Kapitel 36 - Atimis

Atimis wachte von den Sonnenstrahlen, die in sein Gesicht fielen auf. Wie von allein wanderte seine Hand auf die andere Seite des Bettes zu Laskina und legte ihr eine Hand sanft auf die Schulter. Sofort schreckte sie hoch, als hätte seine Berührung sie verbrannt. Atimis entschloss sich, das zu ignorieren und fing an, ihre verspannten Muskeln zu massieren. 

„Hast du gut geschlafen?", fragte er, woraufhin sie einen merkwürdigen Laut ausstieß und sich von ihm losmachte. Sie setzte sich auf die Bettkante, den Blick von ihm abgewandt.

„Laskina", sagte er, doch anstatt zu ihm zu sehen, stand sie auf und ging zu der Feuerstelle. Er beobachtete sie, wie sie nach dem Schürhaken griff und die glimmenden Kohlen hin und her schob, bevor sie einen Topf mit Wasser füllte und über die Glut hängte. 

Anschließend kam sie zurück ans Bett und sah zu ihm herab. Ihr Blick war kalt und abweisend, was ihm eine Gänsehaut bescherte. Mühsam schob er die Decke beiseite, erhob sich ebenfalls und trat an sie heran. Sie wich nicht zurück, verschränkte aber abwehrend die Hände vor der Brust. Atimis streckte die Hand nach ihr aus und breitete schließlich die Arme aus. Laskina zögerte, doch dann ließ sie sich wie ein Stein gegen ihn fallen. Sofort schlang er die Arme um sie und sog ihren vertrauten Duft ein. 

„Hast du deine Entscheidung geändert?", fragte er hoffnungsvoll, doch ihr genervtes Seufzen verpasste ihm einen Dämpfer. Sie löste ihre Arme aus der verschränkten Haltung, doch nicht um seine Umarmung zu erwidern, sondern um ihre Hände auf seine Brust zu legen und ihn von sich zu stoßen. Sicherlich hätte Atimis verhindern können, dass sie sich aus seiner Umarmung wand, aber um ihretwillen ließ er es zu. 

„Meine Entscheidung steht fest. Ich möchte diese Chance ergreifen", sagte sie tonlos, was Atimis zeigte, dass es ihr ganz und gar nicht so leicht fiel, wie sie vorgab. Langsam nickte er, griff aber gleichzeitig nach ihren Händen. 

„Du weißt, dass ich das nicht möchte", sagte er, woraufhin Laskina nickte. 

„Ja, das weiß ich. Aber hier mit dir wird sich mein Leben niemals verbessern", sagte sie, machte sich von ihm los und verschwand nach draußen. Eilig ging er ihr nach, denn er fühlte sich noch nicht bereit, sie gehen zu lassen. 

„Ich hole ein paar Kräuter für den Tee", sagte sie und erleichtert atmete Atimis auf. Er sah ihr nach, wie sie die Hütte verließ und sich draußen im Garten niederließ, um einige Kräuter zu ernten. 

Er beschloss, etwas von dem Brot herauszuholen und ging zu der kleinen Küche, wo sie es aufbewahrten. Er öffnete den Schrank und zog den in ein Leinentuch eingewickelten Laib Brot heraus und brach zwei großzügige Stücke davon ab. Anschließend nahm er ihre beiden Teller heraus und legte die Stücke darauf, bevor er sie zu dem kleinen Tisch trug. 

Gerade als er sie abstellte, kam Laskina mit einer Handvoll Kräuter wieder herein, füllte sie in die beiden Becher, die noch immer auf der kleinen Küchenablage standen und ging damit zur Feuerstelle. Natürlich kochte das Wasser noch nicht, doch sie starrte in den kleinen Topf, als könnte sie es dadurch schneller erhitzen. 

Atimis schluckte schwer, denn es war eindeutig, dass sie von ihm weg wollte. Diese Erkenntnis schmerzte, denn bis vor wenigen Tagen war sie glücklich mit ihm gewesen. Vermutlich hatte ihre Träumerei nach einem besseren Leben ihr den Kopf verdreht, aber dass sie ihn tatsächlich für diese fixe Idee verlassen würde, hätte er nicht erwartet. 

Langsam ging er zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Beinahe erschrocken wandte sie sich zu ihm um und er erkannte ihren gequälten Blick. Atimis Herz wurde schwer, denn er wusste nicht, was er ihr sagen sollte. Wurde sie wütend, wenn er ihr seine Liebe erklärte? Ein Seufzen entfuhr ihm, woraufhin Laskina ihre Hand auf seine legte. Überrascht sah er sie an, doch langsam schob sie seine Hand von ihrer Schulter herunter. 

„Ich habe mich entschieden", wiederholte sie nur, allerdings glaubte Atimis in ihrem Blick so etwas wie Wehmut zu erkennen. 

„Das... das tut mir leid", brachte er mit kratziger Stimme hervor, was Laskina langsam nicken ließ. 

„Ich weiß. Meine Gefühle für dich sind nicht verschwunden, es ist nur...", setzte sie an, beendete den Satz aber mit einem Schulterzucken. 

„Ich weiß. Er kann dir mehr bieten als ich", sagte er resigniert, woraufhin Laskina beinahe schuldbewusst den Blick senkte. Atimis Herz krampfte sich zusammen, denn er spürte deutlich Laskinas inneren Kampf. Er konnte durchaus verstehen, dass sie sich nach diesem Leben sehnte, aber das war doch der falsche Weg. 

„Du weißt, dass du jederzeit zu mir zurückkommen kannst. Wenn er... du weißt schon, wenn es nicht so wird, wie du es dir erhoffst. Ich werde immer für dich da sein, ob wir nun verbunden sind oder nicht", sagte er fest und meinte es vollkommen ernst. Denn obwohl sie ihm mit ihrer Entscheidung das Herz brach, fühlte er sich ihr gegenüber noch immer verpflichtet. Laskina nickte, dann wandte sie sich um und nahm den Topf mit dem inzwischen kochenden Wasser von der Feuerstelle. 

Eilig ging er ihr aus dem Weg, damit sie das Wasser in die Becher schütten konnte, die inzwischen auf dem Tisch standen. Atimis setzte sich kurzentschlossen auf seinen Platz und beobachtete sie. Ihre Hände zitterten so stark, dass sie beinahe etwas von dem Wasser vergossen hätte. Als sie es endlich geschafft hatte, setzte sie sich ebenfalls, den Blick starr auf ihren Teller gerichtet. 

„Das ist ein sehr großzügiges Stück Brot", stellte sie fest, woraufhin Atimis nur die Schultern zuckte. 

„Schon in Ordnung. Ab morgen muss ich ja nur noch mich selbst versorgen", sagte er, was Laskina unsanft zusammenzucken ließ. Panisch riss sie den Kopf hoch, denn auch wenn sie bereits mehr als deutlich gemacht hatte, dass sie diese Entscheidung weiterhin vertrat, schien es sie merkwürdigerweise zu überraschen. 

„Du nimmst es hin?", fragte sie, was Atimis verwirrt die Stirn in Falten legen ließ. 

„Nun, ich kann es nicht nachvollziehen und ich wünschte, deine Entscheidung wäre anders, aber was soll ich tun? Dich zwingen, bei mir zu bleiben?", fragte er. Laskina schüttelte den Kopf. Zögerlich brach sie ein Stück von ihrem Brot ab und schob es sich in den Mund, bevor sie antwortete. 

„Nein, ich... Ich weiß auch nicht, was ich erwartet habe", stammelte sie leise, doch in Atimis keimte nach und nach ein Bild auf. Verbittert lachte er. 

„Willst du, dass ich um dich kämpfe? Dass ich heulend zusammenbreche und flehe, dass du bei mir bleibst?", fragte er, denn auch wenn Laskina nichts dergleichen gesagt hatte, wusste er, dass sie sich in ihren Geschichten, die sie sich ausdachten, in solchen Dramen verlieren konnte. 

„Dann muss ich dich enttäuschen. Ich werde keine Schlacht kämpfen, die bereits verloren ist", sagte er bitter und nahm nun ebenfalls einen Bissen von seinem Brot. Laskina ließ die Schultern hängen und nickte. 

„Entschuldige. Manchmal vergesse ich, dass das hier das richtige Leben ist und kein Buch", gestand sie seine Vermutung erfüllend. Atimis schüttelte nur langsam den Kopf, denn er wollte sein Herz nicht unnötig quälen. 

Das restliche Frühstück verbrachten sie schweigend, doch als Atimis sich erhob, um sich auf den Weg zur Arbeit zu machen, streckte Laskina auf einmal die Hand nach ihm aus. Verwundert hielt er inne und ließ sich wieder auf seinen Stuhl nieder. 

„Es tut mir wirklich leid", sagte sie, offensichtlich den Tränen nahe. Atimis schüttelte den Kopf. 

„Laskina, wenn es dir so schwer fällt, dich von mir zu lösen, dann lass es. Ich will nicht, dass du gehst. Aber du musst dich entscheiden. Erst sagst du mir, dass du zu ihm gehen willst und nun klammerst du dich an mit fest. Triff eine Entscheidung", sagte er kalt, denn auf ein solches Drama hatte er keine Lust. Dafür musste er schon so zu viel Leid erfahren, als dass dafür in seinem Herzen noch Platz wäre. Erschrocken ließ sie seine Hand wieder los und erhob sich. Ihr Blick war eindeutig gekränkt. 

„Gut, dann... dann gehe ich", sagte sie, brachte ihren leeren Teller und den Becher zu der Wanne, in der sie ihr Geschirr spülten und ging entschlossen zur Tür. Bevor sie die Hütte jedoch verließ, hielt sie inne und sah noch einmal zu ihm zurück. Atimis erhob sich und ging zu ihr, denn ein letztes Mal wollte er sich doch noch umarmen. 

Eilig ging er die wenigen Schritte zu ihr, breitete die Arme aus und spürte, wie sie ohne zu zögern die Umarmung erwiderte. Ihre Hände legten sich auf seinen noch immer geschundenen Rücken und ein unangenehmer Schmerz durchzuckte ihn, aber in diesem Moment war es egal. Er drückte sie an sich, sog ihren vertrauten Duft ein und küsste sie auf den Kopf. 

„Ich liebe dich, das weißt du", sagte er, was ihr einen kleinen, merkwürdigen Laut entlockte. Schließlich löste sie sich von ihm senkte den Blick und huschte eilig nach draußen. Atimis warf einen Blick aus dem Fenster und sah, wie sie mit dem Handrücken eine Träne von der Wange wischte. 

Er sah ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen war, dann schloss er für einen Moment die Augen und schob die aufwallende Trauer und die Wut beiseite. Er hatte keine Zeit für Gefühle, nicht, wo er allein die Abgaben für die Hütte bezahlen musste. Er ging zur Kleidertruhe, holte seinen Gürtel heraus, den er sich umschnallte und verließ ebenfalls die Hütte, um zu Feridis zu gehen. Er musste härter arbeiten, wenn er überleben wollte und außerdem würde er so Laskina hoffentlich aus seinen Gedanken verdrängen können. 

Entschlossen, sich nicht von der Trennung herunterziehen zu lassen, marschierte er los in Richtung des Ausgangs aus dem Slum. Wie üblich herrschte das geschäftige Treiben der Leute, die zur Arbeit gingen. Er spürte den ein oder anderen Blick auf sich, denn sicherlich hatten einige mitbekommen, dass er zu einhundert Peitschenhieben verurteilt worden war. Doch merkwürdigerweise gab es ihm Kraft. Er hatte die Strafen der Elstern bisher alle überstanden, wenn auch mit fremder Hilfe, aber er würde sich nicht unterkriegen lassen. Sollte Laskina doch zu diesem Hohen Menschen gehen, er würde hier weiter kämpfen. 

Erhobenen Hauptes verließ er das Slum und folgte dem staubigen Weg. Es war ein gutes Stück bis zu Feridis Feldern und auch wenn er gestern nicht erschienen war, wusste er, dass Feridis ihn heute wieder für sich arbeiten lassen würde. 

Er war bereits ein ganzes Stück gegangen, als er auf einmal ein raschelndes Geräusch hörte. Erschrocken hielt er inne und lauschte. Da war es wieder, er hörte eindeutig links von sich das Rascheln von Gras. Eilig ging er in die Hocke und blickte in das dichte, hohe Gras. Auf einmal sah er es, eine schlängelnde Bewegung. Ein aufgeregtes Lachen entfuhr ihm, als er die braune Schlange entdeckte, die ihm gestern geholfen hatte. Sie streckte den Kopf aus dem Gras heraus und betrachtete ihn. 

„Hallo, ich danke dir. Für gestern, du weißt schon", sagte er und dachte unweigerlich an die Schmerzen zurück, die durch seinen Körper gefahren waren und ihn gelähmt hatten. Die Schlange zischte leise und erst da fiel ihm ihr ernster Blick auf. 

„Wie ich gesehen habe, bist du deine Schwachstelle losgeworden", sagte sie beiläufig, als handelte es sich bei Laskina um einen nervigen Fleck, den er endlich aus dem Hemd gewaschen hatte. Er schnaubte, denn die sorgsam verdrängten Gefühle drohten, an die Oberfläche zu kommen. 

„Sie ist...", setzte er wütend an, doch die Schlange unterbrach ihn. 

„Ich bin Tessina. Komm mit", sagte sie, wandte sich um und schlängelte unsichtbar durch das hohe Gras davon. Atimis erhob sich wieder, zögerte aber. Diese Schlange war durchaus verschlagen und er wusste nicht so recht, ob er ihr trauen konnte. 

„Ich muss zur Arbeit", sagte er, suchte aber im hohen Gras nach ihr. 

„Jetzt nicht mehr. Du schließt dich nämlich uns an. Komm schon", rief sie, eindeutig ein gutes Stück entfernt. Atimis war neugierig, denn diese Schlange hatte ihm das Leben gerettet. Er fühlte sich ihr zu einem Gefallen verpflichtet. Noch einmal sah er sich um, doch es waren hier so weit von Slum entfernt nur wenige Menschen unterwegs. Ungesehen sprang er ins hohe Gras und hetzte der Schlange hinterher. 

„Warte!", rief er, woraufhin er den Kopf der Schlange aus dem hohen Gras auftauchen sah. Sie war nur noch ein kleines Stück vor ihm und er glaubte, ein zufriedenes Grinsen auf ihrem Gesicht zu erkennen. 

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