Kapitel 2 - Laskina
Ein Poltern weckte Laskina und erschrocken fuhr sie hoch. Als sie mit wild pochendem Herzen die Augen öffnete, bemerkte sie, dass es bereits hell war. Beinahe spöttisch strahlte die Sonne durch das kleine Fenster herein und sie musste die Augen zukneifen, so sehr blendete sie sie.
„Guten Morgen", hörte sie Atimis Stimme. Er klang merkwürdig gut gelaunt, trat näher zu ihr ans Bett und hielt ihr etwas hin. Zuerst nahm sie den Duft war, der ihr das Wasser um Mund zusammenlaufen ließ.
„Es ist unser letztes Bisschen", sagte er und hielt ihr das Stück Brot näher hin. Laskina blinzelte und als sie das es sah, griff sie eilig danach.
„Das letzte? Ich teile mit dir", sagte sie und machte Anstalten, das ohnehin schon kleine Stück zu teilen. Atimis lachte leise.
„Nein, schon okay. Ich hatte schon etwas", log er und lächelte. Laskina sah ihn einen Moment lang an, doch dann entschied sie sich, ihn nicht auf seine Lüge anzusprechen und sein Angebot anzunehmen. Nur mit einem kleinen schlechten Gewissen fing sie an, kleine Stückchen von den schon recht harten Brot abzuknabbern. Obwohl es schon eine Woche alt war, schmeckte es gut und füllte ihren leeren Magen. Vor heute Nachmittag würde sie nichts zu essen mehr bekommen, da war jedes kleine Bisschen, das in ihren Magen kam, hilfreich.
Ihr Blick wanderte zu Atimis, der bereits angezogen und gewaschen war. Die kleine, hölzerne Wanne gefüllt mit Wasser stand noch in der Mitte des Raumes und wartete schon auf sie. Ihre Hütte bestand nur aus einem einzigen Raum, der vielleicht vier mal vier Meter maß. In der rechten Ecke gegenüber der Tür stand ihr Bett, das sie sich teilen, daneben eine kleine Kommode, in der sie die wenigen Habseligkeiten aufbewahrten, die sie zu ihrem Vergnügen hatten. Atimis las gern und sie hatten sich von ihrem mühsam erspartem Gold ein paar Bücher besorgt. Laskina hatte darin ihre Kohlestifte und das Papier verstaut, denn sie zeichnete hin und wieder. Am Fußende des Bettes stand eine Truhe, in der sie ihre Kleidung aufbewahrten. Es war nicht viel, doch im Vergleich zu anderen waren sie gut ausgestattet. Wandte man sich von der Eingangstür nach links, gelangte man zu dem kleinen Kamin, auf dem sie kochten. Daneben stand der Kohlensack, der leer ins sich zusammenfiel. Sie besaßen zwei Teller, zwei Messer und zwei Gabeln, zwei Löffel für Suppe und zwei Becher. Es war wenig, aber es reichte. Atimis war gut im Verhandeln und tatsächlich hatte er schon mehr als einmal einen guten Tausch gemacht, wodurch es ihnen ein wenig besser ging, als anderen Niederen Menschen.
Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie den letzten Bissen hinunterschluckte und sich erhob.
„Es ist draußen wirklich schön, die Sonne scheint", sagte Atimis und sah aus dem Fenster, das neben der Eingangstür lag. Laskina trat näher an ihn heran, legte die Arme um ihn und folgte seinem Blick nach draußen. Der strahlend blaue Himmel machte direkt bessere Laune und auch wenn sie wusste, dass es draußen noch bitterkalt war, fühlte es sich ein wenig nach Frühling an. Atimis erwiderte ihre Umarmung und küsste sie auf den Kopf.
„Übrigens einen schönen Jubiläumstag", sagte er leise, kicherte und küsste sie auf die Wange. Ein Schock durchfuhr Laskina, denn tatsächlich hatte sie ganz vergessen, dass heute ihr Jubiläumstag war. Vor genau sechs Jahren hatte Atimis sie gefunden und war mit ihr die Verbundgemeinschaft eingegangen. Augenblicklich wurde ihr Herz schwer, denn tatsächlich verdankte sie Atimis ziemlich viel. Im Prinzip ihr Leben, denn hätte er sich nicht bereit erklärt, sich mit ihr zu verbünden, wäre sie wie viele andere der Aussätzigen vermutlich schon tot.
Sie war genau wie alle anderen vor achtzehn Jahren in einem Labor geboren worden. Alle Kinder wurden schon bei der Geburt in die entsprechende Kategorie einsortiert und wieder einmal wurde ihr schmerzlich bewusst, dass sie damals als Hoher Mensch geboren worden war.
Sie lebte bis zu ihrem zwölften Geburtstag in einem Heim, direkt neben dem Geburtslabor, wo sie sich jeden Tag zur Schau stellte, um adoptiert zu werden. Unglücklicherweise war sie als Hoher Mensch nur für andere Hohe Menschen interessant, die sie als Kind adoptierten und ihr somit ein besseres Leben hätten ermöglichen können. Jedoch war es seit beinahe bereits dreißig Jahren üblich, dass Hohe Menschen Tiere, vor allem menschenähnliche, adoptierten. Damit wollten sie verhindern, dass sich weiterhin die Meinung hielt, sie seien rassistisch und würden die Tiere und Androiden nicht als vollwertige Lebewesen ansehen. Was natürlich dennoch der Fall war, sodass die Adoption von Tieren durch hohe Menschen eher aus Prestigegründen vollzogen wurde. Folge davon war jedoch, dass immer weniger Hohe Menschen gezüchtet wurden. Zahlenmäßig stellten die Hohen Menschen die Minderheit dar, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass sie die Regierung innehatten.
Laskina hatte das Pech, dass sie bis zu ihrem zwölften Geburtstag nicht adoptiert worden war. Es war selten, kam aber durchaus vor. Allerdings hatte sie das Labor verlassen müssen und da sie keinen Ort hatte, den sie als ihr zu Hause ansah, war sie auf der Straße gelandet. Dadurch wurde ihr der Status der Hohen Menschen aberkannt und sie war zu einem Niederen Menschen geworden.
Allein bei der Erinnerung an diese Zeit lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken, denn damals hatte sie gelernt, was es bedeutete, zu hungern. Sie hatte sich auf dem Arbeiterinnenstrich angeboten, doch aufgrund ihres jungen Alters und ihrer recht schnell sehr schlechten körperlichen Verfassung hatte niemand sie für sich arbeiten lassen.
Heute vor genau sechs Jahren hatte Atimis sie entdeckt. Er war auch ein Niederer Mensch, einige Jahre älter als sie selbst. Laskina erinnerte sich noch genau daran, wie sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Es hatte wie aus Eimern geregnet und sie hatte sich unter einem Baum niedergelassen, um zumindest ein wenig vor dem eisigen Regen geschützt zu sein. Da war er an ihr vorbeigegangen, schon damals war er groß und kräftig gewesen. In den Händen hielt er eine Spitzhacke, in der anderen einen Eimer voll mit funkelnden Steinen. Er arbeitete damals in einer Mine und baute Schmucksteine ab. Es war eine anstrengende Arbeit, doch sie war gut bezahlt. Als Atimis damals an ihr vorbeigegangen war, hatte sie noch über seine starken Arme gestaunt, als er auf einmal stehen geblieben war und den Blick erwidert hatte. Sofort hatte sie gespürt, dass er Mitleid mit ihr hatte. Er hatte sich umgesehen und war schließlich zu ihr unter den Baum gekommen. Dein Eimer und die Spitzhacke legte er neben sich auf den matschigen Boden, dann hatte er sich zu ihr gesetzt. Sein Blick hatte auf ihr geruht und sie war von ihm fasziniert. Sein Haar war damals noch etwas kürzer und seine Augen vielleicht noch nicht ganz so blass, aber sie erinnerte sich, dass sie ihn schon damals mit ihren zwölf Jahren toll gefunden hatte. Vielleicht war sie damals auch nur erleichtert, dass sie vermutlich an diesem Tag etwas zu Essen bekommen würde, wenn sie Atimis davon überzeugen könnte, sich mit ihr zu verbünden.
„Laskina?", riss sie auf einmal Atimis Stimme aus ihren Gedanken und eilig blinzelte sie. Er lachte leise.
„An was hast du gedacht?", fragte er, legte eine Hand an ihre Wange und strich sanft darüber. Nur langsam kehrte Laskina in die Realität zurück und zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln.
„Ich musste daran denken, wie du mich gefunden hast", antwortete sie und suchte zögernd seinen Blick.
„Ich habe dich nicht gefunden, du hast mich zu dir gerufen", sagten sie beide gleichzeitig und lachten. Jedes Mal reagierte Atimis gleich, wenn sie davon erzählte, dass er sie gefunden hatte.
„Erinnerst du dich an den Stein, den ich dir gegeben habe?", fragte er, doch sie sah an seinem Blick, dass er nur noch einmal diese Geschichte hören wollte. Natürlich erinnerte sie sich an diesen Stein, wie könnte sie auch nicht? Atimis hatte ihr bei ihrem ersten Treffen heimlich aus seinem Eimer einen der Edelsteine zugesteckt, mit dem sie sich etwas zu Essen hatte besorgen können. Erst später war ihr bewusst geworden, dass der Händler sie über den Tisch gezogen hatte, doch stolz war sie zurück zu dem Baum gelaufen, wo sie Atimis getroffen hatte, um ihr Essen mit ihm zu teilen. Doch er war verschwunden gewesen und für einen kurzen Moment hatte sie geglaubt, ihn nie wieder zu sehen.
„Du hast mir den Stein gegeben und ich habe ihn gegen viel zu wenig zu Essen eingetauscht, das ich mit dir teilen wollte. Aber du warst verschwunden", sagte sie und sah, wie Atimis Augen anfingen zu glänzen.
„Ich bin wieder zurückgekommen", sagte er, umfasste ihr Gesicht ein wenig fester und suchte ihren Blick. Laskina erwiderte ihn und nickte.
„Ja, am Abend kamst du wieder, zusammen mit einer Elster", setzte sie ihre Geschichte fort. Atimis nickte.
„Ja, weil ich ihn gebeten hatte, uns zu Verbundenen zu machen", sagte er, nahm seine Hand von ihrer Wange und hielt ihr den Armring hin, der ihn als ihren Verbundenen kennzeichnete. Auch um ihr Handgelenk lag ein solcher Ring, aus blauem Metall und mit einer Kennzeichnung eingraviert.
„A1379", sagte Atimis, das war ihre Kennzeichnung, die auch auf ihrem Armring zu erkennen war. Sie nickte.
„Ja, das sind wir", erwiderte sie, woraufhin Atimis sie in eine feste Umarmung zog. Natürlich waren sie nicht von Beginn an ein Liebespaar gewesen, das hatte sich erst später entwickelt, aber Laskina hatte von diesem Abend an in sein Haus einziehen dürfen. Noch immer lebten sie in diesem Haus und auch wenn es nur spärlich eingerichtet und sehr klein war, bedeutete es für sie zuhause.
Durch Atimis Arbeit und das dadurch verdiente Gold war es ihr schnell besser gegangen und sie konnte schnell Arbeit finden. Noch immer arbeitete sie als Gärtnerin für verschiedene Hohe Menschen, die sie am Arbeiterinnenstrich einsammelten. Atimis hatte die Arbeit in der Mine aufgeben müssen, nachdem seine Mine erschöpft war. Inzwischen arbeitete er für einen Gemüsehändler, für den er das Gemüse erntete und auf Karren verlud. Er schien damit recht zufrieden zu sein und gemeinsam erwirtschafteten sie genug, um ein gutes Leben zu führen. Zumindest für Niedere Menschen.
„Wir sollten los", sagte Atimis, küsste sie auf die Wange und schob sie in Richtung der Holzwanne. Eindeutig ein Zeichen, dass sie sich waschen und anziehen sollte, damit sie möglichst bald zur allwöchentlichen Ausgabe kamen.
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