Kapitel 22 - Atimis

„Atimis", riss ihn Laskinas wunderschöne, aber zugleich panische Stimme aus dem Schlaf. Er brummte, tastete nach ihr und schlang schließlich den Arm um ihre Mitte, als er sie fand. 

„Schlaf weiter", murmelte er, ließ die Augen geschlossen und hoffte, sofort wieder einschlafen zu können. Allerdings drehte Laskina sich in seiner Umarmung herum und auch wenn er sie nicht sah, spürte er, dass ihr Gesicht ganz nah an dem seinen war. 

„Atimis", sagte sie noch einmal, legte die Hand an seine Schulter und rüttelte daran. Atimis murmelte etwas Unbestimmtes und öffnete langsam die Augen. Er war noch unendlich müde und seine Lider waren schwer. 

Erst nachdem er ein paar Mal geblinzelt hatte, erkannte er, was Laskina ihm da vor die Nase hielt. Es war dunkel im Raum, also war es noch tiefste Nacht und doch erkannte er einen leuchtenden Schimmer. 

„Was...?", fing er an, brach aber ab. Mühsam setzte er sich auf, griff nach ihrem Arm und zog daran. Er spürte, wie Laskina zitterte, doch in diesem Moment bekam er Panik. Ihr Armring, der normalerweise metallisch blau schimmerte, hatte einen goldenen Glanz bekommen. Zwar war er noch immer eindeutig blau, aber als hätte jemand flüssiges Gold darüber gekippt, glänzte er. 

Eilig hielt Atimis seinen eigenen Armring daneben, um den Vergleich zu haben. Aber er hatte sich nicht getäuscht. Laskinas Armring hatte sich verändert. 

„Was zum Teufel...", murmelte er und sofort fing sein Hirn an, sich die wildesten Geschichten auszudenken. Gold war die Farbe der Hohen Menschen. Natürlich drängte sich Ethonis in seine Gedanken und die Art, wie er Laskina angesehen hatte. 

„Was hat das zu bedeuten?", fragte Laskina mit zitternder Stimme. Atimis suchte ihren Blick und als er den ihren fand, spürte er einen Stich in seinem Herzen. Menschen konnten lügen, Armringe nicht. Ein fester Knoten bildete sich in seiner Brust, denn das bedeutete doch, dass irgendetwas zwischen Laskina und Ethonis vorgefallen sein musste. Gleichzeitig bekam er Angst, denn wenn ihr Armring sich veränderte, was bedeutete das dann für ihn? 

Bevor er wusste, was er tat, sprang er auf und wanderte in dem kleinen Raum auf und ab. Laskina blieb im Bett sitzen und betrachtete fasziniert und ängstlich zugleich ihren Armring. Auf einmal sog sie scharf die Luft ein und presste sich den Armring an die Brust. 

„Was ist?", fragte er und war mit einem Satz bei ihr. 

„Er ist ganz warm und vibriert", sagte sie und eilig legte Atimis die Hand auf ihren Ring. Er spürte die Wärme und die Vibration, die von ihm ausging, doch kaum dass er ihn zwei Sekunden berührt hatte, veränderte sich das Gefühl unter seine Hand. Der Ring wurde eiskalt. Erschrocken ließ er ihn los und sah Laskina verwirrt an. Denn normalerweise spürten sie Wärme und Vibration in ihren Armringen, wenn der andere in Gefahr war oder wenn er sich Sorgen machte oder Angst hatte. Allerdings waren sie hier zusammen und da war es außergewöhnlich, dass der Armring reagierte. 

Es sei denn... Atimis Herz setzte einen Schlag aus. Konnte es sein, dass... 

„Laskina! Wessen Gefühle hast du soeben gespürt?", fragte er, packte sie unsanft an den Schultern und sah sie eindringlich an. Augenblicklich zog sie den Kopf ein und er bemerkte, dass sie merkwürdig schuldbewusst aussah. 

„Ich... ich weiß es nicht", stammelte sie, doch Atimis spürte, dass das nicht die Wahrheit war. Dieses Erkenntnis schmerzte und er ließ sie wieder los. 

„Seit wann lügst du mich denn an?", fragte er leise, senkte den Blick auf seine Hände und konnte nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. Laskina und er waren doch eine Einheit, sie gehörten zusammen und waren von Grund auf ehrlich zueinander. Zumindest waren sie es bisher gewesen. 

„Ich lüge dich nicht an", verteidigte sie sich, umklammerte wieder ihren Ring und sah ihn mit großen Augen an. Atimis schluckte schwer, denn in diesem Moment kam sie ihm vor wie eine Fremde. 

„Gut, aber was glaubst du, hat das zu bedeuten?", fragte er und beobachtete scharf ihre Reaktion. Ihre Augen wanderten einen Moment lang von links nach rechts, doch dann öffnete sie den Mund, um zu sprechen. Allerdings kam kein Ton aus ihr heraus, so als fürchtete sie sich vor seiner Reaktion. 

Sofort legte er ein Lächeln auf und setzte sich neben sie, sodass sie nun beide mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf dem Bett saßen. Ihre Arme berührten sich und einen Moment lang horchte er, ob er einen stechenden Schmerz in seinem Rücken spürte, doch seine Wunde schien ganz verheilt zu sein. 

„Sprich mit mir, bitte. Denn diese Verfärbung und die Tatsache, dass dein Ring die Gefühle von einem anderen empfängt, betrifft mich auch", sagte er ruhig und einfühlsam, woraufhin sie langsam nickte. Eine Weile schwieg sie jedoch noch, dann öffnete sie erneut den Mund und fing an zu sprechen. 

„Es... es ist Ethonis. Mein Ring wird golden, genau so wie die Ringe der Hohen Menschen und auch wenn ich nicht sicher bestimmen kann, dass die Emotionen auch von ihm waren, habe ich so ein Gefühl, dass er es war", sagte sie dann seine Vermutung bestätigend. 

Atimis stockte der Atem, denn es war eine Sache, wenn Ethonis ihr schöne Augen machte, dass sie seine Gefühle über den Ring empfing und dieser sich sogar verfärbte, war eine ganz andere. 

„Wieso solltest du seine Emotionen empfangen?", fragte er und bemerkte erst als es ausgesprochen war, dass er verbittert und eifersüchtig klang. 

„Ich weiß es nicht! Wenn ich es wüsste, dann würde ich es dir sagen", fuhr sie ihn an, lauter und eindringlicher als nötig. Atimis wich vor ihr zurück. 

„Gut, dann finde es heraus. Denn was passiert mit uns, wenn dein Ring sich vollständig verfärbt?", fragte er und sprach damit eine seine größten Ängste aus. Laskina zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. 

„Mein Ring wird sich doch nicht vollständig verfärben. Er ist nur... verwirrt", sagte sie, senkte aber den Blick. Atimis fühlte sich, als hätte sie einen Eimer Wasser über seinen Kopf ausgeleert. 

„Verwirrt? Dein Ring oder eher du selbst?", fragte er matt, denn auch wenn er nicht den Eindruck gehabt hatte, dass Laskina Ethonis Zuneigung erwiderte, sagte ihr Blick in diesem Moment etwas ganz anderes. Sie schnaubte. 

„Ich bin ihm dankbar. Er hat dir, meiner Liebe, das Leben gerettet. Wäre es anders herum, würdest du genau so empfinden", erwiderte sie und rückte wieder näher an ihn heran. Atimis spürte, wie sich der Knoten in seiner Brust löste und er kam sich auf einmal ein wenig albern vor. 

Natürlich war Laskina ihm dankbar, immerhin war Ethonis offensichtlich ein guter Mensch und sie hatten ihm einiges zu verdanken.

„Du hast recht, bitte entschuldige", sagte er und sah ihr so direkt in die strahlend blauen Augen, dass sein Herz ihm bis zum Hals schlug. Laskina lächelte, legte eine Hand an seine Wange und strich sanft darüber. 

„Nein, ich muss mich entschuldigen. Ich war für einen Moment geblendet von seiner Fürsorge. Er ist und bleibt ein Hoher Mensch", sagte sie sanft, kam noch näher zu ihm und küsste ihn zärtlich. Atimis erwiderte den Kuss und legte die Arme um sie. 

Erst in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass Laskina womöglich noch immer unter Schock stand. Er selbst wäre beinahe gestorben und sie war Ziel eines Angriffs von Emevra gewesen. Da war es nur verständlich, dass sie ein wenig durch den Wind war und ihm fiel nichts besseres ein, als eifersüchtig zu reagieren auf den Menschen, der ihnen beiden im Prinzip das Leben gerettet hatte. 

Atimis senkte den Blick, denn es gefiel ihm nicht, dass er und auch Laskina in Ethonis Schuld standen. Vermutlich würde er das nicht ausnutzen, immerhin schien er ein guter Mensch zu sein, aber bei den Hohen wusste man nie. 

„Ich bin wohl noch etwas aufgewühlt. Es ist so viel geschehen in den letzten Stunden", versuchte er sein Verhalten zu rechtfertigen und zu seiner Erleichterung nickte Laskina. 

„Ja, du hast recht. Es tut mir leid, dass ich dich wegen so etwas Banalem geweckt habe", gab sie zurück und legte sich wieder ins Bett. Sie streckte die Arme nach ihm aus und ohne zu zögern legte er sich neben sie und zog sie eng an sich. Laskina legte ihren Kopf auf seine Brust und platzierte ihre Hand genau auf seinem Herzen. 

„Was ist nur los in dieser Welt? Wir werden Opfer eines Granatenangriffs, du wirst vergiftet und ein Hoher Mensch rettet uns", seufzte sie und er musste zugeben, dass es mit jeder Sekunde absurder klang. Vor allem der letzte Teil. 

„Wer weiß, vielleicht stehen wir bereits kurz vor dem Umbruch", scherzte er mit gedämpfter Stimme, denn auch wenn es nur Tagträumereien waren, hatten die Elstern ihre Ohren überall. Laskina kicherte. 

„Ein Umbruch, bei dem du keine Rolle spielst? Nein, das glaube ich nicht", kommentierte sie, was Atimis verwirrte. 

„Wie meinst du das?", hakte er noch, woraufhin Laskina den Kopf hob und ihn eindringlich ansah. 

„Das weißt du doch. Du wirst irgendwann Kämpfer der Revolution sein. Das spüre ich und ich weiß, dass du es auch spürst", sagte sie vollkommen ernst, doch Atimis lachte. 

„Welche Revolution?", sagte er, doch kaum dass es ausgesprochen war, erinnerte er sich an die Schlange, die er getroffen hatte. Sie hatte auch irgendetwas von dem Untergrund gefaselt und dass Laskina seine Schwachstelle war. 

„Na die, die du anführen wirst", sagte Laskina seufzend, legte ihren Kopf zurück auf seine Brust und gähnte. Atimis schüttelte den Kopf, denn auch wenn er durchaus bereit dafür war, sich für die Rechte der Niederen Menschen, Tiere und Androiden einzusetzen, wusste er, dass er allein nichts bewirken konnte. Dennoch ließ ihn die Vorstellung einer gerechten, friedlichen Welt nicht mehr los. 

Sein Blick wanderte zu Laskina, doch sie hatte bereits wieder die Augen geschlossen und ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Sie sehnte sich auch nach einem besseren Leben, auch wenn er sich doch eigentlich nicht beschweren konnte. Er hatte eine Arbeit und einen Chef, der ihm hin und wieder eine zusätzliche Goldmünze zusteckte und sie lebten in einem schönen, kleinen Haus. 

Zumindest redete er sich das ein, denn unwillkürlich wanderte sein Finger zu den wulstigen Narben auf seiner Brust und auch die Wunde auf seinem Rücken schien auf einmal merkwürdig zu brennen. 

Nein, er war nicht zufrieden und auch Laskina war es nicht. Jedoch war sie anders als er. Sie würde nicht kämpfen, ihr Leben riskieren und Hohe Menschen töten. Denn das würden sie unweigerlich tun müssen, wenn sie eine Veränderung wollten. 

Atimis spürte, wie er sich anspannte und diese unbändige Wut in sich aufkeimen spürte. Diese Wut, die sich gegen die Hohen Menschen und gegen die Regierung wandte. Auf einmal fiel ihm wieder ein, was die Schlange noch gesagt hatte. Er sollte nach Rilsa suchen, wenn er sich ihnen anschließen wollte. Rilsa. Er hatte keine Ahnung, wer oder was sie war, aber er würde sich diesen Namen besser merken. 

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