Kapitel 4 - Generis
„Er ist ganz ausgeglichen, ich weiß gar nicht, warum du eine solche Angst vor ihm hast", hörte Generis Ethonis sagen. Nicht, dass er unbedingt hatte lauschen wollen, aber sein Gehör war besser, als Ethonis und Emevra vermuteten. Er lag in seinem Strohbett, die Tür seines Zimmer war wieder fest verschlossen. Seine Adoptiveltern saßen im Wohnzimmer auf dem riesigen Sofa vor dem prasselnden Kaminfeuer.
„Er hat mich bedroht. Bei dir ist er immer lieb und nett, aber nicht bei mir. Er muss in seinem Zimmer bleiben, wenn du nicht im Haus bist", sagte Emevra bestimmt. Eine Weile herrschte Stille und er wusste, dass Ethonis das nicht wollte. Genau so wie er, denn wenn er so wie heute den ganzen Tag eingesperrt war und nichts zu Essen bekam, steigerte das nur seinen Frust.
„Emevra, er ist unser Sohn", sagte Ethonis, was Emevra schnauben ließ.
„Er ist ein Tier, nichts weiter. Seine Intelligenz hat er durch Menschenhand", erwiderte sie abschätzig. Generis spürte wieder einmal Wut auf diese Menschenfrau in sich aufsteigen. Ja, sie hatte recht, seine Intelligenz war durch Experimente im Labor entstanden, aber das änderte doch nichts daran, dass er nun einmal so war, wie er war. Er hatte Gefühle, genau wie Menschen und er wusste, dass es falsch war, wie Emevra ihn behandelte. Er drehte sich in eine etwas gemütlichere Position und spitzte weiter die Ohren.
„Emevra, Liebling, gib ihm eine Chance. Du weißt, dass du ihn nicht die ganze Zeit einsperren kannst", sagte Ethonis tadelnd, was Emevra jedoch mit einem Lachen kommentierte.
„Und warum nicht? Sonst laufe ich doch Gefahr, dass er mich irgendwann einmal angreift", widersprach sie. Generis ballte die Hände zu Fäusten und vergrub sich weiter im Stroh. Er konnte sich das nicht weiter anhören, sonst explodierte er noch irgendwann. Diese Frau war absolut verachtend allen gegenüber die nicht wie sie ein Hoher Mensch war. Zwar hatte er hier ein besseres Leben als viele Niedere Menschen oder die Androiden, aber was war das nur für ein Leben, in dem man zwar genug zu Essen und ein warmes zu Hause hatte, wenn man so abschätzig behandelt wurde? Im Prinzip war er doch ein Gefangener, der nur nach draußen durfte, wenn Ethonis es ihm erlaubte.
Generis presste sie Hände auf die Ohren und kniff die Augen zusammen. Panisch versuchte er an etwas anderes zu denken als Emevra und ihr abschätziges Grinsen, wenn sie auf der anderen Seite der Glastür stand. Wie von allein wanderten seine Gedanken zu der neuen Gärtnerin, Laskina. Sie war anders als die anderen. Nicht nur, dass sie ungewöhnlich hübsch war, bei ihr hatte er das erste Mal in seinem Leben das Gefühl, dass er als gleichwertiges Lebewesen gesehen wurde. Auch wenn es eigentlich selbstverständlich sein musste, fühlte es sich gut an. Hoffentlich würde Ethonis sie noch öfter hier her bringen und hoffentlich würde er sich noch einmal mit ihr unterhalten können. Vielleicht würde sie sein Leben ein wenig lebenswerter machen, doch schnell verwarf er den Gedanken wieder. Vermutlich würde er sie ohnehin nie wieder sehen, da Ethonis diese Sympathie zwischen ihnen bemerkt hatte. Generis wusste nicht genau warum, aber anscheinend wollte Ethonis ihn von der Außenwelt abschirmen. Seufzend vergrub er sich noch weiter ins Stroh und versuchte zu schlafen. Allerdings schlich sich Laskina immer wieder in seine Gedanken, ihr Lächeln und ihre Freundlichkeit.
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„Generis", riss ihn auf einmal eine Stimme aus seinem wohligen Halbschlaf und eilig hob er den Kopf. Im Haus war es dunkel und es dauerte einen Moment lang, bis er Ethonis Umrisse auf der anderen Seite der Glasscheibe erkannte.
„Generis, komm her", rief Ethonis noch einmal mit gedämpfter Stimme, so als wollte er nicht, dass Emevra etwas davon mitbekam. Eilig erhob Generis sich und ging zu ihm an die Scheibe. Ethonis trug nicht wie üblich seine schicke, teure Kleidung, sondern eine einfach Stoffhose und ein Hemd. Neugierig sah Generis ihn an und als er bemerkte, dass Ethonis ihm etwas durch eines der Luftlöcher hineinreichte, wandte er den Blick auf seine Hand. Es war eine große, saftig glänzende Kirsche aus dem Gewächshaus.
„Die ist für dich", sagte er und eilig nahm Generis sie.
„Danke", sagte er, dann schob er sich die Kirsche in den Mund. Sie schmeckte gut und intensiv und genüsslich schloss er die Augen.
„Ich möchte dir etwas zeigen. Es wird dir gefallen", sagte Ethonis und begab sich in Richtung der Tür. Generis folgte ihm, doch misstrauisch sah er ihn an. Offensichtlich sollte Emevra von dieser ganzen Sache nichts mitbekommen, denn sonst hätte er es ihm auch am Tag zeigen können.
„Du musst leise sein", sagte Ethonis und legte zur Verdeutlichung einen Finger an die Lippen. Generis nickte, dann trat er durch die inzwischen geöffnete Tür nach draußen in den Wohnbereich. Ethonis bedeutete ihm mit einer Handbewegung, ihm zu folgen und gemeinsam gingen sie in den Garten.
Hier war es stockdunkel und erst in diesem Moment wurde Generis bewusst, dass er noch nie in der Nacht im Garten gewesen war. Sein Blick wanderte zum Himmel und er staunte über die Sterne. Sie leuchteten wie kleine Sprenkel und er hätte sie noch stundenlang einfach nur betrachteten können.
„Komm, hier geht es lang", hörte er Ethonis sagen und eilig riss er den Blick vom Himmel und eilte seinem Adoptivvater hinterher. Er führte ihn durch den Garten, vorbei am Blumengarten und den Feldern, auf denen Nahrungsmittel angebaut wurden. Auf einmal sah er in der Dunkelheit einen ungewohnten Umriss. Tatsächlich war er nicht oft in diesem Teil des Gartens, denn hier arbeiteten oft die Gärtnerinnen, mit denen er ohnehin nicht reden durfte.
Als sie näher kamen, erkannte Generis, dass es eine Art Teich war. Er war rechteckig und ziemlich groß und lag unter einer Art Dach aus Glas. Generis staunte und blieb einige Schritte vom Wasser entfernt stehen, denn er konnte nicht schwimmen. Ethonis griff nach seiner Hand und zog ihn näher an den Teich heran.
„Sieh mal, wir haben Meereslebewesen gefangen und hier her gebracht", sagte Ethonis stolz, als wäre es ganz normal, wildlebende Tiere zu fangen und in einen kleinen Teich im Garten zu verfrachten. Missmutig warf Generis einen Blick hinein und sah jede Menge Fische herumschwimmen.
„Und weißt du, was das Beste ist?", fragte Ethonis stolz, als hätte er den Meereslebewesen einen Gefallen getan, sie hier in einem Quadrat aus Wasser einzusperren. Generis schüttelte den Kopf und sah ihn fragend an.
„Hier lebt auch eine Muräne. Sie versteckt sich unten am Grund des Teiches hinter einem Felsen", sagte er und grinste. Generis richtete den Blick wieder auf den Teich, doch in der Dunkelheit konnte er nicht bis auf den Grund sehen.
„Du hast wildlebende Tiere gefangen, um sie hier in einen Teich zu sperren?", fragte er ungläubig, denn auch wenn er wusste, dass Hohe Menschen grausam waren, kam ihm das einfach nur sinnlos und falsch war.
„Aber nein, sie sind doch nicht eingesperrt. Es sind animalische Tiere, sie haben keine Gefühle und kein Selbstbewusstsein so wie du. Für sie macht es keinen Unterschied, ob sie hier im Teich leben oder im Meer", erklärte Ethonis, doch irgendwie kam ihm das nicht wirklich schlüssig vor. Er brummte nur, betrachtete aber weiterhin die Fische.
„Wenn du möchtest, kannst du etwas zu Essen hineinwerfen", sagte Ethonis und kramte aus seiner Hosentasche etwas, das wie ein kleingeschnittener Salatkopf aussah. Ohne eine Antwort abzuwarten hielt er ihm eine Handvoll hin. Aus Reflex nahm Generis das Essen und hielt es unschlüssig fest.
„Wirf es in den Teich", sagte Ethonis und machte eine Kopfbewegung in Richtung des Wassers. Generis gehorchte und warf den Salat hinein. Augenblicklich schnappten die Fische nach dem Leckerbissen. Generis kam das alles falsch vor, doch Ethonis neben ihm wirkte ziemlich vergnügt. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und wippte grinsend vor und zurück.
„Oh sieh nur, da ist du Muräne", rief er auf einmal aus und deutete mit dem ausgestreckten Finger in das dunkle Wasser. Generis sah hinein und zuckte zusammen, als er das Blitzen unerwartet großer Augen sah. Die Muräne schlängelte sich bis zur Wasseroberfläche, öffnete das Maul und entblößte zwei Reihen spitzer Zähne. Unwillkürlich wich Generis ein Stück zurück und beobachtete, wie die Muräne nach dem Salat schnappte, der träge an der Wasseroberfläche trieb.
„Gefällt sie dir?", fragte Ethonis, als wäre die Muräne kein Lebewesen, sondern eine hübsche Blume oder so etwas.
„Die Zähne sind gruselig", sagte er wahrheitsgemäß, was Ethonis lachen ließ.
„Ich finde sie faszinierend", gab er zurück, dann wandte er sich zum Gehen.
„Na komm, es ist schon lange Zeit zum Schlafen. Außerdem wollen wir doch nicht, dass Emevra etwas von unserem kleinen Ausflug mitbekommt", sagte er zwinkernd und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, ihm wieder in Richtung Haus zu folgen. Generis gehorchte und auch wenn ihm der nächtliche Ausflug gefallen hatte, immerhin war er so ein paar Minuten länger an der frischen Luft, stimmte ihn dieser Teich traurig. Es war falsch, dass Lebewesen sich gegenseitig zur Belustigung in Gefangenschaft hielten. Oder aus Angst, wie es in seinem Fall war. Auch wenn Ethonis nicht direkt Angst vor ihm hatte, so fürchtete sich doch Emevra vor ihm.
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