44|Verantwortung
Ich hatte mich vergleichsweise gestern früh schlafen gelegt und hatte lange gebraucht, um in meiner Zeltkabine schlafen zu können. Die Geräusche um mich herum hatten mein schnell schlagendes Herz nicht beruhigen können und ich wusste das der Lärm und die Feierlichkeiten diese Nacht erst richtig beginnen würden. Wahrscheinlich war es wirklich keine gute Idee nachts schlafen zu wollen, wo noch viele Kreaturen nachtaktiv waren.
Müde hatte ich mir eine Jogginghose und einen bequemen Hoodie angezogen, bevor ich aus der Zeltkabine stieg. Mel saß schon auf einem der Campingstühle und aß ein Nutellabrot. Sie hob grüßend die Hand und ich gesellte mich kurz zu ihr, bevor ich in den Wohnwagen ging, um mich frisch zu machen.
Beim Frühstück besprachen wir unsere heutigen Pläne und Almonda hatte schon schnell zu verstehen gegeben, dass sie möchte das wir zügig von ihr unterwiesen werden. Ich wehrte mich nicht groß dagegen und ließ meinen Blick immer wieder von unserer Feuerstelle zu der vorderen Straße schweifen. Wir waren nicht weit entfernt von einer höhergelegenen Stelle, aus der man die Stadt gut überblicken könnte. Mel hatte mir schon gesagt, dass sie sich das mit mir später gerne näher ansehen würde.
Nach dem Frühstück gesellte ich mich mit Mel und ihren Eltern zu Almonda die uns in ihr Lager entführte. Allerlei getrocknete Pflanzen, Erde, Samen, Talismane, Bücher und verschiedene Pulver waren mit einem bestimmten Magiefluss verbunden und halfen bei Ritualen oder seltenen Rezepten. Ebenso hoch waren ihre Preise für die Waren.
Auf dem Fest gab es eine eigene Währung, die sich Wechselblatt nannte. Menschliche Währungen konnte das Wechselblatt ohne Probleme annehmen und all das Geld, welches ich bar mitgebracht hatte, hatte sich mit dem Betreten des Geländes in eine bestimmte Anzahl an Wechselblättern verwandelt. Wechselblätter wurden in der magischen Gemeinschaft untereinander bevorzugt, da sie unabhängig von Ländern und Wohnorten einzusetzen waren. Umso deprimierter war ich auch als ich merkte das ich mir mit meinen hundert Euro nicht eine von Almondas magischen Zutaten leisten konnte. Aber die wenigen Wechselblätter, die ich hatte, würden bestimmt auch noch ihren Zweck erfüllen.
Zum Glück hatte Almonda eine Liste auf der alle Preise notiert waren. Wir mussten immer festhalten, wie viel wir von ihren Waren verkauften und sie hatte uns vorsorglich eine magische Salbe mitgegeben die wir vor unserer Schicht auf die Schläfen auftragen sollten. Bei meinem fragenden Blick hatte sie den Mund zu einem unheimlichen Grinsen verzogen was ihre Augen weiter strahlen ließ.
"Die Salbe wird fremde Hände von deinem Kopf fernhalten. Es gibt genug begabte Dämonen und Fälscher, die deinen schwachen Geist ausnutzen würden, um billiger an die Ware zu gelangen. Meiner Meinung nach sollte niemand hier ohne diesen Schutz herumlaufen. Aber dann wäre das ganze wahrscheinlich nur halb so lustig."
Ich schluckte und sah auf den Tiegel mit der cremigen weißen Salbe hinab. Vielleicht sollte ich das Zeug auch außerhalb meiner Schichten verwenden. Nachdem Almonda zufrieden mit uns allen war, waren wir aus ihren Griffeln befreit worden. Die erste Schicht würden Mels Eltern heute Abend nach der Eröffnung abwechselnd übernehmen. Am Nachmittag des nächsten Tages, wo die ungefährlicheren Gäste unterwegs waren (Almondas Meinung nach) wäre dann meine Schicht.
Mel und ich sahen das als unsere Erlaubnis die Gegend zu erkunden. Wir hatten eine Uhrzeit ausgemacht zu der wir zurück sein sollten um gemeinsam zu essen. Danach gingen wir auch hinaus auf die belebten Straßen und beobachteten staunend das Treiben. Es fuhren immer noch regelmäßig Autos oder Karren an uns vorbei und viele halfen ihren Nachbarn oder Fremden beim Aufbau ihrer Stände. Ich sah viele Gestaltwandler, Hexen, Fauen, Harpyie und auch Werwölfe. Aber sie ignorierten uns und schenkten uns keinerlei Beachtung. Wieder einmal war ich von Almondas Talisman beeindruckt.
Als ein großer Minotaurus an uns vorbeilief musste ich mich zwingen nicht wie eine Irre hinterher zu starren. Er war fast doppelt so groß wie ich gewesen und trug mehrere schwere Holzbretter auf seinen Schultern zu einem Stand in der Nähe.
Doch ich war nicht die Einzige die sich staunend umsah. Mel zupfte regelmäßig an meinem Ärmel und verwies immer wieder lächelnd auf eine neue Gestalt die wir noch nicht gesehen hatten. Am liebsten wäre ich zu den künstlich bebauten Seen gegangen um die Wasserwesen zu begutachten die durch ihre eigenen Portale Zugang zu den Seen des Festes bekommen hatten.
Außerdem sollte es bei den Lagern außerhalb der Stadt auch ein eigenes Feen-Lager geben die zusammen mit den Waldnymphen und den Geistern des Waldes zusammenlebten. Ihr Lager musste wahrscheinlich das Eindrucksvollste von allen sein!
Wenn ich mir all die Wesen vor Augen führte, kam ich mir mit meinen weißen Haaren und den wenigen körperlichen Attribute alles andere als magisch und mystisch vor, aber ich war froh dennoch Zugang zu diesem Spektakel zu haben. Wahrscheinlich sah ich für jeden wie ein normaler Mensch aus und nur diejenigen mit guter Nase konnten wahrscheinlich etwas von meinem nicht ausgeprägten Erbe merken, aber falls ich wirklich zwischen irgendwelche Fronten geriet hatte ich wahrscheinlich wenig Chancen mich zu verteidigen. Weshalb ich es sehr ernst nahm, nicht alleine umherzulaufen.
Mel und ich liefen für einen besseren Überblick auf den Hügel wie besprochen. Wir begegneten vielen Wölfen die aus den Wäldern kamen und ich gab mir die größte Mühe niemanden Beachtung zu schenken. Doch ein heller schmaler Wolf zog meine Aufmerksamkeit auf sich.
Es war sehr wahrscheinlich ein junges Mädchen, sie hatte cremefarbenes Fell und ihre Augen leuchteten in einem mir bekannten Blauton. Aber das Besondere an ihr waren die Ohrenpiercings an den spitzen Ohren. Ich hatte noch nie einen Wolf in seiner wölfischen Form gesehen der Piercings getragen hatte. Bei der Wandlung war die Chance zu groß das die Haut riss und zu sehr zu Schaden kam. Meist gaben die Wölfe schon früh auf mit den Teilen, da sie sie vor jeder Wandlung abmachen mussten und im Übrigen die Löcher in der Haut super schnell zu wuchsen, wenn man auch nur kurz seine Piercings abnahm.
Umso erstaunter war ich also von diesem Anblick das ich sogar kurz stehen blieb, um einen besseren Blick zu bekommen. Als hätte die Wölfin meinen Blick gespürt, sah sie zu mir herüber. Ich wollte schon wegsehen und weiterlaufen, als jemand bekanntes hinter mir rief: "Hey Sara beeil dich! Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!"
Ich versteifte mich und sah sofort weg als ich aus dem Augenwinkel mitbekam, wie Bella mit einem Brett in der Hand die Wölfin zu sich rief.
Die Wölfin schüttelte sich das Fell und trottete dann an mir vorbei zu Bella. Ich blickte immer noch an ihnen vorbei und lief wieder Mel nach die schon einige Meter vorgelaufen war.
Mel drehte sich verwundert zu mir um. Als sie sah wie starr ich an ihr vorbeilief blickte sie kurz runter. Bella und Sara sind zum Glück weitergezogen und ich atmete erleichtert auf. Mel hob die Braue und sah mich fragend an.
"War da jemand den du kanntest?"
"Kann man so sagen."
Das es sich dabei ausgerechnet um die Cousine und Schwester von Benjamin handelte, wollte ich nicht sagen. Sonst wäre Mel den ganzen Weg wieder heruntergelaufen um die beiden zu beobachten.
"Haben sie dich gesehen?", hakte Mel beunruhigt nach und ich nickte.
"Ja, aber sie haben mich anscheinend nicht erkannt. Dem Talisman sei Dank."
Mel sah nicht wirklich überzeugt aus, aber sie griff nach meiner Hand und suchte einen geeigneten Platz zum Hinsetzen. Mein Herz schlug immer noch schnell und immer wieder wanderte mein Blick den Hügel hinab. Hatten sie mich wirklich nicht erkannt? Sara hatte mich direkt angesehen.
Schluckend wandte ich mich ab und folgte Mel.
Seufzend legte ich auf und betrachtete die weiße Decke. Ich lag in meinem Bett in meinem Elternhaus im Wald. Das Schloss war zu voll, laut und einengend mit den Besuchern und Gästen geworden. Und das würde sich die Tage auch nicht ändern.
Eben hatte mich unser Beta angerufen und mir Bescheid gegeben, dass ich zu einer Besprechung der oberen Werwölfe erscheinen sollte. Anscheinend würden sich alle nochmal treffen wollen um die Aufbauarbeiten zu besprechen und die letzten Dinge vor der Eröffnung zu klären. Was ich da zu suchen hatte verstand ich zwar nicht, aber ich würde nicht widersprechen. Sonst würde ich mir bloß eine einfangen.
Ich stemmte mich hoch und zog mir etwas passablere Klamotten an. Seit meiner Ankunft auf dem Gelände war die Stimmung innerhalb meiner Familie angespannt. Und egal wie man es drehte und wendete, ich war der Idiot. Ben hasste mich, weil ich in seinen Augen zu inkompetent war und meine Eltern waren enttäuscht von mir, weil ich zu meinem Bruder stand und ihnen nichts erzählt hatte.
Mir war klar das ich nicht unschuldig an der ganzen verkorksten Situation war, aber ich fühlte mich machtlos. Und diese blasse Narbe an der Innenseite meiner Hand erinnerte mich stetig daran was ich vermasselt hatte.
Ich schnappte mir mein Handy und steckte es in die Hosentasche, bevor ich aus der Haustür trat und die frische Luft einatmete. Es war für das Rudel aufreibend so viele Fremde auf einmal zu empfangen und ich hatte schon gestern von gewissen Reiberein gehört. Ich hoffte einfach das mit dem Fest und den Feierlichkeiten sich alles wieder entspannte. Und wenn doch irgendjemand zu gestresst oder aufgerieben war, dann gab es immer noch die bekannten Gruben und Arenen in denen sich allerlei Kreaturen gegeneinander duellierten.
Es war eine Idee von einem Veranstalter einige Jahrhunderte zuvor gewesen der genug von den Streitereien und den abschlachtenden Traditionen innerhalb des Festes hatte. Oft wurden Konflikte verbal ausgetragen und das Fest wurde zu einem gewaltigen Blutbad gemischt aus Ekstase und dem Durst nach Gewalt. Um dem entgegenzusetzen wurden die Wächter ins Leben gerufen, die einen konfliktfreien Umgang durchzusetzen. Um der Gewalt aber dennoch Abhilfe zu verschaffen, wurden die Arenen und Gruben ins Leben gerufen. Und erschreckenderweise gingen heute immer noch viel zu viele darauf ein und duellierten sich bis zur Verstümmelung oder den Tod um Rache zu üben. Niemand wurde gezwungen da rein zu gehen und manchmal wurden auch Regeln im Vorhinein ausgemacht. Aber ich wurde vorgewarnt. Nicht immer ging alles mit rechten Dingen zu und nicht oft hatte die große Ansammlung der widerbelebten Magie dafür gesorgt das viele ein Ventil benötigten.
Joggend machte ich mich auf den Weg zum Schloss. Auf dem Weg begrüßte ich einige Rudelmitglieder und sah mir die Aufbauarbeiten an. Seit dem Gespräch mit meinen Eltern und Ben hatte ich keinen der beiden Parteien gesehen. Wahrscheinlich waren alle zu sehr mit dem Fest beschäftigt und um ehrlich zu sein, war ich froh gewesen Zeit für mich alleine zu haben.
Ich war verwirrt und schockiert zugleich, was Ben alles hinter unseren Rücken getan und geplant hatte. Vielleicht war ich sogar etwas verletzt das er mich nicht in all seine Pläne eingeweiht hat, obwohl er kein Problem damit gehabt hatte mich einfach fortzuschicken. Doch ich wusste nicht ob ich ihm überhaupt böse sein durfte. Immerhin musste er mit einem Schlag auf dem nächsten zurechtkommen. Nicht ich war es der von seiner Gefährtin verschmäht wurde und im Nachhinein Dinge erfahren hatte die wichtig waren. Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen was Lupras Blackwood noch alles erzählt hatte, dass laut Ben zu privat war um es mit uns zu teilen. Was könnte denn noch privater sein als das die Eigene Tochter sich nicht in einem Wolf verwandeln konnte und nicht die gleiche Mutter wie die anderen Kinder besaß?
Immer wieder schwirrten mir die Worte Luanas durch den Kopf und ich hatte die letzten Tage so oft in die Luft gestarrt und versucht zu verstehen was das alles zu bedeuten hatte. Doch wahrscheinlich wusste das nicht mal Luana. Wahrscheinlich wusste keiner was das alles zu bedeuten hatte.
Nachdem ich das Schlossgelände erreicht hatte und zwei Mitglieder der nordischen Oberhauptfamilie sah, war ich froh noch nicht all zu spät dran zu sein. Flynn und Sven, die Söhne von Magnus Aamont, grinsten mir zu als ich auf sie zulief.
„Na, musst du auch zur letzten Besprechung?", fragte mich Flynn mit gebrochenem Deutsch und ich nickte ihm zu.
„Ja, da kommen wir wohl nicht drum rum.", sagte ich schmunzelnd. Die Aamonts waren mir von all unseren Besuchern die liebsten. Und die drei Söhne von Magnus waren echt in Ordnung. Zwar waren sie erst kurz davor achtzehn zu werden, aber sie verhielten sich typisch für Wölfe schon erwachsener als man es in ihrem Alter erwarten würde. Für sie war es genauso wie für mich das erste Fest.
Sven klopfte mir kameradschaftlich auf die Schulter ehe wir zu dritt zum umfunktionierten Konferenzsaal gingen. Der Raum war mittlerweile zum Platzen voll. Ich sah alle Oberhauptpaare auf Stühlen sitzen und der Rest ihrer Familie und Führungsregie stand hinter ihnen. Außerdem sah ich zwei unbekannte ältere Wölfe am Ende des Tisches mit verschränkten Armen sitzen. Sie rochen sehr dominant und ohne nachzufragen war mir bewusst, dass es zwei Mitglieder des hohen Rates sein mussten. Diejenigen die für die Werwölfe sprachen und es geschafft hatten so kurzfristig das Fest für die Werwölfe zu beanspruchen. Also auf gut Deutsch diejenigen die dafür verantwortlich gewesen waren das Benjamin alles so knapp planen musste und von denen er keine Unterstützung erhalten hatte. Sie waren bestimmt hier um seine Arbeit und die der europäischen Wölfe zu begutachten. Und dafür müssten die Oberhäupter geradestehen. Obwohl ich nicht daran glaubte das einer der Wölfe hier genug Schneid besaß um einzugestehen das mein Bruder all die Arbeit übernommen und koordiniert hatte.
Ich nickte Sven und Flynn zum Abschied zu als sie sich zu ihrer Familie gesellten und lief auf meine Familie zu. Sara, Bella, Gerald und drei weitere dominante Mitglieder die zum Orga Team gehörten standen hinter meinen Eltern bereit. Von Ben war nicht die geringste Spur zu sehen, obwohl neben meinen Eltern noch ein Stuhl frei war. Für den Jungalpha.
Ich stellte mich etwas verwirrt über Bens Abwesenheit neben Bella und sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. Sie zuckte mit Blick auf Bens Stuhl die Schultern und seufzte tief.
Mein Blick schweifte über die bisher Anwesenden. Die Tarantino Familie schien schon vollzählig und ich war über die Masse der hinter ihnen stehenden erstaunt. Soweit ich wusste hatten Francesca und Damaso Tarantino fünf Kinder und eine eh schon große Familie. Silvana war sogar mit den Italienern verwandt und als sie mit Lupras im Schlepptau den Raum betrat galt ihr Lächeln als erstes den Tarantinos.
Silvana setzte sich gegenüber meinen Eltern und nickte einmal in die Runde. Ihr Sohn Luca saß auch schon auf seinen Platz, während hinter ihm seine Gefährtin und Schwester standen. Von Luana wie zu erwarten keine Spur. Hätte mich auch sehr gewundert wäre sie eingeladen gewesen.
Silvana blickte nicht noch einmal in die Richtung meiner Familie, sondern sprach unter ihresgleichen oder lächelte den Ratsmitgliedern wohlwollend zu. Nur Lupras hatte sich kurz zu den beiden dominanten Ratsmitgliedern begeben und hatte beim Eintreten ein paar leise Worte mit ihnen gewechselt. Ob sie Silvanas Dreistigkeit sie nicht mal zu begrüßen überhaupt wahrgenommen hatten, wusste ich nicht. Jedenfalls reagierten die zwei Werwölfe nicht darauf und sahen dabei zu wie sich Lupras zu seiner Familie begab.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir das nur noch zwei Minuten bis zum offiziellen Anfang der Besprechung blieben. Alle Oberhäupter und deren Jungalpha saßen schon auf ihren Plätzen und nur noch vereinzelt kamen Mitglieder der Familien in den Raum gehuscht. Die Ratsmitglieder schwiegen und ich betrachtete Bens leeren Platz. Wenn er das verpasste war das eine Beleidigung und ein Affront gegenüber den Ratsmitgliedern. Selbst die jüngsten Kinder der Oberhäupter standen hier und der noch recht junge Sohn und zukünftige Jungalpha der Tarantinos sah auch mit großen Augen stillschweigend durch die Runde.
Meine Finger zuckten und ich war fieberhaft am überlegen, ob ich Ben vielleicht eine Nachricht schicken sollte, doch Bella bemerkte mein Zögern und schüttelte kaum merklich den Kopf.
Innerlich bekam ich das Kotzen, wenn ich daran dachte wie sehr es Silvana erfreuen würde meinen Bruder leiden zu sehen und allein ihr Blick auf den leeren Stuhl schien schon alles gesagt zu haben. Wir warteten alle nur noch aktiv auf ihn. Dem Organisator und eigentlichen Planer des Festes.
Ich sah wie sich Silvana zu ihrem Sohn beugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte, während ihr Blick auf die Ratsmitglieder deutete. Soweit ich mich erinnerte hatte Silvana groß angekündigt ihren Sohn als Repräsentant der europäischen Wolfsgemeinschaft vorzuschlagen. Und die Leute mit denen man in dieser Position arbeiten musste saßen zufällig alle in diesem Raum. Es würde mich wundern, wenn sie ihn nicht darauf hinwies die richtigen Kontakte zu pflegen.
„Wir würden nun gerne beginnen. Hoffentlich sind alle Beteiligten hier anwesend oder fehlt jemand auf dem man warten muss?", sagte das linke Ratsmitglied auf Englisch. Ich musste mir Mühe geben das Gesicht nicht zu verziehen als die meisten Blicke zu meinen Eltern wanderten.
Meine Eltern blickten sich kurz an ehe mein Vater sprach: "Wir können gerne anfangen. Lasst die Tür offen falls sich jemand verspätet, dann kann die Person sich noch anschließen."
Die Ratsmitglieder nickten und deuteten jemanden die Tür zu schließen. Ich wollte schon die Augen resigniert schließen, als die Person die die Tür schließen wollte innehielt.
Das rechte Ratsmitglied richtete sich schon im Stuhl auf und wollte mit der Eröffnung der Sitzung anfangen, als die Tür noch etwas mehr geöffnet wurde und Benjamin eintrat.
Ich spürte die Erleichterung meiner Familie sofort und Silvanas Blick verhärtete sich augenblicklich. Doch Benjamin ließ sich davon nicht beirren. Er hatte sich rasiert, die Haare ordentlich nach hinten gegelt und trug im Gegensatz zu mir und einigen anderen hier einen dunklen Anzug mit weißem Hemd. Er sah aus wie ein waschechter Geschäftsmann und ich musste ein Schmunzeln unterdrücken, wenn ich daran dachte das er gerade mal dreiundzwanzig war aber in dem Anzug aussah wie Ende zwanzig.
Er lief direkt auf die Ratsmitglieder zu und beugte sich zur Begrüßung leicht vor um ihnen genug Respekt entgegen zu bringen.
„Entschuldigt die Verspätung, ich hoffe ich habe niemanden unterbrochen.", sagte er auf Englisch und die Ratsmitglieder deuteten an das er sich wieder aufrichten durfte, ehe sie ihm beide nacheinander die Hände schüttelten.
„Nein, keine Sorge. Wir wollten gerade erst anfangen."
Ben lächelte professionell und stellte sich den beiden mit Namen vor. Die wachsamen gewordenen Blicke deuteten an das sie wussten wer Ben war und ließen ihn dann daraufhin zu seinem Platz gehen. Das Orga Team inklusive Bella legten daraufhin einige Dokumente auf Bens Platz, die er sich nachdem er sich setzte auch nahm.
Lupras Blick hielt kurz bei Ben inne und ich bemerkte auch wie Ben Lupras ansah, bevor er sich zu den Ratsmitgliedern wandte und ihnen zunickte. Ich wusste nicht was ich erwartet hatte, aber ich war nicht der Einzige der über Bens professionelles Auftreten verwundert war. Wahrscheinlich hatte niemand nach unseren Streitereien gedacht das er überhaupt auftauchen würde. Bella jedenfalls sah total erleichtert aus das er gekommen war. Und ich wollte mir ehrlich gesagt nicht ausmalen wie es ohne Ben womöglich für uns ausgegangen wäre, da er als Einziger von uns allen den Überblick über die Planung und Umsetzung des Festes hatte.
Unser Vater reagierte nicht auf ihn und unsere Mutter lächelte ihm dankbar zu, doch Ben ignorierte die Geste.
Nachdem die Ratsmitglieder sich selbst vorgestellt hatten und unserer Familie für all die Bemühungen dankte die wir im Vorfeld schon getroffen hatten, begann die eigentliche Sitzung. Mein Vater übernahm zu Anfang das Sprechen, doch irgendwann übernahm Ben ganz automatisch die Gesprächsführung und erklärte mit erstaunlicher Genauigkeit wie fortgeschritten die letzten Aufbauarbeiten vorangingen.
Immer wieder bat er einem vom Orga Team gewisse Details über bestimmte Arbeiten zu präsentieren und übernahm daraufhin wieder fließend das Gespräch. Auf Nachfragen oder fiese Bemerkungen antwortete er immer zuerst, statt einem seiner Teammitgliedern diesen Aussagen auszusetzen. Unser Vater hörte ruhig zu und ließ sich nichts anmerken.
Nachdem Bella einen Schritt nach vorne trat und die Fortschritte der Werwolfslager vortrug verzog Silvana genervt das Gesicht und unterbrach sie rüde mitten im Satz.
„Ich finde es sehr ungerechtfertigt und einen sehr einseitigen Vortrag der aktuellen Aufbauarbeiten. Wir hatten nicht genug Zeit vorher anzureisen und ich bin mir sicher, dass die Lager auch näher beieinander sein könnten. Immerhin haben wir eine Vorbildfunktion zu erfüllen und wollen uns doch nicht als entzweite Gemeinschaft repräsentieren."
Die Ratsmitglieder sahen interessiert zu Silvana die mit hochgezogenen Brauen zu Bella sah. Bella sah kurz zu Nelson und Ben, doch letzterer antwortete.
„Es ist schön zu wissen das du dich immer wieder für die Werwölfe stark machst, aber du vergisst dabei wohl das große Ganze aus den Augen. Keine Rasse oder Gemeinschaft sollte der anderen bevorzugt werden und nur weil unsere Aufbauarbeiten ein wenig hinterher hängen heißt das nicht das wir nicht genug Zeit hatten. Niemand konnte damit rechnen das ein Großteil der ausländischen Wölfe so spät erst ankommen würde. Dafür kann niemand was. Wir werden bis heute Abend die wichtigsten Aufbauarbeiten abgeschlossen haben. Und wenn halt zwei Arenen oder ein paar Unterkünfte erst morgen fertig sind wird das uns nicht aufhalten das Fest zu eröffnen. Die Aufbauarbeiten können auch während des Festes beendet werden."
Die Ratsmitglieder nickten zufrieden und ich sah überrascht zu Ben. Ich wusste gar nicht das so viele Helfer unter den zu spät dazugekommenen Wölfen gehört hatten. Aber er hatte recht. Wenn nicht alle wie angekündigt erschienen, würden die unwichtigen Aufbauarbeiten erst am Ende abgeschlossen werden.
„Und was ist mit den Lagern? Ich wage mich daran zu erinnern einen Vorschlag gemacht zu haben unsere Lager näher beieinander zu legen."
Ich konnte mir vorstellen wie Ben innerlich die Augen verdrehte bei einer solch nichtigen Aussage.
„Wir hatten einen genau vorgelegten Plan von dem Rat erhalten mit allen zu berücksichtigen Punkten für das Fest. Sogar ich selbst habe im Nachhinein die Entwürfe für die Stadt und Lager selbst dem Rat zukommen lassen. Darunter war auch vermerkt wo alle Werwölfe unterkommen würden. Meiner und ich glaube auch unserer Einschätzung nach war es wichtig, die großen Rudel nicht nebeneinander hausen zu lassen. Denn es gibt noch heute viele Alpha die Anhänger des großen Rudelkrieges sind. Und um vermeidbare Streitereien und unnötige Arenenkämpfe zu umgehen haben wir beschlossen das es besser wäre mehr Abstand zu wahren. Und ich kann mir schwer vorstellen das die Hexen oder irgendjemand anderes sich über unsere Lager beschweren wird. Alle haben selbst mit ihren Aufbauarbeiten zu tun."
Silvanas Blick huschte überprüfend zu den Ratsmitgliedern die bestätigend nickten.
„Uns erschien es besser nicht als streitende und unzivilisierte Gastgeber zu wirken. Da ist wohl die Kritik wir würden keine geeinte Gemeinschaft sein, aufgrund unserer zersplitterten Lager, wohl ein notwendiges Übel.", sagte das rechte Ratsmitglied und ich musste ein Grinsen unterdrücken als ich Silvanas verkniffene Miene sah.
Die Ratsmitglieder baten Bella weiterzureden und so sprach sie über letzten Aufbauarbeiten. Als sie fertig war endete der Themenpunkt über die bisherigen Arbeiten und die Ratsmitglieder wandten sich an die Programmpunkte für das Fest.
Hier sprach hauptsächlich Ben und reagierte auf gestellte Fragen aus dem ganzen Publikum. Viele Veranstaltungen wurden von den Wölfen selbst nicht abgehalten, aber es oblag unserer Obhut diese zu koordinieren und für die Sicherheit der Besucher während der einzelnen Veranstaltungen zu sorgen. Alle hatten sich bei Ben angemeldet und er kannte alle einzelnen Anfragen und beantwortete sie ohne auf seine Zettel zu sehen.
„Für den Tanz an Luna ist schon ein geeigneter Platz mit genügend Raum gefunden worden. Er ist weiter von der Stadt entfernt damit der Wind keine Chance hat die Flammen zur Stadt zu tragen. Das Holz liegt auch schon in den vorhergesehenen Lagern bereit und wird von mir und meinem Team am Morgen des letzten Tages gestapelt."
Magnus der die Frage gestellt hatte nickte zufrieden und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Gut, wenn das die letzte Frage war komme ich nun zu der heutigen Eröffnung zu sprechen. Wir hatten ja im Vorhinein besprochen das wir bei der Mitentscheidung der Salbung ein Mitsprecherecht haben.", sagte das linke Ratsmitglied.
Meine müden Muskeln und ich wurden bei diesen Worten hellwach und ich sah aus dem Augenwinkel wie selbst Ben sich kaum merklich aufrichtete. Bella schien aufgeregt und wir sahen wie Ben bestätigend nickte.
„Ja, so war es ausgemacht."
Die Salbung war eine Tradition die schon seit Ewigkeiten bestand. Sie kennzeichnete denjenigen der die Hauptverantwortung für das diesjährige Fest inne hielt. Man wurde von einem Hexer oder einen anderen hohen Vertreter, der Zugriff auf eine Magiequelle hatte, mit einer von allen Magieflüssen durchtränkte Salbe gesalbt und für heiliggesprochen. Es sorgte dafür das die neu gewonnene Magie die sich über das Fest entfaltete an dem Gesalbten hängen blieb und ihn stärkt. Wesen die eine Magie Affinität besaßen oder Magie ausüben konnten, würden für dieses Ritual morden. Es sorgte dafür, dass man sein Leben lang einfacher auf die Magie zugreifen konnte und machte angeblich die Götter auf einem aufmerksam. Es war eine heilige Tradition und mit der Salbung begann das Fest.
Einige sprachen davon das man, wenn man den Gesalbten während des Festes berührte ein Teil der hängen gebliebenen Magie auf einen selbst überging. Und einige sehr religiöse Wesen umwarben dem Gesalbten oder boten ihre Dienste im Gegenzug zu Berührungen an. Auch wenn es einem Werwolf nicht wirklich half urplötzlich auf Magie zugreifen zu können, so würde es aber sicher die Affinität zu Luna stärken und einen selbst stärken. Unabhängig davon das man überall auf dem Fest gefeiert und geradezu allerlei Kram umsonst geschenkt bekam.
Soweit ich wusste würde eine Oberhexe aus Deutschland die Salbung durchführen und uns Werwölfen obliegt die Aufgabe eine Person zu bestimmen die dieser Ehre gerecht wurde. Doch wie immer, wenn nur eine Person belohnt werden konnte, stritten sich alle wer am meisten beigetragen hatte.
„Gibt es denn bisher schon eine Vorstellung wer gesalbt werden soll?", hakte Magnus nach und ich sah wie viele sich untereinander besprachen. Der eben noch so stille Raum wurde von Geflüster erfüllt.
„Was glaubst du? Wer wird es dieses Jahr?", fragte ich leise Bella. Sara die neben ihr stand hatte meine Frage gehört und antwortete statt Bella grinsend.
„Wahrscheinlich wird der Rat sich diese Ehre unter den Nagel reißen wollen. Aber wenn wir alle ehrlich sind, hätte es definitiv jemand anderes verdient."
Ich folgte Saras und Bellas Blick und betrachtete Ben. Meine Augen wurden groß und nun glaubte ich zu verstehen. Wollte Ben wirklich gesalbt werden? Verdient hätte er es keine Frage, aber warum sollte er die Salbung wollen? Ich konnte mir nicht vorstellen das ihm der Gedanke von gewissen Feen und Dämoninnen vergöttert zu werden gefiel. Aber es war der einzig plausible Grund warum er erschienen war und unseren Vater die Schau stahl, indem er vor aller Augen bewies das er die Verantwortung für das Fest trug.
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