Kapitel 25
Ich saß neben Lasse und beobachtete wie Herr Dumond an seinem Pult stand und seine Papiere durchging. Er sah auf und unsere Blicke begegneten sich. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen. Er wand sich an die Klasse.
"Ich habe gehört ein paar von euch waren am Wochenende bei Herr Heißmanns Auftritt?", grinste er.
Lasse und Frederick mussten lachen. Herr Dumond schüttelte seinen Kopf.
"Na ja, jedem das seine."
Sein Blick zuckte kurz zu mir bevor er mit dem Unterricht begann. Die Zeit verging schnell. Wir sprachen über das Buch "Crooked Letter, Crooked Letter" von Tom Franklin. Typische Oberstufenliteratur in Englisch. Wir waren schon fast durch damit, da sich das Schuljahr dem Ende neigte. Kurz vor dem Klingeln wechselte Herr Dumond zurück ins Deutsche.
"Ich möchte an dieser Stelle an unsere vierte Klassenarbeit in wenigen Wochen erinnern."
Ich holte meinen Schulplaner heraus. Er hatte Recht. In weniger als einem Monat stand sie an. Dabei fiel mein Blick auf eine andere Klassenarbeit.
"Fuck! Wir schreiben Chemie schon in zwei Wochen!"
"Pfff.", kam es von Lasse.
"Tu nicht so als würdest du die besten Noten schreiben. So viele Fehlstunden wie du hast."
"Ich bleibe dieses Jahr eh sitzen. Von daher ist es egal wie viele Punkte ich schreibe."
"Noch kannst du es retten."
"Everly, da ist nichts mehr zu retten. Deswegen lassen wir es auf der Studienfahrt so richtig krachen! Ich hab nichts mehr zu verlieren und kann mich einfach zurücklehnen."
"Genau!", Frederick gab ihm die Faust.
Das Klingeln beendete den Unterricht und wir verabschiedeten uns ins Wochenende. Lasse und Frederick gingen die Stufen runter, während ich die anderen hoch lief. Ich war gerade am Lehrerzimmer vorbei, als ich meinen Namen hörte.
"Everly!"
Ich blieb stehen und drehte mich um.
"Herr Heißmann?"
Er blieb vor mir stehen und blickte lächelnd zu mir hinab.
"Ich hab gerade in den Kalender geschaut und wir schreiben die nächste Arbeit schon in zwei Wochen! Ich hab das irgendwie voll vergessen. Mein Angebot mit der Nachhilfe steht noch. Also wenn du willst können wir uns am Freitag nach dem Unterricht treffen und die Sachen nochmal durchgehen.", er lächelte und sah mich erwartungsvoll an.
"Gerne!", ich strahlte ihn an.
"Okay! Komm einfach nach der sechsten Stunde vor das Lehrerzimmer, dann schau ich welcher Raum frei ist. Es dauert nicht lange. Vielleicht einfach mal 'ne halbe Stunde die Sachen durchgehen und ja."
"Alles klar."
"Fantastisch! Dann bis Freitag! Schönes Wochenende!"
"Bis Freitag!", ich ging strahlend zum Ausgang und drehte mich noch einmal um. In dem Moment drehte sich auch Herr Heißmann um und wir lächelten uns an.
•
Es war Freitagnachmittag und aus einer halben Stunde Nachhilfe wurden ganz schnell zwei. Vielleicht weil wir ständig vom Thema abwichen und herumalberten. Zu meinem überraschen war Herr Heißmann zwischendurch auch ernst. In diesen ernsten Momenten schenkte er mir tiefe Blicke. Dabei leckte er sich immer wieder über die Lippen. Mir wurde schrecklich heiß und es fiel mir schwer mich zu konzentrieren. Konnte er bitte aufhören mich so intensiv anzuschauen! Er saß gegenüber von mir und beobachtete jede meiner Bewegungen. Ich war ihm noch nie so nah gewesen. Uns trennte nur dieser Tisch. Weniger als ein halber Meter. Ich konnte sogar seine Bartstoppel erkennen, da er sich immer wieder nach vorne zu mir beugte. Selbst während ich schrieb konnte ich seinen Blick spüren. Ich versuchte mein zittern zu verstecken. Er machte mich nervös. Doch auch ich hatte eine Wirkung auf ihn, denn seine Wangen waren fast die gesamte Zeit rot und er fuhr sich immer wieder durchs Haar. Meine größte Schwäche waren Reaktionsgleichungen. Zu meinem Überraschen verrechnete er sich selbst auffällig oft, versuchte es aber mit irgendwelchen Witzen zu überspielen.
"Es ist wie beim Dreisatz. Was du auf dieser Seite machst, musst du auch auf der anderen machen.", er bediente sich in meinem Mäppchen und nahm einen Bleistift heraus. Als er an meiner Rechnung etwas korrigierte berührten sich kurz unsere Finger. Keiner von uns zuckte zurück.
Vom Schultreppenhaus drang der Lärm der Putzfrauen hinein. Sie staubsaugten. Einzeln hörte man Schüler schreien, die Nachsitzen mussten. Wir saßen in seinem Klassenzimmer, seiner sechsten Klasse. Es war merkwürdig mit ihm alleine zu sein und seine gesamte Aufmerksamkeit zu haben. Ich dachte immer, ich würde es genießen. Doch in echt war mir schlecht. Es war zu viel für mich. Dementsprechend groß war die Erleichterung, als er mich nach knapp zwei stunden entließ.
"Und bitte, bleib ganz ruhig bei der Arbeit. Es wird alles gut. Sie wird nicht schwer. Lies dir die Fragen ganz genau durch. Und ich werde immer wieder drüberschauen. Bloß keine Panik."
Ich sah ihn kritisch an.
"Ich kann dir ja Zeichen geben, wenn du etwas falsch machst.", er grinste frech über beide Ohren.
"Können Sie sich nicht bei der Arbeit neben mich setzen?", fragte ich leicht verzweifelt. Meine Stimme klang zu hoch und piepsig. Reiß dich zusammen, Everly! Du bringst die Männer um den Verstand! Nicht andersherum! Und Herr Heißmann war nicht mal dominant! Wieso machte er mich trotzdem nervös?
Ich packte meine Sachen zusammen. Herr Heißmann beugte sich hinunter und hob einen hellblauen Stift vom Boden.
"Deiner?", sah er mich fragend an.
"Ähm, ne?"
"Jetzt schon.", lächelnd legte er ihn in mein Mäppchen. Ich konnte mir mein Grinsen nicht verkneifen.
Gemeinsam begaben wir uns zur Tür. Sein Klassenzimmer war direkt neben dem Lehrerzimmer. Das Schulhaus war wie ausgestorben und teilweise waren auch schon einige Lichter aus.
"Schönes Wochenende. Schau dir die Sachen Zuhause nochmal an. Wenn du Fragen hast schreib mir eine E-Mail, okay! Oder komm im Laufe der Woche nochmal zu mir. Und vergiss nicht, ruhig bleiben, atmen und keine Panik. Wenn dir etwas unklar ist oder du die Frage nicht verstehst, dann melde dich und ich werde versuchen dir so gut wie möglich zu helfen.", er lächelte mich zärtlich an.
"Ich werde es versuchen. Danke.", ich erwiderte sein Lächeln.
"Nichts zu danken. Und jetzt ab nach Hause.", er zwinkerte frech und begab sich Richtung Lehrerzimmer. Dann blieb er doch noch kurz stehen.
"Und Frau Schumann! Ich erwarte mindestens fünf Notenpunkte!"
Wir grinsten uns an. Dann bog er ums Eck und war verschwunden.
Ich drehte mich um und lief zum Eingang, als ich Lasse sah.
"Was machst du denn hier?"
"Ich musste nachsitzen.", kam es von ihm. "Und was machst du an einem Freitagnachmittag alleine mit Herr Heißmann in einem Klassenzimmer?!"
Verdammt. Ich wollte es niemanden erzählen. Ich wollte nicht dass jemand dachte er würde mich bevorzugen.
"Du weißt ja, dass ich nicht so gut in Chemie bin und er hat mir angeboten mir vor der Arbeit zu helfen."
"Aha.", er beäugte mich kritisch.
Ich sah ihn fragend an.
"Gib doch einfach zu dass da was zwischen euch läuft. Alle reden schon darüber."
"Wie meinst du das? Zwischen uns ist nichts!"
"Boah, Everly. Hör auf damit. Wir sind nicht blind. Selbst Phil meinte vorher nach Chemie dass du sein Liebling seist."
"Bin ich aber nicht. Das ist Aly. Oder Anni."
"Aly ist eine Schlampe die für alle die Beine breit macht. Sie ist billig. Und Anni ist ein dummes, unschuldiges Mädchen. Wenn ein Mädchen an unserer Schule die Eier hätte was mit einem Lehrer anzufangen, dann du."
"Ich habe gerade aber nichts mit einem Lehrer."
"Ich bin dein bester Freund. Wenn du es jemanden erzählen kannst, dann mir. Schau mal, es juckt mich auch gar nicht. Ich will es nur wissen. Ich meine, schon krass wenn du es schaffen solltest einen Lehrer zu verführen."
"Lasse. Ich sage es dir zum letzten Mal. Zwischen Heißmann und mir war nie was und wird auch nie etwas sein! Und sind wir mal ehrlich, diese Freundschaft existiert schon lange nicht mehr. Geh zu deinen Junkiefreunden. Ich muss nach Hause.", mit diesen Worten ließ ich ihn stehen.
•
In der folgenden Woche wechselten Lasse und ich nur die nötigsten Worte miteinander. Dies machte die Partnerarbeit in Englisch schwerer als gedacht. Nicht dass er sich sonst großartig bemüht hatte. Herr Dumond bemerkte es offensichtlich, sagte am Montag aber nichts dazu. Ich dachte mir auch nicht viel dabei. Nach Englisch schrieben wir die letzte Deutscharbeit für dieses Schuljahr. Als am Dienstag immer noch Schweigen zwischen Lasse und mir herrschte, sprach Herr Dumond mich darauf an, als Lasse auf die Toilette ging.
"Alles okay zwischen Lasse und dir?", er setzte sich auf dessen Platz.
"Nein."
"Habt ihr euch gestritten?"
"Ja... nein... keine Ahnung.", ich wollte nicht genauer darauf eingehen, da Frederick neben uns saß und womöglich zuhörte. Er hielt sich neutral und war weiterhin normal zu uns beiden.
"Hm... was es auch ist. Ich möchte dir nur sagen, dass du es nicht zu persönlichen nehmen sollst. In der Schulzeit und vor allem in der Oberstufe ändern sich die Freunde und die Freundeskreise. Man hat andere Interessen und lebt sich auseinander. Das habe ich oft genug gesehen. Vor allem nach dem Abitur geht jeder seinen eigenen Weg. Mach dir keinen Kopf. Ich vermute ihm ist gerade alles egal, weil er weiß dass er die Klasse wiederholen wird. Er legt wohl nicht so viel Wert darauf Freundschaften weiterzupflegen.", seine bernsteinfarbenen Augen sahen mich aufmunternd an. Er lächelte leicht und strich mir über meine Hand, welche auf meinem Oberschenkel lag. Die Tür knallte zu uns Lasse lief zu uns. Herr Dumond stand auf.
"Thank you.", flüsterte ich.
"You're welcome.", Zärtlichkeit lag in seinem Blick.
Lasse rülpste auf und zerstörte den Moment. Ich sah ihn angewidert an. Vielleicht war es auch besser so, dass wir nach dem Schuljahr getrennte Wege gingen. Zu unserem Abiball würde er sowieso kommen.
Am Donnerstag in Mathe beugte sich Frederick zu mir hinüber.
"Psst. Hast du für Chemie gelernt?"
"Mehr oder weniger.", ich schaute weiterhin nach vorne zur Tafel.
"Glaubst du die Arbeit wird schwer?"
"Ich denke schon.", antwortete ich.
"Ich hoffe der fickt uns nicht damit-"
"FREDERICK! Kannst du mir die Antwort auf Nummer drei sagen?!", unterbrach ihn Frau Bagge.
"Ähm... ja, natürlich. Also die Antwort auf drei ist... Wurzel neun?"
"Falsch. Wenn du zuhören würdest wüsstest du dass Lucas bereits gesagt hat, dass die Lösung Wurzel fünfundzwanzig ist. Und hör auf Everly abzulenken."
"Tut mir leid, kommt nicht wieder vor.", sagte er schuldbewusst. Frau Bagge wandte sich Tascha. Ich sah zu Frederick, welcher mich angrinste. Der Junge lernte wohl nie aus seinen Fehlern.
Zuhause schaute ich mir noch einmal Chemie an. Ich fühlte mich tatsächlich sicher. Dennoch war ich sehr nervös vor der Arbeit und hatte Probleme damit einzuschlafen. Er hatte versprochen, sie würd einfach werden. Ich hoffte er hielt sein Versprechen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top