Kapitel 25 - Laskina

Ein wenig nervös sah Laskina sich um. Sie stand auf dem Arbeiterinnenstrich und wartete auf Ethonis, dass er sie abholte. Sie wusste nicht so recht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte, denn nicht nur dass er Atimis das Leben gerettet hatte, sondern auch ihr Armring ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Atimis schien deswegen verletzt zu sein, denn es war klar, dass es Ethonis Gefühle gewesen waren, die sie letzte Nacht gespürt hatte. 

Doch nun lag der Ring ruhig und kühl auf ihrer Haut und sie spürte keinerlei Regung. Sie sah das als gutes Zeichen, dass Atimis Verletzung tatsächlich schon vollständig verheilt war. Sanft legte sie ihre Hand auf den Ring, nur um ihm zu signalisieren, dass bei ihr alles in Ordnung war. Augenblicklich spürte sie, dass ihr Ring warm wurde und ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Bevor sie sich in dem Gefühl der Geborgenheit verlieren konnte, das sie auf einmal überkam, hörte sie lautes Getrappel. 

Sie hob den Blick und erkannte die Pferdekutsche, die wenige Augenblicke später direkt vor ihr zum Stehen kam. Ethonis sprang von der Bank herunter und kam auf sie zu. Sofort wurde Laskina nervös und sie senkte ehrerbietig den Blick. 

„Laskina", sprach Ethonis sie an und eilig hob sie wieder den Blick, um ihn anzusehen. Seine Stimme klang merkwürdig belegt und als sie sein Gesicht sah, wurde ihr unbehaglich zumute. Er sah kalt und abweisend und zugleich merkwürdig unsicher aus. 

„Hallo", sagte sie, einfach nur, um irgendetwas zu sagen. Ethonis schien sie mit seinem Blick zu durchdringen, bis er nach einer gefühlten Ewigkeit endlich eine auffordernde Kopfbewegung in Richtung der Kutsche machte. Laskina beeilte sich einzusteigen und wie in den letzten Tagen auch war der Kutschwagen leer. Sie setzte sich an den Fensterplatz und wartete darauf, dass Ethonis die Tür hinter ihr schloss und sie losfuhren, doch er schien noch eine Weile draußen herumzustehen. Verwirrt, was er draußen tat, warf sie einen Blick aus der noch immer geöffneten Tür und sah, wie er mit in die Hüften gestemmten Händen da stand und in Richtung des Slums starrte. Neugierig erhob sie sich wieder und kam vorsichtig auf ihn zu, bis sie den Kopf aus der Tür stecken und hinaussehen konnte. 

„Ist alles in Ordnung?", fragte sie, doch genau in diesem Moment sah sie es. 

Elstern. Und zwar viele von ihnen, bestimmt ein Dutzend. 

Sie gingen den Weg entlang und betrachteten abschätzig die Arbeiterinnen, die noch darauf warteten, abgeholt zu werden. Sie erkannte auch einige Hohe Menschen, die bei ihren Pedalwagen warteten, was die Elstern wollten. 

Panisch zog Laskina den Kopf ein und setzte sich zurück auf ihren Platz. Auch wenn sie sich keiner Schuld bewusst war, fing ihr Herz wie wild an zu pochen. 

Unwillkürlich umklammerte sie ihren Armring und spürte, dass von ihm ein Vibrieren ausging. In Gedanken wiederholte sie immer und immer wieder Atimis Namen und es dauerte nicht lang, als sie seine Stimme in ihrem Kopf hörte. Es waren keine Worte, sondern eher Empfindungen. Atimis schien aufgebracht zu sein, dann wurde ihr Ring auf einmal kalt. 

Sofort zuckte sie zusammen und versuchte noch einmal, Kontakt mit ihm aufzunehmen, doch es gelang ihr nicht. Was bedeutete das? War er womöglich bewusstlos? Sie wurde panisch und spürte, wie sich Angst durch ihren Körper schlich. 

Aus dem Augenwinkel sah sie eine Bewegung und ohne darüber nachzudenken sah sie zur Seite. Ihr erster Blick fiel auf Ethonis, dann auf die Elstern. 

„Ist eine Arbeiterin in deiner Kutsche?", fragte eine der Elstern, obwohl die Tür des Kutschwagens geöffnet war. 

„Ja, sie arbeitet für mich als Kindermädchen für meinen Sohn", antwortete Ethonis und sie bemerkte, dass er ihr einen schnellen Blick zuwarf. Laskina schluckte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Es war unüblich, dass die Elstern die Hohen Menschen kontrollierten. Was sollte es denn hier auf dem Arbeiterinnenstrich zu kontrollieren geben? 

Ihre Gedanken rasten, doch es wollte ihr einfach keine sinnvolle Erklärung einfallen. Bevor sie irgendetwas hatte tun können, erschien auf einmal eine der Elstern in der Tür des Kutschwagens. 

Laskina erschrak, denn er war so groß, dass er die komplette Öffnung der Tür einnahm und sämtliches Sonnenlicht aussperrte. Sie drängte sich in die Ecke und sah fragend zu der Elster, doch wie immer war ihr Gesicht von einem schwarzen Tuch verhangen, sodass nur die Augen zu sehen waren. Sie funkelten bösartig und gemein. 

„A1379?", fragte die Elster mit scharrender Stimme und unwillkürlich umfasste Laskina ihren Armring und nickte kaum merklich. Die Elster wandte den Blick über die Schulter zu den anderen. 

„Sie ist es", sagte er und sofort sank ihr das Herz in die Hose. Sie sah auf den Armring, aber er schimmerte noch immer blau-golden, nicht weiß. Atimis war nicht tot. Dennoch schien etwas ganz und gar nicht in Ordnung zu sein. Die Elster wandte sich ihr wieder zu und sie erkannte an seinen Augen, dass er grinste. 

„Mitkommen", befahl er und griff unerwartet schnell nach ihrem Arm und zerrte daran. Laskina stieß einen erschrockenen Laut aus, als sie von der Sitzbank auf den Boden gezerrt wurde. Ihre Knie schrammten über das Holz, doch die Elster ließ ihr keine Zeit, sich aufzurappeln. 

„Wartet, warum nehmt ihr sie mit? Ich brauche sie", hörte sie Ethonis sagen, gerade als sie aus dem Kutschwagen ins Freie gezerrt wurde. Irgendwie schaffte sie es, auf den Füßen zu landen und warf einen Hilfe suchenden Blick zu Ethonis, der genau so geschockt zu sein schien, wie sie selbst. 

„Sie und ihr Verbundener werden eines Verbrechens beschuldigt", erklärte die Elster und augenblicklich glaubte Laskina, zu fallen. 

„Was für ein Verbrechen?", fragte Ethonis, doch die Elster zog sie weiter, sodass sie zurück in Richtung Slum stolperte. Laskina wusste, dass sie in erheblichen Schwierigkeiten steckte, denn Verbrechen wurden im Slum nicht durch die Justiz geregelt, sondern durch Gewalt. 

„Bitte", hörte sie Ethonis einen neuen Versuch starten und sie sah, wie er an den Elstern vorbeilief und sich ihnen in den Weg stellte. Laskinas Achtung stieg in diesem Moment noch mehr, denn es war weder klug noch ungefährlich, sich den Elstern in den Weg zu stellen. 

Die Elster, die ihren Arm fest umklammert hielt, blieb stehen und Laskina schaffte es, ein wenig zu Atem zu kommen. Sie versuchte, an ihm vorbei zu Ethonis zu sehen, doch es gelang ihr nicht. Die Elster war zu groß und zu massig. 

„Sie gehört gewissermaßen zu mir. Ich brauche sie unbedingt", sagte er, was die Elster höhnisch lachen ließ. 

„Nimm dir irgendeine andere", sagte er, und machte Anstalten, Ethonis beiseite zu schubsen. 

„Warte. Ich glaube du weißt nicht, wer vor dir steht. Ich gehöre zum Hohen Adel", sagte Ethonis und auch wenn Laskina davon noch nie gehört hatte, wusste sie instinktiv, dass ihn das zu etwas Besonderem machte. Sie spürte, wie der Griff um ihren Arm ein wenig lockerer wurde. 

„Beweise es", forderte die Elster und Laskina hörte das Rascheln von Stoff. Neugierig trat sie einen Schritt beiseite, sodass sie nun durch den gelockerten Griff um ihrem Arm an der Elster vorbei zu Ethonis sehen konnte. Er hatte den Ärmel seines Mantels nach oben geschoben und entblößte somit seinen Armring, der wunderschön golden glänzte. Er hielt ihm der Elster unter die Nase, welche ihn eindringlich betrachtete. 

„Seht euch das an", spottete die Elster auf einmal und Laskina sah, wie Ethonis errötete. Jedoch hielt er den Blick aufrecht und sah der Elster ins Gesicht. Sofort scharten sich die übrigen Elstern um ihn herum und fingen an, zu kichern. 

„Also, ich halte es für angebracht, sie gehen zu lassen. Ich verbürge mich für sie", sagte Ethonis und zu ihrer Überraschung ließ sie Elster ihren Arm los, gab ihr aber noch einen letzten Schubs in Ethonis Richtung. Sie stolperte und wurde von seinen unerwartet starken Armen aufgefangen. 

Sofort wanderte ihr Blick zu Ethonis Armring, der noch immer frei lag und da erkannte sie es. Zwar war er noch eindeutig golden, genauso wie ihrer blau war, aber seiner hatte eindeutig einen bläulichen Schimmer. 

Ihr Herz setzte aus. Sie hatte keine Ahnung, wie das hatte geschehen können, da sie doch beide einen jeweils anderen Verbundenen hatten, doch es war nicht zu verleugnen, dass zwischen ihnen beiden eine Verbindung bestand. Ihr Armring hatte einen goldenen Schimmer, der seiner einen bläulichen. 

Noch immer hielt Ethonis sie fest, während die Elstern noch immer lachten. 

„Lassen wir sie. Wir haben den Mann, das muss reichen. Mir scheint es ohnehin, als sei er der Aufmüpfigere von den beiden", höhnte die Elster und sofort spürte Laskina, wie ihr die Knie einsackten. Sie hatten Atimis und sie beschuldigten ihn eines Verbrechens.

„Wartet!", schrie sie, ohne darüber nachzudenken. Ethonis Arme umschlangen sie augenblicklich fester. 

„Was macht ihr mit ihm? Wir haben nichts getan", schrie sie, doch die Elstern setzten ihren Weg zurück in Richtung des Slums fort. 

„He, he", versuchte Ethonis sie zu beruhigen, doch Laskina konnte nicht verhindern, dass sie anfing zu schluchzen. Ethonis machte beruhigende Laute und auf einmal spürte sie seine Lippen auf ihrem Haar. 

„Komm, wir müssen hier verschwinden", sagte er, doch Laskina schüttelte heftig den Kopf. 

„Nein, wir müssen Atimis finden", sagte sie und riss sich von ihm los. Sie konnte an nichts anderes denken als an Atimis, seine Schreie, seine Wunden, die ihm ohne Zweifel zugefügt wurden. 

Panisch umklammerte sie ihren Armring und suchte den Kontakt zu ihm, doch nichts geschah. Er reagierte nicht auf sie. 

„Laskina, ich bitte dich. Wir müssen hier weg. Wenn du dich ihnen nicht beugst, werden sie dich doch noch mitnehmen", rief Ethonis ihr nach, während sie irgendwie den Weg entlang stolperte. 

„Nein, ich muss zu ihm", brachte sie hervor, doch plötzlich packte Ethonis sie und hob sie hoch. Sie wehrte sich, strampelte mit den Beinen und schrie, allerdings ohne Erfolg. Ethonis war stärker als sie und er trug sie bestimmt und mit festen Schritten zurück zur Kutsche. 

„Beruhige dich. Wir helfen ihm. Aber zuerst müssen wir hier weg. Raus aus der Schusslinie", sagte Ethonis eindringlich und tatsächlich musste sie zugeben, dass er womöglich recht hatte. Sie waren zu zweit, die Elstern mindestens ein Dutzend und sie hatten giftige Waffen. 

„Wir überlegen uns etwas, wie wir ihn da rausholen, aber bitte, komm erst einmal mit mir nach Hause", flehte Ethonis beinahe und erst da bemerkte Laskina, dass sie in seinen Armen noch immer zappelte. Ihre Muskeln erschlafften und sie nickte, die Hand fest um den Ring geschlossen, der noch immer kein Lebenszeichen von sich gab. Atimis musste einfach irgendwann auf ihrer Stoßgebete reagieren, die sie durch den Armring zu ihm schickte. 

„He, du! Du steuerst die Kutsche. Immer Richtung Norden", befahl Ethonis, dann wurde sie in den Kutschwagen gebracht. Ethonis setzte sie auf die weiche, gepolsterte Sitzbank und er selbst ließ sich neben ihr nieder. Sofort legte er den Arm um sie und betrachtete sie eindringlich. 

Laskina spürte, wie ihr Tränen über die Wangen rannen, doch sie machte sich nicht die Mühe, sie wegzuwischen. 

„Wir finden eine Lösung", sagte Ethonis, klang aber nicht wirklich so, als wäre er davon überzeugt. Dennoch nickte sie und wandte den Blick aus dem Fenster. Sicherlich war es eigennützig, dass sie sich nicht mehr gegen Ethonis gewehrt hatte, denn wäre sie mit den Elstern und womöglich zu Atimis gegangen, stände ihr mit Sicherheit mindestens eine Prügelstrafe bevor. 

Zögerlich sah sie zu Ethonis und sofort trafen sich ihre Blicke. Seine klaren, blauen Augen standen im Kontrast zu seinem dunklen Haar und seiner olivfarbenen Haut, sodass sie noch mehr hervortraten. Sie wandte den Blick ab, denn sie fühlte sich ein wenig unwohl, so von ihm angesehen zu werden. Ethonis schien es zu bemerken und tatsächlich rutschte er ein Stück von ihr weg. 

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