Ein Sieg mit Folgen

Gegen zwei Uhr morgens verließ Clopin alias Baron Dampierre den Maskenball. Mit gemischten Gefühlen stieg der Zigeuner in die Kutsche, wo er sich rasch seinen Ohrring ansteckte. Darüber hinaus setzte er sich seinen heiß geliebten Hut auf den Kopf. Bis auf den Mann, der die Kutsche lenkte, war der Rest der Truppe zum Hof der Wunder zurückgekehrt, um dort die fette Ausbeute zu verstauen. Gewiss feierten sie den Triumph, ohne zu ahnen, dass der Anführer seinen Körper gegen das Stillschweigen des Richters eingetauscht hatte. Für sie war dieser Raubzug perfekt über die Bühne gelaufen. Für Clopin dagegen fing die wahre Tortur gerade erst an.

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Gut gelaunt betrat Frollo seine Behausung, wo er nicht zögerte das Fenster zu öffnen. Fortan würde dieses als Durchstieg für den Zigeuner dienen. Wer hätte ahnen können, dass der – zu Beginn so langweilig geglaubte – Maskenball eine derartige Wendung nehmen würde? Dass er Clopin unter all den Menschen ausfindig gemacht hatte, glich fast schon einem Wunder. Frollo war felsenfest davon überzeugt, dass das Schicksal sie zusammengeführt hatte. Somit war die Suche nach seinem perfekten Gegenpart endlich beendet. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf legte sich der Richter ins Bett.

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„Ein Hoch auf unseren Anführer!", schrien die Zigeuner, nachdem Clopin den Hof der Wunder betreten hatte.

„Auf wen?", fragte der Narr mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

„Auf unseren Anführer!", brüllte die Menge daraufhin.

Obwohl Clopin innerlich noch aufgewühlt war, ließ er nichts davon nach außen dringen. Seine Leute sollten keinen Verdacht schöpfen und nicht von unnötigen Sorgen geplagt werden. Ihm allein oblag es mit dem Problem fertig zu werden. Er lief über den Platz, um die Glückwünsche seiner Kameraden entgegenzunehmen. Trotz der späten Uhrzeit steckten diese noch voller Energie und Euphorie. Clopin hingegen spürte, wie die Erschöpfung allmählich in seine Glieder kroch, weshalb er sich nach einigen Minuten in sein Zelt zurückzog. Müde fuhr er sich mit beiden Händen übers Gesicht. Er schlüpfte aus den prunkvollen Klamotten und ersetzte diese durch seine enganliegende lila Hose. Den Rest seiner Kleidung ließ er weg, da er sich ohnehin schlafen legen wollte.

„Gott sei Dank ...", ertönte eine Stimme im Hintergrund.

Bevor Clopin sich umdrehen konnte, wurde er von hinten umarmt. Er spürte den Bart an seinem Schulterblatt, ebenso wie die Lippen, die seine Haut mit Küssen bedeckten.

„Lasst mich gehen", seufzte Clopin. „Ich bin müde."

Sanft fasste Phoebus den Mann an den Schultern, um ihn herumzudrehen. „Nur eine Sekunde", bat der Soldat, dessen besorgter Blick über Clopins Gesicht huschte. „Dann hat man Euch tatsächlich für Dampierre gehalten?"

„Andernfalls stünde ich wohl kaum hier", entgegnete der Gaukler, ohne die Begegnung mit dem Richter zu erwähnen. „Eure Sekunde ist damit verstrichen", fügte er mit Nachdruck hinzu.

„Gewiss", sagte Phoebus. „Der Abend war sicherlich sehr anstrengend für Euch. Ich wünsche Euch eine erholsame Nacht."

Bevor er ging, schenkte er dem Zigeuner noch einen langen und intensiven Kuss. Etwas widerwillig ging Clopin darauf ein. Keine Emotionen, keine Emotionen, keine Emotionen, sprach er sich fortlaufend in Gedanken zu.

Keine Emotionen!

„Genug", japste Clopin, nachdem er den Hauptmann von sich gedrückt hatte. „Ich brauche jetzt dringend ein bisschen Schlaf."

„Verzeiht", entschuldigte sich Phoebus. „Ich bin schon weg. Gute Nacht."

„Keine Emotionen ...", flüsterte Clopin sich abermals zu. „Nie wieder."

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Ein ungutes Gefühl beschlich Phoebus, nachdem er das Zelt von Clopin hinter sich gelassen hatte. Dafür, dass alles so hervorragend geklappt haben soll, wirkte der Zigeunerkönig ziemlich bedrückt. Unmöglich konnte dies nur der Müdigkeit zugeschrieben werden. Etwas musste am heutigen Abend vorgefallen sein. Grübelnd strich sich Phoebus über das Kinn. War Dampierre dem Täter vielleicht doch auf die Schliche gekommen? Wurde Clopin unter Druck gesetzt oder gar verfolgt?

Eine Vorstellung, die Phoebus zunehmend beunruhigte. Allmählich hatte er sich an das Leben hier gewöhnt, weshalb er es nicht mehr missen wollte. Gerade Clopin war ihm trotz der kurzen Zeit ans Herz gewachsen. Jeder Moment der Zweisamkeit fühlte sich wundervoll an. Aus diesem Grund entschied Phoebus ein Auge auf den Zigeuner zu werfen, um sicherzugehen, dass wirklich alles in Ordnung war.

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Am nächsten Morgen sah die Welt schon deutlich besser aus. Der intensive Schlaf hatte Clopin unglaublich gutgetan. Nachdem er sich ausgiebig gestreckt hatte, schlüpfte er in sein gewohntes Narrenkostüm. Das Bimmeln der Glöckchen zauberte derweil ein Lächeln in sein Gesicht. Kurz holte Clopin seine Puppe hervor, um ihr spielerisch in den Bauch zu pieken.

„Vermisst du auch das Lachen der Kinder?", fragte er, wobei er die Puppe eifrig nicken ließ.

„Und wie!", jauchzte eine kindliche Stimme.

„Dann sollten wir bald was dagegen tun", schmunzelte Clopin, bevor er die Puppe zurück in seine Innentasche steckte.

Das kleine Selbstgespräch hatte für einen frischen Aufwind gesorgt. Für einen kurzen Augenblick vergaß Clopin sogar die Tatsache, dass sein Körper fortan dem Richter gehörte. Sobald Maske und Hut aufgesetzt waren, verließ der Zigeunerkönig das Zelt, um sich den Hürden seines Lebens entgegenzustellen. Er würde sie meistern, allesamt ...

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„Euer Ausdruck bereitet mir Kummer", ertönte Dampierres tiefe Stimme, wobei er seinen engsten Berater eindringlich musterte. Wie üblich saß der Baron vor seinem Kamin, während er die hölzernen Lehnen seines Stuhls eisern umklammerte. „Erklärt Euch."

Schwer schluckend kratzte sich der Mann am Hinterkopf. Nur ungern überbrachte er dem Baron schlechte Kunde, zumal dieser nicht für seine nette Umgangsart bekannt war. Über die Jahre hinweg hatte sich das Wesen des Barons immer mehr verfinstert. Die Augen wirkten kalt, fast schon ohne jegliches Leben darin. Das volle schwarze Haar war zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Bart und Schnurrbart verliehen dem Mann einen gewissen Charakter. Im Grunde ein gutaussehender und wohlhabender Mann, wenn da nicht diese Eiseskälte wäre ...

„Bedauere Euch mitteilen zu müssen, dass eine Eurer Wachen getötet wurde, mein Herr. Man fand Blut auf dem Boden des Schuppens. Vermutlich geschah dies im Zuge des Kutschenraubs."

„Ist das so ...", grummelte Dampierre. „Nun gut. Dann findet den Verantwortlichen und bringt ihn her, damit ich ihn foltern und töten kann."

„Sehr wohl, mein Herr."  

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