Kapitel 12 - Generis

Generis hakte die Finger in die Löcher in der Glasscheibe und spähte neugierig hinaus. Von Emevra war schon seit einiger Zeit nichts mehr zu hören und zu sehen, worüber er ganz froh war. Jede Minute, die er sie nicht ertragen musste, war eine kostbare Minute. 

Dennoch war er aufgeregt, denn sollte Ethonis heute Morgen nicht gelogen haben, würde er Laskina abholen und sie hier her bringen. Auch wenn seine Motive fraglich waren, wollte Generis sie als Freundin. Er wusste nicht, wieso er dieses drängende Verlangen spürte, vielleicht weil er seit er hier war gewissermaßen in Isolation lebte. 

Angestrengt lauschte er auf das vertraute Getrappel der Hufe, das die Ankunft der Kutsche verkündete, aber es blieb ungewöhnlich lange still. Zu still. War etwas nicht in Ordnung? 

Unwillkürlich ging er zur Tür, doch natürlich war sie verschlossen. Dennoch rüttelte er daran, als könnte er sie allein durch seine Kraft öffnen. 

Vor seinem inneren Auge sah er Laskina, ihr braunes, langes Haar flatterte im Wind und sie lachte. Er konnte nur zu gut verstehen, warum Ethonis sich zu ihr hingezogen fühlte, auch wenn sie deutlich jünger war als er. Generis schnaubte und versuchte, sich nicht zu sehr in der Vorfreude zu verlieren, denn sonst wäre er nur zu enttäuscht, wenn Laskina heute nicht auftauchen würde. 

Genervt von der allumfassenden Langeweile fing er an, auf und ab zu gehen. Immer wieder warf er Blicke in den Wohnbereich seiner Eltern, doch weder wurde die Tür geöffnet, die hinaus in den Garten führte, noch hörte er die heranfahrende Kutsche. 

Eine ganze Weile ließ er die Gedanken treiben und wanderte auf und ab, bis er auf einmal ein Geräusch hörte. Sofort hielt er inne, doch als er genauer hinhörte, erkannte er, dass es Emevras Schritte waren, die eindeutig näher kamen. Mitten in seinem Zimmer blieb er stehen, denn er wollte nicht zu nah an die Scheibe treten, falls sie den Stich dabei hatte. 

Diese Waffe war der einzige Grund, warum die Hohen Menschen Macht über die Tiere hatten. Denn in ihrer Kraft und Schnelligkeit waren die meisten Tiere den Menschen weit überlegen, so auch er. Allerdings hatten sie mehrere Giftwaffen wie den Stich, den sie ohne zu zögern einsetzten. Dabei handelte es sich um eine Art Speer aus schwarzem Metall, aus dem jede Menge kleine Nadeln herausschossen, wenn sie auf einen Körper trafen. Diese Nadeln waren gefüllt mit einem starken Nervengift, das das Opfer nicht nur für einige Stunden außer Gefecht setzte, sondern auch die Gehirnzellen absterben ließ. 

Er wusste, dass es draußen in der Welt Lebewesen gab, die so oft mit dem Gift des Stichs in Berührung gekommen waren, dass sie wie lebende Tote umher wandelten, ohne ihre Umwelt wahrzunehmen. Ihr Körper funktionierte noch, doch ihr Gehirn war unwiderruflich zerstört. 

Generis schüttelte es bei der Vorstellung, genau so zu enden. Bevor er länger darüber nachdenken konnte, trat Emevra in sein Sichtfeld, wie üblich mit einem deutlichen Sicherheitsabstand zur Glasscheibe zwischen ihnen. Generis folgte ihr, bis sie schließlich in der Mitte des Raumes stehen blieb und ihn ansah. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ohne es verhindern zu können, betrachtete er sie genauer. 

Sie war schlank und steckte in einer schwarzen Hose aus glänzendem Stoff, dazu trug sie eine Seidenbluse, die glitzerte. Ihre braunen Haare hatte sie zu einer aufwändigen Frisur hochgesteckt, doch all ihre äußerliche Schönheit wurde von ihrem verrotteten Inneren überschattet. 

Abschätzig sah sie zu ihm und er spürte die Verachtung in ihrem Blick, zusammen mit der Furcht. Generis erwiderte ihren Blick, sagte aber nichts. Beinahe war es so, als führten sie ein stummes Duell aus, wer zuerst den Blick abwandte. Generis wusste, dass er es nicht sein würde und tatsächlich wandte Emevra schon nach wenigen Sekunden den Kopf zur Seite. 

„Ethonis holt ein Mädchen für dich", sagte sie und irgendetwas an ihrem Ton ließ es ganz und gar falsch klingen. Er nickte langsam und versuchte, schlau aus ihr zu werden. Emevra seufzte. 

„Sie ist ein Mensch, das heißt, sie ist zerbrechlich", fuhr sie fort und wieder nickte Generis. Ja, Menschen waren im Verglich zu ihm zerbrechlich, aber das wusste er. Wieder seufzte Emevra, als hätte Ethonis ihr aufgetragen, ihm etwas zu sagen, was sie nicht sagen wollte. 

Plötzlich fiel der Groschen und er riss ungläubig die Augen auf. 

„Ich werde sie nicht verletzen", sagte er fassungslos, doch Emevras kalter, berechnender Blick verriet ihm, dass sie ihm nicht glaubte. 

„Natürlich wird sie nicht zu dir in dein Zimmer dürfen, aber du weißt, Niedere Menschen sind dumm. Ich will mich nicht um eine Leiche kümmern müssen und einem Niederen Verbundenen erklären müssen, was mit ihr passiert ist", sagte sie in einem Ton, der ihn erschauern ließ. Sie sprach sie abfällig über Laskina, dass es in ihm anfing zu kochen. Am liebsten hätte er sie angeschrien, dass er keinem Lebewesen etwas antun wollte, noch nicht einmal einer verdorbenen Seele wie ihr. 

„Ich werde sie nicht verletzen", wiederholte er. 

„Oder töten", setzte er nach, woraufhin Emevra nickte. Ihre Nase zog sich kraus, als rieche sie etwas Unangenehmes. 

„Das will ich für dich hoffen", sagte sie, schob ihre Bluse ein Stück beiseite und präsentierte ihm den Stich, der an ihrem Gürtel befestigt war. Das schwarze Metall blitzte, so als wartete es nur darauf, seine Nadeln in sein Fleisch zu bohren. Generis senkte den Kopf, damit sie glaubte, er würde sich ihr unterwerfen. 

„Gut. Sie werden in wenigen Minuten ankommen", fuhr Emevra fort, dann verschwand sie genau so schnell, wie sie erschienen war. Generis wartete, bis ihre Schritte verklungen waren, dann riss er den Blick hoch und sah gebannt zur Tür, die in den Garten führte. Er trat näher an die Glasscheibe, hängte die Finger wieder in die Löcher und wartete. Er spürte die Anspannung, denn einerseits wollte er Emevra beweisen, dass er nicht das blutrünstige Monster war, für das sie ihn hielt, andererseits würde er sie nur zu gern davonjagen. 

Eilig schüttelte er den Kopf, denn sie war die Gedanken nicht wert, die er mit ihr verschwendete. Stattdessen richtete er den Blick wieder auf die Tür, die zum Garten führte und lauschte angestrengt. Tatsächlich hörte er schon wenige Minuten später die Kutsche über das unebene Pflaster rollen. Er hörte Ethonis Stimme, wie er den Arbeiterinnen ihre heutigen Aufgaben im Blumengarten und auf den Gemüsefeldern zuteilte, dann öffnete sich auf einmal die Tür. 

Generis wurde unruhig, denn auch wenn er Laskina bei ihrer ersten und bisher einzigen Begegnung sehr gemocht hatte, wusste er nicht so recht, ob sie wirklich so nett war oder nur eingeschüchtert. 

Ethonis betrat das Haus, gefolgt von Laskina. Sie hielt einen Korb in den Händen, der gefüllt war mit farbenfrohen, bunten Blumen. 

„Stell die Blumen dort auf den Tisch", sagte Ethonis zu ihr und deutete mit der Hand auf den Tresen, der nur wenige Meter von der Glasscheibe entfernt war und eine Art Bar darstellte. Wie fast alles in diesem Haus war sie weiß, ebenso wie die Schrankwand dahinter. Generis sah, wie Laskina sich neugierig umsah und schließlich den Korb wie geheißen abstellte. Dieser bunte Farbklecks inmitten der weißen Umgebung wirkte merkwürdig fröhlich. Als Laskina sich umwandte, fiel ihr Blick auf ihn. 

Sie zuckte zusammen, lächelte dann aber. Generis erwiderte das Lächeln und winkte ihr durch die Scheibe zu. Ethonis gesellte sich zu ihr und legte ihr eine Hand an ihren Rücken, während er sie näher an die Scheibe führte. Generis blieb stumm, denn er wusste nicht, was Ethonis vorhatte. Würde er ihn rauslassen? Oder Laskina zusammen mit ihm in seinem Zimmer einsperren? Beides wäre ihm recht, Hauptsache war, dass er nicht mehr allein war. 

„Hallo", sagte Laskina schüchtern und senkte den Blick auf den Boden. Generis sah, wie ihre Wangen rot wurden, was ihre Sommersprossen noch mehr hervorhob.

„Hallo Laskina, es freut mich, dich wiederzusehen", sagte er, woraufhin sie wieder den Blick hob. 

„Mich freut es auch", gab sie zurück, doch bevor er noch etwas sagen konnte, ergriff Ethonis das Wort. Erst da sah Generis ihn richtig an. Er stand unangemessen nah bei Laskina, die sich entweder nichts anmerken ließ oder die es nicht störte. 

„Generis, du kennst Laskina ja bereits. Sie wird dir ein wenig Gesellschaft leisten, während Emevra und ich beschäftigt sind", sagte er und auch wenn er das bereits wusste, nickte er. 

„Gut, dann lasse ich euch beide mal allein. Wenn etwas ist, findest du mich draußen", sagte Ethonis, sah Generis aber eindringlich an, als wollte er ihn an seine unmoralische Bitte erinnern, dann machte er sich davon. Laskina sah ihm über die Schulter nach, dann wandte sie sich wieder ihm zu. Kaum dass Ethonis die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete sie auf, als wäre sie erleichtert, ihn endlich los zu sein. 

Generis streckte seine Finger durch eines der Löcher in der Scheibe und beobachtete Laskina. Sie zögerte, doch dann umschloss sie seine Finger wie zu einem Händedruck. 

„Was machst du normalerweise, wenn deine Eltern nicht da sind?", fragte sie, ließ anschließend seine Finger wieder los und stemmte die Hände in die Hüfte, als wäre sie voller Tatendrang. Generis senkte den Kopf, denn die Tatsache, dass weder Emevra noch Ethonis in der Nähe waren, bedeutete, dass die Glasscheibe für heute zwischen ihnen blieb. Ein Seufzen entfuhr ihm, dann setzte er sich auf den Boden und betrachtete sie. 

Ihr rundes Gesicht wirkte vollkommen offen und grundlegend freundlich, wie sie es bisher nur bei wenigen Menschen gesehen hatte. Ihre leuchtend blauen Augen fielen ihm wie schon bei ihrer ersten Begegnung auf und er fand, dass sie wunderbar zu den Blumen passten, die sie mitgebracht hatte. Noch immer sah sie ihn fragend an und erst da bemerkte er, dass er noch gar nicht auf ihre Frage geantwortet hatte. 

„Ach, die meiste Zeit sitze ich hier in meinem Zimmer, bis Ethonis mich am Abend in den Garten lässt", sagte er und bemerkte erst als er es aussprach, wie resigniert er klang. Laskina nickte, legte dann aber einen Finger ans Kinn. 

„Du wirktest, als würde es dir im Garten gefallen. Wollen wir nicht nach draußen gehen? Der Garten ist so groß, wir stören die anderen gar nicht", schlug sie vor, wobei ihre Augen anfingen zu leuchten. Wieder entfuhr ihm ein Seufzen, denn er würde nur zu gern mit Laskina in den Garten gehen, sie auf seinen Rücken schwingen und mit ihr doch das Gras rennen. Vielleicht würde er ihr die Muräne zeigen, die bei Tageslicht vielleicht nicht ganz so gruselig wirkte. Laskina sah sich um und ging schließlich zu der Tür in der Glasscheibe. 

„Oder möchtest du lieber etwas anderes machen?", fragte sie, denn Generis bewegte sich nicht. Immerhin war die Tür wie üblich verschlossen und er bezweifelte, dass Laskina einen Schlüssel hatte. 

„Nein, der Garten klingt toll, aber...", setzte er an, doch bevor er weitersprach, rüttelte Laskina an der Tür. Ihr Lächeln erstarb sofort, als sie begriff, dass die Tür verschlossen war. Beinahe panisch sah sie zu Generis, der langsam nickte. 

„Aber wir müssen uns mit der Vorstellung begnügen. Die Tür ist verschlossen", sagte er, woraufhin Laskina die Schultern sinken ließ. Langsam kam sie wieder zu ihm und setzte sich vor ihn auf den Boden. Er sah in ihrem Blick, dass es in ihr arbeitete. 

„Warum sperren sie dich ein?", fragte sie, doch Generis schüttelte nur den Kopf. Laskina rutschte näher an die Scheibe heran, sodass ihr Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war. 

„Emevra fürchtet sich vor mir und sie verachtet mich. Ethonis scheint zwiegespalten zu sein, denn wenn er mit mir redet oder mit mir im Garten ist, verstehen wir uns gut. Nur unternimmt er auch nichts dagegen, dass Emevra mich tagsüber einsperrt", berichtete er und sah, wie Laskinas Mund sich langsam öffnete, als könnte sie nicht glauben, was er soeben erzählt hatte. Eine Weile schwieg sie, doch dann fing sie aufgeregt an zu plappern. 

„Aber... Warum lässt du dir das gefallen? Sie können dich doch nicht hier einsperren und dich so behandeln", empörte sie sich, doch Generis lachte bitter. 

„Du kennst sicherlich die Waffen der Hohen Menschen. Schon einmal etwas von dem Stich gehört?", fragte er und sofort verzog sie das Gesicht. 

„Natürlich, ich kenne einige im Slum, die mit diesen Teufelsdingern in Berührung gekommen sind. Aber bei uns bevorzugen die Elstern Messer und Schlagstöcke, ganz ohne Gift aber sehr schmerzhaft", erklärte sie, was Generis nicken ließ. 

„Beides ist unwürdig", kommentierter er. 

„Ja, da hast du recht, aber... wenn man sich an die Regeln hält, bleibt man verschont", sagte sie, aber es klang wie einstudiert. Generis spürte, dass Laskina genau wie er war. Sie lebte genau wie er unterdrückt und nicht frei, so wie sie beide es verdient hatten. Er beschloss, das Thema zu wechseln. Sein Blick fiel auf ihren blauen, metallenen Armring. 

„A1379", las er die Gravur und sofort hob Laskina den Arm und betrachtete ihren Armring, als würde sie erst in diesem Moment begreifen, dass dort eine Inschrift zu lesen war. 

„Ja, diese Kennzeichnung ist auch auf dem Armring meines Verbundenen", sagte sie und auch wenn Generis das wusste, nickte er interessiert. 

„Wie ist dein Verbundener? Behandelt er dich gut?", fragte er und sofort erschien ein Lächeln auf Laskinas Lippen. 

„Aber ja, Atimis ist wunderbar. Er ist stark und mutig und er sagt mir jeden Tag, dass ich wunderschön bin", sagte sie und er konnte erkennen, dass sie Atimis aufrichtig liebte. Komischerweise verpasste ihm das einen Dämpfer, denn vielleicht hatte er sich ein wenig in sie verguckt. Nicht, dass er sich eine realistische Chance ausrechnete, aber er schwärmte gern von Dingen, die er nicht haben konnte. 

„Freut mich für dich", sagte er, dann schwiegen sie eine Weile. 

„Hier, ich zeige dir etwas", sagte sie und sprang auf einmal auf. Generis folgte ihr mit dem Blick und als sie ihren Armring ganz dicht an eines der Löcher in der Scheibe hielt und ihn aufmunternd ansah, erhob auch er sich. 

„Leg deine Finger darauf und stell dir vor, wie du ihm Hallo sagst", forderte sie, was Generis lachen ließ. Noch nie hatte er bei Emevra oder Ethonis gesehen, dass sie so etwas taten. 

„Bitte, er wird antworten", fuhr sie fort und schob ihre Hand nun ganz durch das Loch hindurch. Der Armring passte gerade so hindurch, aber auch nur, weil ihre Arme so dünn waren. Generis sah sie noch einmal skeptisch an, doch als sie nickte, legte er eine Hand um den Ring. 

Hallo Atimis, hier sind Laskina und Generis, dachte er und tatsächlich spürte er, wie der Ring unter seine Hand ganz warm wurde. Erschrocken zuckte er zurück. 

„Leg deine Hand wieder darauf", forderte Laskina und er gehorchte. Nun vibrierte der Ring sanft, nur für wenige Sekunden, aber es verursachte in ihm ein wohliges Gefühl. 

„Er sagt: Hallo Generis, schön dich kennenzulernen", sagte Laskina, was Generis lachen ließ. Laskina zog ihre Hand wieder zurück, doch sie erwiderte sein Lachen nicht. Abrupt verstummte er. 

„Warte, du kannst ihn tatsächlich hören?", fragte er und Laskina nickte. 

„Nun ja, nicht direkt hören, aber ich spüre, was er denkt. Zumindest manchmal", erwiderte sie, was Generis ungläubig den Kopf schütteln ließ. 

„Du kannst seine Gedanken durch den Ring lesen?", fragte er, doch nun lachte sie. 

„Nein, so ist es auch wieder nicht. Es klappt nur mit kurzen Botschaften wie: Alles ist in Ordnung, oder: Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen", antwortete sie, doch auch das war schon faszinierend. 

„Das ist unglaublich", staunte er, was Laskina nur die Schultern zucken ließ. 

„Es ist praktisch", sagte sie und senkte auf einmal den Blick, als sei sie traurig. 

„Was ist los?", fragte er besorgt, denn irgendetwas schien sie zu bedrücken. Sie seufzte, hob aber wieder den Blick und sah ihm direkt in die Augen. 

„Hast du von den Explosionen am östlichen Menschenslum gehört?", fragte sie und sofort nickte er. Gebannt hatte er den Rapport gelauscht und er erinnerte sich, wie wütend ihn das alles gemacht hatte. 

„Ich war auch da und... ich wurde nicht getroffen, aber ich bin gestürzt und habe mir die Schulter verletzt. Durch den Ring hat Atimis nach mir gerufen", berichtete sie und auf einmal durchzuckte es ihn. 

„Du bist verletzt?", fragte er entsetzt, woraufhin Laskina ihr Hemd ein wenig aufknöpfte und es über ihre linke Schulter schob. Generis erkannte eine dickes, weißes Heftpflaster, durch welches das satte Grün von Heilkräutern schimmerte. Nach ein paar Sekunden richtete sie ihre Kleider wieder und schluckte schwer. 

„Es ist nicht schlimm. Nicht mehr. Die Regierung hat Sanitäter geschickt und tatsächlich hilft deren Medizin wirklich gut", sagte sie. Generis verspürte das drängende Verlangen, sie in den Arm zu nehmen und sie zu trösten. Sein Blick fiel auf einmal auf die Blumen in dem Korb hinter ihr. 

„Bringst du mit bitte das Blumenkörbchen?", fragte er und deutete hinter sie. Verwirrt sah sie sich um, nickte dann aber und holte den Korb. Generis versuchte seine Hand durch die Löcher in der Scheibe zu schieben, doch seine Hand passte nicht hindurch. Laskina begriff, was er versuchte und sie griff nach einigen Blumen und reichte sie ihm durch die enge Öffnung. 

Er nahm eine wunderschöne blaue Blume, schob sie mit dem Stängel voran zurück durch das Loch und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass sie näher kommen sollte. 

„Hier, ich schiebe sie dir ins Haar", sagte er und gehorsam hielt Laskina ihren Kopf an das Loch, sodass er ihr die Blüte hinter das Ohr ins Haar schieben konnte. Sofort war ihr Lächeln zurück. 

„Danke", sagte sie, betastete die Blume und setzte sich wieder auf den Boden. 

„Ich habe eine Idee", sagte sie, griff nach einer Blume und bohrte mit dem Fingernagel ein Loch in den Stängel. Neugierig beobachtete er, wie sie eine weitere Blume hindurchschob, sodass sich nach und nach eine Kette bildete. Es dauerte nur wenige Minuten und sie hatte einen kleinen Kranz aus Blumen geflochten. 

„Für dich", sagte sie, drückte ihn vorsichtig zusammen und schob ihn durch das Loch. 

„Setz ihn dir auf den Kopf, wie eine Krone", sagte sie und auch wenn Generis sich ein wenig albern vorkam, tat er es. Laskina strahlte. 

„Steht dir ausgezeichnet", sagte sie. 

„Du musst auch einen für dich machen, dann sind wir das Blumenkönigspaar", sagte er und sie gehorchte. Generis fühlte sich so fröhlich, wie schon sehr lange nicht mehr. Auch wenn zwischen ihnen eine dicke, undurchdringliche Glasscheibe lag und sie einfach nur wie Kinder mit den Blumen herumspielten, fühlte er sich frei und sorglos. Hoffentlich durfte Laskina jeden Tag zu ihm kommen, denn sie würde sein Leben erträglich, wenn nicht sogar lebenswert machen. 

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