Der Gardehauptmann
Mit Stolz marschierte Phoebus gegen Mittag des schönen Tages durch die Pariser Gassen, um dort für Recht und Ordnung zu sorgen. Hauptmann der Stadtwache zu sein, bedeutete ihm wirklich viel, doch nicht immer ließ sich diese Berufung mit seinem Gewissen vereinbaren. Insbesondere was den Umgang mit den Zigeunern betraf. Alle schlechten Dinge, die den Parisern widerfuhren, führte man auf das Wandervolk zurück. Selbst wenn keine Zigeuner zugegen waren, trugen sie die Schuld an dem was passiert war. Ein festgefahrener Umstand, den der Gardehauptmann zutiefst bedauerte. Tatsächlich ahnte er nicht, dass in diesem Augenblick einer seiner Soldaten von den Zigeunern gehängt worden war. Seis drum ...
Seufzend ließ Phoebus den Blick durch die Gegend schweifen, als ihm der Klang eines Tamburins zu Ohren kam. Wie hypnotisiert begab sich der blonde Mann zur Quelle der Musik, woraufhin er wenig später eine junge Frau erblickte. Barfuß tanzte diese mit einer Ziege über das Kopfsteinpflaster, um so an ein paar Goldmünzen zu gelangen. Die meisten Leute, die an ihr vorbeiliefen, hatten jedoch nur verächtliche Blicke für sie übrig. Eine Reaktion, für die der Hauptmann kein Verständnis hatte, zumal der Tanz wirklich schön anzusehen war. Die Tänzerin selbst war ebenfalls schön anzusehen, doch das schürte nur den Zorn der alten Weiber, deren einstige Schönheit längst verblasst war und sich im besten Falle nur noch erahnen ließ.
Den gehässigen Damen zum Trotz, zückte Phoebus eine Münze hervor, um diese auf geschickte Weise in den dargelegten Hut zu schnipsen. Mit einem sanften Lächeln bedankte sich die junge Frau. Nachdem die Aufführung beendet war, nahm sie den Hut, um gemeinsam mit ihrer Ziege aufzubrechen, doch allzu weit ließ man sie nicht kommen. Zwei Männer der Stadtwache stellten sich ihr mit einem schmierigen Grinsen in den Weg.
„Wohin des Weges?", fragte einer von ihnen.
„Soll das schon alles gewesen sein?", fragte der andere. „Gewiss hat eine Schönheit, wie Ihr es seid, noch weitaus mehr zu bieten. Ich wüsste da schon ein paar Dinge ..."
Worte, von denen sich die Zigeunerin nicht beeindrucken ließ. Ihrem zornigen Blick folgte ein selbstbewusster Schritt nach vorn. Phoebus spürte, dass sie Gewalt anwenden würde, um aus dieser Sache herauszukommen. Ein mutiger Entschluss, der letztlich mit einer Hetzjagd durch Paris enden würde. Bevor es dazu kommen konnte, mischte sich Phoebus in das Geschehen.
„Welch ungebührliches Verhalten", schimpfte er. „Ihr seid hier, um für Ordnung zu sorgen und nicht, um unschuldige Passanten zu belästigen."
Erst jetzt erkannten die beiden Männer, wen sie da eigentlich vor sich stehen hatten. Sie verblassten, stammelten wirres Zeug und salutierten. Von ihrer einstigen Prahlerei war nichts mehr übriggeblieben.
„Hauptmann! Wir haben bloß ..."
„Spart Euch die Ausreden und tut stattdessen Eure Pflicht."
„Sofort!", sprachen die beiden wie aus einem Mund, bevor sie rasch um die nächste Ecke bogen.
Kopfschüttelnd blickte Phoebus hinterher, ehe er sich der Tänzerin zuwandte. „Im Namen der Stadtwache muss ich mich bei Euch entschuldigen", sagte er im Zuge einer knappen Verbeugung. „Euch geht es hoffentlich gut."
„Da habe ich schon weitaus Schlimmeres erlebt", entgegnete die Zigeunerin. „Doch habt Dank dafür, dass Ihr Partei für mich ergriffen habt. So etwas erleben wir nur selten."
Erfreut darüber nickte Phoebus ihr zu. „Dürfte ich Euch nach Eurem Namen fragen?"
„Esmeralda", antwortete diese, wobei ihre smaragdgrünen Augen für einen Moment aufleuchten.
„Ein schöner Name. Viel besser, als der meinige", scherzte der Blonde. „Ich bin Hauptmann Phoebus und habe Euch schon zu lange von Eurer Rückkehr abgehalten. Habt Dank für den schönen Tanz und lebt wohl."
„Hauptmann Phoebus", wiederholte Esmeralda. „Ich werde es mir merken. Lebt wohl."
Etwas verträumt blickte Phoebus der Frau hinterher, als plötzlich ein Soldat auf ihn zugelaufen kam.
„Hauptmann", keuchte dieser erschöpft. „Einer unserer Männer wird vermisst. Er ist nicht zum Schichtwechsel erschienen und auch sonst scheint niemand zu wissen, was es mit dem plötzlichen Verschwinden auf sich hat."
Kein gutes Zeichen. In der Regel nahmen die Männer ihre Pflichten sehr ernst. Vor allem dann, wenn der Feierabend in greifbare Nähe rückte. Phoebus war alarmiert. Er musste diesem Verschwinden unbedingt auf den Grund gehen.
„In Ordnung. Berichtet mir alles, was Ihr wisst."
~~
Mit einer gewissen Schadenfreude betrachtete Clopin den Mann, der jetzt leblos am Galgen herumbaumelte. Das passierte nun mal, wenn man den Hof der Wunder betrat. Eine Warnung, die für den Toten keinen Nutzen mehr hatte. Pfeifend lief Clopin die hölzernen Stufen hinab.
„Findet sich unter euch edlen Geschöpfen ein Freiwilliger, der unseren Toten hier sicher verscharrt?", fragte Clopin an die Menge gerichtet, woraufhin sich ein breit gebauter Mann vor ihn stellte.
„Bekäme ich dafür eine kleine Entschädigung?", wollte dieser wissen, bevor er dem Narren ungeniert an den Hintern fasste.
Clopin spürte wie sich die Pranke um seine Pobacke klammerte, weshalb er unweigerlich grinsen musste.
„Ihr dürft mir heute Nacht gerne einen Besuch abstatten."
„So? In dem Fall werde ich mich ohne Verzögerung um den Typen da kümmern. Ich freue mich schon auf die Bezahlung."
„Dabei sollte dies ein Freiwilliger tun", jammerte Clopin theatralisch, wofür er einen satten Schlag auf den Hintern kassierte.
Ein rauer und offenherziger Umgang, der hier keine Seltenheit war. Die Männer und Frauen respektierten ihren König, doch im Grunde war Clopin einer von ihnen. Er verrichtete dieselben Tätigkeiten und hatte dieselben Bedürfnisse. Gerade deshalb war der kunterbunte Narr allseits so beliebt. Während die Leiche vom Galgen genommen wurde, verließ Clopin das Versteck, um noch ein letztes Mal für heute auf den Markt zu gehen.
Zu diesem Zeitpunkt ahnten weder Clopin, noch Frollo oder gar Phoebus, dass ihre Schicksale bald ineinander übergehen würden.
Abenteuer, Gewalt und Sex würde demnächst ihren Alltag bestimmen.
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