Kapitel 6

Ich hatte extra gut für den Englischkurztest gelernt. Damit wollte ich mich selbst stolz machen und nicht Herr Dumond. Wenn ich ehrlich war, wollte ich ihm beweisen dass ich gut war und das ich es konnte. Auch wenn ich nicht daran zweifelte, dass er jenes bereits wusste. Und vielleicht gab ich mir auch mehr Mühe als sonst, weil es sein Geburtstag war.

Ich war am Ende des Tests angekommen und musste nur noch ein Lücke ausfüllen. Immer wieder schielte ich zu Herr Dumond. Ich erwartete dass heute alles anders war. Dass er anders aussah als sonst oder sich verhielt. Immerhin war es sein Geburtstag. Ich erwartete auch eine Reaktion nach meinem Abgang. Aber es kam nichts. Alles war wie immer. Lasse neben mir war am verzweifeln. Ich schrieb das letzte Wort nieder und gab dann ab.

Er war zu ruhig. Der Mann führte irgendetwas im Schilde und ich wusste nicht was. Ich fühlte mich schuldig weil ich mir mehr Gedanken um meinen Lehrer machte und nicht um meinen Freund, der mich zum wiederholten Mal versetzt hat.

"Ich verstehe es einfach nicht. Wieso kann er sich nicht Zeit für mich nehmen?", beschwerte ich mich bei Lasse, in der Pause.

"Leon hat gerade einfach viel um die Ohren.", er zuckte mit den Schultern. Ich seufzte und biss in meine Brezel. 

"Wieso so traurig, Everly?", kam es von Frederick, der sich mit einem Kakao zu uns setzte. Niki und Leo gesellten sich auch zu uns.

"Ich vermisse Herr Fein.", wechselte ich das Thema.

"Ich auch. Er wäre voll der coole Chemielehrer gewesen!", kam es von Leo. Sie schnappte nach Luft, dann überkam sie ein schrecklicher Raucherhusten. Ihr kurzes schwarzes Haar hing schlaf runter und hinter der Nerdbrille tränten ihre kleinen Augen.

"Was glaubt ihr wie es ihm geht?", fragte ich in die Runde.

"Ich hoffe ihm geht es gut. Voll krass, dass ausgerechnet er eine Nervenkrankheit hat.", antwortete Frederick.

"Ich habe gehört, dass man davon sterben kann.", fügte Leo hinzu.

"Wieso trifft es immer die guten Menschen?", seufzte Niki.

"Ja..."

"Ey Lasse, hast du Papes?", richtete sich Niki an Lasse.

"Ja, wieso? Drehst du wieder selber?"

"Ja, Mann. Konnte bisschen was besorgen."

"Geil. Aber gib was davon ab, Bruder."

"Klaro."

"Lasst heute nach der Schule raus gehen.", kam es von Leo.

"Kann nicht, muss arbeiten.", sagte Frederick. Die anderen sagten zu. Bei solchen Fragen wurde ich nicht einbezogen, denn ich rauchte nicht.

Auch dieser Schultag neigte sich dem Ende. Am Nachmittag saß ich Zuhause und machte Hausaufgaben. Meine Gedanken flogen immer wieder zu Herr Dumond. Es kribbelte mir in den Fingern meine alten Tagebücher rauszuholen und zu lesen, was damals alles passiert war. Doch ich würde mir damit nur Salz in die Wunde streuen und alte Gefühle erwecken, die ich sicher weggeschlossen hatte. Er riskierte meine Beziehung und meinen Frieden. Ich hatte wohl doch nicht so gut mit ihm abgeschlossen wie ich dachte.

Der Abend zog sich und ich konnte nicht aufhören nachzudenken. Als ich einschlief träumte ich seit langem wieder von Marc. Nicht von Herr Dumond. Sondern Marc. Ich stand in seinen Armen und er war den Tränen nahe.

"Es tut mir so leid.", flüsterte er.

"Ich bereue es.", flüsterte er weiter.

"Bitte lass es uns wieder versuchen.", er sah mich flehend an.

Noch bevor ich antworten konnte wachte ich auf. Ich hätte mich selbst ohrfeigen können, denn meine Antwort wäre ohne zu zögern 'ja' gewesen.

"Und Everly, wie war dein Wochenende?", fragte mich Frederick am Montagmorgen.

"Schön. Leon und ich hatten Zehnmonatiges. Und du kannst dir sicher denken was wir gemacht haben.", entgegnete ich gut gelaunt.

"Oh ja, das kann ich.", Fredericks blaue Fuchsaugen blitzten schelmisch.

"Morgen.", Lasse kam zu uns und gähnte. Frederick schnappte sich seine weiße Adidas Kappe und rannte weg.

"Freddy du Fotze, komm sofort zurück!", rief er. Frederick machte keine Anstalt ihm seine Kappe zurückzugeben, weshalb Lasse hinterlief.

"Debil blyat, gib mir meine Kappe!"

"Hol sie dir doch!", Frederick rannte hinter einen Tisch.

"Ich schwöre dir, dich fick ich ohne Butter!", drohend hob Lasse den Zeigefinger.

"Nein Daddy, nicht der Gürtel!", kreischte Frederick.

Phillip gesellte sich zu mir.

"Der tägliche Wahnsinn."

"Jup."

Wir schauten dabei zu, wie Lasse seine Kappe zurück bekam und Frederick eine klatschte. Der Unterricht hätte schon vor fünf Minuten beginnen sollen, doch von Herr Dumond fehlte jede Spur. Ob er jemals pünktlich sein würde? Zu unserer Überraschung kam der stellvertretende Direktor die Treppe hoch.

"Ihr hättet jetzt Englisch?", fragte der alte, grauhaarige Mann.

"Ja.", antworteten wir im Chor.

"Der Herr Dumond hat sich krank gemeldet. Ich schließe euch das Zimmer auf und ihr macht dann die Aufgaben, die er vorbereitet hat.", unser 63 jährige Co-Direktor führte den Schlüssel zitternd zum Schlüsselloch. Ich war mir sicher, er zählte schon die Tage bis zur Rente.

Sobald alle an ihren Plätzen saßen teilte Herr Mohrbeck die Aufgabenblätter aus. Die Aufgabenstellung war typisch für Herr Dumond. Ein Essay. Wir hatten die Auswahl zwischen drei Themen.

1. A day that changed your life

2. A person that changed your life

3. If you could go back in time, what would you change?

Die meisten entschieden sich für das dritte. Frederick wollte darüber schreiben, dass er Hitler getötet hätte, um dann selbst an die Macht zu kommen. Es war klar, dass die meisten die Aufgabe nicht ernst nahmen. Doch ich überlegte wirklich, über was ich schreiben sollte. Ich hatte die Idee, ein neutralen Text zu schreiben. Über ein Geschehnis, welches mein Leben veränderte ohne klar zu machen was es war, sondern nur in wie fern es mein Leben und mich beeinflusst hatte. Dann konnte er sich selbst zusammenreimen was und wer damit gemeint war. Selbstsicher griff ich nach meinem Füller. Das wurde die Geschichte meines Lebens, Baby.

Am Ende der Doppelstunde lagen fünf beschriebene Blätter vor mir. Ich war stolz. Herr Mohrbeck sammelte die Essays ein.

"Wie einsammeln?", plötzlich rutschte mir das Herz in die Hose.

"Herr Dumond will sicher gehen, dass jeder gearbeitet hat."

"Fuck.", kam es von Lasse neben mir. Dieser hatte gerade mal vier Sätze geschrieben. Ich war doch nicht mehr so selbstsicher. Ich dachte wir würden sie in der nächsten Stunde vorlesen und dass ich mich davor drücken konnte. Aber nein, Herr Mohrbeck nahm meinen Essay und legte ihn auf den Stapel.

"Herr Dumond bleibt voraussichtlich die ganze Woche Zuhause.", mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Unterhaltung hatte er nun. War er wirklich krank? Oder hatte er seinen Geburtstag am Wochenende zu groß nachgefeiert? Ich würde es wohl nie erfahren.

Der Geschichtsunterricht interessierte mich nicht wirklich, aber mir war jede Ablenkung recht. Wieso hatte ich nur das Thema gewählt? Es war peinlich wie detailliert und voller Herzblut ich meine Gefühle niedergeschrieben hatte. Verflucht war die Autorin in mir! Vielleicht merkte er ja nicht, dass es von ihm handelte? Ich ließ meinen Kopf auf den Tisch knallen. Wie verzweifelt kam der Text rüber? Und dann hatte ich auch noch den Traum mit eingebracht! Vielleicht ließ er sich die Aufsätze nicht mal durch. Oder wie ich ihn kannte, las er sich ausgerechnet meinen durch.

Nach Französisch und Deutsch war die Schule vorbei und ich konnte die kleine Präsentation für Französisch vorbereiten. Diese musste ich am Nachmittag des nächsten Tages halten. Ich redete über ein Buch, welches mir sehr gut gefiel. Lasse präsentierte ein Videospiel und so trat einer nach dem anderen unseres Französischkurses vor. Außer Xander, der hatte nichts vorbereitet. Frau Osterwiek hielt ihm eine Standpauke, die ihn sichtlich wenig interessierte. Ich war froh, dass der Vormittag ruhig und die Präsentation gut verlaufen war.

Zuhause angekommen zog ich mich um und kuschelte mich in mein Bett. Während ich durch meinen Instagramfeed scrollte ploppte eine Nachricht auf. Ich fror in meiner Bewegung ein und las immer wieder die kurze Nachricht.

Der Essay ist dir gut gelungen. Interessantes Thema und gute Wortwahl. Respekt

Sollte ich antworten? Eigentlich konnte er mir egal sein. Was fiel ihm ein außerhalb der Schule Kontakt mit mir aufzunehmen?! Aber es war unhöflich nicht zu antworten. Das hatte mich bei seiner letzten Nachricht nicht wirklich interessiert, ich hatte ihm nichts zu sagen. Eigentlich hatte ich ihm sehr viel zu sagen, doch es hatte keinen Sinn. Ich schluckte schwer und tippte ein einfaches

Danke

Ich pfefferte mein Handy in meine Nachttischschublade und zog mir die Bettdecke über den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein! Dann holte ich es wieder raus und schrieb Leon eine Gute Nacht- Nachricht, so wie jeden Abend. Ich wartete noch kurz, bekam aber keine Antwort. Er schlief wohl schon.

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