Kapitel 4
Der Tag begann mit einer Doppelstunde Gemeinschaftskunde bei Herr Thomas. Dieser hatte sein Referendariat abgeschlossen und war nun unser Lehrer. Er legte eine Sitzordnung fest, bei der Lasse und ich in der ersten Reihe sitzen mussten, was uns gar nicht gefiel. Wir saßen beide mit verschränkten Armen da, während Herr Thomas irgendwas über irgendeine Wirtschaftskrise erzählte. Wirklich interessiert hatte mich der Unterricht nie. Mein Berufswunsch ging in die Sprach- und Kunstwissenschaftliche Richtung, nicht politisch oder wirtschaftlich.
"High wäre der Unterricht besser zu ertragen.", Lasse gähnte. Ich warf ihm einen enttäuschten Blick zu.
"Kiffen ist nicht gut. Du weißt dass ich nichts von Drogen halte."
"Schon klar. Aber das wäre voll nice. Das wäre voll entspannt.", er lächelte mich an.
"Wäre es wenigstens bei Zigaretten, kiffen und Alkohol geblieben. Auch wenn ich das schon nicht gut finde. Du hast versprochen nie was härteres zu nehmen und dann erfahre ich von Ecstasy?!", ich war genervt. Mir lag viel an ihm und ich wollte nicht, dass er sich mit Drogen kaputt machte.
"Ja gut, das war ein Mal.", grinste er.
"Und wenn Leo wieder Kokain da hat, wirst du dann auch nur ein Mal mit ihr schniffen?"
"Was, neeeiiin.", er machte eine wegwerfende Handbewegung, doch ich wusste, dass er härteres nehmen wird.
"Man Lasse, ich mache mir Sorgen um dich! Was du, Frederick, Leo, Niki und die anderen vier macht ist nicht gut und verdammt nochmal illegal!"
"Ich weiß, aber-"
"Könnt ihr eure Gespräche bitte auf die Pause verschieben!", unterbrach Herr Thomas uns.
"Ja...", murmelten wir. Das Thema hatten wir ständig. Drogen und Alkohol waren schon seit Ende der neunten Klasse ein großes Problem bei uns. Ich gehörte zu den wenigen, die nichts davon hielten. Auch Leon hatte sich im Bereich kiffen ausprobiert, doch meinte es nicht mehr zu wollen. Er zählte falsche Freunde als wahre und wenn ich etwas zum illegalen oder fast Komasaufen sagte, war ich die Spielverderberin. Ich machte mir Sorgen um geliebte Menschen und sie taten das Gegenteil. Dass Leon, der zwei Jahre älter war, sich manchmal so benahm wie meine Jungs nervte mich. Er war immer zum falschen Zeitpunkt ernst und vernünftig. Und während andere über ihre Saufgeschichten lachten, ekelte es mich einfach nur an. Denn ich hatte gesehen was Alkohol anstellen konnte. Und so sollte es nicht enden.
Das Klingeln beendete den Unterricht und in der Pause aß ich meine Brezel. Die nächste Schulstunde war Englisch. Herr Dumond lief die Treppe hinunter. In einer Hand seine braune Tasche, die andere hatte er locker in seine Hosentasche gesteckt. Sein schwarzes Haar hatte er zurückgegelt, ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen. Der hellgraue Pullover passte farblich zu meinem engen, grauen Pulli. Dazu trug er eine dunkelgraue Jeans und Bugatti-Schuhe, wie immer. An der Tür angekommen zog er den Schlüsselbund aus seiner Hosentasche, der mit einer Metallkette an seiner Jeans befestigt war. Wir strömten ins Klassenzimmer und ich nahm in der ersten Reihe platz. Herr Dumond lächelte mich selbstsicher an. Ich lächelte selbstsicher zurück. Falls er dachte, dass ich ihn aus der Nähe bewundern wollte oder ihm näher sein wollte, hatte er sich getäuscht. Ich hatte nicht vergessen, was damals alles passiert war, als ich in der letzten Reihe saß und uns niemand sah. Diesmal waren die Reihen hinter mir gefüllt und aller Aufmerksamkeit war immer nach vorne gerichtet. Das würde ihn hoffentlich davon abhalten dumme Sachen zu machen, falls er es vor hatte und mich davon auf diese unmoralischen Sachen zu reagieren oder anzuspringen. Herr Dumond stand hinter dem Pult und ließ seinen Blick durch die Klasse schweifen. Schmerzlich wurde mir bewusst, dass die Spannung zwischen uns immer noch da war. Es lag etwas in der Luft, eine Angespanntheit, die schon seit dem ersten Tag damals da war.
"Guten Morgen erstmal."
"Guten Morgen.", kam es schief von der Klasse zurück. Lucas meldete sich.
"Herr Dumond es ist so stickig hier drin, können wir ein Fenster aufmachen?"
"Guter Vorschlag.", Herr Dumond blickte zu mir," Everly, wärst du so nett?"
"Natürlich.", ich stand auf und öffnete das Fenster zu meiner linken, dann nahm ich wieder an meinem Tischende platz. Lasse saß rechts von mir.
"Vielen Dank. Als erstes verkünde ich die Klausurtermine. Wie ihr wisst bedeutet Leistungskurs, dass ihr zwei Arbeiten pro Halbjahr schreibt und ins schriftliche Abitur geht."
Herr Dumond fing an die Daten an die Tafel zu schreiben und ich kopierte diese in mein Hausaufgabenheft. Dann zog er einen Stapel Papiere aus seinem Ordner.
"Und damit euch nicht bis zur ersten Arbeit langweilig wird, hier Vokabeln."
Ein genervtes Gemurmel ging durch die Klasse.
"Ich dachte wir könnten es erstmal langsam angehen lassen!", kam es von Joshua.
"Joshua, du kannst es gerne langsam angehen lassen. Niemand zwingt dich die Vokabeln zu lernen, dann schreibst du eben eine schlechte Note im Test. Das ist mir relativ egal.", entgegnete Herr Dumond ruhig.
"Wann schreiben wir den Test den?", kam es von Vin.
"Lasst mich kurz nachsehen.", er blätterte durch seinen kleinen Kalender." ah, hier. Am 21. September. Das ist ein Montag, glaube ich."
"Aber das ist ja schon bald!", kam es von Tolga.
"Deshalb müsst ihr nur die ersten zwei Seiten lernen. Ich bin nett, weil ich an dem Tag Geburtstag habe."
"Oooh, wie alt werden Sie den?", kam es von Lucas. Herr Dumond lachte. Es war ein ehrliches, herzliches Lachen. Seine Augen funkelten und kurz verlor ich mich im Bernstein.
"Also wenn ich euch das sagen würde.", grinsend richtete er die Blätter vor sich.
"Dann sind Sie ja vom Sternzeichen Jungfrau!", kam es von Frederick.
"Das stimmt."
"Aber natürlich nur vom Sternzeichen, oder?", Frederick wackelte mit den Augenbrauen und strich sich sein rotes Haar aus dem Gesicht.
"So, genug jetzt über mein Leben. Take out your books.", Herr Dumond wechselte ins englische, was meist keine Widerworte erlaubte. Die restliche halbe Stunde sprachen wir über die Themen, die uns beschäftigen werden.
"Gibt es irgendjemanden der eine GFS in Englisch machen möchte?", fragte er am Ende der Stunde. Sein Blick schwankte zu mir, doch ich wollte eine in Deutsch machen. Einzelne Schüler meldeten sich und er wies sie daraufhin, dass sie ihn rechtzeitig ansprechen sollten.
"Übrigens die Liste der Tutoren ist raus. Da jeder Lehrer nur eine bestimmte Anzahl an Schülern nehmen kann und sich nicht viele bei mir eingetragen haben, wurden sie mir automatisch zugeteilt. Das hat etwas mit den Leistungsfächern zu tun. Das betreffen Xander, Julie, Tolga und Everly, weil bei Herr Ferline eben zu viele waren und ihr aufgrund der Nachnamen ziemlich weit unten seid. Ich hoffe ihr könnt damit Leben. Als Tutor könnt ihr jederzeit auf mich zu kommen und mit mir reden falls ihr Probleme oder Fragen habt. Ich werde versuchen so gut es geht immer für euch da zu sein.", er schenkte mir ein Lächeln. Lügner.
Wir wechselten die Zimmer und hatten nun Deutsch. Auch Herr Ferline klärte uns über die Situation auf und entschuldigte sich.
"Ich hätte selbst nicht gedacht, dass ich so beliebt bin.", lachte der Mann mit der Halbglatze. Nach dieser Stunde Deutsch folgte eine Doppelstunde Ethik bei Frau Biesjot. Sie war enttäuscht, dass wir schon am Anfang des Schuljahres so demotiviert waren.
"Sagt mal, wieso seid ihr überhaupt hier, wenn ihr keine Lust habt?"
Darauf folgte eine Diskussion mit Xander wieso man überhaupt in die Schule sollte. Auch Ethik war zu Ende und ich ging in der Mittagspause nach Hause um zu essen. Es gab Spaghetti Bolognese. Entspannt lief ich wieder zurück. Es hatte Vorteile so nah an der Schule zu wohnen. Fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn sah ich die anderen schon vor dem Klassenzimmer sitzen. Ich gesellte mich zu Lasse, Frederick, Niki und Leo. Lasse und Niki saßen lachend da.
"Was gibt's zu lachen?", wollte ich wissen und stellte meine Tasche ab. Sie sahen mich beide an und lachten weiter. Ich schaute fragend zu den anderen, doch bekam keine Antwort. Als unsere Französischlehrerin kam und Lasse aufstand und mich endlich ansah wusste ich was los war.
"Ihr habt schon wieder in der Mittagspause gekifft?!", zischte ich leise.
"Nein, haben wir nicht.", Niki kam ganz nah an mein Gesicht. Dann Lasse.
"Wir haben nur etwas gegessen.", grinste Lasse.
"Nein, oder? Euer ernst, high in den Unterricht?"
"Pf, in Latein juckt es eh niemanden höhöhö.", Niki machte eine wegwerfende Handbewegung und lief dann die Treppe runter. Lasse und ich drängten uns mit den anderen durch die Tür.
"Das könnt ihr doch nicht machen."
"Hä, wieso nicht?"
"Weil wir in der Schule sind? Und es auch nicht wirklich gesund ist.", ich wusste über das medizinische Cannabis bescheid und auch das es in manchen Ländern legal war. Die Auswirkungen auf das Gehirn und auf den Körper mögen zwar im Moment gut und entspannend sein, doch es konnte auch böse enden.
"Na und.", Lasses grüne Augen wurden vom rot getrübt. Ich hatte das Gefühl, dass ich meinen besten Freund verloren hatte. Drinnen packten wir unsere Sachen aus.
"Wie seid ihr überhaupt drangekommen?"
"Krause aus der Stufe über uns hat Weed-Brownies mitgebracht."
"Aha."
Die Doppelstunde über saß Lasse wie weggetreten neben mir. Neben ihm saß TC. Ich war froh, dass Leo in einer anderen Tischreihe saß. Frederick hatte damals mit dem Rauchen angefangen, Leo machte mit und irgendwann zogen sie Lasse mit rein. Das Kiffen kam dazu, dann machte Niki mit. Sie fanden noch andere und dann wurde hartes Zeug genommen. Dabei rückte Lasses und meine Freundschaft immer mehr in den Hintergrund. Es war kein einmaliges ausprobieren mehr, es war regelmäßig. Ich erinnerte mich noch an Fredericks Worte "Keiner von uns will 30 werden.". Es war ihr Leben. Sie lebten sich in diesen Bereichen aus und ich mich in anderen. Sorgen machte ich mir trotzdem.
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