Kapitel 23
Auch wenn mir in dieser Englischstunde nicht nach spielen war, ließ ich mich darauf ein. Der Frühling weckte allerlei Gefühle in mir. Und zwischen Marc, Verzeihung, Herr Dumond und mir hatte es schon lange keine Auseinandersetzungen mehr gegeben. Weder im Unterricht, noch außerhalb. Ich hatte schon gedacht, er hätte sich mit der Situation abgefunden. Vor allem nach dem Ball. Doch das zwischen uns ließ ihn genauso wenig kalt wie mich. Ein Feuer begann in mir zu lodern.
"Wieso grinst du?", kam es von Lasse neben mir.
Schnell sah ich zu meinem besten Freund.
"Ach, nur so. Ich habe einfach gute Laune."
"Hast du etwa einen Typen am Start?"
Ich sank meinen Blick und schaute dann aus dem Fenster, in dem ich die Spiegelung von Herr Dumond sah.
"So ungefähr."
Lasse wollte natürlich mehr wissen, doch Herr Dumond wollte mit dem Unterricht beginnen.
"Good morning everyone.", er stellte sich vor das Pult und lehnte sich mit überkreuzten Beinen an.
"Morning.", kam es demotiviert von uns.
"Vorab erstmal eine kleine Info. Bald sind ja die Studienfahrten und es gibt einige Änderungen bezüglich der Begleitpersonen. Für alle die nach Schweden gehen, euch begleiten nach wie vor Frau Bagge und Herr Ferline. Nach Österreich geht Herr Wommert und anstatt von Frau Gaday, die Frau Hollunder. Und an die Barcelonafahrer...", sein Blick schwank zu mir.
"Das sind wir.", flüsterte Freddy zu Lasse und mir.
"Psshh, Schnauze Freddy! Wehe Gaday kommt mit, dann können wir saufen vergessen!", Lasse sah gespannt zu Herr Dumond.
Ich verdrehte die Augen.
"Frau Osterwiek wird die Reise aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten können. Und da wir bis zum Schluss keine Lehrer für die Reise gefunden haben, nebenbei ist ja auch noch Schullandheim und diese anderen Exkurse, blieben nur noch zwei Lehrer übrig.", er machte eine Pause., "mitkommen werden also ich...", einige 'neins' flogen durch den Raum.
"Yes!", kam es leise von mir. Sommer, Sonne, Strand und Marc.
"... und Herr Heißmann."
"Ja!", schrie Vin von hinten.
"Oh mein Gott, das wird so cool!", hörte ich ein Mädchen rufen.
"Mit dem können wir saufen!", kam es freudig von Freddy.
"Herr Heißmann am Strand!", freute sich Aly.
"Ja!"
"Cool!"
"Voll chillig!"
"...nein.", hauchte ich.
"Everly, das wird mega! Party!", Lasse schüttelte mich überglücklich.
"Mmhh!", kam es etwas überfordert von mir.
Herr Dumond, okay. Herr Heißmann, okay. Aber beide gleichzeitig? Nicht okay.
"Das ist voll unfair!", kam es von Anni. Sie hatte sich für Schweden eingetragen. Na ja, musste sich für Schweden eintragen. Barcelona war sehr beliebt, die Plätze waren immer schnell weg. Natürlich waren alle drei Zielorte für kulturelle Erfahrungen und zum lernen gedacht. Aber je nach dem mit welchen Lehrer konnte man anstelle von Museen, Bars besichtigen und Spaß haben. Im Jahr zuvor war Herr Fein in Tschechien mit auf Studienfahrt gegangen. Was die dort erlebt haben war legendär und sie erinnerten sich gerne zurück. Ich hatte die Hoffnung, dass Barcelona mindestens genauso schön wurde. Flug, Hotel, Städtereise ganz schön viel außerschulischer Kontakt.
Lasse und Freddy neben mir, machten schon Pläne was sie an Alkohol mitnehmen und dort kaufen wollten. Aly ging schon durch was sie zum anziehen mitnahm. Ich saß einfach da und war überfordert. Ob das gut ging?
Herr Dumond begann mit dem Unterricht und mein Feuer war erloschen. Ich machte brav mit, was mit Lob seinerseits belohnt wurde. Zwischendurch kam immer mal wieder das Thema Studienfahrt hoch und jedes Mal musste Herr Dumond die planbereite Klasse beruhigen. Bis zur Studienfahrt hin waren es noch knapp zwei Monate. In drei Monaten war das Schuljahr vorbei. Sogar in wenige als drei Monaten, da wir schon Anfang Mai hatten.
Englisch war vorbei. Ich notierte mir noch die Hausaufgaben und begab mich dann mit Lasse und Freddy zur Tür. An der Treppe blieben wir stehen. Ich musste hoch, sie runter. Lasse holte Papier und Tabak raus und fing an zu drehen.
"Euch ein schönes Wochenende, Jungs."
"Warte mal. Kommst du morgen zu diesem Stadtfest von dem ich dir erzählt habe?", richtete sich Freddy an mich.
"Aber das ist doch eine halbe Stunde entfernt."
"Na und? Ich kenne da eine, die arbeitet an der Getränkeausgabe."
"Freeeeeddyyyy.", ich verdrehte die Augen." wenn du eine abschleppen willst dann geh doch ohne mich hin. Oder nimm Lasse mich."
"Ich gehe sowieso hin. Die haben gutes Bier.", nuschelte er, während er das Papier seiner selbstgedrehten Zigarette ableckte.
"Und was soll ich dann da? Ich bin kein Fan von Bier."
"Everly. Für dich besorge ich sogar Hugo. Und keine Ahnung, was macht man auf Stadtfesten?"
"Sich betrinken.", lachte Lasse.
"Tanzen zum Beispiel. Da kommt Livemusik.", versuchte Freddy mich zu überreden.
"Ich soll tanzen. Alleine?"
"Wer weiß, vielleicht lernst du ja jemanden kennen.", Freddy grinste frech und wackelte mit den Augenbrauen.
"Mh. Und was für Musik wird da gespielt? Bestimmt Blasmusik."
Herr Dumond kam aus dem Klassenzimmer und schloss die Tür ab. Als er an uns vorbei lief wünschte er uns ein schönes Wochenende. Wir bedankten uns und sagten im Chor "gleichfalls". Freddy sah ihm hinterher bis er außer Hörweite war und wendete sich wieder an mich.
"Wenn du schon nicht auf die Musik stehst, könntest du vielleicht einem Typen dort einen blasen."
"Frederick!"
"Sorry, sorry. Schon okay, tut mir ja leid... du könntest mir einen blasen."
"Freddy!"
"Okay, ich hab's kapiert. Du willst niemanden einen blasen. Aber komm doch einfach mit. Das wird lustig. Außerdem kennt dich da keiner, du kannst machen was du willst."
Ich zögerte kurz: "Na gut. Ein bisschen Abwechslung kann ja nicht schaden. Und vielleicht sehe ich wirklich jemand Süßes."
"Siehst du. Geht doch. Treffen wir uns morgen um 13 Uhr am Bahnhof? Der Bus kommt kurz nach eins, dann sind wir gegen zwei Uhr da."
"Alles klar."
"Oh, und zieh dich hübsch an. Morgen wird es heiß."
"Immer doch.", antwortete ich und ging dann endlich die Treppe hoch, Richtung Ausgang und Parkplätze.
•
Der nächste Morgen stand an und ich wühlte mich durch meinen Kleiderschrank. Wir hatte noch nicht einmal Mittag und schon waren es draußen 20 Grad. Ich entschied mich für ein figurbetonendes, schwarzes Sommerkleid mit feinem Blumenmuster und einfachen Sneaker dazu. Ich entschloss mich noch für ein leichtes Make Up und nahm meine kleine Tasche von bugatti mit. Passend zu den Schuhen. Zum Frühstück hatte ich nur ein Brötchen, weshalb ich auf dem Weg zum Bahnhof noch einen Schokoriegel aß. Nach wenigen Minuten war ich schon da. Ich begrüßte Freddy, der in olivgrünen T-Shirt und blauen Shorts schon auf mich wartete. Die Schuhe waren auch olivgrün und von Vans. Wir unterhielten uns, bis kurz darauf Lasse im schwarzen Adidas T-Shirt, Shorts, Bauchtasche und weißen Schuhen von Adidas, natürlich mit passenden Socken und Kappe ankam.
"Wenn das nicht der Slav persönlich ist.", kam es von Freddy.
"Syka, blyat, auf geht's.", Lasse zog seine verspiegelte Sonnenbrille auf. Freddy tat es ihm gleich.
"Ach du scheiße...", murmelte ich zu mir selbst und stieg dann hinter ihnen in den Bus ein.
Als wir ankamen war das Fest schon in vollem Gange. Freddy verschwand natürlich sofort an die Bar und ließ Lasse und mich alleine. Wir mischten uns unters Volk. Ich sah mich etwas um. Es waren verschiedene Stände in der Stadt aufgebaut. Von Essen bis Schmuck alles dabei. Etwas abseits auf einer Wiese war eine Bühne aufgebaut. Wir gesellten uns zu Freddy an die Bar und konnten uns so Freigetränke sichern. Freddys aktuelle Eroberung war ein Mädchen mit pink gefärbten Haaren, Lippen- und Nasenpiercings, das etwas molliger war. Sie war zwei Jahre älter als Freddy, also neunzehn. Freddy war im April erst siebzehn geworden. Die Musik verstummte und der Bürgermeister der Stadt hielt eine Rede.
"Lass uns nach vorne gehen.", ich zog Lasse hinter mir her. Freddy blieb lieber an der Bar, bei seiner Charlie. Wir ergatterten tatsächlich Plätze auf einer Bank direkt vor der Bühne. Der Bürgermeister beendete seine Rede und lud dann den Blasmusikverein der Stadt auf die Bühne. Die Menge jubelte, ich applaudierte mit. Lass zündete sich eine Zigarette an. Sie platzierten sich auf der Bühne, als letztes kam der Dirigent hoch. Sie trugen alle weiße Hemden und darüber grün-blaue Pullover. Der Dirigent drehte sich zum Publikum und verbeugte sich. Ich konnte meinen Augen kaum trauen und sah zu Lasse. Dieser sah mich mindestens genauso schockiert an.
"Herr Heißmann?!", riefen wir gleichzeitig. Lasse zog dabei Rauch ein und musste stark Husten.
Herr Heißmann gab ein Zeichen und sie begannen zu spielen. Nachdem Lasse den Hustenanfall überstanden hat, drückte er seine Zigarette in einem der Aschenbecher auf dem Tisch aus und holte sein Handy raus um Fotos und Videos zu machen. Ich tat es ihm gleich. Nach etwa einer halben Stunde waren sie fertig und die nächste Band stand schon bereit.
"Vielen Dank an unsere Dorfmusikanten und natürlich unseren hochgeschätzten Dirigenten Philipp!", kam es vom Bürgermeister.
Ein lautes Jubeln ging durch die Reihen und Herr Heißmann verbeugte sich stolz. Er grinste über beide Ohren und bedankte sich. Der Musikverein verließ die Bühne. Freunde und Familie stürmten sofort zu ihnen hinter die Bühne. Einige der Musiker gesellten sich zu den anderen an die Bierbänke.
"Ich geh mal nach Freddy schauen, kommst du mit oder willst du noch zu schauen?", Lasse stand auf.
"Ich bleibe noch etwas."
"Okay.", schon war er weg.
Ich konnte nicht anders und begab mich hinter die Bühne. Wie auch in der Schule, war Herr Heißmann von Leuten umringt. Die Menge löste sich auf und ich konnte zu ihm vordringen.
"Everly, was machst du denn hier?", er war sichtlich überrascht.
"Wie könnte ich mir nur den Blasmusikvereinauftritt meines Lieblingschemielehrers entgehen lassen?"
Wir sahen uns kurz ernst an, dann lachten wir beide los.
"Jetzt mal ehrlich, wieso bist du hier?", er lehnte sich gegen einen großen Koffer.
"Lasse und Freddy haben mich hergeschleppt. Freddy hat hier ein Mädchen am Start.", ich zuckte mit den Schultern.
Herr Heißmann vergrub sein Gesicht in den Händen: " Oh Gott! Und Freddy und Lasse sind auch noch hier!"
"Sie können gut dirigieren. Ich war wirklich überrascht."
Herr Heißmann schenkte mir ein Lächeln. "Tja, ich kann eben nicht nur Sachen in die Luft jagen."
Er spielte an seinem Kragen rum.
"Schicke Uniform."
"Danke."
Wir waren beide sarkastisch. Dieser Pulli war geschmacklos. Die Krawatte war falsch gebunden und er spielte die ganze Zeit daran rum. Das hatte er auch schon auf der Bühne gemacht.
Ich deutete auf die Krawatte:" Kann ich Ihnen helfen."
"Oh nein, schon okay. Heute Morgen war es etwas hektisch und ja..."
Ich sah ihn kritisch an.
"Okay ja, ich könnte etwas Hilfe gebrauchen.", kam es leicht beschämt von ihm. Dabei wurden seine Ohren rot.
"Kommen Sie her.", lachte ich und trat einen Schritt auf ihn zu. Ich streckte meine Hände nach ihm aus.
"Sie müssen sich schon etwas bücken."
"Oh stimmt, na klar.", der etwa 1,90 Meter große Mann bückte sich leicht zu mir runter. Ich band ihm seine Krawatte auf und legte dann los sie neu zu binden.
"Wieso kannst du sowas?", fragte er lächelnd.
"Mein Vater konnte nie Krawatten binden, da habe ich es mir selbst beigebracht um ihm zu helfen."
"Ah, verstehe. Arbeitet er im Büro?"
"Ne, auf der Baustelle. Der Grund warum ich es kann ist eigentlich traurig. Ich binde sie ihm nur für Beerdigungen."
"Oh."
Kurzes Schweigen.
"Hast du die Chemiehausaufgabe schon gemacht?"
"Ne, noch nicht."
"Du hast ja noch fast eine Woche."
"Genau."
Sein Blick drohte sich in mich hineinzubrennen. Ich versuchte mich auf das Binden der Krawatte zu konzentrieren und nicht hoch in seine ozeanblauen Augen zu schauen.
"Kommst du gerade zurecht mit Chemie?"
"Ja, es geht."
"Deine Verbesserung ist deutlich sichtbar. Jetzt muss nur die nächste Arbeit gut laufen dann wird das schon."
"Mh, aber das habe ich wirklich nur Ihnen zu verdanken."
"Mir?", seine Stirn legte sich in Falten.
"Ja. Sie sind ein wirklicher guter Lehrer. Ich habe selten jemanden gesehen, der mit so viel Leidenschaft und Freude unterrichtet. Sie haben wirklich meine Begeisterung erweckt. Ich sitze gerne bei Ihnen im Unterricht. Auch wenn ich nicht viel von dem Fach verstehe."
Herr Heißmann lächelte mich liebevoll an.
"So. Fertig.", ich machte einen Schritt zurück und sah in seine Augen.
"Danke.", kam es sanft von ihm. Sein Blick glitt an mir hinab.
"Philipp, wann hattest du vor mir deine Freundin vorzustellen? Ich wusste gar nicht dass du in einer Beziehung bist!", ein Mann, ungefähr in Herr Heißmanns Alter, trat zu uns und klopfte ihm auf den Rücken.
"Und eine so hübsche noch dazu!", der braunhaarige mit den hellen Augen sah mich bewundernd an.
"David.", er hielt mir seine Hand hin.
"Everly.", ich ergriff sie schüchtern.
"Wie lange kennt ihr euch schon?", fragte er weiter.
"Um genau zu sein ist sie meine Schülerin.", kam es schnell von Herr Heißmann.
"Du hast was mit deiner Schülern?! Philipp, du alter Casanova! Das hätte ich nie von dir erwartet!"
"Nein, nein, nein! Zwischen uns ist nichts!", unterbrach er seinen Freund und fuchtelte mit den Armen.
"Na, wenn du meinst. Wenn ich euch so genau ansehe, ist sie eh zu hübsch für dich."
"Was soll das denn heißen?!", kam es jetzt doch beleidigt und eifersüchtig von Herr Heißmann. Ich lachte leise.
"Du bist nicht von hier, oder? Komm ich zeige dir die Stadt.", David war gerade dabei sich bei mir unterzuhaken, als Herr Heißmann dazwischen trat.
"Lieber nicht. Everly, komm doch mit. Wir gehen zu Lasse und Freddy."
"Okay.", ich hatte keine andere Wahl, er war schon dabei mich rauszuziehen.
"War schön dich kennengelernt zu haben! Vielleicht sehen wir uns ja nochmal! Spätestens wenn ich Philipp bei der Arbeit besuche!", lachte David.
"Ganz bestimmt nicht.", murmelte Herr Heißmann.
Draußen angekommen hielt uns ein älteres Ehepaar auf.
"Philipp! Du hast uns ja gar nicht erzählt dass du vergeben bist!", kam es von der alten Dame mit grauem Haar.
"Genau genommen-"
"Und wie hübsch sie ist! Ihr passt so gut zusammen!"
"Also Renate-"
"Endlich mal hast du eine Frau an deiner Seite! Wird Zeit sich langsam festzulegen. Ich freue mich so für dich! Viel Glück euch beiden!", sie liefen weiter, da die Frau wohl eine Bekannte gesehen hatte, die sie nun freudig begrüßte.
Herr Heißmann atmete hörbar aus.
"Wenn das so weitergeht müssen sie mich Ihren Eltern vorstellen.", witzelte ich.
Herr Heißmann sah mich zuerst überrascht an, dann lachte er.
"Genau. Wo sind eigentlich-"
"Philipp!"
Genervt drehte er sich um.
"Sie sind wohl sehr gefragt hier.", meinte ich.
"Immer doch."
Eine Frau mittleren Alters benötigte umgehend seine Hilfe. Herr Heißmann verabschiedete sich vorläufig von mir, doch wir sahen uns bis in die Abendstunden nicht mehr.
Gegen 18 Uhr begaben Lasse und ich uns nach Hause. Freddy wollte bei, oder besser gesagt mit, Charlie schlafen.
Abends im Bett sah ich mir die Fotos an, die ich gemacht hatte. Herr Heißmann sah glücklich aus. Er war immer glücklich. Wie ging sowas? Und sahen mich andere auf den ersten Blick wirklich als seine Freundin? Ich gähnte und legte mein Handy weg. Blasmusik... was der für Hobbys hatte.
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