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⛧⛧⛧⛧⛧⛧ Kapitel 8 ⛧⛧⛧⛧⛧⛧


Als ich wieder in das Haus trete, kommt Gabriel schon auf mich zu. Ich biege kurz ab, um die Sprühdose wieder in den Keller zu bringen, dann laufe ich wieder nach oben und sehe ihn fragend an.

„Was haben sie gesagt?", möchte ich wissen und werfe einen Blick über seine Schulter in das Wohnzimmer, in dem meine Eltern wieder ganz normal zum Fernsehgucken übergegangen sind. Allerdings kann ich nicht deuten, ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist, dass sie wieder ihrer vorherigen Beschäftigung nachgehen.

„Sie haben zugestimmt und mir dann das Gästezimmer angeboten, nachdem sie mir gedroht haben, dass sie mich töten, wenn ich dir etwas antun sollte." Gabriel beginnt leicht zu grinsen und ich muss mir ein Lachen verkneifen. Das klingt so sehr nach meinen Eltern, dass es beinahe schon wieder lustig ist. Dann allerdings realisiere ich erst richtig, was er mir dort gerade gesagt hat. Meine Eltern haben also dem Ritual zugestimmt und Gabriel und ich werden fortan nun also zusammen wohnen, damit er mich ordentlich schützen kann. Also wird die Sache ernst.

„Okay, gut. Was benötigen wir für diesen Zauberspruch?", frage ich Gabriel nun also und laufe mit ihm in den Flur, da wir immer noch direkt vor dem Kellereingang stehen. Er folgt mir und wir kommen erneut in der Küche an, obwohl wir dort bis eben ja noch waren. Komisch, dass es ausgerechnet immer die Küche ist, in der wir landen.

„Ich besorge die Zutaten, du suchst dir einen Ort, an dem du dich danach ausruhen kannst. Ich komme dann zu dir.", erklärt er mir und ich verkneife mir jegliche Fragen, weshalb ich mich danach ausruhen sollte, denn ich bin mir sicher, dass ich mir diese Frage gleich selbst beantworten kann. Außerdem sehe ich, dass Gabriel beinahe schon ungeduldig wirkt, dass er endlich loskommt, um die Zutaten zu besorgen, weshalb ich den Erzengel nicht noch weiter aufhalten möchte.

„Okay, einverstanden. Brauchen wir noch etwas anderes?", erkundige ich mich deshalb nur schnell.

„Nein. Ich besorge alles, was wir benötigen." Er lächelt leicht und ich nicke abwesend.

„Gut. Dank-" Noch bevor ich meinen Satz zu Ende gesprochen habe, ist er verschwunden und ich stehe alleine im Flur. Wow. Sehr freundlich, Gabriel. Ich zucke gedanklich mit den Schultern, dann mache ich mich auf den Weg in mein Zimmer. Da ich nicht weiß, wie ich mich danach ausruhen soll und wie lange, beschließe ich, dass es am besten wäre, wenn ich mich einfach auf mein Bett setze. Zur Not kann ich mich dann einfach nach hinten fallen lassen und mich ausruhen, so wie er es verlangt.

Es vergeht nicht besonders viel Zeit, da steht Gabriel auch schon wieder vor mir. In der Hand hält er eine Metallschale, in der mehrere Zutaten liegen. Viele davon kenne ich, weil ich sie selbst schon verwendet habe, andere sind mir gänzlich unbekannt. Ich entdecke Schafsgabe, diverse Kräuter und ein paar Knochen, von denen ich sicherlich nicht wissen will, woher sie stammen. Unsicher sehe ich Gabriel an, der jedoch beginnt konzentriert die Kräuter zu zerstoßen. Dass er dabei im Schneidersitz auf meinem Boden sitzt, macht das ganze zwar etwas entspannter, aber trotzdem spüre ich, dass ich gespannt bin, was er dort tut.

Nach etwa zwei Minuten schmeißt er sämtliche Zutaten in die Metallschüssel und sieht mich dann ruhig an.

„Wir brauchen dein Blut für den Zauber.", erklärt er mir und ich stehe von meinem Bett auf, dann lasse ich mich gegenüber von ihm auf den Boden fallen. Dass wir gerade aussehen wie zweitklassige Hexen in einer Teenieserie, die versuchen den Teufel zu beschwören, würde ich wahrscheinlich lustig finden, wenn unsere Situation nicht so ernst wäre. Stattdessen ziehe ich nur einen Dolch unter meinem Bett hervor, der dort für Notfälle liegt, und reiche ihn Gabriel. Dieser nimmt ihn zögerlich entgegen. Als ich ihm meine Hand entgegen strecke, scheint er zu verstehen, was ich von ihm möchte, denn er sieht mich zögernd an. Als ich allerdings nur aufmunternd nicke, greift er sanft nach meine Handgelenk, dann legt er die Klinge auf die Haut und schneidet mir in die Hand. Der Schmerz ist nicht so schlimm, wie ich erwartet hätte. Vorsichtig drückt er meine Hand etwas, sodass das Blut von meiner Handfläche in die Schüssel tropft. Ich beobachte fasziniert, wie sich der Boden der Schüssel komplett rot färbt. Als Gabriel beschließt, dass es genug ist, streicht er mit seiner eigenen Hand sanft über meine Handfläche und der Schnitt verschließt sich wieder. Ich ziehe meine Hand wieder zu mir und sehe ihm dabei zu, wie er sich selbst in die Handfläche schneidet. Doch im Gegensatz zu mir, kommt bei ihm kein Blut aus der Hand. Zumindest nicht nur. Fasziniert beobachte ich die leuchtend blaue Substanz, die in die Schüssel tropft.

„Ist das deine Gnade?", frage ich leise und Gabriel sieht zu mir auf.

„Ja, das ist sie.", bestätigt er mir und lässt noch etwas weiter davon in die Schüssel tropfen. Seine Gnade und mein Blut vermischen sich und bilden eine dunkle, leuchtende Masse.

„Sie ist wunderschön.", flüstere ich gedankenverloren vor mich hin und räuspere mich dann, als ich realisiere, was ich dort gerade eigentlich gesagt habe. Ja, seine Gnade sieht wunderschön aus, das will ich gar nicht bestreiten, aber das heißt noch lange nicht, dass ich ihm das sagen muss. Das klingt ja im Endeffekt total dämlich.

Als genug seiner Gnade in der Schale schwimmt, schließt er seine eigene Wunde ebenfalls wieder und legt das Messer zur Seite.

„Gib mir deine Hände.", fordert er und ich strecke sie ihm sofort entgegen. Er kommt mir noch ein Stück näher, dann greift er ebenfalls nach meinen Händen, sodass sich die Schüssel zwischen uns befindet. Das Bild der Möchtegernhexen schleicht sich noch tiefer in mein Gedächtnis und ich lache beinahe laut auf.

„Bist du dir ganz sicher, dass ich es tun soll?", fragt er mich zur Sicherheit erneut. Ich atme ein letztes Mal tief ein und aus, dann nicke ich.

„Tu es!" Gabriel nickt und zeigt mir somit, dass er meine Worte verstanden hat, dann beugt er seinen Kopf nach unten, sodass er in die Schüssel sehen kann. Er fängt an mit sanfter Stimme lateinische Worte vor sich hinzumurmeln, die ich nur schwer verstehen kann. Doch das, was ich verstehe, reicht aus, um mir seine Beschwörung ins Deutsche zu übersetzen.

Ihr Geist wird meiner, mein Geist wird ihrer.

Schütze uns. Finde uns. Bewahre uns.

Zeige uns alles Böse. Lass es uns besiegen.

Möge das Licht dich schützen und mich zu dir weisen.

In dem Moment, in dem er das letzte Wort gesprochen hat, spüre ich, dass ein Gefühl des Brennens in mir hochsteigt und ich das Gefühl habe, dass ich nicht mehr atmen kann. Ich keuche auf, als es sich anfühlt, als würde ich von Innen heraus brennen. Als ich allerdings auf meine Arme gucke, sehe ich nur das helle Licht von Gabriels Gnade. Ein Blick zu ihm zeigt mir, dass auch er es spüren muss, denn sein Gesicht ist schmerzverzerrt. Der Schmerz nimmt immer weiter zu, bis er sich plötzlich wieder zurückzieht. Ich nehme meinen eigenen Atem wahr, als ich nach Luft schnappe. Er geht viel zu schnell und ist viel zu laut, doch nach und nach beruhigt er sich wieder. Gabriel lässt währenddessen meine Hände nicht los, was mir zumindest das Gefühl von Sicherheit gibt. Ich blicke zu ihm, wie er mich aufmerksam mustert und fragend den Kopf schieflegt.

„Hörst du mich?", fragt er, doch ich habe nicht gesehen, dass er seinen Mund bewegt hat. Mit großen Augen sehe ich ihn an.

„Hast du gerade in meinem Kopf gesprochen?!", frage ich ihn und höre selbst, dass meine Stimme zu schrill klingt. Allerdings entlockt das Gabriel nur ein Schmunzeln, bevor er aufsteht.

„Ja, habe ich." Sanft hilft er mir hoch und platziert mich auf dem Bett. Ich weiß jetzt auf jeden Fall, warum er mir gesagt hat, dass ich mich danach ausruhen soll. Es fühlt sich an, als würde ich von einem Bagger überrollt worden sein. Kaum zu fassen, dass ein positiver Zauber solche Auswirkungen haben kann. Allerdings stellt sich mir dann eine viel wichtigere Frage.

„Wieso kannst du in meinen Gedanken mit mir sprechen?", möchte ich von ihm wissen. Gabriel setzt sich auf die Kante meines Bettes und sieht mich zögerlich an.

„Weil wir jetzt miteinander verbunden sind. Wenn du Hilfe brauchst, dann kannst du mich rufen. Und wenn dein Leben bedroht wird, dann spüre ich das.", antwortet er mir ehrlich.

„Du spürst das? Wie?"

„Ich weiß alles, was du weißt. Du weißt alles, was ich weiß.", erklärt er. Verwirrt sehe ich ihn an. Was soll das heißen? Ich weiß alles, was er weiß? Meint er, dass ich seine Gedanken ebenfalls lesen kann?

„Heißt das du kannst meine Gedanken lesen?", frage ich zur Sicherheit nach und sehe Gabriel eindringlich an. Er scheint zu erkennen, dass der Gedanke, dass er dauerhaft meine Gedanken lesen kann, mich nicht beruhigt.

„Wenn du sie für mich freigibst. Ich zeige dir, wie du deine Gedanken vor mir schützen kannst, sodass ich sie nicht hören kann.", erklärt er mir sanft und beruhigt mich mit dieser Aussage tatsächlich etwas. Ich drehe mich etwas auf die Seite, damit ich ihn besser ansehen kann und sehe, dass er mich beinahe besorgt ansieht.

„Davon hattest du vorher aber nichts erwähnt."

„Nein, das stimmt. Verzeih mir. Ich hielt diese Nebenwirkung nicht für relevant." Ich bin nicht wirklich sauer, ich war im ersten Moment nur überrascht. Außerdem könnte uns das ja auch nützlich werden, wenn ich wirklich in Gefahr schweben sollte.

„Aber der Zauber hat funktioniert?"

„Ja, das hat er. Von nun an kann dir nichts mehr passieren, wenn ich in deiner Nähe bin.", versichert er mir und lächelt mich aufmunternd an. Sein Lächeln ist anstrengend, weshalb ich auch leicht lächeln muss. Dann war das ganze ja wenigstens nicht umsonst.

„Gut zu wissen." Gabriel sieht mich einen Moment prüfend an, dann erhebt er sich plötzlich vom Bett und hebt die Schale vom Boden auf.

„Du solltest dich noch etwas ausruhen, der Zauber ist für einen Menschen sehr anstrengend.", weist er mich dann noch an und ich lache leicht.

„Was du nicht sagst.", necke ich ihn dann noch und Gabriel grinst. Es war sehr offensichtlich, dass ich gemerkt habe, dass der Zauber anstrengend war, immerhin bin ich es, die gerade auf dem Bett liegt und völlig fertig aussieht.

„Ich werde gleich zurück sein.", teilt er mir dann mit und noch bevor ich ihm eine Antwort geben kann, macht er sich auch schon auf den Weg, um mein Zimmer zu verlassen.

„Gabriel, warte!", halte ich ihn noch auf und er dreht sich mit einem fragenden Ausdruck auf dem Gesicht zu mir.

„Hm?"

„Wenn du jetzt hier einziehst, brauchst du etwas? Für dein Zimmer, meine ich..." Ich sehe ihn unsicher an. Auch, wenn er momentan nicht den Eindruck macht, ist, dass er diese momentane Situation schrecklich findet, habe ich das Gefühl, dass es meine Aufgabe ist, dass er sich wohl fühlt und er seine Zeit hier erträglich verbringen darf. Auch, wenn er mein Schutzengel ist, möchte ich, dass er sich wohl fühlt. Und es heißt ja nicht, dass wir keine Freunde sein können.

„Nein. Aber danke, Zoe.", lehnt er dankend ab und ich erkenne echte Dankbarkeit auf seinem Gesicht.

„In Ordnung. Wenn du etwas benötigst, dann lass es ich wissen.", biete ich ihm an. Vielleicht fällt ihm ja über die Zeit doch noch etwas ein, das er als wichtig erachtet und das er haben möchte.

„Werde ich."

„Ich würde nachher gerne noch in die Bibliothek fahren."

„Ruh dich zuerst aus." Auch, wenn ich diese Diskussion gerne noch weiterführen würde, weiß ich, dass er Recht hat und ich mich wirklich langsam ausruhen sollte. Sonst habe ich nachher sicherlich nicht die nötige Energie, um meinen Nachmittag in der Bibliothek zu verbringen.

„Werde ich. Danke."


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Hätte man mir vor ein paar Tagen erzählt, dass ich einmal einen Egel auf dem Beifahrersitz haben werde, dann hätte ich sicherlich ein ganz anderes Bild im Kopf gehabt, als das, was sich jetzt tatsächlich hier abspielt. Ich hätte erwartet, dass der Engel neben mir fasziniert durch die Gegend sieht oder verwirrt ist, von den Wundern der Technik. Doch Gabriel neben mir tut nichts dergleichen. Stattdessen sitzt er auf dem Beifahrersitz und starrt nur so vor sich hin, als wäre es völlig normal mit einem Auto durch die Gegend zu fahren. Unwillkürlich frage ich mich, ob er in seiner Vergangenheit auf der Erde schon Erfahrungen mit Autos gemacht hat. Aber wieso sollte er? Als Engel kann er sich doch teleportieren, wie ich ja mittlerweile weiß. Da würde er sicherlich nicht die Variante eines Autos wählen.

Gabriel hatte mir angeboten, dass er uns zur Bibliothek teleportieren könnte, doch ich hatte angelehnt. Es hatte sehr entgegen meiner Erwartung nicht lange gebraucht, bis ich ihn dazu überredet hatte, mit mir in die Bibliothek zu fahren. Als ich unserem Deal zugestimmt habe, dass er mein Schutzengel werden darf, hatte ich damit gerechnet, dass er mich nun dauerhaft nicht mehr aus dem Haus lassen würde, um mich ordentlich schützen zu können. Ich hatte erwartet, dass er mir verkaufen wollen würde, dass er mich nicht richtig beschützen kann, wenn wir uns in die Welt begeben. Stattdessen hatte er mir zugestimmt, als ich ihm erzählt habe, dass ich in die Bibliothek gehen möchte.

Ich bin mir nicht sicher, ob er schon weiß, weshalb ich in die Bibliothek möchte. Und wenn er es wirklich weiß, dann rechne ich es ihm hoch an, dass er ohne zu meckern mit mir kommt. Ich bin mir sicher, dass er sicherlich nicht begeistert wäre davon, dass ich in der Bibliothek Informationen über Erzengel und Engel im Allgemeinen heraussuchen möchte. Gabriel könnte mir sicherlich eine Menge erzählen, über alles, was ich wissen möchte. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm trauen kann. Immerhin kann er mir alles erzählen, was er mir erzählen möchte und bevor ich keine weiteren Nachforschungen anstellen kann, die mich vom Gegenteil überzeugen können, muss ich ihm glauben, was er mir erzählt.

Ich schalte genervt das Lied weiter und setze den Blinker, als ich die Spur wechseln will. Niemals hätte ich gedacht, dass der Verkehr am Samstagnachmittag so schlimm sein könnte.

„Meine Güte, kannst du als Engel nichts gegen diesen höllischen Verkehr machen?", frage ich den Erzengel neben mir genervt und wechsele die Spur, um ein Auto zu überholen, dass 10 km/h unter der Geschwindigkeit fährt. Hatte diese Person ihr Gaspedal verloren? Weit und breit ist kein Grund zu sehen, weshalb man so langsam fahren muss. Alles ist frei, das Wetter ist gut und es ist noch hell. Genervt blinke ich und schere vor der Person wieder ein, dann fahre ich weiter, als wäre nichts gewesen.

„Könnte ich sicherlich, aber für so etwas verschwende ich nicht meine Energie. Du wolltest ja unbedingt mit dem Auto fahren." Gabriel grinst mich süffisant an und ich weiß ja, dass er Recht hatte. Er hatte es mir zwei Mal angeboten, aber ich habe darauf bestanden, dass ich unbedingt meine Ausrüstung aus dem Kofferraum mitnehme und somit lieber mit dem Auto fahren will. Außerdem fahre ich eigentlich ganz gerne Auto. Es gibt nichts Besseres, als mit dem Auto und guter Musik zu einem Fall zu fahren. Oder der Rückweg, wenn der Fall erfolgreich abgeschlossen ist.

„Darf ich dich etwas fragen?", möchte Gabriel dann in veränderter Tonlage wissen und ich werfe ihm einen kurzen Seitenblick zu. Seine Miene wirkt beinahe zurückhaltend, so als wäre er sich nicht sicher, ob er die Frage, die er geplant hatte, überhaupt fragen darf.

„Sicher.", erwidere ich deshalb nur und setze den Blinker, um von der Straße herunter zu kommen. Nur noch wenige Minuten, dann sind wir an der Bibliothek angekommen.

„Wie geht es dir gerade?" Ich hatte nicht mit so einer Frage gerechnet, weshalb ich ihn wohl kurz etwas verwirrt ansehe. Als mir auffällt, dass dieser Blick wohl aber etwas zu lang war, wende ich den Blick schnell wieder zurück auf die Straße und atme tief durch, bevor ich ihm antworte.

„Ich hätte erwartet, dass es mir schlechter geht. Liza war meine beste Freundin und ich wundere mich etwas über mich, weshalb ich ihren Tod so einfach hingenommen habe... aber vielleicht liegt das ja an meinen Jägertätigkeiten... ich habe schon häufiger geliebte Menschen verloren.", antworte ich ihm.

„Vermisst du sie?"

„Ich glaube richtig vermissen werde ich sie erst, wenn sie am Monat nicht in der Schule auftaucht und ich realisiere, dass sie wirklich tot ist." Denn irgendwas in mir drinnen sagt mir, dass ich noch gar nicht richtig realisiert habe, dass ich sie nie wieder sehen werde. Wenn sie am Montag nicht in der Schule auftauchen wird und sich herumspricht, dass sie gestorben ist, dann wird diese Erkenntnis allerdings in mir durchscheinen und ich weiß wirklich nicht, wie ich dann reagieren werde.

„Darüber müssen wir uns auch noch Gedanken machen. Wie kann ich dich in der Schule beschützen?" Ich wende den Blick kurz von der Straße ab und sehe ihn nachdenklich an.

„Darüber habe ich mir um ehrlich zu sein noch keine Gedanken gemacht.", gestehe ich ihm und ernte nur einen verständnisvollen Blick. Zum Glück spricht er das allerdings nicht an. Das hätte mir jetzt gerade noch gefehlt.

„Ich könnte als Schüler in deine Klasse kommen.", schlägt Gabriel vor und ich denke kurz nach. Ich komme allerdings zu dem Schluss, dass das keine sonderlich gute Idee ist.

„Nein, das ist viel zu auffällig. Wir haben in ein paar Monaten unsere Abschlussprüfungen, so kurzfristig einen neuen Schüler zu bekommen, zieht zu viel Aufmerksamkeit auf sich." Außerdem müsste ich dann auch noch erklären, wieso der Neue und ich nur noch als Duo anzutreffen sind. Und das würde nur noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dann könnten wir den Dämonen auch direkt verraten, wo ich mich befinde.

„Ich könnte mich in einen Gegenstand verwandeln, den du mit dir herumtragen kannst.", lautet der nächste Vorschlag, den ich jetzt schon viel besser finde. Das macht auch auf jeden Fall mehr Sinn. Und zieht deutlich weniger Aufmerksamkeit auf sich.

„So etwas kannst du?"

„Was denkst du denn, mit wem du hier redest?", zwinkert der Erzengel neben mir in meine Richtung und ich rolle mit den Augen, kann mir aber ein Schmunzeln nicht verkneifen. Irgendwie ist mir seine Art total sympathisch und ich merke, dass ich mich in seiner Gegenwart extrem wohl fühle, weshalb ich glaube, dass unserer Zukunft als Schutzengel und Schützling nichts im Weg steht.

„Ist ja gut... vielleicht kannst du dich in einen Stift oder etwas ähnliches verwandeln, das fällt in der Schule am wenigsten auf.", schlage ich vor. Gabriel sieht mich nachdenklich an, dann nickt er zustimmend. Ich fahre schnell auf den Parkplatz der Bibliothek und halte die Augen nach einer Parklücke auf.

„Das ist wahrscheinlich unsere beste Möglichkeit."

Ich nicke als Zeichen, dass ich verstanden habe und parke meinen Wagen in eine Parklücke, ziemlich nah am Eingang, ein. Gabriel und ich steigen aus und ich schnappe mir meine Tasche vom Rücksitz. Dort habe ich mir mein Notizbuch, ein paar Stifte, etwas zu trinken und vor allem ein paar Waffen eingepackt. Gabriel geht an meiner Seite lang, als wir uns auf den Weg zum Eingang machen. Er hält mir die Tür auf, was ich positiv zur Kenntnis nehme. Ich bedanke mich und er erwidert dies kurz mit einem Lächeln. Gemeinsam treten wir in die Bibliothek ein.

„Hey Zoe, schon wieder hier?", werde ich sofort von einer fröhlichen Damenstimme begrüßt und entdecke Mrs. Smith hinter dem Tresen. Mrs. Smith ist eine nette Dame Mitte 60, die diese Bücherei schon seit Ewigkeiten betreibt. Sie kennt jedes Buch hier und über die Jahre hinweg ist ihre Bibliothek riesig geworden. Da ich hier regelmäßig Informationen für meine Eltern und für mich suche, kennt die alte Dame mich mittlerweile schon ziemlich gut. Zudem weiß sie, dass meine Eltern und ich Jäger sind, was uns deutlich zum Vorteil kommt. Denn sind wir mal ehrlich: Wenn sich ständig jemand Bücher über Dämonen, Geister und Vampire ausleiht, dann würde man doch irgendwann Verdacht schöpfen, dass mit dieser Person irgendetwas nicht stimmt. Mrs. Smith ist eine große Hilfe geworden, seitdem sie weiß, was wir hier eigentlich tun. Wenn man mal nicht fündig geworden ist, dann kennt sie immer noch ein kleines, unscheinbares Buch, das dann im Endeffekt zur Lösung führt.

„Hallo Mrs. Smith! Wie geht es Ihnen?", begrüße ich sie freundlich und lächele sie strahlend an. Als sie dieses Lächeln sieht, steigen ihre eigenen Mundwinkel auch in die Höhe. Es ist traurig, dass ein Lächeln heutzutage nicht mehr selbstverständlich geworden ist und diese kleine Geste meinerseits solche Freude in ihr auslöst, da sie es nicht gewohnt ist, dass sie jemand so anlächelt.

„Mir geht es gut, meine Liebe. Aber sag mal, wer ist denn dein hübscher Begleiter?" Mir entgeht der Unterton ihrer Stimme nicht und es hätte nur noch gefehlt, dass sie mit den Augenbrauen gerollt hätte.

„Das ist Gabriel. Er... unterstützt mich heute." Es ist immerhin nicht mal gelogen. Sein Name ist Gabriel und er ist mehr oder weniger ja auch hier, um mich zu unterstützen. Mrs. Smith beginnt zu lächeln.

„Sehr erfreut, Ma'am.", bringt Gabriel heraus und lächelt die Bibliothekarin vor uns nett an. Als sie das sieht, erhellt sich ihr Blick noch weiter.

„Ich freue mich zu sehen, dass Zoe endlich nicht mehr alleine hier stundenlang herumsitzt." Ich lächele leicht, weiß aber, dass sie Recht hat. Schon häufiger bin ich hier mittags angekommen und musste abends von Mrs. Smith förmlich herausgescheucht werden, weil ich so in meine Arbeit vertieft war, dass ich die Zeit vergessen hatte.

„Keine Sorge, ich passe auf sie auf."

„Das wollte ich hören, mein Junge!" Ich verkneife mir ein Lachen, als ich realisiere, dass sie gerade einen jahrtausendsalten Erzengel als Jungen bezeichnet hat.

„Nun dann, ich will euch nicht weiter aufhalten. Wenn ihr etwas braucht, dann ruft nach mir. Heute ist wenig los."

„Danke."

Gemeinsam gehen Gabriel und ich die Treppe der Bibliothek hoch in den ersten Stock. Ich steuere auf direktem Wege auf das Religionsregal zu und verberge gar nicht erst, was ich hier eigentlich vorhabe. Ich bin mir sicher, dass Gabriel sich das schon denken konnte und selbst, wenn er es sich nicht denken konnte, wird er sicherlich in der Lage dazu sein, mit seinen Engelssinnen herauszufinden, welche Art von Büchern ich hier suche. Mal ganz davon abgesehen, dass er nur einen einzigen Blick auf den Titel des Buches werfen müsste und sofort weiß, um was es dort geht.

„Was genau suchst du für Bücher?", möchte er wissen, als wir vor dem Regal angekommen sind. Unsicher sehe ich mich um und stelle fest, dass die Auswahl der Bücher wahrscheinlich deutlich schwerer ablaufen wird, als ich es erahnt habe.

„Das weiß ich selbst noch gar nicht so richtig...", gestehe ich und trete näher auf das Regal zu. Gabriel hinter mir seufzt, dann kommt er allerdings einen Schritt auf mich zu und deutet auf ein Buch, das sich in etwa auf meiner Augenhöhe befindet.

„Das da ist ziemlich gut. Und ziemlich nah an der Wahrheit.", erklärt er mir und ich drehe mich verwirrt zu ihm um. Also wusste er wirklich die ganze Zeit, dass ich ihm nicht ganz traue und ein Buch suche, das mir seine Geschichte entweder bestätigt, oder komplett widerlegt. Gabriel zieht das Buch nur stumm aus dem Regal und sieht sich dann weiter um. Schon kurz darauf zieht er ein zweites Buch aus dem Regal und nimmt es ebenfalls in die Hand. Er legt es auf das vorherige Buch und schaut sich dann weiter die Regale an. Ich schüttele fast unmerklich den Kopf, dann durchsuche ich selbst ebenso die Regale und suche mir zwei Bücher aus, denen ich traue.

Als ich meinen Blick wieder zurück zu Gabriel drehe, sehe ich ihn mit fünf Büchern auf dem Arm auf einen Tisch zugehen. Ich zucke innerlich mit den Schultern und folge ihm. Es kann mir immerhin nur recht sein, wenn er ebenfalls Bücher auswählt und sie mir sogar an den Tisch trägt. Ich komme wenige Augenblicke nach ihm am Tisch an und lasse mich auf den Stuhl fallen. Vor mir steht der riesige Stapel Bücher, den ich an mich heranziehe. Dann schnappe ich mir mein Notizbuch aus meiner Tasche und bereue es, dass ich meinen Laptop nicht mitgenommen habe. Der Gedanke, dass ich aus all diesen Büchern nun wichtige Informationen mit der Hand herausschreiben muss, ist nicht gerade ein fröhlicher Gedanke.

„Ich könnte dir deinen Laptop herteleportieren.", schlägt Gabriel aus heiterem Himmel vor. Ich bin wahrscheinlich einen Moment lang verwirrt, bis ich realisiert habe, dass er gerade meine Gedanken gelesen hat. Gespielt böse sehe ich ihn an.

„Hör auf meine Gedanken zu lesen.", bitte ich ihn dann allerdings wirklich und nehme das erste Buch vom Stapel.

„Tut mir leid.", gibt er zurück und ich höre die Ehrlichkeit in seiner Stimme. Leicht lächele ich ihn an, dann schlage ich mein Notizbuch auf und lege es neben das andere Buch.

„Wenn du magst, dann kannst du dir gerne ein eigenes Buch suchen, das du lesen möchtest.", biete ich ihm an, damit er hier nicht blöd herumsitzen muss. Zögerlich sieht er mich an.

„Bist du dir sicher? Ich kann dir helfen." Auch, wenn ich diese Geste zu schätzen weiß, weiß ich auch, dass ich sie nicht annehmen werde. Und wenn ich sie annehme, dann werde ich weiterhin misstrauisch sein, bei allem, was er aus diesen Büchern heraussuchen wird.

„Nein, ist in Ordnung. Ich mache das hier alleine. Such dir ein Buch, das dir gefällt und entspann dich etwas." Ich lächele ihn aufmunternd an und sehe zufrieden dabei zu, dass er von seinem Stuhl aufhebt. Er sieht beinahe erfreut aus und ich wundere mich einen Moment lang über seine Freude. Diese Verwirrung behebt sich allerdings, als er weiter spricht.

„Ich war noch nie in einer Bibliothek!" Ich grinse leicht und weiß, dass er jetzt die nächste Zeit wohl erst Mal nicht mehr zu sehen sein wird.

„Ich warte hier auf dich, tob dich aus. Und wenn du etwas ausleihen willst, dann sag Bescheid. Wenn etwas sein sollte, dann rufe ich dich." Gabriel nickt mir grinsend zu, dann verschwindet er zwischen den Regalen und lässt mich mit meinen Büchern alleine. Ich muss leicht lächeln, als ich an die Freude des Erzengels denke. Ich bin mir sicher, dass er sich hier wohlfühlen wird.

Mit einem Seufzen öffne ich das erste Buch und schlage als erstes das Inhaltsverzeichnis auf. Auch, wenn mir Gabriel ziemlich viel von sich offenbart hat, möchte ich mir durchlesen, was das Buch so über ihn zu erzählen hat. Immerhin hätte er ja auch gelogen haben können. Doch schon als ich mir die ersten Seiten durchlese, stelle ich fest, dass er komplett die Wahrheit gesagt hat. Das Buch kann mir nichts Neues über ihn verraten, weshalb ich beinahe schon frustriert ein anderes aufschlage. Doch auch dieses kann mir nichts Neues verraten und ich weiß, dass Gabriel mir wohl wirklich die Wahrheit gesagt haben muss, was ihn angeht. Das rechne ich ihm hoch an.

Ein Geräusch gegenüber von mir reißt mich aus meinen Gedanken und ich sehe Gabriel, wie er sich mit einem großen und ziemlich dicken Buch auf den Platz gegenüber von mir fallen lässt. Seine Augen strahlen, als er das Buch öffnet und ich senke meinen Kopf etwas, damit ich erkennen kann, was er dort für ein Buch in der Hand hält. Als ich erkenne, dass es sich um ein Märchenbuch handelt, beginne ich zu grinsen. Ich hätte Gabriel nicht für einen Märchen-Fan gehalten, aber da kann man mal sehen, wie schnell man sich irren kann. Gabriel ist sofort in sein Buch vertieft, weshalb ich mich weiter meiner Recherche zuwende.

Nachdem ich über ihn nichts Neues gefunden habe, beschließe ich, dass ich mich allgemein über Engel informieren sollte. Immerhin hatte ich bis vor ein paar Tagen noch nichts über die Existenz von Engeln gewusst und wüsste nicht, wie ich mich ihnen gegenüber verhalten sollte, wenn ich mal einem gegenüberstehe. Und anhand des Luzifer-Beispiels legt sich meine Illusion auch, dass es nur freundliche Engel gibt. Immerhin war Luzifer auch ein Engel, bevor er aus dem Himmel verbannt worden und gefallen ist. Und verbannt aus dem Himmel wurde er bestimmt nicht wegen seiner großartige Freundlichkeit. Also wird es sicherlich noch weitere Engel geben, gegen die eine Verteidigung nötig werden könnte.

Die nächsten zwei Stunden verbringe ich damit, sämtliche Bücher zu lesen und mir Notizen zu machen. Meine Ausbeute ist allerdings relativ gering, denn wirklich viel habe ich nicht herausfinden können, das mir hilft.

Das einzige, das ich habe, sind ein paar Verteidigungsmechanismen gegen Engel, die ich allerdings auch nicht spontan durchführen könnte, da dafür Materialien notwendig sind. Allerdings habe ich etwas vom „Horn des Gabriel" gelesen und muss den Erzengel noch fragen, was genau es damit auf sich hat. In den Büchern stand, dass er es dazu verwendet hatte, die Engel des Himmels zusammenzurufen, wenn es irgendwelche wichtigen Verkündungen gab.

Ich schlage auch das letzte Buch zu und notiere mir im Kopf, dass ich mir heiliges Öl besorgen sollte, da das die einzige Möglichkeit ist, sich gegen Engel zu schützen. Immerhin bin ich kein Engel und besitze damit auch kein Engelsschwert. Das wäre nämlich in der Lage, andere Engel zu töten.

Als ich das Buch schließe, sieht Gabriel von seinem Märchenbuch auf. Sein fragender Blick trifft meinen. Er sieht mir scheinbar an, wie erschöpft ich vom Lesen bin, denn ein besorgter Ausdruck schleicht sich auf sein Gesicht.

„Ich bin fertig. Wenn du möchtest können wir nach Hause, nachdem ich die Bücher zurückgeräumt habe.", informiere ich ihn und deute auf einen Stapel Bücher, der etwas weiter abseits von zwei weiteren liegt. Diese zwei möchte ich nämlich ausleihen und sie mir zu Hause noch genauer angucken. Gabriel schnippst daraufhin nur kurz mit den Fingern und die unerwünschten Bücher verschwinden wieder von unserem Platz. Mir klappt beinahe der Mund auf. Dies scheint er zu merken, denn er verkneift sich ein Lachen, dann nimmt er die beiden Bücher, die ich ausleihen möchte und sein Märchenbuch und trägt sie für mich.

„Du willst das echt ausleihen?", frage ich ihn verwundert und packe meine Sachen schnell in meine Tasche. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu Mrs. Smith.

„Wieso nicht? Ist daran etwas falsch?", fragt er verwundert. Ich lache leise auf.

„Nein, gar nichts. Ich hätte dich nur nicht als Märchenleser eingeschätzt.", kommentiere ich und Gabriel legt die Bücher auf den Tresen vor Mrs. Smith. Diese gibt die Daten schnell ein und lächelt uns dann lieb an.

„Ich wünsche euch noch einen schönen Abend! Bis bald, Zoe!", verabschiedet sie sich dann von uns und Gabriel nimmt die Bücher erneut entgegen.

„Wir sehen uns, Mrs. Smith!" Ich winke der lieben Frau zum Abschied zu und nachdem auch Gabriel sich verabschiedet hat, gehen wir zusammen wieder zu meinem Auto. Wieder hält er mir die Tür auf und ich sehe grinsend zu ihm.

„Du bist ein richtiger Gentleman, weißt du das?", frage ich ihn, während ich mein Auto entsperre. Gabriel legt die Bücher auf den Rücksitz und beginnt leise zu lachen.

„Man tut eben, was man kann." Ich weiß nicht so recht, was ich auf diese Aussage antworten soll, weshalb ich mich stumm anschnalle und das Radio einschalte, damit es nicht so still ist. Gabriel bemerkt offensichtlich, dass ich gerade nicht in der Laune bin, mich zu unterhalten und respektiert das scheinbar. Dafür bin ich ihm ziemlich dankbar.

Die Fahrt zurück nach Hause verläuft still und dieses Mal mit weniger nervigem Verkehr und schon bald biege ich wieder in unsere Einfahrt und parke mein Auto. Als wir beide aussteigen und Gabriel die Bücher vom Rücksitz nimmt, während ich meinen Haustürschlüssel suche, bemerke ich ein anderes Auto auf der anderen Straßenseite und halte inne.

„Was ist los?", fragt er mich und folgt meinem Blick. Auch er scheint den schwarzen Chevrolet Impala aus dem Baujahr 1967 zu bemerken, denn er verzieht das Gesicht. Scheinbar bin ich nicht die einzige, die von den Besitzern dieses Autos weiß. Mit einem unguten Gefühl knalle ich meine Autotür zu und schließe das Auto dann ab.

Gabriel und ich tauschen einen Blick, dann betreten wir das Haus.

(Überarbeitet)

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