Kapitel 6: Der Zirkel beginnt von Neuem

„Ein Inspektor Sullivan war mit zwei seiner Kollegen hier und hat das ganze Haus durchsucht", berichtete das Mädchen am Abend, während sie Frederik das Essen auftrug. Sie war sichtlich froh, dass er überhaupt etwas ass. „Die Herren Polizisten schienen mir sehr gründlich zu sein, aber gefunden haben sie nichts."
Frederik seufzte. Ein Einbrecher, der keine Spuren hinterliess oder ein lüsterner Apfelbaum... Eine Erklärung war so absurd wie die andere.
Fest stand, dass er in nächster Zeit nicht wieder in seinem Studierzimmer oder gar dem Gewächshaus nächtigen würde, auch wenn sich sein Herz bei dem Gedanken an das halbverwaiste Ehebett schmerzhaft zusammenzog. Seit Monaten hatte er nicht mehr darin geschlafen, es schien ihm so kalt und leer ohne Eleanores warmen Körper an seiner Seite und er hatte sich einfach nicht daran gewöhnen können. Aber was blieb ihm anderes übrig?

Nachdenklich betrachtete er die kleine, braune Laudanumflasche auf dem Nachttisch. Es war sein erster Impuls gewesen, sie noch einmal zu bemühen, um die ganze Sache einfach vergessen zu können. Sein zweiter Impuls war gewesen, die Flasche an die Wand zuwerfen, sie zu zerschmettern, denn genau so, mit dem Wunsch nach Vergessen, hatte das alles doch überhaupt erst angefangen und Frederik hatte bemerkenswert wenig Lust darauf, dass ihm plötzlich auch ein Bettpfosten oder die Kommode Avancen machte.
Er folgte keinem der beiden Impulse, sondern liess das Fläschchen in der obersten Schublade des Nachtkästchens verschwinden und entzündete stattdessen mit geübten Handgriffen die kunstvoll gearbeitete Opiumpfeife. Nachdenklich sass er rauchend auf der Bettkante.
Als schliesslich nur noch ein verkohlter Klumpen Dross von dem Opium in der Pfeife zurück geblieben war, schwang er sich in Bett und liess sich in die Kissen zurück fallen.
Trotz der Betäubenden Wirkung des Opiums, fühlte er einen Stich in seinem Herzen, als sein Blick auf die leere Seite des Bettes fiel. Fast war ihm, als könnt er Eleanores Parfum - ein zartes Bouquet aus Rosen, Jasmin und Magnolienblüten - riechen.
Er erinnerte sich an ihre federleichten Berührungen und liebevollen Küsse, als wäre es nicht mehr als ein Jahr her, dass sie gemeinsam das Bett geteilt hatten. Sie im Arm zu halten war in gewisser Weise erfüllend gewesen, nicht auf lustvolle, sündige Art, wie die Umarmung, die heissen Küsse des Jünglings es gewesen waren, sondern in ganz anderer, liebevoller Weise.
Doch beide Arten der Erfüllung, die reine wie auch die sündige hatten ihn doch nur leer und sehnend hinterlassen.
Zu Eleanorens Bouquet mischte sich ein Hauch von Apfelduft, gerade so, als hätte jemand einen aufgeschnittenen Apfel neben sein Kopfkissen gelegt. Tief atmete Frederik ein.
In dem Duft lag das Versprechen von Zärtlichkeit und Trieb, von Lust ohne Liebe. Ein Versprechen, das ihn einmal mehr leer hinterlassen würde, doch konnte Frederik nicht verhindern, dass Bilder der Erinnerung durch seinen sedierten Verstand zogen und seine Wangen gerötet und heiss hinterliessen.
Er versuchte, an etwas anderes zu denken, doch das Bild der vollen Lippen des Jünglings drängte sich sofort wieder in seinen Geist. Das Gefühl zarter Küsse und kleiner Liebesbisse an seiner Schulter, während die Hände des Jünglings die leise Stimme der Vernunft zum Verstummen brachten, jeden Gedanken fort wischten, ihn in den Wahn trieben, liessen ihn nicht zur Ruhe kommen.

Endlich schwang er sich aus dem Bett und wankte hinunter zum Gewächshaus, wo der Apfelbaum in der Abenddämmerung darauf wartete, dass der Zirkel von Neuem begann.

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