Kapitel 11 - Generis

Generis wachte nur langsam auf, doch als er das Klappern in der Küche hörte, war er auf einmal hellwach. Er buddelte sich aus seinem Strohbett und erhob sich. Sein Blick wanderte in seinem weißen, sterilen Zimmer umher, bis er schließlich durch die Glasscheibe nach draußen sah. Es war so aufgeräumt wie immer und als er langsam näher an die Scheibe trat, hörte er Stimmen. 

„Hast du endlich eine Arbeiterin gefunden, die sich mit ihm beschäftigt?", fragte Emevra in einem absolut genervten Ton, als wäre es nicht erst Morgen sondern ein Abend nach einem anstrengenden Arbeitstag. Was bei Emevra natürlich undenkbar war, denn sie arbeitete nicht. 

Generis spitzte die Ohren und lauschte gespannt auf Ethonis Antwort. 

„Aber ja. Sie war gestern bereits im Blumengarten und sie hat sich kurz mit Generis unterhalten. Sie schienen sich zu mögen", sagte Ethonis und sofort schlug Generis Herz schneller. Er meinte ohne Zweifel Laskina. Bei der Erinnerung an ihr hübsches, sommersprossiges Gesicht breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus. 

„Gut, holst du sie heute ab?", fragte Emevra und er hörte, wie Ethonis ein zustimmendes Geräusch machte. 

„Fantastisch", brummte Emevra, dann hörte er, wie ihre klackernden Schritte sich entfernten. Generis trat an die Tür in der Glasscheibe und klopfte, um auf sich aufmerksam zu machen. 

„Ja, ich komme", hörte er Ethonis sagen und nur wenige Momente später tauchte er in seinem Sichtfeld auf. Generis bemerkte die Schüssel mit Essen in seinen Händen und sofort lief ihm das Wasser im Mund zusammen. 

„Komm mit mein Junge, ich muss mit dir über etwas sprechen", sagte er, griff nach dem Schlüsselbund, der an seinem Gürtel hing und suchte den passenden Schlüssel heraus. Er öffnete die Tür und langsam trat Generis hinaus in den Wohnbereich von Ethonis und Emevra. Sein Blick hing auf der Schüssel mit frischen Gemüse und Salat. Ethonis lachte, dann hielt er ihm die Schüssel hin. 

„Hast du Hunger?", fragte er überflüssigerweise, denn Emevra ließ ihn hungern, wenn Ethonis auf der Arbeit war. Beziehungsweise wenn er Menschenfrauen für sich arbeiten ließ und er sie beaufsichtigte. 

Generis griff nach der Schüssel und nahm eine dicke, runde Tomate heraus. Genüsslich biss er hinein und schmeckte die fruchtige Süße der Frucht. Ethonis lächelte, doch dann setzte er sich in Bewegung und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, dass er ihm folgen sollte. 

Generis folgte ihm in den parkähnlichen Garten, wo Ethonis sich in Richtung des Blumengartens begab. Er ließ sich schließlich auf einem kleinen Mauervorsprung nieder, der den Blumengarten von der Wiese abgrenzte. Generis setzte sich vor ihn ins Gras, stellte die Schüssel vor sich ab und aß gierig die köstlichen Leckereien. Ethonis beobachtete ihn eine Weile lang, doch Generis hatte eine solchen Hunger, dass ihm in diesem Moment egal war. 

Nachdem er alles aufgegessen hatte, reichte er Ethonis die Schüssel zurück, der sie neben sich auf die kleine Mauer stellte. Anschließend faltete er die Hände und atmete tief ein, als wappnete er sich. 

„Du wolltest mit mir sprechen, Vater?", fragte Generis, denn auch wenn er schon mitbekommen hatte, dass Laskina wieder hier arbeiten sollte, schien er ihm noch etwas anderes sagen zu wollen. Ethonis hob den Blick und erst als Generis den seinen erwiderte, fing Ethonis an zu sprechen. 

„Emevra und ich haben uns überlegt, ein Kindermädchen für dich einzustellen. Sicherlich bist du schon alt genug, aber es kann sicherlich nicht schaden, wenn du jemanden hast, mit dem du dich ein wenig unterhalten kannst", sagte Ethonis und sofort nickte Generis. Selbst wenn Emevra ihn den ganzen Tag in seinem Zimmer einsperrte, wäre es doch ein wenig erträglicher, wenn er Gesellschaft hätte. 

„Das wäre toll", kommentierte er und lächelte. Ethonis nickte. 

„Gut, dann werde ich mich auf den Weg machen und die Arbeiterinnen abholen. Aber ich wollte dich noch um einen Gefallen bitten", setzte er nach und wieder spürte Generis seinen bohrenden Blick auf sich. Generis nickte. Er würde alles tun, nur damit Ethonis ihm erlaubte, sich mit einer der Arbeiterinnen anfreunden zu dürfen. 

„Vielleicht könntest du ihr Vertrauen gewinnen und sie so davon überzeugen, dass...", setzte Ethonis an, unterbrach sich aber. Verwirrt sah Generis ihn an, denn er wusste nicht so recht, auf was Ethonis hinauswollte. 

„Nun ja, sie ist sehr hübsch und du weißt ja, dass Emevra und ich unsere Meinungsverschiedenheiten haben", fuhr er fort und erst da begriff Generis. Er sollte nur das Mittel zum Zweck sein, damit Ethonis sich eine Geliebte anschaffen konnte. 

Zwar lebte er noch nicht lange in der freien Welt außerhalb des Heimes, in dem er aufgewachsen war, aber er wusste, dass Hohe Menschen sich hin und wieder Musen anlachten. Diese Liebschaften beruhten oft nicht auf Gegenseitigkeit, sondern gründeten in der Abhängigkeit der Niederen Menschen von den Hohen Menschen. 

Augenblicklich wurde er wütend und sprang auf. 

„Du willst sie als deine Liebhaberin und ich soll sie dazu bringen, dass es ihr bei dir gefällt?", fragte Generis ungläubig, denn er verstand nicht, wieso er mit in diese Sache hineingezogen wurde. Tief in sich drin spürte er die Wut in sich aufkeimen, der er meist zu unterdrücken versuchte. 

„Aber nein, so ist es doch nicht. Bitte setz dich, ich erkläre es dir", sagte er und nur widerwillig ließ Generis sich wieder ins Gras fallen. Sein Blick ruhte auf Ethonis und er versuchte angestrengt, seine wahre Intention zu erkennen. 

„Zunächst wollte ich jemanden finden, der dir Gesellschaft leistet, wenn ich nicht da bin. Das war mein eigentlicher Gedanke. Aber als ich Laskina getroffen habe, wusste ich, dass sie mehr für mich ist als nur eine Arbeiterin. Ich dachte mir, ich könnte sie durch ihre Arbeit mit dir an das Leben bei uns gewöhnen. Vielleicht verliebt sie sich in mich", erklärte Ethonis, dennoch ergab das alles keinen Sinn. 

„Aber wenn du sie liebst, dann frag sie doch, ob sie deine Muse sein will", schlug er schulterzuckend vor, doch Ethonis schüttelte panisch den Kopf. 

„Aber nein, das würde sie ablehnen. Sie ist in einer Verbundgemeinschaft und sie liebt ihren Verbundenen", sagte er, was Generis den Kopf schütteln ließ. Ihm gefiel ganz und gar nicht, wie er Laskina hinters Licht führen wollte, sie von ihrem Verbundenen lösen wollte und sie zu seinem Leibeigenen machen wollte. Denn genau das war es doch. 

„Ich stehe nicht dahinter", sagte Generis, auch wenn er dadurch vielleicht auf Laskinas Gesellschaft verzichten musste. Ethonis stöhnte und vergrub das Gesicht in den Händen. 

„Bitte versteh mich doch. Es ist nicht leicht, sie hier her zu bekommen. Sie kommt nur mit der Aussicht auf eine Arbeit, die sie nicht ablehnen kann", sagte Ethonis und auch wenn Generis seine Misere verstand, fand er es falsch. Er wollte Laskina um den Finger wickeln, sich eine Zeit lang mit ihr vergnügen und sie dann zurück in ihr Slum schicken, wo sie schließlich mit nichts dastand. Ihre Verbundgemeinschaft würde aufgelöst werden, sobald sie und Ethonis sich näher kamen. 

„Bitte hilf mir. Freunde dich mit ihr an, damit sie gern hier her kommt. Mehr verlange ich nicht von dir", bettelte Ethonis und Generis spürte, wie er nickte. Es war egoistisch von ihm, dass er zuließ, dass Laskina hier her kam, aber er würde dieses Gefangenschaft unter Emevra nicht länger aushalten. 

„Ich danke dir, Sohn", sagte Ethonis, erhob sich und bedeute ihm mit einer Handbewegung, dass er ihm wieder folgen sollte. 

„Ich muss los, denn auch wenn ich ihr versprochen habe, sie heute abzuholen, lässt sie sich vielleicht von jemand anders mitnehmen, wenn ich zu spät komme", sagte er und ging ihm voran in Richtung Haus. Missmutig folgte Generis ihm, denn auch wenn er unweigerlich wieder eingesperrt werden würde, ließ ihn die Aussicht, Laskina in wenigen Stunden wiederzusehen, diese Tatsache hinnehmen. 

Er ging hinter Ethonis her zurück ins Haus, wo Emevra wieder einmal in der Küche herumhantierte. Sie mixte sich einen Drink, nahm einen Schluck und zuckte unsanft zusammen, als sie ihn bemerkte. 

„Ethonis", keuchte sie, klammerte sich hilfesuchend an der Wand fest und starrte ihn an. Generis juckte es in den Finger, die Zähne zu fletschen und zu knurren, einfach nur, um sie zu erschrecken. Doch er riss sich zusammen. Er wollte nicht schon wieder von ihr gequält werden. 

Er beachtete Emevra nicht weiter und ließ sich von Ethonis in sein Zimmer sperren. Beinahe sehnsüchtig sah er Ethonis nach, denn nur zu gern wäre er einmal mit ihm zu den Menschenslums gefahren, um zu sehen, wie es dort war. Außer dem Labor, dem angeschlossenen Heim und diesem Grundstück hatte er noch nichts von der Welt da draußen gesehen. Aber er hatte viel gehört und wenn nur die Hälfte davon stimmte, war es ein grausamer, unerbittlicher Ort. Vielleicht konnte Laskina ihm einiges davon berichten, bis dahin blieb ihm nur der allabendliche Tagesrapport, der jedoch meist nur von Grauen und Verderben berichtete.

Missmutig ließ er sich auf dem Boden nieder und griff nach dem Ball, den Ethonis im zur Beschäftigung gegeben hatte. Es war beinahe missachtend, wie wenig die Hohen Menschen über die Ergebnisse ihrer Experimente wussten. Denn er war alles andere als ein gewöhnlicher Gorilla. Zwar unterschied er sich äußerlich nicht von animalischen Gorillas, aber seine Intelligenz war der der Menschen gleich. Er konnte sich „zivilisiert" benehmen, so wie die Hohen Menschen es nannten. Unwillkürlich schnaubte er, denn was war schon zivilisiert und was nicht? Was war normal, was nicht? War es normal, dass Lebewesen sich gegenseitig einsperrten, unterdrückten und sogar umbrachten? Nein, das würde er nicht als normal bezeichnen. Allerdings würde er niemals etwas an diesem Umstand ändern können, dass die Hohen Menschen sich über alles hinwegsetzten und taten, was sie nun einmal in ihrer egoistischen und rassistischen Denkweise tun wollten. 

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