47| Hexenkraut
Ich gab dem Gnom sein Wechselgeld und sah ihm hinterher. Er hatte eines von Almondas Kräutern gekauft. Ich gähnte und strich mir über die Augen. Letzte Nacht, nachdem wir den Platz verlassen hatten, fand ich nicht schnell zu meinem Schlaf. Ich war erst mittags aus dem Zelt raus gekrochen und hatte mich dann zwei Stunden später zu meiner Schicht begeben. Almonda würde nach mir drankommen.
Viele Kreaturen liefen an dem Stand vorbei, aber wie zu erwarten war nicht so viel los wie in der Nacht. Ein paar Kunden konnte ich aber dennoch an Land ziehen. Die Kommunikation fiel zwar manchmal schwer, aber man konnte nicht viel falsch machen.
Ich sah kurz auf mein Handy und war erleichtert zu sehen das meine Schicht bald rum sei. Es war erst der zweite Tag des Festes und wir waren seit dem Wochenende da, aber ich tat mich immer noch schwer.
Als ich es hinter mir rascheln hörte, sah ich über meine Schulter nach hinten und lächelte Mel an, die ihren Kopf ins Innere steckte.
"Na, wie läufts?"
"Ganz gut. Bin aber froh, wenn die Schicht rum ist."
Mel nickte verstehend und kam auf mich zu.
"Geht es dir mittlerweile besser?"
Mel hatte mir meine schlaflose Nacht angesehen und wusste, dass ich wegen Benjamins Salbung keine Ruhe gefunden hatte. Doch es ging mir wieder ein wenig besser. Mir war die Situation im Vorhinein bewusst gewesen und ich hätte mich nicht wundern sollen. Es hatte mich schlichtweg überrumpelt und die aufgeladene Energie und Stimmung hatte mich unruhig gemacht.
"Ja, viel besser", sagte ich daher. Mel lächelte.
"Schön! Hättest du Lust nachher durch die Stadt zu laufen?"
Ich nickte.
"Klar, wieso nicht."
Mel verlies das Zelt daraufhin wieder und ich wandte mich den Interessenten zu. Viele sahen sich auch nur die Materialien an und schüttelten den Kopf bei den Preisen. Nur wenige wollten feilschen. Und wenn sie es taten, dann setzte ich Almondas Regel durch und sagte das kein Preis verhandelbar wäre.
Nachdem die halbe Stunde vergangen war, kam Almonda in ihr Zelt. Sie brauchte noch einige Minuten hinten im Lager und scheuchte mich dann Hände wedelnd von ihrem Hocker. Als ich aufstand und das Zelt verlassen wollte, hielt sie mich noch mal auf.
"Schon den Schrecken von gestern überwunden? Du sahst aus, als hättest du einen Geist gesehen."
Ich verzog kaum merklich das Gesicht. Mels Eltern stellten mittlerweile keine Fragen mehr, aber von Almonda konnte ich nicht dasselbe erwarten.
"Geht schon wieder."
Sie hob eine ihrer buschigen Augenbrauen und sah mich aus kalten Augen an.
"Ich weiß zwar nicht, wen du dir zum Feind gemacht hast, aber wenn du schon bei so einer Versammlung Muffensausen kriegst, solltest du das nächste Mal überlegen, wem du ans Bein pinkelst."
"Ich weiß, wie man sich bedeckt hält. Der Konflikt kam nicht von mir aus."
Sie stellte einige ihrer Waren auf den Tisch und verteilte hier und da etwas anders.
"Also hast du Stress mit den Rudeln oder irre ich mich da? Meine Tochter hatte da mal was erwähnt. Dachte aber nicht, dass sich auch andere Wölfe an dir stören würden."
"Tja, das hatte ich auch nicht gedacht."
Ohne darauf etwas zu erwidern, machte Almonda weiter mit ihrer Arbeit. Ich verließ kopfschüttelnd das Zelt. Diese Frau verstand ich einfach nicht.
Kurz darauf lief ich auch schon mit Mel durch die Stadt. Ihre Eltern hatten uns etwas Wechselblatt mitgegeben, von dem wir uns etwas zu Essen kauften. Es liefen zwar immer noch Werwölfe umher, aber ich gewöhnte mich an ihre Anwesenheit. Lachend liefen Mel und ich in eine neue Seitenstraße und beobachteten eine Pfauengruppe, die mit Fiedeln und kleinen Gitarren Musik spielten. Wir blieben stehen, hörten uns die Musik an und applaudierten, als sie ein anderes Lied begannen.
Ich lächelte und sah mir mit Mel allerlei magische Attraktionen an. Bewundernd blieb ich bei einem kleinen Tierhändler stehen, der kleine magische Wesen verkaufte. Ich durfte die ungefährlichen von ihnen streicheln und bedankte mich daraufhin beim Händler.
Als die Sonne unterging, wurde es schnell belebter in der Stadt und viele Wächter und Werwölfe zündeten die Fackeln an, während andere Kugeln mit licht durchflutender Magie füllten. Mel erklärte mir viele von den Zaubersprüchen oder Illusionszauber, die ich nicht verstand.
Nachdem wir eine Gruppe kichernder weiblicher Dämoninnen passierten, sah ich ihnen verwirrt nach. Sie steckten die Köpfe zusammen und kicherten ganz aufgeregt. Mel und ich hatten ursprünglich geplant, einen großen Kreis durch die Stadt zu laufen, um einen besseren Überblick über das Gelände zu bekommen.
Als ich einen süßlichen Geruch wahrnahm, verzog Mel das Gesicht. Es roch etwas verbrannt, aber es schmeckte süß auf der Zunge. Verwirrt zog ich die Brauen zusammen. Mel und ich liefen gerade in eine Straße, in der viele kichernde Wesen uns entgegenkamen.
"Was ist das denn?", fragte ich. Mel sah nachdenklich aus, ehe sie den Kopf schüttelte.
"Ich glaube, das ist Hexenkraut. Wir sollten hier schnell durchgehen", sagte sie und wir liefen schneller. Ein paar freizügig gekleidete Wesen liefen an uns vorbei oder sahen uns interessiert nach. Die Zeltklappen waren meist weit geöffnet. Ich widerstand meiner Neugier hineinzublicken, denn das leise Gestöhne, welches man stetig hörte, lies einen erahnen, was im Inneren der Zelte vor sich ging.
"Mel, was bewirkt dieses Kraut?", fragte ich besorgt, nachdem sich mein Kopf leichter anfühlte und meine Muskeln sich stetig entspannten. Mel sah besorgt zu mir und griff nach meinem Arm.
"Verbranntes Hexenkraut ist eine Droge. Es benebelt den Verstand und kann... erregend wirken. Anscheinend sind wir gerade in einer Dämonenstraße gelandet. Die verwenden das Zeug für Orgien und atmen es beim Sex ein, damit der Orgasmus besser wird. Kranke Idioten, wenn du mich fragst."
"Sollen wir zurückgehen?", fragte ich, als ein hochgewachsener Dämon mit dunkler Haut und großen Hörnern aufreizend zu uns blickte. Eine schlanke Feuergeistdame saß auf seinem Schoß und flüsterte ihm etwas in sein Ohr.
"Der Rückweg würde zu lange dauern. Wenn wir hier weiter gehen, dann brauchen wir nicht lang bis zu unserem Platz."
Ich nickte bloß und riss meinem Blick von den Dämonen los. Mein Vorsatz, hier drinnen meine Jungfräulichkeit nicht zu verlieren, war immer noch derselbe. Auch wenn mein Kopf sich stetig leichter anfühlte und ich dümmlich vor mich hin grinste. Der süße Geschmack hatte sich mittlerweile in meiner ganzen Mundhöhle breitgemacht.
Mel zog mich mit sich, als meine Schritte immer schleppender wurden und ihr besorgter Gesichtsausdruck drang nicht mehr zu mir durch. Es kam mir immer mehr so vor, als würde ich alles aus der Ferne betrachteten. Viele Silhouetten rauschten an mir vorbei und als wir prompt zum Stehen kamen, musste ich kurz die Augen schließen, um nicht umzufallen. Mir war so schwindlig.
Ich hörte gedämpft Mels wütende Stimme und sah, wie sie wild gestikulierte, während sie mit ein paar Wesen sprach. Verwirrt sah ich zu meiner Hand. Sie hatte sie losgelassen.
Ich seufzte und strich mir über den Hals. Ich hatte plötzlich schrecklichen Durst. Suchend lief ich einige Schritte weiter. Mel vergaß ich dabei komplett. Auf der Suche nach was Trinkbaren stolperte ich ein paar Mal über meine eigenen Füße, also lief ich näher an den Zelten und stütze mich an den Stäben, die in den Boden gerammt worden sind.
Mir wurde ein paar Mal was zugerufen, doch Worte drangen nicht mehr zu mir durch. Mein Kopf funktionierte nur langsam und mein einziges Ziel war etwas Trinkbares. Als mein Fuß an einer Zeltschlaufe hängen blieb, zog mich ein kaltes paar Hände zurück. Ich stolperte verwirrt nach hinten, ehe ich einen Körper hinter mir spürte. Ich hob den Blick und sah verschwommen in dunkle Augen.
"Na, wer hat sich denn da verirrt?"
Ich wusste nicht, ob es eine weibliche oder männliche Stimme war. Es klang viel zu weit weg, doch ich erkannte geschwungene Hörner und ein spitzes Gesicht.
"Wasser", war das Einzige, was mir über die Lippen glitt. Ein scharfes Grinsen bildete sich auf dem Gesicht und mein Körper wurde in eine Gruppe weiterer Gehörnter geschoben.
"Oh ich weiß, wo du Wasser kriegen kannst", drangen die Worte zu mir hindurch. Ich wehrte mich nicht, als ich mitgezogen wurde, denn es drehte sich alles und meine Zunge lag schwer und trocken. Keine Worte drangen aus meiner Kehle, als ich an einigen Zelten vorbeigeschoben wurde.
"Trink das, kleines Vögelchen. Danach wird es dir besser gehen."
Mir wurde ein Kelch in die Hand gedrückt und an meine Lippen geführt. Ich runzelte noch die Stirn und wollte zurückweichen, doch die fremden Hände waren schneller. Ich verschluckte mich und musste husten, doch sie forderten weiter zu trinken, also trank ich.
Der süßliche Geschmack von Wein benetzte meine Lippen und ich hörte lautes Gelächter zu mir durchdringen. Kalte Hände legten sich auf meine Schultern und kalte Lippen fuhren mein Ohr hinab.
"Und nun amüsiere dich! Wir haben immerhin einen Ehrengast unter unseren Reihen", flüsterte mir die rauchige Stimme zu und eh ich mich versah, wurde ich schon in eine Traube Leute geschoben. Orientierungslos stolperte ich nach vorne und rempelte einige an.
Mir wurde kurz schlecht, doch ich kniff die Augen fest zusammen und atmete mehr von diesem verbrannten Kraut ein. Irgendwas stimmte hier nicht. Ich sollte doch wo anders sein. Ich versuchte mich angestrengt zu erinnern, doch mein Körper verweigerte mir jedwede Hilfe.
Körper ineinandergeschlungen und von unterschiedlicher Statur und Größe verworren sich zu einem Bild, das ich nicht entziffern konnte. Doch das Gefühl von Hilflosigkeit, welches ich bei dem Anblick empfand, verschwand genauso schnell, wie es gekommen war.
Ich fühlte mich schwerelos, und als die leise Musik aus weiter Ferne zu mir drang, erkannte ich das Schauspiel vor meinen Augen. Tanzende und liebende Wesen alle beisammen, die in genau denselben Rausch des Krauts gefangen waren. Ich lächelte und wiegte meinen Körper zur leisen Musik. Sie drang in meinem Körper, nahm von ihm Besitz und verscheuchte meinen Verstand wie einen sanften Sommerwind.
Lachend drehte ich mich um meine Achse, lies mich von Arm zu Arm schwingen. Ich störte mich nicht an den anderen, die mich anrempelten und lehnte mich lachend an einen warmen Körper, der sich von hinten an mich schmiegte.
Meine Arme hoch erhoben wiegte ich mich zusammen mit den Wesen und genoss das Gefühl von Händen um meinen Körper. Lippen fuhren meinen Hals hinab und liebkosten ihn. Ich hatte das Gefühl, Magie würde mich durchfluten und lehnte mich in die Küsse und die streichelnden Hände hinein.
Doch es blieb nicht nur bei den paar Händen. Ich spürte scharfe Krallen sanft den Saum meines Oberteils nach oben schieben, nur um meinen Bauch zu streicheln oder eine Erektion an meinem Rücken. Ein warmes Kribbeln durchlief meinen Körper und ich stöhnte leise auf, als die Lippen an meinem Hals etwas saugten.
Mein ganzer Körper fühlte sich leicht und elektrifiziert an und ich wurde weiter gereicht wie ein voller Weinschlauch von Körper zu Körper. Es kam mir vor, als würde ich einige Ewigkeit dem Rausch verfallen sein. Nicht in der Lage etwas außer Berührungen zu empfinden. Doch als aus dem Schleier ein paar violetter Augen mir entgegenkamen, schaffte ich es, stehen zu bleiben und mich nicht weiter mit reißen zu lassen.
Weiße Haare fielen dem Mann über die nackte helle Brust und ich betrachtete staunend seine Strähnen, die den meinen so ähnelten. Wie in Trance suchte ich den Kontakt zu diesem hellen Mann und berührte sacht seine langen Haare. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie er zu grinsen begann und sich kleine Grübchen auf den fast weißen Wangen bildeten.
"Na da ist aber jemand neugierig", kam es tief, doch ich war viel zu fasziniert von diesem strahlenden Haar. Hatte ich je so schöne Haare gesehen? Sie schienen beinah von innen zu leuchten.
Am Rand bemerkte ich, wie seine Hände meine Taille umfassten und mich näher zu sich zogen. Ich hatte nicht dagegen und legte lachend meine Arme um seinen Nacken. Auch er hob erstaunt seine Brauen, doch er wehrte sich nicht. Wir wiegelten uns im Takt der tanzenden Menge und mein Blick haftete zu gebannt auf seinen Lippen. Als er sich mir näherte, kribbelte mein Körper voller Verlangen und ich lehnte mich ihm schon entgegen, doch er streifte nur ganz sanft meine Wange. Mein Atem stockte und ich spürte sein seidiges Haar. War ich je nervöser gewesen?
Sanft strich er mir eine Strähne meines Haares hinters Ohr.
„Deine Freundin sucht dich. Du solltest bald zu ihr zurückkehren."
Die Stimme war rauchig, klang alt und mächtig. Ein Schaudern durchfuhr meinen Körper. Als er sich grinsend zurücklehnte, hatte ich das Gefühl, er wusste um meine Empfindungen Bescheid. Doch die Worte, die er eben ausgesprochen hatte, verschwanden wie Rauch vor meinen Augen und ich hatte Mühe, mich zu erinnern, was er mir sagen wollte. Doch ich zuckte die Schultern und lächelte weiter. Falls es eine Einladung zu mehr gewesen war, dann würde ich ihm bereitwillig folgen, wo immer er auch hinmöchte. Er war wahrscheinlich der schönste Mann dem ich je begegnet war.
Leuchtend mit einer beinah greifbaren Aura um sich, die ich förmlich auf der Haut spürte. Bemerkte nur ich diese Anziehung? Oder hatte er sich mir zugewandt, weil ich auch für ihn so leuchtete wie er für mich?
Die dunkeln Augen flogen über mich hinweg zu etwas, das weiter hinter mir lag. Ich legte meinen Kopf schief und schob beleidigt die Unterlippe vor. Er sollte sich lieber auf mich konzentrieren! Ich hob meine Hand und lies sie über seine Brust wandern. Kleine Narben bedeckten die so samtweiche Haut und ich widerstand den Drang, sie mit meinen Lippen nachzufahren.
Ich lehnte mich lächelnd nach hinten, als die dunklen Augen wieder meine fanden und sich ein schelmischer Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes breitmachte. Ich schloss genießerisch die Augen und zuckte voller Erwartungen, als ich seinen warmen Atem auf meiner erhitzen Haut spürte. Doch außer den Händen an meiner Taille und dem Atem passierte nicht mehr. Verwirrt öffnete ich die Augen und sah direkt in das nahe Gesicht des Mannes.
Er betrachtete mich nachdenklich, ehe er seufzend sich zu mir hinab beugte. Mein Mund wurde trocken und ich hätte wetten können, seine Lippen beinah auf meinen zu spüren, doch stattdessen landeten diese auf meiner Wange. Ein wenig enttäuscht sah ich in die violetten Augen.
"Wir haben Publikum bekommen. Zeit für dich weiterzuziehen."
Worte kämpften sich aus meiner Kehle hoch und wolltenschon protestieren, doch ich spürte, wie seine Hände mich weiterschoben und ichstolpernd in den bewegenden Rhythmus der Menge aufgenommen wurde. Ich suchtenoch kurz nach den weißen Haaren und der großen Statur, doch ich verlor schnellwieder den Fokus und wurde von fremden Händen mitgezerrt.
Das Erste, was ich sah und einatmete, war Rauch. Dicker weißer und süßlich schmeckender Rauch, der meine Lunge ausfüllte. Wie ein Heiliger befand ich mich auf Fellen auf einem erhöhten Podest. Für jeden sichtbar. Wie ein Festmahl, an dem man sich laben konnte. Allein meinem Körper war es verdanken, dass ich nicht wie die Hälfte aller hier zu einem Sexbessenen Süchtigen mutierte.
Mein Geist war träge und ich unternahm nichts gegen die suchenden Hände, die meinen Körper entlang streiften. Aber ich würde mich nicht dazu herablassen, in einem solch angreifbaren Moment mich in das Bett einer willigen Frau zu legen. Dafür spukte trotz des Hexenkrauts immer noch weiße Haare in meinem Kopf.
Ich stoppte eine helle, langfingrige Hand, die sich zu dem Bund meiner Hose vorgedrängt hatte und sah böse zu der Gestaltwandlerin, die sich unschuldig guckend vor meinen Knien breitgemacht hatte. Einige von diesen verfluchten Wandlern hatten die Begabung, die sehnsüchtigsten Vorstellungen eines jeden in ihrer Gestalt mit einzubinden. Also versuchte ich bewusst weg zu schauen, als große graue Augen in die meinen blickten, während sie von weißen Haaren umrahmt wurden. Verflucht seien diese Weiber!
Ich gab mir Mühe, nicht besonders angeekelt von dieser schlechten Kopie von Luana zu wirken und winkte sie weg. Missmutig erhob sie sich und lief zurück zu der tanzenden und teils vögelnden Menge.
Mein Vater, die Hexen und die Gesandten hatten von mir gefordert, mich unter die willigen Wesen zu mischen. Um ihnen die Chance zu geben, von meiner Heiligkeit etwas zu ernten. Was für ein bescheuerter Vorsatz. Ich war nicht besonders scharf drauf, die ganze Zeit angefasst zu werden. Mein Aggressionspegel stieg seit der Salbung stetig an und wie zu erwarten konnte ich mich vor komischen Einladungen kaum retten. Mein Vater hatte mir sogar verboten, zurück ins Schloss zu gehen. Stattdessen wandelte ich beinah wie ein Zombie durch die Straßen und nahm die Glückwünsche, Lobesbekundungen oder die Avancen entgegen.
Die weiße Salbe, die mir diese grünäugige Hexe verpasst hatte, war immer noch auf meiner Haut und kennzeichnete mich wie ein Leuchtfeuer für alle. Sie war seit dem Auftragen nicht verwischt worden und würde laut Aussage der Hexe erst nach dem Tanz von Luna zu entfernen sein.
Missmutig atmete ich tief durch. Wenn ich es schaffte, die nächsten zwei Tage die meisten Teile der Stadt abzuklappen, würde ich sicherlich die Chance haben, etwas bedeckter meinen Nachforschungen nachzugehen. Das hoffte ich zumindest. Ansonsten wäre diese ganze Aktion und der Zorn der anderen, den ich mir eingefangen hatte, völlig umsonst gewesen. Anders konnte ich mir die so bestimmt auferlegten Regeln nicht erklären, die mich wie einen normalen Gesalbten dastehen lassen sollten. Wenn sie wollten, dass ich hier mit fremden Frauen oder Männern schlief, um einen Ruf gerecht zu werden, dann konnten sie lange warten.
Ich betrachtete die verworrenen Körper, hörte das Gestöhne und versuchte die suchenden Wesen, die über meinen Körper strichen, zu ignorieren. Sie gehörten der gläubigeren Kultur an. Und das musste ich respektieren. Sie wollten mir alles anbieten, was laut ihnen meine Bedürfnisse stillen konnte. Vielleicht waren sie deshalb so hartnäckig und blieben stetig an meiner Seite. Weil ich noch keinem ihrer Angebote nachgekommen war. Ihre Avancen hatte ich höchstens geduldet, aber nie willkommen geheißen.
Erschöpft strich ich mir übers Gesicht. Wie lange hatte ich nicht mehr geschlafen? Nur dieses Kraut sorgte dafür, das ich relativ ruhig blieb und nicht längst meine Wut und Frustration an anderen rausgelassen hatte.
Mein Blick flog erneut über die Menge. Ich sollte aufhören, so genervt auszusehen, sonst würde irgendwer noch meinem Vater Bericht erstatten. Der zurzeit alle Nachrichten aufzusaugen schien, wenn es um mein Fehlverhalten ging.
Am Rande sah ich eine junge Frau mit wilden roten Haaren, die für meinen Geschmack zu unruhig wirkte. Sie sah sich suchend um, rief wohl immer wieder nach jemanden und schien ansonsten recht immun gegen die Wirkung des Krauts. Wahrscheinlich eine Hexe. Doch was hatte sie hier zu suchen? Meistens verirrten sich Wesen der Nacht hierher, die sich der Lust und Gier verschrieben hatten. Hexen gehörten normalerweise nicht dazu.
Ich wollte den Blick schon abwenden, als ich den Namen der gesuchten Person hörte.
„Luana!"
Meine Nackenhaare richteten sich auf und ein Kribbeln durchlief mein Körper.
Sie sah sich weiter suchend um, versuchte sogar in die Menge zu kommen, schien sich aber anscheinend zu ekeln und nicht weit voranzukommen. Doch der Name, nach dem sie rief, blieb derselbe.
Meine Finger verkrampften sich und mein benebelter Verstand fühlte sich mit einem Mal klar an. Hatte Nico nicht von einer Hexerfamilie gesprochen, die Luana beherbergte? Oder war das ganze nur ein dummer Zufall? Immerhin waren hier tausende Personen und Luana war sicher kein seltener Name. Doch irgendwas in mir drinnen zog mich auf die Beine.
Die Wesen zu meinen Füßen wichen erschrocken zur Seite, als ich mich erhob und meinen Blick suchend über die Menge gleiten lies. Selbst wenn es sich hier nicht um Luana handelte, sollte ich helfen!
Ich suchte mit meinem Blick instinktiv nach weißen Haaren, doch der Nebel sorgte dafür, dass ich nicht weit sah. Innerlich fluchend stieg ich das Podest hinab und folgte der roten Mähne, die immer noch schreiend in der Menge suchte.
„Luana! Lu! Wo bist du?", kam es panisch von ihr. Die Wesen machten in ihrem berauschten Zustand, sofern es möglich war, Platz, wenn ich vorbeischritt. Ich war deshalb schnell bei der rothaarigen Hexe.
Ich berührte ihren Arm und sah in zwei erschrockene Augenpaare, die in meine blickten.
„Du suchst jemanden. Lass mich dir helfen.", bot ich an. Doch eh ich mich versah, entzog sie mir den Arm und sah mich geradezu hasserfüllt an.
„Fass mich nicht an! Ich werde das schon alleine schaffen!", wütete sie. Bevor ich was erwidern konnte, flüchtete sie schnell in die Menge und ließ mich stehen. Was war denn das bitte? Ich sah verwirrt an mir herunter. Dachte sie, ich wollte ihre Avancen machen, weil ich nur eine Leinenhose anhatte? Verübeln würde ich es ihr nicht. Ich fühlte mich genauso unwohl.
Suchend lies ich meinen Blick umherschweifen. Vielleicht konnte ich ihr ja dennoch helfen.
Ich lies mich von der Menge treiben und lief eine Weile umher. Immer wieder rief ich nach Luanas Namen, doch es schien sich keiner angesprochen zu fühlen. Vielleicht fand ich ja die Hexe eher und konnte sie überzeugen, mir zu verraten, wie ihre Freundin aussah. Am wahrscheinlichsten würde es sich auch um eine menschlich aussehende Frau handeln. Also versuchte ich auf Hörner, Felle und co zu achten. Jeder, der zu auffallend aussah, würde wahrscheinlich automatisch rausfallen.
Ich wagte mich tiefer hinein und die Musik dröhnte laut in meinen Ohren wieder, als ich immer wieder nach Luana rief. Ein wenig falsch kam ich mir schon vor, wenn ich bedachte, dass man meinen könnte, ich würde nach meiner Gefährtin suchen. Wüssten die anderen etwas über sie. Aber sie war genauso so schnell verschwunden wie die Luana, die ich vergeblich in dem Meer an tanzenden Körper suchte.
Langsam spürte ich, wie mich die Ungeduld von zuvor packte, doch ich versuchte ruhig zu bleiben, nicht zu viel vom Rauch einzuatmen und weiterzusuchen. Es war mein Fest und ich hatte selbst in einer solchen Gruppe auf jeden aufzupassen! Ich konnte es nicht verantworten, wenn jemand zu Schaden kam.
Als ich plötzlich nicht weit weiße Haare sah, stockte mein Herz. Ich richtete mich auf, lief durch die Menge und versuchte auszumachen, wem sie gehörten.
„Luana!", rief ich erneut und ich sah, wie ein großgewachsener Mann sich zu mir drehte. Mit langen weißen Haaren und einem selbstgefälligen Grinsen auf dem Gesicht. Ich kam zum Stehen. Fühlte mich wie ein Idiot, weil der bloße Anblick von weißen Haaren mein Körper zum Bewegen brachte.
Kopfschüttelnd wandte ich mich ab. Ich musste der Hexe helfen!
Ich rief weiter Luanas Namen und suchte nach jemanden, der eine Reaktion zeigte. Doch immer noch keiner.
Ich war zum Glück recht groß und hatte einen guten Blick, sodass ich etwas weiter entfernt rote Haare ausmachen konnte. Mein Körper schob sich an den Massen vorbei und ich rief weiter nach Luanas Namen, in der Hoffnung, die Hexe würde vielleicht reagieren. Doch sie schien mich nicht zu hören. Fluchend wollte ich schon jemanden wegschubsen, der mich anrempelte, doch nach einem Blick nach unten sah ich weiße Haare.
Meine Kehle wurde staubtrocken, mein Körper kribbelte und ich sah erstaunt zu der zarten Gestalt, die sich schon weiter tanzend wegbewegen wollte. Reflexartig hielt ich ihren Arm fest.
„Luana?", sagte ich hoffnungsvoll. Das konnte doch nicht wahr sein.
„Hm?", kam es fragend von der kleinen Person, die sich lächelnd zu mir drehte. Doch ich hatte Mühe, das Gesicht zu erkennen. Als würde der Rauch, der uns umgab, in meinen Schädel dringen und alles mit sich reißen.
„Bist du Luana?", kam es zögerlich über meine Lippen. Sie legte den Kopf schief und fragte: "Meinst du mich?"
Ich nickte, woraufhin sie kicherte. Stütze sich beinah auf ihre Knie, so sehr schüttelte sie sich vor Lachen und nickte.
„Ja, das bin ich. Dachte nicht, dass ich dich hier sehen würde!", kam es glucksend von ihr und ich verzog verwirrt die Stirn kraus. Kannten wir uns persönlich?
Sie stolperte und bevor sie fallen konnte, griff ich nach ihrem zweiten Arm und stützte sie.
„Du musst hier raus. Das Kraut tut dir nicht gut", sagte ich besorgt, doch sie lachte wie ein Kleinkind.
„Nein, mir gehts gut Benjamin. Ich hab Spaß!"
Seufzend versuchte ich sie mit einem Arm über meinen Schultern zu stützten, doch immer wieder hielt sie sich nicht auf den Beinen und lachte über ihre eigene Unfähigkeit. Daraufhin nahm ich sie hoch und fasste unter ihre Kniekehle und hob sie wie eine Braut.
Kichernd legte sie den Kopf auf meine Brust.
„Weißt du, man könnte dich einfacher hassen, wenn du nicht so gut aussehen würdest!", sagte sie nuschelnd, während sie mit den Fingern auf mein Gesicht deutete. Sagte sie das wegen der Salbung? Oder wieso?
Ich konzentrierte mich und sah ihr erneut ins Gesicht. Aber wieder nur dieser verschwommene Schleier.
„Du bist doch Luana oder?", fragte ich nach, weil ich mir plötzlich so unsicher war, warum ich eine weißhaarige Frau mit mir herumtrug. Doch sie nickte kräftig und deutete stolz auf sich.
„Die einzige weite und breit!"
Das waren zu viele Zufälle auf einmal. Mein Hirn ratterte, versuchte herauszufinden, warum ich so schlecht sah und diese Frau mir so bekannt vor kam. Ich kannte sie doch nicht, oder?
Aus der Ferne hörte ich die Rufe von der rothaarigen Hexe. War das ihre Luana? Doch bevor ich weiter in die Richtung lief, hielten mich sanfte Finger auf.
Finger, die neugierig über meine Brust und dann mein Kinn strichen. Mein Herz galoppierte und meine Augen suchte die ihre. Doch ich sah nur die zarten Finger, die den Spuren der Salbe nachfuhren, die sich strahlend hell von meiner Haut abhoben.
„Was tust du da?", fragte ich atemlos, doch es kam nur eine brummige Antwort, als hätte sie das Flüstern, welches mir von den Lippen gewichen war, nicht gehört. Ihre Berührungen hinterließen ein Kribbeln, welches mich von Kopf bis Fuß erfasste. Beinah hätte ich genießerisch die Augen geschlossen, doch ein Gedanke erfasste meinen benebelten Verstand.
„Wie ist dein Name?"
„Luana.", kam es kichernd, als wäre es verboten, den Namen auch nur auszusprechen.
„Ich meinte deinen Nachnamen.", sagte ich.
„Den kennst du doch schon längst."
Ich schluckte und suchte erneut nach ihren Augen. Ich wagte es kaum zu hoffen, aber es musste Luana sein!
Kaum war mir ihr Name durch den Kopf gegangen, lichtete sich der Nebel in meinem Kopf und ich spürte, wie sich die Magie von mir lossagte und mir den Blick auf graue Augen schenkte. Bekannte graue Augen, die von einem rosigen Schmollmund und gerötteten Wangen begleitet wurden. Und ohne nach ihr gesucht zu haben oder mich aktiv gegen Vaters Verbot gestellt zu haben, hielt ich meine Gefährtin in den Armen. Umringt von tanzend Wesen, wo sich keiner um uns scherte bis auf eine rothaarige Hexe, die uns gerade erblickt zu haben schien.
Hallo meine Lieben,
endlich kam wieder ein Kapitel und ich konnte eure Ungeduld nur zu gut verstehen. Doch ich bitte um Nachsicht. Es hilft nicht unbedingt immer wieder nachzufragen, wann das nächste Kapitel kommt, wenn ich schlichtweg noch nicht bereit dazu bin, es zu veröffentlichen.
Ich versuche wieder etwas regelmäßiger zu updaten, verspreche aber keinen festen Uploadplan. Dafür schreibe ich zu wenig vor :)
Nachdem ich den Sommer über hauptsächlich mit meiner Gesundheit gekämpft habe, hatte es einfach eine Weile gedauert, mich der Geschichte wieder anzunähern. Was vielleicht auch daran liegt, dass ich im Hintergrund an einer zweiten Werwolfsgeschichte dran bin. Wenn ich Lust hatte zu schreiben, ging die meiste Zeit dafür drauf.
Deswegen eine Frage. Habt ihr auch Interesse, andere Werwolfsgeschichten von mir zu lesen? Oder nur explizit diese hier? Denn wenn ja, könnte ich euch anbieten, wenigstens dort regelmäßig Kapitel hochzuladen, während ihr hier auf das Neuste wartet. (Hier sind die Kapitel etwas aufwendiger, aufgrund der vielen Wortanzahl, die ich erreichen möchte)
Lasst gerne eure Meinung da. Würde mich sehr interessieren :)
LG Myra
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