Kapitel 5

Ehe ich mich versah war schon Freitag und die erste Schulwoche war fast um. Lasse und ich betraten am Morgen gemeinsam das Schulgebäude und begaben uns zum Erdkundesaal.

"Die Zeit fliegt, das ist nicht normal.", ich sah zu ihm rüber.

"Wenn die Zeit nur in der Schule so schnell vergehen würde."

Herr Pfann war schon da, Lasse und ich nahmen in der letzten Reihe platz, wo Frederick schon auf uns wartete.

"Ich dachte schon du lässt mich allein.", sagte er zu Lasse und warf ihn mit einer Packung Taschentücher ab. Lasse machte Knutschgeräusche.

"Und ich zähle nicht, oder was?", meinte ich und nahm neben Lasse platz. Niki und Lucas, die vor uns saßen, drehten sich um.

"Ja, du-", fing Frederick an. Niki imitierte Merkels Handzeichen.

"Weißt du Everly, du bist so klein, du zählst nur als halber Mensch. Du halbe Portion haha."

Ich verdrehte die Augen und zog das Erdkundebuch aus meinem Rucksack. Die Klingel ertönte und Herr Pfann begrüßte uns. Wir schauten zu Beginn einen Film über die Entstehung der Erde. Lasse beugte sich zu mir rüber, um mir was ins Ohr zu flüstern. Ich lehnte mich ihm entgegen.

"Da hat wohl jemand keinen Unterricht vorbereitet."

Ich lächelte nur, da Herr Pfann sich einen Stuhl nahm und sich hinter uns setzte. Wir sollten uns Notizen machen, doch kaum jemand notierte etwas. Ich sah zwischendurch zu Lasse neben mir, dieser hatte seinen Kopf auf seinen Ellbogen abgestützt und schlief wahrscheinlich. Seine langen, schwarzen Haare hatte er zu einem 'Man-Bum' gebunden, seitlich waren sie zwar kurz, aber schon rausgewachsen. Er hatte leichten Bartwuchs und trug neuerdings gerne Jogginganzüge. An diesem Tag war es der orangene von Adidas, dazu eine schwarze Bauchtasche. Die Jungs hatten Spaß daran, sich wie "Russen" anzuziehen, da sie der Meinung waren, dass jeder Russe im Adidasanzug rumlief und den ganzen Tag Vodka trank. Sie saßen oft in der Russenhocke, fluchten auf Russisch, aßen Semechki und nannten sich selbst "Slav". Lasses ungarische Wurzeln konnte man am dunklen Haar erkennen. Frederick war das Gegenteil. Ich musste widerwillig grinsen, wenn ich an meine Jungs dachte. Auch wenn sie manchmal unausstehlich waren und nervten, waren sie meine Freunde und ich liebte sie. Dies war mein letzter schöner Gedanke, einer nicht lehrreichen Erdkundestunde. Herr Pfann hinter uns stand auf und klatschte in die Hände.

"Sooo, ich wünsche euch ein schönes Wochenende. Bis nächste Woche."

Die Pause verbrachten wir gespannt vor dem Chemiesaal. Es war die erste Stunde beim neuen Chemielehrer. Alle Mädchen schwärmten von ihm. Er war jung, und wenn man Erzählungen glauben konnte, attraktiv und humorvoll.

"Ich verstehe nicht was alle so toll an Herr Heißmann finden, suka blyat.", Frederick tat so, als würde er auf den Boden spucken.

"Sein Name ist anscheinend Programm.", meldete sich Anni zu Wort.

"So heiß kann er nicht sein.", bestärkte Frederick seine Meinung.

"Außerdem bin ich auch sexy!", fügte er hinzu und riss sich seinen olivgrünen Hoodie vom Körper. Dabei entblößte er ein Fußballtrikot unseres Dorfklubs, welches locker auf seinem schlanken Körper saß. Seine Arme waren, wie sein Gesicht, mit Sommersprossen übersät.

Die Pause war zu Ende und gespannt warteten wir, wie der neue Lehrer wohl aussah. Lächelnd kam Herr Heißmann die Treppe runter. Er war groß, sehr groß, mindestens 1,90 Meter. Hatte kurzes braunes Haar, welches er wohl nicht geschafft hatte zu bändigen und leicht in alle Richtungen abstand. Vielleicht hatte er auch den "frisch aus dem Bett"-Look versucht. Aufjedenfall sah er aus wie ein Chemiker. Eigentlich ja wie ein junger Chemiestudent, Mitte Zwanzig, auf Lehramt, aber seit diesem Schuljahr ist er ein voll ausgebildeter Lehrer. Das blaues Hemd betonte seine schlanke Figur, dazu trug eine dunkelblaue Jeans und rote Converse. Eine Farbkombination die nicht zusammenpasste. Hatte er keine Freundin die ihn anzog? Frederick unterbrach meine Beobachtung.

"Okay, er ist heiß.", murmelte er neben mir und vergrub die Hände in seinen Hosentaschen. Ich musste lächeln. Herr Heißmann schloss die Tür auf und ließ uns herein. Er lehnte locker an der Tür und begrüßte uns. Unsere Blicke trafen sich für einen Moment und kurz starrte ich in das himmelblau seiner klaren Augen. Schnell senkte ich meinen Blick und stieß fast gegen Vin. Die einzigen Reaktionen die mich interessieren sollten, waren chemische und nicht was passiert wenn wir etwas anderes als Chemie machen sollten. Ich setzte mich zu Lasse und Frederick in die dritte Reihe. Noch während wir auspackten fing er an sich vorzustellen.

"Mein Name ist Philipp Heißmann, ihr könnt euch Wortwitze sparen denn es gibt keine die ich noch nicht gehört habe.", begann er grinsend.

"Das Fenster ist offen, aber es ist immer noch heiß hier. Ich rufe mal die Mafia an, ich habe gehört die machen Leute kalt.", sagte Joshua seelenruhig aus der ersten Reihe. Herr Heißmann stand wortlos da.

"Wow, also wirklich... wow. Das hat ein neues Level erreicht, Gott war der schlecht.", er schlug sich selbst auf die Stirn.

"Also ich fand ihn gut.", kam er von Joshua. Marian neben ihm klatschte ihn ab.

"Ich auch. Küsschen aufs Nüsschen."

"Danke, hübscher."

"Gerne, Süßer."

Herr Heißmann würde die Klasse und ihren Humor noch früh genug kennenlernen.

"Also, weiter im Kontext. Ich unterrichte Chemie, Naturwissenschaften und Englisch."

Ich hielt in meiner Bewegung inne. Noch so einer von der Sorte?, dachte ich sarkastisch. Danach folgte der Plan für die kommende Zeit. Als Einstieg wiederholten wir gelerntes der letzten Jahre. Herr Heißmann war tatsächlich nett und humorvoll. Doch dafür dass es lustig war, war es auch sehr laut, weshalb es schwer war sich zu konzentrieren. Trotzdem war es tausend Mal erträglicher als bei Frau Seifert. Vor allem weil er ein Augenschmaus war. Aber 'Frischfleisch' war immer so lange begehrt, solange es neu war, oder eben frisch. Im Gegensatz zu Herr Dumond war er hektisch und konnte nicht stillstehen, er redete schnell und schnipste beim nachdenken mit den Fingern. Mir wurde bewusst, dass ich ihn gerade mit Herr Dumond verglichen hatte. Dieser stand mir noch bevor. Frustriert ließ ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen, ich hatte keine Lust auf ihn. Zu meiner rechten befand sich der Gang und die Tischreihe in der Niki saß. Dieser holte gerade seine Wasserflasche raus. Herr Heißmann deutete auf ihn und dann auf ein Schild, dass neben dem Pult hing.

"Essen und Trinken ist in diesem Raum verboten. Hauptsächlich aus dem Grund, dass hier mit Chemikalien gearbeitet wird. Um eins klarzustellen, wer zu spät kommt oder isst oder trinkt, bringt mir zur Strafe eine Tafel Schokolade mit. Sollte man die vergessen, verdoppelt sich die Strafe. Und so immer weiter."

"Essen Sie die selber?", kam es von Alex.

"Herrgott, nein! Sonst käme ich ja nicht mehr durch die Tür. Ihr könnt euch nicht vorstellen wie viel ich nach nicht mal einer Woche Schule schon im Schrank habe!", lachte er, " Nein, manchmal verlose ich Tafeln nach einer Zeit. Das funktioniert so, dass wir uns ein Pferderennen anschauen, ich teile euch die Pferde zu und welches gewinnt, der bekommt eine Tafel Schokolade."

"Und wo genau ist dieser Schrank?", wollte Lucas verführerisch wissen.

"Vergiss es, der ist abgeschlossen.", grinste er.

Die anderen Mädchen himmelten ihn schweigend aus der erste Reihe an. Julie lachte bei seinen Witz zu laut und zu übertrieben, das merkte man weil sie sonst nie lachte. Mir entlockte er höchstens ein Lächeln, was ihn wohl zu wundern schien, da er mich mehrmals fragend ansah. Die Tatsache dass Chemie mein Hassfach war, konnte nicht mal ein attraktiver, netter Lehrer ändern.

"Dann lieber Englisch bei Dumond...", murmelte ich. Der Wunsch wurde mir schon bald erfüllt.

In Gedanken versunken bekam ich nicht mit, dass er mal wieder etwas lustiges erzählt hatte und alle lachten. Frederick beugte sich zu mir rüber und grinste.

"Er ist schon heiß, oder?"

"Joa, er ist okay.", antwortete ich.

"Okay?! Ich will ihn als Daddy!", er stöhnte gespielt mit hoher Stimme, was mir ein Lächeln entlockte. Ich blickte wieder zu Herr Heißmann.

"Hör auf meinen Senpai anzugucken!", kreischte Frederick. Ich schüttelte leicht mit dem Kopf und legte meinen Kulli in mein graues Mäppchen. Die Klingel erlöste uns. Ich hatte zwanzig Minuten, bis ich erneut Herr Dumond gegenüber stehen musste. Und diese waren zu schnell vorbei. Mich packte wieder eine Übelkeit. Diesmal saß ich mit Lasse in der zweiten Reihe, Sicherheitsabstand. Für wen auch immer. Herr Dumond stand vorne am Pult. Er trug einen dunkelblauen Pulli und eine blaue Jeans. Ich hatte mir nicht wirklich Gedanken gemacht und trug ein blaues T-Shirt von Hollister und dazu schwarze Shorts, da das Wetter schön war. War ihm nicht zu warm?

"Guten Morgen. Was gibt es schöneres, als mit einer Doppelstunde Englisch die Woche zu beenden und dann ins Wochenende zu starten? Richtig! Eine 'Lend me your eyes activity'! Macht aus wer Partner A und Partner B ist, Partner A dreht sich weg, ich zeige euch ein Bild, ihr beschreibt es eurem Partner und dann wechselt ihr. Nichts neues. Los geht's.", er klatschte freudig in die Hände. Ich drehte mich als erstes um. Lasse kniff die Augen zusammen und fing langsam an zu reden.

"Ähhh, in the picture there is a, no there are two birds and the one on the left says 'Plastic again?' and infront of them there is a table with a plate on it and on the plate there is plastic.", beschrieb er mit gespielten Akzent. Dann war ich dran. Ich saß mit verschränkten Armen und überschlagenen Beinen da.

"In the picture you can see the sea and there is a fish and the water is full of plastic and he is eating this plastic and yeah."

Als alle wieder nach vorne blickten zeigte Herr Dumond uns beide Bilder.

"What do you think is our topic?", er ließ seinen Blick durch die Klasse gleiten.

"Lasse?", er schaute ihn erwartungsvoll an.

"Ähm, maybe plastic or what plastic does to the nature?"

"Mmhh, yeah almost..."

Ich meldete mich. Seine Miene hellte sich auf.

"Yes, Everly."

"Globalisation?"

"Yes! Our topic is globalisation. This was just a small part. Normally I start with the digital age, so it's easier. How did you knew it was this theme?"

"I looked it up the book.", ich musste lächeln. Er auch.

"Smart girl."

Wir sollten einen Text über 'Connection all around the world' zusammenfassen. Herr Dumond lief durch die Reihen. Neben mir blieb er stehen und las sich durch, was ich bis jetzt geschrieben habe. Er nickte mir anerkannt zu. Komischerweise durchfluteten mich Glücksgefühle. Ich hatte plötzlich Lust auf Englisch und war motiviert. Ich war noch dabei den Tafelaufschrieb abzuschreiben, als die anderen schon ins Wochenende stürmten. Schnell schmiss ich mein Mäppchen in meinen Rucksack und stopfte auf halben Weg meinen Ordner rein, als hinter mir eine Stimme ertönte.

"Everly, wärst du so nett und würdest die Tafel wischen?"

Fuck.

Langsam drehte ich mich um. Wir waren alleine. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Dummes Herz.

Mehr als ein kratziges "Ja" brachte ich nicht raus. Ich machte den Schwamm nass und lief zur Tafel. Meine Schritte kamen mir ungleich und verkrampft vor. Herr Dumond räumte gerade seine Materialien zusammen. Von Nervosität keine Spur. Ich hatte gerade den Schwamm angesetzt, als seine Stimme ertönte.

"Wie geht es dir?"

Verwirrt sah ich zu ihm rüber.

"Wie meinen Sie das?"

Er sah mich direkt an, mit seinen bernsteinfarbenen Augen.

"Lassen wir das Siezen. Also, wie ging es dir?"

Schnell ließ ich den Schwamm über die Tafel gleiten.

"Darauf wollen Sie also hinaus. Mir geht es gut. Danke der Nachfrage.", ich war fertig und legte den nassen, schmutzigen Schwamm auf das Pult.

"Bis Montag.", ich drehte mich um und verließ das Zimmer.

"Das letzte Worte ist noch nicht gesprochen.", meinte er ruhig. An der Tür drehte ich mich nochmal um.

"Ich weiß.", damit ließ ich die Tür zu knallen und lief schnellen Schrittes weg. Das letzte Wort war noch nicht gesprochen. Entweder mein Arsch war dran, oder mein Herz. Oder beides. 

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