42|Talisman

Der gestrige Filmeabend hatte sich sehr langgezogen und nachdem wir die ganze Nico Thematik fallen gelassen hatten, wollte ich nicht noch Jans Entschluss in Frage stellen uns nicht beim Fest begleiten zu wollen. Ich hatte mich lieber dafür entschieden das Thema auf heute zu verschieben.

Als ich heute früh die untere Etage des Hauses betrat sah ich schon wie aufgeregt Mels Mutter wirkte. Sie telefonierte lautstark mit ihrer Schwester und ich sah die verschiedensten Sachen im ganzen Wohnzimmer verteilt. Schlafmatten, Bücher, Kessel, Thermounterwäsche und Campingzubehör.

Ich grüßte Mathilda mit einem Winken ehe ich an ihr vorbei in die Küche lief. Dort sah ich schon Mel wie sie mit ihrem Vater den Frühstückstisch deckte.

„Weshalb ist denn deine Mum so aufgeregt?", fragte ich neugierig nach und Mel seufzte theatralisch.    

„Ach die schiebt nur Panik. Meine Tante möchte wohl alleine zum Fest gehen und es gab kurzfristig eine Planänderung mit der Anreise meiner Großmutter."

„Ach echt? Wann werde ich denn deine Oma kennenlernen?"

Sie schnaubte. „Schon heute. Sie wird irgendwann über den Lauf des Tages hier erscheinen."

Erstaunt hob ich die Brauen. Dann verstand ich natürlich warum es hier so wild aussah. Almonda, Mels Großmutter, war eine begnadete und sehr engstirnige Hexe die fern ab vom Schuss lebte. Ohne Kommune oder Hexenzirkel den sie nach ihrer Meinung nicht brauchte. Bisher hatte ich sie noch nicht kennen gelernt, aber Mathilda hatte vor ein paar Tagen angedeutet das ich falls es mit den Blackwoods hier Probleme geben sollte, ich bei Almonda untertauchen könnte. War nur die Frage ob die Alte das auch zulassen würde.

Wahrscheinlich war deswegen Mathilda so nervös und wollte schnell alles zusammenpacken, damit die spontane Anreise ihrer Mutter nicht ihre ganzen Pläne durcheinanderbrachte.

„Am besten esst ihr schnell damit wir gleich alles in Ruhe besprechen können.", sagte Herold zu Mel und mir. Wir nickten und beeilten uns mit dem Frühstück. Ich wusste immer noch nicht Recht ob ich mitfahren sollte und fühlte mich ein wenig unter Druck gesetzt, nachdem ich sah wie sehr die Stürmers sich schon vorbereitet hatten. Seufzend brachte ich das dreckige Geschirr weg und lief dann mit Mel zusammen nach oben.

Gerade als ich in mein Zimmer gehen wollte hielt mich Mel auf.

„Ich habe meinen Eltern deine Situation geschildert. Keine Sorge ich habe keine Details erzählt, aber sie sollten die Chance haben zu Wissen worauf sie sich einlassen."

Ich verzog etwas die Stirn. Sie hatte Recht. Wenn ihre Eltern mich schon mitnahmen sollten sie wissen das mich auf dem Fest keine Freunde erwarten würden.

„Was hast du ihnen denn genau gesagt?"

„Das du mit den Amalons aneinandergeraten bist und es zwischen euch Meinungsverschiedenheiten gab. Und du deshalb nicht weißt wie sie womöglich auf dich reagieren."

Also hatte sie im Grunde genommen nur den Verdacht ihrer Eltern bestätigt.

Ich dankte ihr und lief daraufhin in mein Zimmer um mir zu überlegen was ich auf dem Fest benötigen würde. Aber vielleicht sollte ich vorher mit Mels Eltern sprechen und klären ob es überhaupt eine gute Entscheidung war mich mitzunehmen. Denn um herrlich zu sein war mir gar nicht mehr nach feiern. Und ich wollte die Amalon und Blackwood Familie so gut wie möglich meiden. Ob ich nur eine Audienz bei meinem Vater nach dem Fest bekommen würde wäre die Frage.

Doch wenn die Stürmer mich wirklich mitnehmen wollten, dann sollte ich nicht so feige sein und die Konfrontation mit meinem Vater meiden. Seufzend strich ich mir über das Gesicht und notierte mir die ersten Dinge die mir durch den Kopf geisterten. Ich sollte genügend Klamotten mitnehmen, falls es keine Möglichkeit gab sie zu waschen. Und wahrscheinlich sollte ich mir auch ein Buch mitnehmen, wenn mich über den Mittag die Langeweile packte. Mels Mutter hatte erzählt das die magische Gesellschaft gerne bis in die frühen Morgenstunden feierten und dann mittags die Stadt innerhalb des Festes wie ausgestorben wäre.

Ich schrieb Jan nochmal eine Nachricht in der ich nachhackte ob er wirklich nicht zum Fest wollte. Nach ein paar Minuten kam auch schon die Antwort das er sich nicht anders entschieden hätte. Ich hinterfragte es nicht.

Nachdem ich meinen Koffer geholt hatte und die ersten Sachen auf dem Bett zusammen gelegt hatte klopfte es an meiner Tür.

„Ja?"

„Hey, meine Eltern wollten schnell alles mit uns durchgehen. Kannst du kurz Pause machen?", fragte Mel nachdem sie ihren Kopf durch den Türspalt schob. Ich nickte und legte die letzten Sachen bei Seite und begleitete sie runter.

Mathilda strich sich etwas überfordert die Haare aus der Stirn und schob die Hände in die Hüfte, während Herold auf der Couch Platz machte damit wir uns setzten konnten.

„Ach, da seid ihr ja endlich. Wir sollten schnell alles durch gehen und dann mit packen anfangen bevor meine Mutter dieses Chaos sieht. Sie würde mir sonst den Hals umdrehen."

„Mach dir keine Sorgen. Bei deiner Mutter sieht es doch nie anders aus.", sagte Herold grinsend und Mathilda schnaubte.

„Tja, rate mal wem das vollkommen egal ist? Meine Mutter wird sich ewig darüber lustig machen das ich meinen Haushalt nicht im Griff hätte."

„Ach, lass doch Oma reden. Sie hat bloß nichts Besseres zu tun.", sagte Mel grinsend als sie sich aufs Sofa plumpsen ließ. Ich setzte mich neben sie und betrachtete lächelnd wie Mathilda wieder nur den Kopf schüttelte.

„Ist ja jetzt auch egal. Wir sollten erstmal die wichtigsten Dinge klären.", unterbrach Herold die zwei rothaarigen Frauen. Mathilda setzte sich seufzend auf die Sofalehne und nickte ergeben.

„Ok, wenn das nun geklärt ist. Ich habe vor heute nochmal einzukaufen und muss wissen was wir alles brauchen werden. Es gibt zwar genug auf dem Fest, aber ich esse lieber aus eigener Hand. Deswegen solltet ihr mir gleich alles auf den Einkaufszettel schreiben. Für das Mittagessen werde ich schon sorgen. Und ach ja, wenn Jan bei uns schlafen möchte solltet ihr ihn auch nochmal fragen ob er noch irgendwas braucht. Heute ist die letzte Möglichkeit nochmal was zu besorgen."

„Ähm, Jan wird nicht mitkommen.", sagte ich und alle sahen verwirrt zu mir.

„Wird er etwa alleine anreisen wollen?", hakte Mathilda nach und ich schüttelte den Kopf.

„Nein. Mir hatte er bloß gesagt das es für ihn nie in Frage kam zum Fest zu gehen."

Mel sah ernst zu mir hinüber und ich zuckte entschuldigend die Schultern. Sie würde mich später bestimmt ausfragen wollen, aber ich wusste wirklich nicht mehr.

„Na gut, wenn der Junge meint. Er hat bestimmt seine Gründe.", Herold wandte sich wieder seiner To-do Liste zu und ich beschloss das es wahrscheinlich jetzt am besten wäre meine Zweifel anzusprechen.

„Können wir kurz pausieren? Ich wollte bevor wir weiter planen noch etwas besprechen."

„Klar, sag was dich beschäftigt.", sagte Mathilda milde lächelnd und ich wappnete mich gegen alles was kommen könnte.

„Ich bin mir unsicher bezüglich meiner Mitreise zum Fest."

Erstaunt hoben Mels Eltern die Brauen während Mel mich unverständlich ansah als wolle sie sagen: "Du hast schon immer davon geträumt zum Fest zu gehen."

„Ich weiß das meine Zweifel etwas kurzfristig kommen und ich früher mit euch hätte darüber sprechen sollen. Ich weiß das euch Mel erzählt hat das ich Probleme mit den Amalons habe und ich glaube das war am Montag auch nicht zu übersehen. Ich habe bedenken das sie ihre Stellung als Veranstalter ausnutzen könnten um sich in irgendeiner Art zu rächen. Oder uns zu bedrängen. Ich will euch das Fest nicht vermiesen und euch auch nicht dazu zwingen mich mitzunehmen, wenn ihr das gar nicht wollt. Ich könnte verstehen, wenn ihr das nicht machen möchtet."

Mels Eltern lächelten überraschend und Herold tätschelte mir beruhigend den Kopf.

„Ach was machst du dir denn immer für Gedanken Kind. Wir lassen doch keinen der unseren hier zuhause versauern. Wir wollen dich natürlich dabeihaben. Und du hast doch nicht gedacht, dass wir keine Lösung für dein kleines Problem hätten? Wir Hexer sind nicht nur für Schutzzauber und magische Salben da."

Ich wollte nachhaken was er damit meinte, als wir es draußen vor dem Haus poltern hörten. Erstaunt drehten Mel und ich uns auf dem Sofa um, während Mathilda leise fluchend aufstand und zur Tür eilte. Es wurde mehrfach ungeduldig geklopft und sie beeilte sich die Tür schnell zu öffnen.

Was mich vor der Tür erwartete überraschte mich. Eine kleine bucklige Frau mit offenem grau weißem Haar stand an der Türschwelle. Hinter ihr stand ein voller Karren aus Zweigen und moosbewachsenem Holz aus den allerlei Kräutern herauslugten.

Die Frau war in braunen Leinen gekleidet und hatte schon eine faltige Haut und leuchtend blaue Augen die ihre Tochter strafend anblickten.

„Das hat aber gedauert. Hast du das Haus etwa extra so groß gebaut damit du deine arme Mutter vor der Haustür lange warten lassen kannst?"

Überrascht über die Festigkeit ihrer Stimme und der Art wie sie mit ihrer Tochter sprach, sah ich Mel an die sich ein Grinsen verkniff. Das meinte sie wohl damit das ihre Großmutter eigen ist.

„Es ist auch schön dich zu sehen Mama.", sagte Mathilda trotz des Empfangs ihrer Mutter und machte ihr Platz damit sie ins Haus kommen konnte. Der Wagen der eben noch im Vorgarten stand verschwand langsam durch einen Illusionszauber vor neugieren Augen. Ich stellte mich hin und blieb im vollen Wohnzimmer stehen, während Mel zu ihrer Großmutter eilte.

Nachdem sie voneinander abbliesen begrüßte auch Herold die Frau mit einer Umarmung. Das Wohnzimmer konnte sie natürlich nicht unkommentiert lassen.

"Hätte ich gewusst das ihr noch aufräumen müsst hätte ich mir auch Zeit lassen können."

Mathilda verdrehte hinter dem Rücken ihrer Mutter die Augen und reagierte nicht weiter auf die spitze Bemerkung.

„So, jetzt möchte ich aber endlich mal den Grund für meine übereilte Anreise sehen. Wegen euren Kurzauftrag hatte ich immerhin viel Stress gehabt."

Mathilda führte ihre Mutter vorbei an Herold zur Couchlandschaft. Die stechenden blauen Augen suchten den Raum ab und blieben an mir hängen.

„Mama das ist Lu-„

„Ich kann mich alleine vorstellen!", unterbrach sie Almonda barsch. Etwas nervös sah ich von Almonda zu Mathilda und lief ihr etwas entgegen. Die alte Frau betrachtete mich von oben nach unten.

„Du bist also das traurige Blackwood Kind an dem meine Tochter so einen Narren gefressen hat? Besonders siehst du ja nicht aus."

Ich wollte schon den Mund öffnen und etwas entgegnen, aber sie hob bestimmend die Hand und lief an mir vorbei um mich von allen Seiten betrachten zu können. Hilfesuchend sah ich zu Mel die mir bloß lächelnd zu nickte. War das also normal?

„Hm, wie alt bist du Kind?"

„Ich bin achtzehn.", antwortete ich und sah aus dem Augenwinkel wie Almonda bestätigend nickte.

„Interessant. Ich hoffe du bist den Aufwand wert den meine Familie für dich betreibt."

Etwas verwirrt sah ich zu Almonda hinab als sie vor mir stehen blieb und sich meine Hand schnappte. Sie legte etwas Kaltes hinein und ich wagte einen neugierigen Blick. Es war eine Halskette. Ein kleiner kristallförmiger blauer Edelstein war an einem langen Stück Leder gebunden. Doch die blauen Farben schienen im Stein zu schwimmen und nahmen ständig neue Formen an. Ich sah dasselbe blau in Almondas Augen als sie zu mir blickte.

„Das mein unwissendes Kind ist ein Talisman. Eigens auf dich abgestimmt. Er wird davor sorgen das du vor fremden Augen und Nasen geschützt bist und wird dich nur für diejenigen sichtbar machen die von dem Schutz wissen und dich kennen. Für alle anderen wirst du nicht mehr als Luana erkennbar sein. So wird es ein leichtes für dich sein dich ohne Furcht frei auf dem Fest bewegen zu können."

Etwas überwältigt von ihrer Erklärung sah ich zu der Stürmer Familie die mich lächelnd betrachtete. Sie hatten Recht gehabt. Sie hatten längst eine Lösung.

Ich nickte Almonda dankend zu und sie wollte das ich die Kette sofort anzog. Ich verweigerte mich nicht und legte sie an. Ein süßlicher Duft stach mir in die Nase und ich sah wie mein Blickwinkel leicht verschwommen wurde, aber entdeckte ansonsten keine großen Unterschiede.

„Hat es funktioniert?", hakte Mel nach und ihre Großmutter schnaubte überheblich.

„Natürlich hat es das. Wir alle werden Luana als das Erkennen was sie ist. Nur alle anderen nicht."

Ich blickte auf den Stein hinab der über meiner Brust baumelte und sagte: „Danke."

Almonda machte eine wegwerfende Bewegung und sah dann ernst zu mir hoch.

„Ein Talisman ist einmalig und kann nur schwer wiederholt eingesetzt werden. Trage ihn deshalb die ganze Zeit um deinen Hals und untersteh dich ihn auch nur einen Augenblick abzunehmen. Sonst werden all jene die es auf dich abgesehen haben dich als das Erkennen was du bist Kind des Mondes."

Ich schluckte und nickte.

„Ich werde sie nicht abnehmen."

„Dann ist ja gut.", sagte Almonda vielsagend.

Den restlichen Tag verbrachten wir damit alles einzupacken, die letzte Wäsche zu waschen, einzukaufen und uns über die Verteilung des Gepäckes im Klaren zu werden. Mels Eltern würden ein Wohnmobil bewohnen, während Mel und ich ein Zelt nutzen würden. Almonda würde sich mit uns einen Stellplatz in der Stadt teilen den sie beantragt hatte. Damit würden wir zwar in mitten des Geschehens sein, aber laut Herold sei es dort immer noch sicherer als in der Nähe der Gruben und Arenen.

Almonda erinnerte uns immer wieder daran das sie nur den Platz teilte, wenn wir auch fairerweise etwas dafür tun würden. Sie erklärte uns, dass sie einen Stand eröffnen würde und ihre Stammkundschaft sicherlich den besten Service erwarteten. Wir sollten uns regelmäßig abwechseln und den Stand bewirten damit sie auch was von dem Fest mitbekam. Die Einführung in ihre Ware würden wir vor Ort erhalten.

Ich wusste nicht ganze recht ob ich gut im Handeln und verkaufen war, aber die Stürmer schienen nichts anderes von ihr erwartet zu haben. Also wehrte ich mich nicht dagegen.

Etwas später am Tag gab mir Mel Bescheid das sie nochmal Jan anrufen wollte um nachzuhorchen was bei ihm los war. Ich ließ sie machen und war nicht sonderlich überrascht als sie mit genervtem Ausdruck wieder aus ihrem Zimmer gestampft kam.

„Dieser dickköpfige sture Idiot!"

Ich hob die Braue und fragte: „Was hat er denn gesagt?"

„Das er nicht mitkommen möchte und wir es genießen sollen. Und das du dir keine Sorgen machen sollst."

„Wieso das denn?"

„Ach, er hat irgendwas von einem Kodex gesagt dem die Amalons unterlegen sind. Keine Ahnung.", sagte sie wegwerfend. Ich seufzte und lies sie vorbei. Ich hatte echt gehofft das Mel es schaffen würde zu ihm durchzudringen. Es war schade ihn nicht bei uns zu wissen, aber vielleicht war es auch schön wieder vermehrt Zeit mit meiner besten Freundin zu verbringen nachdem sie eine Woche lang weg war.

Ich hörte zwischendurch auch immer wieder Almondas strenge Stimme die Mel anscheinend über ihren Aufenthalt im Ministerium auszuquetschen versuchte, aber auch wie bei mir wiegelte sie alles mit diesen bürokratischen Problemen ab. Almonda schimpfte daraufhin nur noch ewig lang über die Oberhexen und ihre Kommunale Politik und die Unzuverlässigkeit des Ministeriums. Sie brachte frischen Wind ins Haus und auch wenn sie schräg war und mir nicht viel Aufmerksamkeit schenkte war ich ihr sehr dankbar.

Später am Abend als das Meiste zusammengepackt und die letzte Wäsche im Trockner war ließ ich mich erschöpft neben Mel auf die Couch plumpsen. Wir beide hatten uns noch um den Garten gekümmert und ich hatte beobachtet wie Mel einen Zauber wirkte der die Pflanzen resistenter gegen das warme Wetter in den nächsten Tagen machen sollte. Oft war ich sehr neidisch darauf auf keine einzige Magiequelle Zugriff zu haben, aber es war allein schon ein Segen mit Leuten befreundet zu sein die das konnten. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich schwer in der Lage gewesen an einen Talisman zu kommen.

Ich nahm den blauen Stein der zwischen meinen Brüsten baumelte zwischen meine Finger und betrachtete ihn genauer. Es kam mir so vor als würde mich die blauen Augen von Almonda durch den Stein beobachten doch ich versuchte dieses Gefühl zu ignorieren.

„Bist du sehr nervös?"

Mein Blick wanderte zu Mel die ihren Kopf in den Nacken gelegt hatte und mich beobachtete. Ich überlegte kurz ehe ich antwortete.

„Ich weiß nicht so recht. Unter normalen Umständen nein. Aber was ist denn schon zurzeit normal?"

Mel schnaubte belustigt.

„Da hast du recht.", sagte sie bedeutungsschwer. Ich wüsste gerne was sie die letzten Tage durchgemacht hatte, aber sie unterstand einer gewissen Schweigepflicht und ich wollte, dass sie von sich aus erzählte was sie belastete.

„Denkst du den Wölfen wird meine Anwesenheit auffallen?", fragte ich.

„Nicht wenn du den Talisman trägst. Ich kenne keine andere so talentierte Hexe wie meine Großmutter. Und wenn sie es doch rauskriegen sollten müssten sie erstmal gegen uns ankommen."

Ich hob einen Mundwinkel.

„Du hast angst das er dich finden wird oder?"

Ich hatte vor einigen Leuten Angst. Vor meiner Familie, vor den Amalons und ganz speziell vor Nico und Ben. Aber ich durfte nicht zulassen das die Angst mich übermannte.

„Das Einzige vor dem ich Respekt habe ist mein Vater. Er ist immerhin der Einzige vor dem ich mich am Ende rechtfertigen muss."

Mel nickte besorgt. Ihr gefiel der Plan das ich am Ende mit Lupras sprach nicht, aber es war mit Abstand sicherer als ihn auf dem Rudelgelände damit zu konfrontieren.

„Ich geh jetzt nach oben. Schlaf gut.", sagte ich bevor wir das Thema vertiefen konnten. Mel wünschte mir eine gute Nacht ehe ich nach oben ging.

Müde und geschafft blickte ich mich in meinem Zimmer um. Ich fühlte mich gerädert und immer noch so überfordert das ich nicht wusste wohin mit mir. Ich beschloss morgen früh zu duschen und zog mir schnell meine Schlafsachen an ehe ich ins Bett stieg. Mir würde es sicherlich schwer fallen einzuschlafen, wenn ich nicht vorher draußen den Mond betrachten konnte um meine Gedanken zu sortieren. Aber heute würde Almonda im Wohnzimmer schlafen und ich wollte sie nicht unnötig wecken, wenn ich auf die Terrasse raus wollte.

Also blieb ich liegen und versuchte trotz allem zu schlafen. Denn alles war besser als meinen wirren und zu lauten Gedanken nachzuhängen.





Mein Kopf tat ununterbrochen weh und mein Vater übernahm meine letzten Termine kurz bevor das Fest startete. Ich hatte mit den anderen eine Kundgebung für das Rudel verfasst welche besagte das sich niemand an die Oberhauptfamilien wenden durfte, es sei denn sie sprachen einen direkt an. Alle Angelegenheiten die diese Familien betrafen würde nur noch von der oberen Führungsregie übernommen werden. Wir hatten sogar eine namentliche Liste aufgeführt und die Patrouillen an deren Hauptsitze dezimiert sodass die anderen Wächter diese übernehmen mussten.

Mir wurde zwischenzeitlich immer wieder schwummrig und ich war sehr gereizt. Ich schämte mich für mein Verhalten. Aber ich konnte gerade nichts dagegen tun. Ich saß in meinem zerstörten Nebenzimmer im Schloss und versuchte meine Sinne mit genügend Whisky zu betäuben. Aber wie immer war auf die wölfischen Organe kein verlass, denn sie bauten den Alkohol so schnell wieder ab das die Kopfschmerzen immer wieder in Schüben zurückkehrten.

Es spukten regelmäßig graue Augen in meinem Kopf herum und der Gedanke das ich ein verdammtes Arschloch war. Ich versuchte mir immer wieder zu sagen das ich nicht nach ihr suchen durfte. Das ich Nico nicht in Gefahr bringen würde. Doch irgendwas in meinen Inneren spannte sich so sehr an das ich befürchtete das es mich, wenn es zu spät war, zerreißen würde.

Ich betrachtete den letzten Schluck Whisky in meinem letzten ganz gebliebenen Glas ehe mich erneut die Wut packte. Brüllend schmiss ich es gegen die Wand und betrachtete wie es einen hässlichen Fleck auf der Wand hinterließ. Es würden sicherlich nicht die letzten Scherben in diesem Raum sein.

Mein Körper zitterte voller unterdrückter Emotionen und ich fing an mich und mein Handeln immer mehr zu verurteilen. Ich war besser als das. Hatte immer den Überblick. Einen Plan und war für so viele Leben verantwortlich. Aber wenn es um mein eigenes Glück ging zerrann mir alles zwischen meinen Fingern.

Meine Haut juckte und ich spürte die wölfischen Instinkte aufsteigen und beschloss mich nicht mehr zu wehren. Ich würde aufhören zu kämpfen. Es einfach geschehen lassen und versuchen es nicht noch schlimmer zu machen. Sollen doch alle einfach ohne mich weitermachen. Ich hatte die Nase voll!

Meine Muskeln dehnten sich, mein Körper veränderte sich und ein stechender Schmerz im ganzen Körper ließ mich kurz vergessen wer ich war ehe ich auf starken Beinen aufkam. Ich schüttelte meinen Körper und sorgte dafür das die verblieben Fetzen an meinen Leib runterfielen.

Ich wollte mich nicht mehr den menschlichen und dummen Hoffnungen stellen. Ich trottete aus dem Zimmer und betrachtete mit geschärftem Blick meine Umgebung. Ich hatte mich seit einer Weile nicht mehr gewandelt und das Gefühl meiner anderen Gestalt vermisst. Mein Körper strotze vor Kraft und meine Sinne waren so überspannt das ich mich schwer auf andere Dinge konzentrieren konnte.

Ich lief mit leisen Pfoten durch die Flure und öffnete eine der Gartentüren in den unteren Etagen. Ich wollte raus. Weg von dem Gebäude wo die Erinnerungen zu frisch waren. Der Schmerz zu tief. Ich lief auf den Wald zu und ich lief lange einfach nur weiter. Ohne Ziel. Einfach weiter und weiter bis meine Lungen brannten, der Wind um mein weißes Fell peitschte und meine Augen tränten.

Ich wollte weg von all dem. Weg von den Gefühlen die eine Person in mir hervorgerufen hatte und mir nun nicht wieder nehmen konnte. Weg vor der Verantwortung die man mir auferlegt hatte. Weg vor der Angst die mich seit dem Wochenende begleitete. Weg von all den Problemen die ich nicht lösen konnte, denn die Götter hatten mich mit einer Gefährtin beschenkt die mich nicht wollte. Oder sie hatten mich mit Gefühlen bestraft die niemand erwidern konnte.

Egal wie man es drehen und wenden wollte, ich blieb der Idiot der zurückgelassen wurde und alles nur verschlimmerte.

Ich kam schnaufend auf einer Lichtung fern des Dorfes an und versuchte meine Atmung zu regulieren. Ich durfte nicht aufgeben. Ich sollte weiterkämpfen und mir mein Glück zu verdienen! Aber gerade tat alles nur noch weh und ich sah keinen Ausweg. Lupras Worte spielten sich wie ein Mantra in meinem Kopf ab und ich hätte sie mir am liebsten aus dem Kopf verbannt. Doch immer wieder hörte ich ihn.

„Sie ist meine genetische Tochter."

„Ich werde mir nie verzeihen das ich Luana oft im Stich gelassen habe."

„Luana kann sich nicht in einen Wolf verwandeln."

Ich schüttelte frustriert meinen Kopf und versuchte mich auf etwas anderes zu konzentrieren.

„Weil Luana das Band nicht spürt."

„Sie hat es getan. Sie hat danach gesucht und mir vertraut. Und nichts gefunden."

Nicos Stimme vermischte sich mit der meines Vaters. Als würden beide mir vorwerfen das ich an all diesen verwirren Geschehnissen schuld sei. Das es in meiner Verantwortung läge auf alles eine Antwort zu haben. Aber ich wusste es doch nicht! Ich hatte nach Antworten gesucht und nur noch mehr Fragen gefunden. Ich wollte gerade nicht mehr suchen. Wollte nicht mehr um jemanden kämpfen der das alles gar nicht wollte.

Ich ließ mich kraftlos auf den Boden fallen. Ich wollte bloß ein wenig Ruhe. Abstand von dem Schmerz und etwas schlafen. Meine Augen fielen träge zu und ich konzentrierte mich auf die Geräusche um mich herum, denn meine Gedanken waren immer noch viel zu laut.

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