Der Maskenball, Teil 1

In seiner gewohnten Richterrobe erschien Frollo am Abend auf dem Maskenball. Passend dazu hatte er sich für eine schwarze Maske entschieden. Man könnte meinen, dass das Schwarz den derzeitigen Zustand seiner Seele widerspiegelte, denn noch immer frustrierte ihn das Verschwinden des Zigeuners sehr. Missgestimmt hatte Frollo auf einem der zahlreich gepolsterten Stühle Platz genommen, um seinen Blick über die Menge schweifen zu lassen. Dabei fiel auf, dass einige der Masken mit Edelsteinen versehen waren. Dies diente vermutlich dem Zweck, den Reichtum des Trägers offen kundzutun. Auf Festen wie diesen wollte jeder von den übrigen Gästen bewundert und beneidet werden. Selbst Tage später sollten die prunkvollen Kostüme noch in aller Munde sein.

Etwas, worauf Frollo getrost verzichten konnte. Statt der Anerkennung wünschte er sich lediglich den Zigeuner zurück, dem wegen Phoebus' Zutun die Flucht aus dem Justizpalast gelungen war. Ein Umstand, der den Richter nach wie vor erzürnte.

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Wochenlang hatte sich Clopin gemeinsam mit seinen Leuten auf diesen Abend vorbereitet. Die gestohlene Kutsche stand bereit, ebenso wie das Kostüm, das der Narrenkönig auf einem seiner Raubzüge erbeuten konnte. Ein edler Stoff, der die Farben Rot, Gelb und Orange auf prachtvolle Weise zur Geltung brachte. Zudem hatte sich Clopin eine gelbe Maske aufgesetzt. Trotz Phoebus' anhaltenden Bedenken, stieg Clopin in die Kutsche, um sich zum Maskenball bringen zu lassen. Ein Teil der Truppe war bereits vor Ort, um sich an vereinbarten Plätzen versteckt zu halten. Bei seiner Ankunft wurde der vermeintliche Adelige herzlich begrüßt.

„Ah, das Wappen des Adlers", jauchzte der Empfangsmann erfreut. „Welch seltene Ehre, Baron Dampierre. Wir freuen uns sehr Euch am heutigen Abend begrüßen zu dürfen."

Fast schon majestätisch war der Zigeuner aus der Kutsche gestiegen, um sich gebührend feiern zu lassen.

„Habt Dank Monsieur", erwiderte Clopin im Zuge einer leichten Verbeugung. „Man sagte mir, dass dieses Fest alle bisherigen in den Schatten stellen wird. Ich hoffe doch sehr, dass dieses Gerücht keiner Übertreibung zum Opfer gefallen ist."

„Gewiss nicht", bestätigte der Empfangsmann. „Selbst nach Jahren werden noch alle über den heutigen Abend sprechen."

Dessen war Clopin sich sicher. Immerhin würden die Adeligen bald um einiges ärmer sein. Selbstbewusst trat der Zigeuner in den gewaltigen Saal, wo sich die Gäste ihre Zeit mit Tratsch, Speis und Trunk vertrieben. Ein bunter Haufen, in dem Clopin nur noch einer von vielen war. Hier und da grüßte und berührte er jemanden, um sich geschickt an dessen Besitz heranzuwagen. Unauffällig ließ er die Münzen in die eigene Tasche wandern, bevor er sich zur Küche des Hauses begab. Dort angekommen bezahlte er die Bediensteten, damit die Gauner – die man über einen Seiteneingang hineingeschmuggelt hatte – an ihre Stelle treten konnten. Da noch kein Adeliger die Aufmerksamkeit auf das – in seinen Augen – unbedeutende Personal gerichtet hatte, fiel der Wechsel unter diesen nicht auf. Die Arroganz der Reichen spielte Clopin geradewegs in die Hände.

Mit einem Schmunzeln kehrte der vermeintliche Baron in den Saal zurück, um weitere seiner Opfer heimlich zu bestehlen. Die neuen Bediensteten taten es ihm bei jeder günstigen Gelegenheit gleich. Über den Seitenausgang der Küche wurde die Beute anschließend nach draußen gebracht. Auf diese Weise wechselte der Besitz nach und nach seinen Bestimmungsort. Mit dem Vorwand neue Vorräte beschaffen zu müssen, wurden zudem einige Schätze aus dem Keller des Anwesens entwendet. Der mit Abstand größte Raub, den die Schurken jemals vollzogen hatten. In diesem Augenblick hätte Clopin nicht glücklicher sein können. Tief in seinem Inneren dankte er Dampierre für diese Gelegenheit. Der Diebstahl der Kutsche hatte sich schon jetzt mehrfach bezahlt gemacht.

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Frollo drohte vor Langeweile einzuschlafen, als ihm per Zufall ein Mann in die Augen fiel. Die Art seiner Fortbewegung, erweckte in dem Richter ein seltsames Gefühl. Solch federleichte Eleganz war ihm schon einmal untergekommen, weshalb die Müdigkeit mit einem Mal verschwand. Aufgeregt sprang er aus seinem Stuhl, um einem der Adeligen auf die Schulter zu tippen.

„Verzeiht", sprach Frollo höflich, wenn auch ungeduldig. „Dieser Mann dort", sagte er, wobei er mit dem Finger auf Clopin deutete. „Ist Euch zu Ohren gekommen, um wen es sich bei diesem Gast handelt?"

„Ah gewiss, Richter Claude Frollo", jauchzte der Adelige leicht beschwipst. „Wahrlich ein seltener Anblick. Kaum jemand hat diesen Mann dort je zu Gesicht bekommen."

„Sein Name ...", drängte Frollo, der sich zugleich wünschte, ihn auf gewaltsame Weise einfordern zu können.

„Ja richtig", kicherte der Adelige erfreut. „Bei Eurem mysteriösen Fremden handelt es sich um Baron Dampierre."

„Baron Dampierre?", wiederholte Frollo, der seinen Ohren kaum traute.

Erneut blickte er zu Clopin, welcher leichtfüßig zwischen den Gästen umherschlich, um diese mit allerhand Charme abzulenken. Nie im Leben war das der zurückgezogene Baron. Darauf verwettete Frollo sein ergrautes Haar. Vielmehr schien der Fremde einem gewissen Gaukler zu ähneln, welcher erst kürzlich aus dem Justizpalast entflohen war ... Eine Vermutung, der Frollo um jeden Preis auf den Grund gehen musste.

Wie ein Raubtier pirschte sich Frollo an seine Beute heran. Keine Sekunde lang ließ er den angeblichen Baron aus den Augen. Zu sehr fürchtete er, dass dieser sonst wieder verschwinden könnte. Während der Abstand zwischen ihnen immer geringer wurde, verstärkte sich Frollos Eindruck, dass es sich hierbei um seinen heiß begehrten Zigeuner handeln musste. Selbst ohne den auffallenden Ohrring gab es niemanden, der auf so geschickte Weise gestikulieren konnte. Gerade als der Richter seine Hand nach dem mysteriösen Mann ausstrecken wollte, ertönte eine laute Musik. Kurz darauf wirbelten die Gäste mit einem Jubelschrei herum.

„Lasst die Tänze beginnen", rief einer unter ihnen, wodurch die Menge ein weiteres Mal frohlockte. „Jeder möge sich einen Tanzpartner schnappen."

Der arme Frollo wusste gar nicht wie ihm geschah. Er merkte bloß, wie sich eine der Damen an ihn herangeschmissen hatte, um nun ausgelassen mit ihm durch den Saal zu wirbeln. Voller Verzweiflung sah sich der Richter derweil um. Wo zum Teufel war der vermeintliche Baron?! Es dauerte einen Moment, bis er diesen unter den Tanzenden ausfindig machen konnte. So nah und doch so fern, dachte Frollo, der glaubte einem Fluch zum Opfer gefallen zu sein. Das Unglück sollte jedoch nicht ewig währen. Im Verlauf des Tanzes wurden die Partner per Zufall neu gemischt, als es endlich passierte ...

Ohne sich dessen bewusst zu sein, landete Clopin in den Armen des Richters. Ein Moment, in dem beide vor Überraschung zuckten.

„Welch seltener Anblick", begann Frollo, wobei er die Hände seines Partners fest umschlossen hielt. Unter keinen Umständen wollte er diesen wieder verlieren. „Wenn ich nicht irre, muss es sich bei Euch um Baron Dampierre handeln, richtig?"

Clopin nickte, ohne ein Wort von sich zu geben. Er wusste, dass seine Stimme ihn enttarnen würde.

„Wirklich?", hakte Frollo nach. „Schon seltsam, findet Ihr nicht? Ihr erinnert mich an jemanden, dem ich vor kurzem schon mal begegnet bin. Kann es nicht sein, dass Ihr dieser jemand seid, während der echte Dampierre auf seinem Anwesen ist?"

Nun schüttelte Clopin seinen Kopf.

„Hat es Euch die Sprache verschlagen?", raunte Frollo, dessen Herz vor Aufregung gegen die Brust trommelte. „Nun sprecht, bevor ich Euch die Maske entreiße. Wer seid Ihr?"

Plötzlich lehnte sich Clopin auf Zehenspitzen nach vorn, sodass seine Lippen das Ohr des Richters streiften. Ein fast schon intimer Moment, der Frollo den Atem raubte.

„Wer weiß?", flüsterte Clopin. „Vielleicht bin ich einer Eurer Lustknaben. Wenn Ihr wollt, kann ich gleich hier unter Euer Gewand steigen, um Euren Degen zu polieren."

Die Worte zeigten Wirkung, denn Frollo war mit einem Mal wie erstarrt. Der Schock saß ihm buchstäblich in den Knochen. Dass der Zigeuner eines seiner wohlbehütetsten Geheimnisse kannte, war faszinierend und erschreckend zugleich. Clopin nutzte die Sekunde der Unachtsamkeit, um sich seines Tanzpartners zu entreißen. Anschließend verschwand er in der Menge.

Wieder einmal hatte ihn der Narr an der Nase herumgeführt. Stets lenkte er die Geschicke der Welt nach seinen Vorstellungen. Umso begieriger war Frollo darauf ihn endlich sein Eigen nennen zu dürfen. Nachdem der erste Schock überwunden war, bahnte sich der Richter seinen Weg durch die Menge, um dem Zigeuner zu folgen. Noch war dieser Abend nicht vorbei ... 

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