Kapitel 18 - Laskina

Laskina stützte Atimis so gut sie konnte, doch er sank neben ihr immer mehr in sich zusammen. Panisch sah sie sich nach der Kutsche von Ethonis um, denn er war ihre letzte Hoffnung. Er musste ihr und Atimis helfen, denn sonst würde Atimis ohne Zweifel innerhalb weniger Tage sterben. Von den Elstern erwartete sie keine Hilfe, immerhin waren sie diejenigen, die Schuld an seiner Vergiftung hatten. 

„Du schaffst das. Sicherlich kommt er gleich", flüsterte sie leise zu Atimis, doch als ihr Blick auf sein Gesicht fiel, zuckte sie unsanft zusammen. Er war kreidebleich und Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Ihre Worte schien er gar nicht wahrzunehmen, sodass sie ihren Griff um ihn verstärkte. 

Noch einmal sah Laskina die Straße hinunter und als sie endlich eine Kutsche sah, die nur Ethonis gehören konnte, durchzuckte sie ein Schimmer der Hoffnung. Eilig hob sie den Arm und winkte ihm, als sie ihn erkannte. 

Sofort trieb er die beiden Pferde an, sodass er in wenigen Sekunden bei ihr war. 

„Brrrr", sagte er und sprang von der Kutsche, kaum dass die Pferde gehalten hatte. 

„Laskina, was ist geschehen?", fragte er, ihre Stimme genau so panisch wie sie sich fühlte. Ethonis betrachtete Atimis, eindeutig mit einem Blick, der bedeutete, dass er dringend Hilfe brauchte. 

„Er wurde vergiftet und wir bekommen keine Medizin. Er stirbt", brachte sie weinerlich hervor und sah Ethonis so flehend an, wie sie konnte. Als seine Blicke sich für einen Moment lang trafen, glaubte sie so etwas wie Mitgefühl in dem seinen zu erkennen. Allerdings zögerte Ethonis. Sein Blick wanderte noch einmal zu Atimis, der noch tiefer in sich zusammengesunken war. 

Nach einer gefühlten Ewigkeit nickte er schließlich. Erleichtert keuchte Laskina und spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten. 

„Danke", sagte sie, doch Ethonis wirkte ganz und gar nicht zufrieden, so als würde er das hier alles nur äußerst widerwillig machen. 

„Öffne den Kutschwagen", sagte Ethonis und machte eine auffordernde Kopfbewegung zu seiner Kutsche. Laskina nickte, während Ethonis den Arm um Atimis legte und ihn stützte. Eilig lief sie die wenigen Schritte zum Kutschwagen und öffnete die Holztür. Ethonis währenddessen schleppte Atimis in ihre Richtung und hievte ihn durch die schmale Tür. Atimis fiel auf den Boden des Kutschwagens wie ein nasser Sack und blieb regungslos liegen. Auf einmal wurde sein Atem rasselnd und er fing an, gurgelnd zu husten. 

„Na los, rein mit dir, wir müssen uns beeilen", sagte Ethonis, packte sie an den Schultern und schob sie bestimmt in den Kutschwagen, anschließend sprang er überraschend elegant auf die Bank und nahm die Zügel in die Hand. Kaum dass Laskina die Tür geschlossen hatte, setzte sich die Kutsche mit einem Ruck in Bewegung und sie wurde auf die Sitzbank gedrückt. 

Atimis rutschte ein wenig über den Boden, so schnell galoppierten Ethonis Pferde. Laskina kämpfte sich wieder hoch und sank stattdessen neben Atimis auf den Boden. Seinen Kopf legte sie in ihren Schoß und sie fing an, ihm sanft durch das schweißnasse Haar zu streichen. Seine Augen waren geschlossen, doch sie sah, wie seine Augen unter den Lidern hin und her zuckten, so als würde er träumen. 

„Ich bin bei dir", sagte sie leise und versuchte, die Angst aus ihrer Stimme zu vertreiben. Langsam öffnete er die Augen und sofort sog Laskina scharf die Luft ein, denn das ohnehin schon wässrige Blau seiner Iris war weißlich geworden. 

„Bitte bleib...", brachte er hervor und sie sah, wie sehr ihm diese Worte Schmerzen bereiteten. 

„Ja, ich bleibe bei dir", sagte sie eilig und legte eine Hand an seine Wange. Er schmiegte sich daran und schloss wieder die Augen, bevor er wieder einen röchelnden Hustenanfall bekam. Panisch warf Laskina einen Blick nach draußen, doch sie konnte nicht erkennen, wie weit sie schon waren. Ihr Zeitgefühl war vollkommen abhanden gekommen und sie wusste nicht, ob sie schon eine Minute oder fünfzehn unterwegs waren. Sie wusste nur, dass Atimis dringend Medizin brauchte. 

„Gleich sind wir da", sagte sie, eigentlich nur um irgendetwas zu sagen. Atimis reagierte nicht mehr und als sie seinen immer schwächer werdenden Atem hörte, schossen ihr Tränen in die Augen. 

„Ethonis! Er hat nicht mehr viel Zeit", schrie sie, in der Hoffnung, Ethonis würde sie hören. Doch anstatt zu beschleunigen, hielt die Kutsche auf einmal an und sie hörte, wie Ethonis von der Bank herunter sprang. Es klang, als knirschte Kies unter seinen Füßen, was doch bedeutete, dass sie endlich an seinem Haus angekommen sein mussten. Keine Sekunde später würde die Tür des Kutschwagens geöffnet und Ethonis blickte panisch hinein.

„Hilf mir, ihn ins Haus zu bringen", befahl er in einem Ton, der ganz ungewohnt für ihn klang. Sofort schob Laskina die Arme unter Atimis Schultern, während Ethonis seine Beine packte. Gemeinsam hievten sie ihn aus dem Wagen. Atimis stöhnte noch nicht einmal mehr, er machte gar kein Geräusch mehr. 

„Öffne die Tür, schnell!", rief er, ließ Atimis Beine auf den Boden gleiten und packte ihn sogleich und trug ihn eilig in Richtung Haus. Laskina rannte vor ihm her und öffnete die Tür, die vom Garten ins Haus führte. Panisch sah sie sich um, doch von Emevra war keine Spur. 

„Los, wirf die Kissen runter, wir legen ihn aufs Sofa", rief Ethonis und sofort gehorchte Laskina. Sie stürzte zum schneeweißen, riesigen Sofa und schleuderte die Kissen auf den Boden, damit Ethonis Atimis darauf ablegen konnte. Behutsam tat er es, dann rannte er davon. Sie sah, wie er die Treppen nach oben rannte und sie hoffte, dass es noch nicht zu spät war. 

„Laskina, bist du das?", hörte sie auf einmal eine Stimme, die sicherlich Generis gehörte, aber es kam ihr alles ganz weit weg vor. Ein Schluchzen brach aus ihrer Kehle und panisch griff sie Atimis Hand. Sie war ganz kalt und eilig wanderte ihr Blick zu seinem Armring. Er war noch blau, doch er schien genau wie seine Augen zu verblassen. 

„Nein, bitte nicht. Bitte bleib bei mir", flüsterte sie, denn sobald sein Armring ganz weiß war, bedeutete das, dass er tot war. Unwiederbringlich fort. 

„Atimis", flüsterte sie, vergrub das Gesicht an seiner Brust und weinte stumm. Sie durfte ihn nicht verlieren, was sollte sie nur ohne ihn machen? 

„Laskina", hörte sie noch einmal Generis Stimme, dieses Mal klang er eindeutig besorgt. Doch bevor sie darüber nachdenken konnte, ob sie ihm antwortete oder nicht, wurde sie unsanft von Atimis weggerissen. Sie landete auf dem Hintern, doch sofort drängte Ethonis ich zwischen sie und sie beobachtete, wie er Atimis eine Flüssigkeit einflößte. 

„Na los, Junge", flüsterte er eindringlich, als wollte er Atimis beschwören. 

„Wie wurde er vergiftet?", fragte Ethonis und sah über die Schulter zu Laskina. Sein Blick war unerwartet besorgt, denn normalerweise scherten sich Hohe Menschen wenig um einen Niederen. 

„Er wurde mit einem vergifteten Speer am Rücken getroffen", antwortete sie, woraufhin Ethonis Atimis das Hemd vom Leib riss und ihn auf den Bauch drehte. Atimis keuchte, was Laskina unendlich erleichterte, denn ein schmerzerfülltes Keuchen war eindeutig besser als gar kein Geräusch. Als Ethonis die Wunde auf seinem Rücken freilegte, sog er scharf die Luft ein. 

„Wie lange hat er das schon?", fragte er und deutete auf die Wunde, dessen Ränder sich noch dunkler verfärbt hatten. Wie die Strahlen einer Sonne zogen sich die beinahe schwarzen Streifen unter seiner Haut entlang. Die Wunde nässte unnatürlich, so als waberte das dunkle, Tod bringende Gift wieder aus ihm heraus. 

„Gestern Abend", antwortete sie, krabbelte etwas unbeholfen näher zum Sofa und suchte Atimis Hand, die schwach herunterbaumelte. 

„Bitte? Nein, das kann nicht sein. Das sieht nicht aus wie eine übliche Verletzung eines Giftspeers", sagte Ethonis bestimmt, doch Laskina konnte nur die Schultern zucken. Das war die Geschichte, die Atimis ihr erzählt hatte. 

„Bitte, kannst du ihm helfen?", fragte sie und suchte Ethonis Blick. Als sie ihn fand, zuckte sie zusammen, denn sie erkannte eine merkwürdige Kälte darin. Anstatt zu antworten wandte er den Blick wieder ab auf die Wunde, anschließend träufelte er etwas von der Flüssigkeit, die er Atimis eben noch eingeflößt hatte, auf die offene Wunde. 

Sofort fing es an, daraus wie aus einem Vulkan zu sprudeln. Laskina schrie auf und auch Ethonis zuckte zurück. 

„Was ist das?", fragte sie, denn diese schwarze, glänzende Flüssigkeit war eindeutig nicht Atimis Blut oder sonst irgendetwas, das aus ihm kommen konnte. Ethonis griff nach Atimis ohnehin bereits zerrissenen Hemd und tupfte damit die Flüssigkeit ab, die aus seiner Wunde auf seinen Rücken gesprudelt war. 

„Es ist das Gift. Durch die Medizin wird es aus seinem Körper gespült", erklärte er, sah aber ziemlich besorgt aus. Laskina spürte, wie sie anfing zu zittern, als der Strom langsam nachließ. Auch wenn Ethonis einiges der Flüssigkeit hatte auffangen wollen, war eine große Lache auf sein weißes Sofa gelangt. 

Noch einmal ließ er einige Tropfen der klaren Medizin auf die Wunde träufeln, doch alles was noch herauskam, war frisches, rotes Blut. 

„Es scheint alles raus zu sein. Zur Sicherheit wiederholen wir das ganze heute Abend noch einmal", sagte er, dann griff er in die Tasche seines Hemdes und holte eine weiße, weiche Stoffbinde heraus, die er sorgsam auf Atimis Wunde legte. Recht schnell sickerte Blut hinein, doch alles wurde von dem Stoff aufgesogen. 

„Wir sollten ihn schlafen lassen. Sein Körper braucht Ruhe. In einer Stunde komme ich wieder und werde die Stoffbinde wechseln", sagte Ethonis, erhob sich und hielt ihr die Hand hin. Laskina zögerte, denn eigentlich wollte sie hier bei Atimis sitzen bleiben. 

„Na komm. Wir können ihm im Moment nicht mehr helfen, er muss sich ausruhen. Generis wartet auf dich und auf mich mein Garten", sagte er und auch wenn sie unendlich dankbar war, dass Ethonis Atimis das Leben gerettet hatte, fand sie es doch befremdlich, einfach mit ihrer alltäglichen Arbeit weiterzumachen. 

„Laskina", sagte Ethonis in einem strengeren Ton und schließlich nahm sie seine dargebotene Hand und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. 

„Danke", flüsterte sie und suchte Ethonis Blick. Ihr war durchaus bewusst, dass ihn diese Geste der Menschlichkeit von den übrigen Hohen Menschen unterschied. Er war anders als die Elstern, er war sogar anders als einige ihresgleichen, die eigentlich zusammen halten sollten. 

„Dafür stehst du in meiner Schuld", sagte Ethonis und erst da bemerkte Laskina, dass er noch immer ihre Hand hielt. Als hätte auch er das genau in diesem Moment bemerkt, ließ er sie los, als würde ihre Hand ihn verbrennen. 

„Entschuldige, ich sollte dir nicht so nahe kommen", sagte er, wandte sich ab und verschwand unerwartet schnell im Garten. Einen Moment lang blieb sie verwirrt stehen, dann sah sie noch einmal zu Atimis. Er lag unverändert auf dem Bauch, seine Augen waren geschlossen und er sah schon viel besser aus, als noch vor einer Stunde. Sein Gesicht hatte wieder Farbe bekommen, genau so wie sein Armring. 

Unwillkürlich umfasste Laskina den ihren und stellte sich vor, wie all ihre Wärme und ihr Mitgefühl hineinflossen. Zufrieden bemerkte sie, dass Atimis Ring anfing, leise zu vibrieren. Sie lächelte, denn sie spürte tief in sich drin, dass Atimis wieder gesund wurde. 

Ethonis, ein Hoher Mensch, der Atimis überhaupt nicht kannte, hatte ihm das Leben gerettet. Das war außergewöhnlich, vor allem da Atimis Vergiftung durch Hohe Menschen verursacht worden war. 

Unwillkürlich warf sie einen Blick zur Tür, die hinaus in den Garten führte. Sie stand offen und sie erkannte Ethonis, der auf der großen Wiese in die Hocke gegangen war und mit den Händen über das gründe Gras fuhr. Als würde er ihren Blick spüren, erwiderte er ihn. Sofort senkte Laskina den Kopf, als Zeichen ihrer Dankbarkeit. Aber Ethonis hatte durchaus recht, sie stand in seiner Schuld, die sie vermutlich nie begleichen konnte. 

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