Kapitel 7
Der Mittwochmorgen sollte mit Deutsch beginnen, doch Herr Mohrbeck verkündete, dass Herr Ferline krank war und wir nun Chemie hatten. Müde liefen wir zwei Stockwerke runter in den Chemiesaal.
"Wieso konnten wir keine Freistunde haben?", beschwerte sich Lasse.
"Ja, rein technisch gesehen geht es gar nicht, weil wir Deutsch als Leistungsfach haben und Chemie nur als Grundfach!", maulte Frederick. Ich lief zwischen den Jungs, beteiligte mich aber nicht am Gespräch.
"Jetzt hört auf euch zu beschweren und kommt rein!", Herr Heißmann lehnte schon wach und gut gelaunt an der Tür.
"Das können Sie nicht machen! Haben Sie nicht Unterricht oder so?", attackierte Alex ihn.
"Ja, um genau zu sein hätte ich jetzt euch, wenn ihr endlich reingehen würdet!", sagte er grinsend.
"Das geht nicht!", protestierten die anderen.
"Jetzt macht keinen Aufstand und geht rein. Wieso könnt ihr nicht mehr sein wie Everly? Die steht einfach da, beschwert sich nicht und wartete darauf dass der Unterricht beginnt.", Herr Heißmann schenkte mir ein warmes Lächeln. Ich erwiderte es schüchtern und sah zu Boden. Mein Selbstbewusstsein lies sich in letzter Zeit nicht oft blicken. Anni, Julie, Aly und Lulu musterten mich missbilligend. Anni verzog sogar das Gesicht und sagte etwas, woraufhin die anderen Mädchen lachten. Selbst Tascha hatte ein Auge auf Herr Heißmann geworfen, obwohl die Trennung von Denny da er nun auf eine andere Schule ging, nicht lange her war. Erneut lachten sie. Ich ignorierte es und lenkte meine Aufmerksamkeit auf Niki, der Marian die Flasche weggenommen hatte und hoch hielt. Mit seinen 1,60 Meter kam er an Nikis 1,90 Meter nicht dran, was witzig aussah.
"Niki du Lauch, wirf rüber!", rief Lasse und fing die Flasche auf.
"Man Leute, jetzt lasst es!", beschwerte sich Marian.
"Pass rüber!", kam es von Joshua, der schon im Zimmer stand. Lasse warf die Flasche zu Joshua, welcher sie im Papierkorb am anderen Ende des Chemiesaals versenkte.
"OOOHHH!", schrien die Jungs im Chor. Ich saß schon an meinem Platz und lachte mit.
"Jetzt beruhigen wir uns wieder.", versuchte Herr Heißmann es, doch die Jungs waren außer Rand und Band.
"Wir haben eh keine Chemiesachen dabei.", meldete sich Anni.
"Das ist nicht schlimm, ich habe schon alles geplant und berücksichtigt.", antwortet Herr Heißmann ruhig. Sein Blick lag auf unserer Hälfte des Zimmers, wo die Jungs immer noch Chaos machten.
"Setzt ihr euch bitte hin! Joshua! Hinsetzen! Hört er mich nicht? Joshua!"
Joshua rückte seine Brille zurecht und setzte sich mit überschlagenen Beinen hin.
"Ja, bitte?", fragte er brav und setzte einen interessierten, aber auch unschuldigen, Blick auf.
"Das gibt's doch gar nicht.", Herr Heißmann sah zur Decke und versuchte dann Alex dazu zu bringen seinen Mund zu halten. Kaum hatte er diese Aufgabe bewältigt kam er zu uns in die letzte Reihe. Der Platz rechts von mir war frei, links unterhielten sich Lasse und Frederick angeregt über ein Mädchen. Herr Heißmann stellte sich vor sie, doch von ihnen kam keine Reaktion. Er sah zu mir.
"Merken die das nicht?", lachte er. Seine blauen Augen funkelten intensiv, als er sich zu uns runter beugte. Ich zuckte mit den Schultern. Herr Heißmann stützte sich mit den Händen auf unserem Tisch ab und sah die Jungs eindringlich an. Sie verstummten. Er drehte seinen Kopf zu mir und lächelte selbstsicher.
"Geht doch.", dabei zwinkerte er mir zu und stellte sich wieder aufrecht hin.
"Sssccchhh, bevor ihr euch beschwert, wir schauen einen Film!", verkündete er laut. Ein Jubeln ging durch die Reihen. Herr Heißmann lief nach vorne und fuhr die Leinwand runter. Während der Computer hoch fuhr lehnte er am Tisch und zupfte sein dunkelblaues Hemd zurecht. Er hatte es in seine Jeans gesteckt, weshalb man den dominanten Gürtel, mit der silbernen Schnalle, sah. Der Beamer reagierte nicht auf die Fernbedienung, weshalb Herr Heißmann einen Stuhl holte und ihn von Hand anmachte. Dabei rutschte ihm sein Hemd wieder aus der Hose und entblößte den Rand seiner türkisen Hugo Boss Boxershorts. Joshua pfiff durch die Zähne und ein Lachen brach aus. Herr Heißmann zog schnell sein Hemd wieder runter und stieg vom Stuhl.
"Eigentlich habt ihr keinen Film verdient.", dennoch startete er eine Dokumentation über Bear Grylls Überlebenstipps. Vin meldete sich.
"Und was genau hat das mit Chemie zu tun?"
"Gar nichts.", antwortete Herr Heißmann, nahm sich das Klassenbuch und lief nach hinten. Doch anstatt sich in eine der freien Reihen zu setzen, machte er es sich auf dem Platz neben mir bequem. Er schlug das Klassenbuch vor sich auf, sah zu mir rüber, lächelte mich an und trug dann etwas ein. Er rutschte auf dem Stuhl hin und her, weil er zu niedrig für einen Mann seiner größer war. Herr Heißmann ließ seinen Blick immer wieder über die Klasse wandern und auch zu mir. Da er nicht still sitzen konnte berührten sich unsere Ellbogen und ich konnte sein Bein an meiner Wade spüren.
"Verflucht sei die letzte Reihe.", murmelte ich.
"Was?", er drehte sich zu mir und unsere Gesichter trennten nur wenige Zentimeter.
"Nichts, nichts. Alles gut.", versicherte ich ihm.
"Sicher? Ich habe nur was mit verfluchen gehört.", diesmal lächelte er nicht. Seine Augen waren aus diesem Winkel groß und dunkelblau. Vielleicht lag es am verdunkelten Raum oder daran, dass Bear Grylls gerade versuchte eine Kokosnuss zu öffnen, aber irgendwas kam mir vertraut vor. Herr Heißmann merkte wohl selbst dass wir uns zu lange ansahen und richtete seine Augen wieder nach vorne.
"Ja, alles gut.", flüsterte ich und drehte meinen Kopf langsam wieder nach vorne. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er sich wieder mir zugewendet hatte.
"Dann ist gut.", lächelte er zaghaft. Die restliche Dokumentation über saßen wir schweigend nebeneinander. Herr Heißmann hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und die Arme verschränkt. Doch unter den massiven Tischen hätte man sehen können, dass sich unsere Beine immer noch berührten, wenn sie keinen Sichtschutz hätten. Wir trugen beide Jeans, doch ich konnte seine Wärme spüren. Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen wie falsch das alles war. Alles was ich mit Herr Dumond hatte, was wir gemacht hatten, selbst diese kleine Berührung mit Herr Heißmann war so unendlich falsch. Das wussten wir alle. Dennoch machte keiner von uns beiden die Anstalt sich zurückzuziehen.
Als die Dokumentation zu Ende war, stand Herr Heißmann auf und lief nach vorne. Ich hatte das Gefühl nach fast neunzig Minuten wieder aufatmen zu können und mir wurde merkwürdig kalt. Als ob seine nahe Präsenz eine Auswirkung hatte. Die Klingel ertönte und es folgte eine Durchsage.
"Der Jahresbericht wird nun vor dem Lehrerzimmer verkauft.", verkündete unser Direktor Herr Ziesmer.
Natürlich kaufte ich mir ein Exemplar. Neugierig drängelten sich die Jungs um mich herum um zu lesen, was drinnen stand. Hauptsächlich interessierten sie die Klassenfotos. Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass sie auf dem Bild gut aussahen, ließen sie mich stehen. Ich blätterte durch die Informationen des letzten Schuljahres, über die Klassenfotos, bis hin zu den aktuellen Informationen. Dort stieß ich auf die Steckbriefe der neuen Lehrerinnen und Lehrer. Ich überflog sie kurz, eine Frau Weiß, Herr Thomas der nun fest eingestellt war und Herr Heißmann natürlich. Neben seinem Namen lächelte er mir auf einem Bild entgegen. Eine Gruppe von Mädchen stand neben mir und schauten auch in ihre Jahresberichte.
"Oh mein Gott, da ist er!", kreischte eine. Ich schätzte sie zwischen 12 und 15 Jahre alt.
"Oh mein Gott, ja!", kreischte nun eine weitere.
"Er ist so heiß!", eine dritte fächelte sich Luft zu.
"Wie kann Herr Heißmann nur so süß sein?!", kam es wieder von der ersten.
"Ich bin so neidisch auf euch, dass ihr bei ihm Unterricht habt!", meinte die, die den Jahresbericht in der Hand hielt. Sehnsüchtig sah sie sein Bild an.
"Ich bin voll schlecht in Englisch. Aber vielleicht kann er mir ja Nachhilfe geben.", die dritte grinste und streckte dabei ihre Zunge raus.
Ich wendete meinen Blick ab. Ging es mir bei Herr Dumond damals genau so? Ich hatte mich doch reifer benommen. Zumindest ging ich davon aus. Tipps konnte ich den Mädchen keine geben. Es war dumm sich an einen Lehrer ranzumachen. Und erst recht, mit der Masche schlecht zu sein. Man musste ihm zeigen, dass man das Fach mochte und versuchte sein bestes zu geben. Am Ende des Tages waren Lehrer immer noch ganz normale Menschen. Männer mit Bedürfnissen, Trieben. Ich konnte es selbst nicht fassen, dass Herr Dumond und ich uns näher gekommen waren und wirklich ein Verhältnis hatten. Sonst hörte man sowas nur aus den USA oder aus der Zeitung. Doch ich hatte es am eigenen Leibe erfahren und genossen. Herr Heißmann lief gerade an mir vorbei ins Lehrerzimmer. Sein Blick fiel auf die aufgeschlagene Seite und er schenkte mir ein freches Lächeln. Ich verdrehte die Augen und las mir durch was dort über ihn stand.
"Hm, Philipp Heißmann, 27 Jahre alt, Familienstand ist ledig, er unterrichtet Englisch, Chemie und Naturwissenschaften. Seine Hobbies sind dirigieren, Tennis spielen und Trompete spielen. Okay, das waren interessante Hobbies. Sein Lieblingsfilm ist Johnny Englisch, am liebsten isst er italienisch, er hatte keine Lieblingsmusik, sein Lieblingsreiseziel war Australien und er hatte keine Haustiere."
Bei den Fragen musste ich schmunzeln.
"Warum sind Sie Lehrer geworden? "Weil es mir Spaß macht zu unterrichten und die weite Welt der Chemie zu zeigen.""
"Wie gefällt Ihnen die Schule? "Mir gefällt die Schule sehr gut. Die vielen Treppen sind auch toll.""
Wie es wohl war ihn zu interviewen? Bestimmt witzig. Ich blickte noch ein letztes Mal auf sein Bild, dann packte ich den Jahresbericht weg.
Im Kunstunterricht ließ mir der Bericht jedoch keine Ruhe. Ich holte ihn erneut hervor.
"Everlyyyy, nicht die ganze Zeit lesen, arbeiten!", motzte Lasse.
"Jaja.", sagte ich geistesabwesend.
Ich blätterte zur letzten Seite, wo das Lehrergruppenbild war. Herr Dumond saß in der ersten Reihe, Herr Heißmann stand in der letzten. Beide strahlten. Von einem war ich es gewohnt. Herr Dumond machte es jünger, wenn er lächelte. Ich schaute immer wieder zwischen den beiden hin und her. Jeder hatte etwas. Herr Heißmann war jung und attraktiv, ein Sonnenschein. Herr Dumond war schon reifer und erfahrener. Jeder einzelne war auf seine Art und Weise perfekt. Ich blätterte zur Mitte des Jahresberichts. Ein Bild des Abiturjahrgangs von der Abigala. Dort stand mein Freund in der dritten Reihe und schaute in die Kamera. Er lächelte kaum. Ich erinnerte mich an unseren ersten Kuss, wie süß er am Anfang der Beziehung war. Er war anhänglich und wollte jede freie Minute mit mir verbringen. Nach nur zehn Monaten wurde es zum Gegenteil. Ich vermisste diese Zeit.
Frau Hollunder lenkte unsere Aufmerksamkeit auf sich. Wir besprachen nun die nächsten Schritte für unser Aquarellbild. Mein Himmel war zu dunkel, das blau war zu intensiv. Ich nannte es 'Himmel über Kreta', da er dort so intensiv blau war. Doch bei näherem Betrachten erinnerte er mich eher an Herr Heißmanns Augen. Ein trauriges Lächeln lag auf meinen Lippen, während ich meinen Pinsel wusch. Ich hatte mich in bernsteinfarbene Augen verliebt, liebte grüne und gefallen hatte ich an himmelsblauen. Das Leben wurde mir zu bunt.
Die letzten zwei Stunden Mathe waren im Gegensatz ziemlich grau und trüb. Ich wünschte mir mein Farbenchaos zurück.
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