihrem Handgelenk aus. 

„Ich bin ebenso bereit, mit dir eine Verbundgemeinschaft einzugehen", erklärte Ethonis, nahm den zweiten Armring aus der Schachtel und schob ihn sich selbst an das Handgelenk. Genau wie bei ihr verfärbte sich der Armring blau und golden und die Gravur C758 brannte sich hinein. 

„C758", sagte sie, doch es klang merkwürdig fremd und ungewohnt. 

„Ja, das sind wir beide", erwiderte er und betrachtete einen Moment lang den Armring. Auf einmal wirkte er genau so nervös, wie sie es war, doch eilig überdeckte er die Nervosität mit einem Lächeln. 

„Komm her", forderte Ethonis, breitete die Arme aus und machte mit den Händen einladende Gesten. Eilig krabbelte Laskina ein wenig ungelenk durch das Wasser zu ihm und schmiegte sich an seine Brust. Sofort schlossen sich Ethonis Arme um sie und er küsste sie sanft aufs Haar. 

„Unser Leben wird wunderbar, das verspreche ich dir", flüsterte er und Laskina zweifelte keine Sekunde daran, dass er alles dafür tun würde, um sein Versprechen wahr werden zu lassen.

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