Auf der Flucht
Clopin staunte nicht schlecht, als er den Schlüssel vor seinen Augen aufblitzen sah. Eine solche Tat hätte er dem ehemaligen Hauptmann gar nicht zugetraut. Noch verwunderlicher war, dass Phoebus ihn nicht seinem Schicksal überlassen hatte. Clopin war durchaus bewusst, dass der Soldat auch andere Optionen hätte erwägen können. Optionen, die weder dem Zigeunerkönig, noch dem Hof der Wunder zu Gute gekommen wären. Daher empfand Clopin echte Dankbarkeit, als ihm die Kette vom Halse genommen wurde.
„Habt Dank, Phoebikus", schmunzelte der Narr. „Ihr mögt ein ungeschickter Trampel sein, doch seid Ihr ebenso ein guter Mensch. Daher bin ich ausnahmsweise dazu gewillt über Eure Unfähigkeit hinwegzusehen", fügte Clopin fröhlich hinzu.
„Wie großzügig von Euch", grummelte Phoebus genervt. „Aber könntet Ihr es bitte unterlassen mich Phoebikus zu nennen?"
„Niemals, werter Herr, aber schön, dass Ihr gefragt habt."
Ein Geräusch ließ die beiden gleichermaßen aufschrecken. „Schnell", wisperte Phoebus. „Ich bringe Euch über den Hintereingang hier raus."
„In einem Augenblick, wie diesem, gedenkt Ihr mich zu besteigen?", witzelte Clopin und erntete dafür einen zornigen Blick.
„Jetzt nicht", zischte Phoebus, bevor er den Narren am Handgelenk ergriff. „Folgt mir."
Gemeinsam schlichen sich die Flüchtigen im Schutze der Säulen an den Soldaten vorbei. Für Clopin keine allzu einfache Aufgabe, da die Glöckchen an seinem Kostüm und den Schuhen unaufhörlich vor sich hin bimmelten. Kurzerhand schlüpfte der Zigeuner aus seinem Schuhwerk, um eine der verräterischen Geräuschquellen versiegen zu lassen. Anschließend fasste er sich an die Brust, damit auch die dortigen Glöckchen zum Schweigen gebracht werden konnten.
Die letzte Hürde bildete ein Raum, in dem einige Kisten lagerten. Phoebus wusste, dass darin eine Wache patrouillierte, konnte diese jedoch nirgends entdecken. Der Ausgang befand sich bereits in greifbarer Nähe und lag nicht mehr allzu viele Meter von ihnen entfernt. Mit einer sanften Handbewegung führte Phoebus den Zigeuner vor sich, bevor sie ihre Flucht in geduckter Haltung fortsetzen. Sie hatten die Hintertür beinahe erreicht, als die besagte Wache unerwartet in ihrer Nähe zum Vorschein trat. Instinktiv riss Phoebus den Zigeuner nach unten, sodass beide zu Boden fielen. Sie fanden sich in einer Umarmung wieder, in der Phoebus den Kopf des Narren gegen seine Brust presste.
„Was war das?", sprach sich die Wache selbst zu, als sie den Blick durch den Raum schweifen ließ.
Clopin hatte den Atem angehalten und spürte zugleich, wie das Herz des Hauptmannes gegen die Brust trommelte. Vermutlich war dieser Zustand der Aufregung zu verschulden. Trotz allem kam Clopin nicht umhin zu merken, wie sich die Arme von Phoebus um seinen Körper geschlungen hatten. Fast wirkte es so, als wolle ihn der Blonde um jeden Preis schützen und für sich beanspruchen. Der Zigeuner wagte es den Kopf zu bewegen und nach oben zu blicken. Just in diesem Moment sah Phoebus nach unten, sodass sich ihre Lippen um ein Haar berührt hätten. Was war das plötzlich für ein bedrückendes Gefühl und woher rührte die Schwere, die sich mit einem Mal in ihrer Atmung wiederfand?
„Ich muss meinen eigenen Hirngespinsten zum Opfer gefallen sein", klagte die Wache, bevor sie ihren Patrouillengang kopfschüttelnd fortsetzte.
Die Gelegenheit für Phoebus und Clopin sich heimlich aus dem Staub zu machen. Leise traten sie durch die Hintertür ins Freie. Der erste Schreck war damit überwunden, doch noch waren die beiden nicht gänzlich außer Gefahr. Sie mussten noch die schmale Gasse passieren und unbemerkt aus ihr heraustreten, ohne dabei gesehen zu werden. Schließlich war Clopin in seiner Aufmachung alles andere, als leicht zu übersehen. Nachdem der Zigeuner in seine Schuhe geschlüpft war, setzten sie den Weg zur ersehnten Freiheit fort. Das Ende der Gasse war in Sicht, als eine Gruppe bestehend aus drei Wachen daran vorbeizulaufen drohte. Bevor Clopin reagieren konnte, wurde er von Phoebus gegen die Mauer gedrängt. Mit seinem großen und breit gebauten Körper verdeckte der Hauptmann die zierliche Gestalt des Zigeuners. Insgeheim wusste Phoebus jedoch, dass dieser Trick allein nicht ausreichen würde, um die Wachen weiterziehen zu lassen. Daher ergriff er Clopins Kinn, um einen feurigen Zungenkuss in die Wege zu leiten.
Keine Sekunde später entdeckten die Soldaten die vermeintlichen Turteltauben. Wegen der breiten Statur von Phoebus waren nur kleine Ausschnitte von Clopin zu sehen. Offensichtlich war bloß, dass zwei Menschen gerade wild miteinander rummachten. Beim Anblick der Liebenden ließen die Männer einen kurzen Pfiff mitsamt Jubelschrei erklingen. Ohne sich davon beirren zu lassen, setzte Phoebus den Kuss fort. Mit sanfter Gewalt hatte er sich Zugang zur unerforschten Höhle verschaffen, um sie nun gnadenlos auszuplündern. Clopin war angesichts der überschlagenden Ereignisse leicht überwältigt. Mit seiner eigenen Zunge stellte er sich der anderen in den Weg, doch dieses Gefecht gewann Phoebus auf gesamter Linie. Hilfesuchend krallte sich Clopin an die breiten Schultern, um jetzt hin und wieder in den Kuss hinein zu stöhnen.
Lachend entfernten sich die Wachen, um noch ein paar Witze auf Kosten des seltsamen Paares zu reißen. Erst als sich ihre Stimmen kaum noch vernehmen ließen, beendete Phoebus den Kuss. Schwer atmend blickte er auf die geröteten und leicht geschwollenen Lippen des Zigeuners. Verlegen suchte der Hauptmann nach den passenden Worten, doch Clopin drückte den Mann lediglich von sich weg, um die Gasse nach ein paar aufmerksamen Blicken endlich zu verlassen. Schuldbewusst trottete Phoebus hinterher, doch in Wahrheit befand sich der Soldat gerade auf einem absoluten Höhenflug.
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Die Schande, die Frollo erneut über sich ergehen lassen musste, wog schwer und kostete den Richter einiges an Nerven. Es hatte eine Weile gedauert, bis seine Erregung abgeklungen war. Nach Luft ringend war er durch den abgeschiedenen Raum geschritten, um sich und seinen verräterischen Körper zu besänftigen. Der Zigeuner verlangte einiges von ihm ab, doch war es gerade diese Herausforderung, die sich Frollo so schmerzlich herbeigesehnt hatte.
Den Mann in Ketten zu legen hatte nicht ausgereicht, um dessen Feuer zu bändigen ..., ganz im Gegenteil. Vielmehr schien die missliche Lage den Narren anzustacheln. Die Gefangenschaft schmälerte weder das Temperament des Zigeuners, noch dessen schlagfertige Antworten. Dem Aussehen schadete es ebenfalls nicht. Womöglich war es klüger den Narren in einen einzelnen Raum zu sperren, um sich dort in aller Seelenruhe mit ihm zu befassen. Der Zigeuner brauchte die öffentliche Bühne und die würde Frollo ihm schlichtweg nehmen. Mit diesem Entschluss verließ der Richter den Raum, um zu Clopin zurückzukehren. Als er die Stelle des Halseisens erreichte, staunte Frollo jedoch nicht schlecht. Zu seinem Pech war der Gefangene unbemerkt von hier entflohen ...
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