Kapitel 11

Marc Dumond

Ich parkte meinen silbernen Mercedes auf einem Parkplatz der Schule. Beim weggehen schloss ich mein Auto ab. Das Kennzeichen, MD, Marc Dumond. Es war ein kühler Oktobermorgen. Ich lief auf den Betonklotz zu, die Tasche geschultert. Müde gähnte ich, es war viel zu früh, auch wenn ich schon wieder spät dran war. Ich beschleunigte meine Schritte und betrat schließlich das Gebäude. Die Wärme schlug mir entgegen und sofort wurde mir heiß. Ich wusste ganz genau wen ich jetzt hatte.

Schnellen Schrittes betrat ich das Lehrerzimmer. Meine Kollegen begrüßten mich, immerhin war das Wochenende vorbei. Ich lief an Marc-Dennis vorbei. Dieser schaute hoch.

"Na, mal wieder spät dran?", grinste er. Dabei verengten sich seine Augen noch mehr zu Schlitzen. Ich funkelte ihn an. In dem Moment klingelte es zur ersten Stunde.

"Nein.", ich warf meine Jacke auf meinen Platz und sammelte meine Unterrichtsmaterialien zusammen. Die ersten Kollegen waren schon weg. Bevor ich aus der Lehrerzimmer trat atmete ich noch einmal tief durch. Zwei Treppen trennten das Klassenzimmer und mich. Dann nur noch eine. Dann stand ich vor dem Zimmer und griff an meine Metallkette, welche aus meiner Hosentasche hing. Schnell suchte ich den richtigen Schlüssel hervor. Ich hatte sie schon gesehen. Schnell hatte ich mich abgewandt und lief auf das Pult zu um dort meine Sachen abzulegen. Ich ließ meinen Blick durch den Raum wandern. Es gab vier Reihen und sie saß in der ersten, wie schon in den Wochen zuvor. Everly packte ihre Englischmaterialien aus und unterhielt sich nebenbei mit Lasse. Angestrengt versuchte ich etwas zu verstehen, von dem was sie sagte, doch es war zu laut. Ich lehnte mich an das Pult und wartete darauf dass die Schüler ruhig wurden. Unsere Blicke trafen sich, sie senkte betrübt ihren Blick. Lasse lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Er versuchte wohl sie aufzumuntern, denn sie lächelte nur leicht. Sie hatte ein süßes Lächeln, ich wünschte sie würde öfter lächeln. Seit dem ich wieder da war sah ich sie nicht oft Lachen. Vielleicht munterte sie der Kurztest auf, sie hatte eine gute Note. Ich würde alles dafür tun, sie lächeln zu sehen. Everly war eine verbotene Frucht, meine ganz persönliche verbotene Frucht. Ich hatte ein Mal von ihr gekostet und nun wollte ich diese Sünde auf ewig. Vor allem nach unserem letzten Gespräch, wollte ich sie wieder zum lächeln bringen. Meine Worte waren verletzend gewesen, ich wusste selbst nicht, was in mich gefahren war. Ich würde es wieder gut machen und ich wusste auch wie. Bei dem Gedanken sie gut fühlen zu lassen musste ich über meine Lippen leckten. Ob sie immer noch so gut schmeckte wie damals? Wahrscheinlich noch besser. My tasty little girl.

Lasse redete intensiv auf sie ein. Was war los? Sie sah aus, als wäre sie den Tränen nahe. Ich war besorgt, konnte aber nichts tun. Diese Machtlosigkeit brachte mich um. Erneut sah ich zu ihr rüber. Ihr braunes Haar hing schlaf runter, unter ihren Augen hatten sich Augenringe gebildet und ihre Lippen waren blutrot. Es war, als war ihr ganzes Gesicht angeschwollen, sie war blasser als gewöhnlich und der schwarze Pullover hatte ihr die Lebensfreude genommen. Wo war mein glückliches, kleines Mädchen?

"Guten Morgen, ich hoffe ihr hattet ein erholsames Wochenende.", begann ich den Unterricht.

"Ich habe eure Kurztests korrigiert."

"Na, endlich.", kam es von Tolga.

"Hat ja nur zehntausend Jahre gedauert.", meinte Vin.

Ich lief durch die Reihen und teilte die Tests aus. Lasse, Frederick, Anni, Tolga, Vin, einer nach dem anderen und zu guter Letzt, Everly. Ich beugte mich über den Tisch hinweg zu ihr und legte das Blatt vor sie. Sie schaute hoch und ihre glasigen Augen verpassten mir einen Stich ins Herz. War ich zu weit gegangen? Musste sie wegen mir im Englischunterricht mit den Tränen kämpfen? Plötzlich fühlte ich mich schlecht. Am Freitag verkörperte sie Wut, nachvollziehbar. Aber Trauer? Ich konnte nicht anders.

"Alles okay?", flüsterte ich.

Sie schenkte mir ein trauriges Lächeln und nickte, nur um dann mit dem Kopf zu schütteln. Ich konnte ihr nicht helfen und verzweifelte. Wären wir alleine gewesen, hätte ich sie in den Arm nehmen und trösten können.

"Du kannst jederzeit rausgehen.", flüsterte ich.

Lasse streckte seinen Kopf zu uns.

"Geht's?", fragte er. Er wusste also, was los war. Hatte sie Schmerzen? Everly nickte und senkte ihren Blick. Keine devote Geste, eine aus purem Selbstschutz. Sie fuhr sich mit den Ärmeln ihres Pullis über die Augen und schaute sich dann ihre Note an. Wenn man die Notenpunkte umrechnete hatte sie eine 2-.

"2-, voll gut.", sagte Lasse. Dieser hatte eine 4+.

"Hätte mehr vor mir erwartet.", ihre Stimme brach und ich war kurz davor sie in den Arm zu nehmen.

"Herr Dumond! Sie haben da einen Fehler gemacht!", schrie Joshua durch die Klasse. Ich zuckte hoch. Ich hatte gerade andere Probleme, widerwillig ging ich zu ihm. Laut ihm hatte ich mich um einen halben Punkt verrechnet.

"Auf den kommt es auch nicht an.", meinte ich. Trotzdem zwang er mich dazu den Notenspiegel rauszuholen und nachzusehen, ob es etwas ausmachte. Wie erwartet, nicht.

Während die Klasse und ich besprachen, was der Unterschied zwischen einer 'Speech' und einer 'Discussion' waren, fiel mein Blick immer wieder auf Everly. Ich verschonte sie mit Fragen. Mir war bewusst, dass sie auf jede eine Antwort hatte, sie wie letzte Stunde vorzuführen war nicht okay gewesen. Sie war gut in Englisch, das brauchte sie mir nicht zu beweisen. Ich musste ihre mündliche Note jedoch realistisch einschätzen und da sah es nicht gut aus.

"Okay, that's it for today's lesson. See you tomorrow.", verabschiedete ich die Klasse. Während die anderen schon aus dem Zimmer waren, packte Everly immer noch langsam ihren Rucksack. Sie sah schwach aus. Ich wischte die Tafel diesmal selbst. Als Everly am Pult vorbeilief musste ich sie einfach ansprechen.

"Everly, alles okay?", fragte ich besorgt und ging auf sie zu.

"Mh.", ohne mich anzusehen lief sie weiter.

"Wenn es irgendetwas gibt, dass ich für dich tun kann, sag es mir.", flehte ich. Sie drehte sich um und öffnete ihren Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Wortlos verließ sie das Klassenzimmer und ließ mich ratlos zurück.

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